Читать книгу Orgien, wir wollen Orgien! - Cornelius Hartz - Страница 6

VORWORT

Оглавление

Die „Zustände wie im alten Rom“ sind bei uns zum geflügelten Wort geworden, und wir meinen damit Dekadenz, Verschwendung, Völlerei und nicht zuletzt zügellosen Sex. Ein Schweizer Sexkontakt-Portal beispielsweise bietet eine kleine theoretische Einführung in das bunte Treiben der „Swinger“ – komplett mit einem Blick auf den historischen Hintergrund: „Auch wenn man glauben könnte, Swingen sei ein Phänomen der Neuzeit: Das ist es keineswegs! Schon im alten Rom war es gang und gäbe, sich mit wechselnden Sexualpartnern zu amüsieren. Die sprichwörtliche römische Orgie ist also sozusagen ein Vorläufer der modernen Swingerparty.“ Eindrucksvoll wird diese Sicht der römischen Gesellschaft in der US-amerikanischen TV-Serie Spartacus in Szene gesetzt, die gleich in der Pilotfolge ebenso viele grausam-blutige Tode wie nackte Brüste zeigte. Und die Presse bemühte diesen Vergleich in den letzten zehn Jahren nur allzu gerne, wenn von den kriminell-unmoralischen Machenschaften Silvio Berlusconis die Rede war.

Natürlich war Rom alles andere als ein Sündenpfuhl. Doch ins andere Extrem darf man ebenso wenig verfallen. In seiner Comedy-Quizshow QI stellte Stephen Fry einmal die Frage: „Wohin würden Sie Ihre Großmutter eher mitnehmen: zu einem griechischen Symposion oder einer römischen Orgie?“ Wie erwartet, entschieden sich die Befragten für das Symposion und tappten damit (vermeintlich) in die Falle. Trinkgelage und ausschweifende Sexualität, so Fry, habe man nur beim Symposion der alten Griechen gefunden, die römische Orgie habe vor allem dem Genuss ausgefallener Gaumenfreuden gedient. Doch das ist leider nicht ganz zutreffend: Die Römer standen den Griechen in dieser Hinsicht kaum nach – es kam lediglich darauf an, wer wann mit wem feierte.

Das Wort „Orgie“ tritt in unserem heutigen Sprachgebrauch hauptsächlich als Platzhalter für „übermäßig“ oder „maßlos“ auf – egal, in welchem Zusammenhang, von der Farborgie bis zur Gewaltorgie. Dabei besitzt das Wort an sich, etymologisch betrachtet, gar keine so spezifische Bedeutung: Das lateinische Wort orgia (Neutrum Plural), griechisch órgia, leitet sich entweder vom griechischen érgon ab, was „Tat“ oder „Werk“ bedeutet, oder von org, „Gemütsbewegung“ (daher stammt auch das Wort „Orgasmus“). Als orgia bezeichnete man rituelle Kulthandlungen in bestimmten antiken Mysterienkulten, vor allem beim Dionysos/Bacchus-Kult, und über die Beschreibung dieser Kulthandlungen in der wissenschaftlichen Literatur des 18. Jahrhunderts hielt die „Orgie“ auch in den deutschen Sprachgebrauch Einzug. Schon damals hatte das Wort eine deutliche sexuelle Konnotation; schließlich wusste man, dass die Bacchus-Mysterien im 2. Jahrhundert v. Chr. in Rom verboten wurden, und zwar (zumindest offiziell) aufgrund übermäßiger sexueller Ausschweifungen inklusive Drogenkonsums.

Der Titel dieses Buchs ist einem Asterix-Abenteuer entlehnt; die Asterix-Comics, die viel für die Vermittlung der Antike in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts getan haben, verwenden den Begriff „Orgie“ denn auch so, wie er heute allgemein verstanden wird. Dies dient der Komik – beispielsweise wenn es im „Kauf-Domus“ eine Abteilung für „Orgien-Artikel“ gibt –, ist aber dennoch ein (durchaus bewusst eingesetzter) Anachronismus. Es entsteht der Eindruck, eine zünftige Orgie hätte einfach zum Alltag der Römer dazugehört, doch das war natürlich nicht der Fall. Für einen traditionsbewussten Römer, der sich am mos maiorum, an den Sitten und Werten der Vorfahren, orientierte, waren Gelage und Schlemmereien ein Graus. Rom war eine kriegerische Nation, und die Soldaten, die nichts als Getreidebrei mit Speck zu Essen bekamen, hatten das Imperium großgemacht – nicht dekadente Politiker. Aus diesem Grund hat man den Untergang des römischen Imperiums später lange Zeit dem Verfall der Sitten zugeschrieben; dieser verstieß nicht nur gegen die christliche Doktrin, sondern auch gegen ur-römische Werte. Im altem Rom galt es bereits als unsittlich, wenn man beim Sex nicht das Licht löschte.

Einer, der diese Haltung vehement vertrat, war Augustus, der erste römische Kaiser. Er konsolidierte das Römische Reich und sorgte endlich, nach fast hundert Jahren Bürgerkrieg, auch für innenpolitischen Frieden, allerdings um den hohen Preis, die Republik de facto durch eine Erbmonarchie zu ersetzen. So hatte sein Ruf nach den „guten alten Sitten“ auch eine politische Funktion, und er führte mehrere Gesetze ein, die die Zügellosigkeit eines Teils der römischen Oberschicht begrenzen sollte – indem z.B. Ehebruch unter Strafe gestellt wurde. Augustus und seine direkten Familienmitglieder trugen demonstrativ ganz traditionelle, schlichte Kleidung, die seine Frau eigenhändig nähte, und saßen auf einfachsten Möbeln – wenngleich in einem riesigen Palast. Und so gab es durchaus Menschen, die davon zu berichten wussten, dass der Moralapostel Augustus selbst, hinter streng verschlossenen Türen natürlich, wilde Orgien feierte.

„The frescoed Roman Orgy room brings good old-fashioned bacchanalia to Sin City.“

Werbung des Strip-Clubs Little Darlings, Las Vegas

Und auch die gesellschaftliche Wirkung von Augustus’ Gesetzen ist zweifelhaft – nichts und niemandem ist so schwer beizukommen wie dem Hang des Menschen zu Lust und Leidenschaft. Die Römer waren weder bessere noch schlechtere Menschen als die Griechen, und so gab es in Rom natürlich ebenso exzessive Orgien, die unsere moderne Bezeichnung verdienen, wie in Athen. Und wie sehr sie zum Bild gehören, das unsere moderne Gesellschaft vom alten Rom hat, zeigen nicht zuletzt Veranstaltungen wie die „Römische Orgie“ im Swingerclub Venus im nordrhein-westfälischen Hamminkeln („Wir wollen dieses Jahr auch wieder zu einer geilen Party aufrufen und sind zu dem Entschluss gekommen wieder eine geile Römische Orgie zu starten. Angesagt ist an diesem Abend ein römisches Outfit“ – was für die meisten Gäste wohl bedeuten wird, dass sie sich ein Bettlaken überwerfen). Oder die enttäuschte Überschrift der Kritik zu Ridley Scotts Gladiator (2000) im New York Observer: „Russell Crowe in a Toga, but not a Single Orgy“.

Orgien, wir wollen Orgien!

Подняться наверх