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III Jugendjahre

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Sjoerd Gaastra (bitte nicht als Ö, sondern als U aussprechen) wurde am 13. November (einem Sonntag, also ein echtes Sonntagskind) in Leeuwarden der friesischen Provinzhauptstadt geboren. Als er 1 Jahr alt war, folgte er mit seiner Mutter seinem Vater nach Java, der dort eine Anstellung bei der Kolonialeisenbahn gefunden hatte. Kinder mussten das erste Lebensjahr vollendet haben, bevor sie nach Niederländisch Indien, dem heutigen Indonesien, reisen durften.


Dieses ist das erste Foto des Sjoerd Gaastra und zeigt ihn mit seiner Urgroßmutter Marie (Maaike) Wempe-Houkstra (1848 – 1938) in friesischer Tracht mit goldenem Ohreisen, die seinen Vater verzogen hatte. Durch dieses Bild wurde mein Vater zum ersten Mal Objekt einer Familienauseinandersetzung. Seine Großeltern väterlicherseits wollten dieses Foto verhindern. Angeblich würde das ein hässliches Bild geben, denn für das kleine Kind, hätte die Oma viel zu große Hände. Der wirkliche Grund war aber, dass verhindert werden sollte dass die alte Dame und heimliche Herrscherin über die Familie, eine zu enge Bildung an der Urenkeln bekommen könnte. Schließlich war der Stammhalter eher ein Bastard, der von der falschen Frau zur falschen Zeit geboren wurde. Verhindert werden konnte das Foto nicht, denn die Dame war sehr vermögend und die Tochter gierte nach diesem Fleischtopf. Auf dem Rückweg von der Schule führte der Weg meines Vaters immer an dem Altersheim seiner Urgroßmutter vorbei, und er besuchte seine Urgroßmutter jeden Tag bis kurz vor ihrem Tode. Dort bekam er eine Tasse Tee und ein Stück Kuchen und auch andere Süßigkeiten. Von seiner Großmutter hat er Süßigkeiten selten bekommen. Zuhause schon gar nicht.


Vor der Abreise nach Indonesien.


Das sogenannte „Hochzeitsfoto“

Die nächsten 11 Jahre verbringt die Familie dann auf Java, wo sein Vater häufig versetzt wurde. Er lernt die Insel vom heutigen Djarkarta bis Surabaya, von wo aus die Familie in die Niederlande zurückreist, kennen und lieben. Java wurde seine wirkliche Heimat. Unterbrochen wurde die javanische Zeit nur von einem halbjährigem „Heimaturlaub“ in Friesland, bevor er in die Schule musste. In Indonesien wurden seine zwei Brüder, Albert, Joopi und seine Schwester Mippi geboren. Als sein Bruder Albert geboren wurde, war er bereits 4 Jahre alt und wurde durch den Altersvorsprung früh mit der Beaufsichtigung seiner Geschwister beauftragt. Wenn sein Vater am Sonntag seine Ruhe haben wollte, dann schicke er seinen Ältesten mit den jüngeren Geschwistern zum Bahnhofsgebäude um zu sehen wie spät es dort ist. Noch im Alter hat er sich darüber geärgert, seinem Vater auf den Leim gegangen zu sein. Über ein Familienleben ist mir wenig bekannt und mein Vater hat mir auch wenig darüber erzählt.

Wie in den Familien der Kolonialbeamten üblich wurden die Kinder von einheimischen „Babus“ betreut und versorgt. Für die Hausarbeiten stand reichlich Personal zur Verfügung. Meine Großmutter als eine typische friesische Bauerntochter mochte nicht gerne untätig sein und betrieb darum einen Handel mit Brennholz und ein Taxiunternehmen mit mehreren Autos. Die Stellplätze vor dem Bahnhof wurden von dem Bahnhofsvorsteher vergeben, also von ihrem Ehemann. Meine Großmutter verdiente so ein Vielfaches mehr als ihr Mann.

Mein Vater beklagte sich darüber, dass er nach der Schule nie mit seinen Freunden spielen konnte weil immer ein Chauffeur, also einer der Taxifahrer, vor der Schule stand um ihn abzuholen. Darum lehnte er es auch ab mich zur Schule zu bringen oder abzuholen. Ausnahme war mein erster Schultag, wo ich nicht zur Schule laufen musste, sondern von meinen Eltern mit dem Fahrrad hingebracht wurde. An meinem letzten Schultag verkündete er beim Frühstück: „Warte auf mich, ich habe dich am ersten Tag zur Schule gebracht und hole dich am letzten Tag auch wieder ab“. Dazwischen lag eine ganze Reihe für mich unerfreulicher Jahre. Das war eine ganz typische Haltung von ihm.


Wohnhaus des Bahnhofsvorstehers und Bahnhof von Tamangung (Ostjava)

Nach Ablauf des zwölfjährigen Vertrages meines Großvaters kehrte die Familie 1932 nach Friesland zurück. Meine Großmutter wäre sicherlich gerne in Indonesien geblieben, und ihre Kinder, besonders mein Vater auch. Aber es war nicht nur das Auslaufen des Arbeitsvertrages, das die Rückkehr ins Mutterland veranlasst, sondern mein Großvater hatte Heimweh nach Friesland. Mein Vater wurde sicherlich nicht in den Entscheidungsprozess einbezogen. Er wusste auch nicht, was ihn da erwarten würde. Der Heimaturlaub vor seiner Einschulung fand in den Sommermonaten statt, vermutlich bei angenehmen Temperaturen. Die Witterungsverhältnisse der übrigen Jahreszeiten blieben ihm verborgen. In der ganzen Familie wurden die Heimaturlauber mit offenen Armen empfangen. Vermutlich weil sie reichlich Geschenke mitbrachten und der Gewissheit, der Aufenthalt war begrenzt und bald sind die wieder weg. Im Schulunterricht wurden die Niederlande als Mutterland der Kolonien als ein Land dargestellt, in dem Milch und Honig flossen. Die Wintermonate mit dem fröhlichen Zeitvertreib auf dem Eis waren besonders schön. So zeigten es jedenfalls die Bilder der Meister des 17. Jahrhunderts. Wie ungemütlich zugefrorene Kanäle sind, wenn das Geld fehlt um Heizmaterial für eine warme Stube zu kaufen lag jenseits der Vorstellungskraft meines Vaters. Immer, wenn wir an einer bestimmten Stelle der Ee, eines Flusses der durch Leeuwarden fließt, erzählte mein Vater wie er dort das erste Mal geschwommen ist. Kurz nach der Ankunft wurde er von Spielkameraden eingeladen schwimmen zu gehen, er könne doch sicherlich schwimmen. Nichts ahnend sprang mein Vater ins Wasser und erlitt fast einen Kälteschock. Denn er war Wassertemperaturen von rund 25 Grad gewöhnt und nicht von 15 Grad. Bibbernd vor Kälte ist er sofort wieder an Land gesprungen und war zu weiterem Wasserkontakt nicht mehr zu bewegen. Dafür wurde er dann ausgelacht. Und das war eine schlimme Erfahrung. Mein Vater machte sich gern zum Pausenclown, aber unautorisiert über ihn zu Lachen nahm er sehr übel.

Die Rückreise in die Heimat wurde von der Hafenstadt Surabaya angetreten. Mein Vater hat diese Abschiedsszene oft beschrieben. Der Letzte Wohnsitz war die Stadt Tamangung, eine mittelgroße Stadt in Ostjava. Der nächstgelegene Hafen war Surabaya, wohin die Familie, das waren die Eltern mit ihren 3 Söhnen und der Tochter Mippi, die noch ein Baby war, vom einen Fahrer im eigenen Auto gebracht wurde. Der Hausrat, sofern er Verwendung finden sollte, war schon verladen, Kleidung wurde kaum mitgenommen, da sie für die Niederlande zu sommerlich gewesen wäre. Mit großer Geste überreichte mein Großvater am Kai dem Fahrer als Dank für seine Dienste den Autoschlüssel und eine Schenkungsurkunde für das Auto, damit er sich als Taxiunternehmer selbstständig machen konnte. Der Beschenkte bedankte sich überschwänglich, stellte das Auto doch ein Vermögen dar. Dieser Auftritt meines Großvaters wurde wohlwollend von den Umstehenden mit Beifall bedacht. Das Auto gehörte meinem Großvater aber gar nicht, sondern seiner Frau. Er selber hat nie ein Auto besessen! Vielleicht wurde da schon ein Samen gelegt, das mein Vater das als normal ansah und Jahrzehnte später mein Eigentum großzügig verschenkte. Mit dem niederländischen Luxusliner „Oldenbarnevelt“ dampfte die Familie des Gerrit Gaastra standesgemäß einem ungewissen Schicksal entgegen.

Fernab von den europäischen Wirtschaftsproblemen hatte sein Vater die Verhältnisse in den Niederlanden völlig falsch eingeschätzt und er irrte sich, wenn er geglaubt hatte, auf den wenigen Bahnhöfen in Friesland würde man gerade auf ihn warten. Die Staatsbahn war auch in keiner Weise mit der kolonialen Bahngesellschaft verbunden und der Vater stand ohne Beruf bzw. berufliche Perspektive da. Verschiedene Geschäftsgründungen wurden versucht, z. B. die Eröffnung eine Fabrik für Speiseeis oder die Eröffnung eines Kolonialwarenladens. Gegenüber vernünftigen Vorschlägen seiner Brüder zeigte er sich beratungsresistent. Das in Java angehäufte Vermögen zerrann ihm förmlich zwischen den Fingern. Mein Vater war somit früh gezwungen zum Unterhalt der Familie beizutragen. An den Wochenenden als Laufbursche für verschiedene Einzelhandelsgeschäfte, wo er sich eine Menge handwerklicher Fähigkeiten aneignete, und nach der Schule jahrelang durch das Austragen der Abendzeitung. Mein Vater war sich der Auszeichnung bewusst, als einziger seiner Geschwister die Möglichkeit einer höheren Schulbildung zu erhalten. Nach Aussagen meiner Großmutter war er nicht der beste Schüler, aber besonders ehrgeizig. Eine Eigenschaft die er seinem Sohn zu seinem größten Verdruss nicht vererbt hat. Vielleicht einer der Gründe mir überhaupt nichts zu vererben sondern auch noch um das Erbe meiner Mutter zu prellen.

Im Jahre 1938 entschloss sich mein Großvater nach Deutschland auszuwandern, nach dem sich Pläne zur Rückkehr nach niederländisch Indien zerschlagen hatten. Über den Grund ist nichts oder nur wenig bekannt. Kurz nach der Machtergreifung Hitlers in Deutschland ist er wohl dem niederländischen Ableger der NSDAP beigetreten. Wie viele in wirtschaftliche Not geratene Kleinbürger schaute er fasziniert auf die wachsenden Erfolge im Nachbarland und machte sich wohl auch Treitschkes und des „Stürmers“ Parole zu eigen „die Juden sind unser Unglück“. Es soll auch zu finanziellen Unregelmäßigkeiten in seiner Parteigliederung gekommen sein, die dazu führten Friesland in Richtung des Reiches zu verlassen. Nach Bielefeld verschlug die Familie ein Schwager mit braunen Flecken auf der vermutlich schon nicht mehr ganz weißen Weste, der schon Jahre vorher am Fuß des Teutoburger Waldes gestrandet war. Welcher Beschäftigung mein Großvater in Bielefeld nach ging konnte nicht geklärt werden. Bei den Kammerich-Werken und der Ruhrstahl „kümmerte“ er sich angeblich um die Werkseisenbahn. Vermutlich war es ein Gnadenbrot, das er dort verzehrte, denn soweit bekannt war er, was die Eisenbahn betraf, nur administrativ tätig gewesen.

Als meine Großeltern 1938 nach Bielefeld zogen, hatte mein Vater seine Schulausbildung noch nicht beendet und stand vor dem Abitur. Er wurde unter der Obhut einer Tante und eines Onkels in Leeuwarden zurück gelassen. Dieser Onkel frönte einem Hobby, das heute ziemlich in Vergessenheit geraten ist, er baute und verbesserte Radios und brachte seinem Neffen entsprechende Fertigkeiten bei.

Sjoerd Gaastra 1921-2013

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