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II Familie und Elternhaus

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Die Gaastras sind ein altes friesisches Geschlecht, das seinen Stammbaum, leider sehr lückenhaft, bis in das 13. Jahrhundert zurückverfolgen kann. Genaugenommen sind es aber vier Stammbäume, bei denen noch nicht entschlüsselt wurde wie sie zusammenhängen. Nachweislich gab es einen Teilnehmer mit diesem Namen bei dem letzten (fünften) Kreuzzug. Dieser „Stammvater“, auf den sich alle vier Familienzweige berufen, wird in mehreren Urkunden genannt, leider ohne Funktion, und seine Lebensdaten sind auch nicht überliefert. Aber einen (Kreuz)Ritter im Stammbaum zu haben macht sich immer dekorativ.

Keiner der vier Stämme ist mit diesem Ritter in Verbindung zu bringen, da erst im 16./​17. Jahrhundert die lückenlosen Stammbäume nachgewiesen werden können. Ein Ritter in der friesischen Historie ist aber kein Adliger wie z. B. im deutschen Kulturraum. In Friesland hat es nie einen Adel gegeben, und auch keine Abhängigkeiten wie Leibeigenschaften oder Frondienste. Die Friesen führen das auf die von Karl dem Großen verliehene „Friesische Freiheit“ zurück. Diese angebliche Freiheit ist ein frommer Wunsch, denn sie wurde nie verbrieft oder in irgendeiner anderen Weise verliehen und nachgewiesen. Vermutlich war es die eigene Sprache der Friesen die diese Sonderstellung hervorgebracht hat. Friesisch ist kein niederländischer Dialekt, sondern eine eigenständige Sprache mit eigener Grammatik und verwand mit dem Schottisch, Irisch und Bretonisch. Gesprochen wurde die Sprache im Küstennahmen Bereich der Nordsee, von der Waalmündung bis Sylt. Dieser „Adel“ wird als untitulierter, wappenführender Adel bezeichnet. Die jetzigen friesischen Adligen (nur Barone) sind eine Einrichtung des auf dem Wiener Kongress 1815 geschaffenen „Königreich der Niederlande“. Eine einflussreiche, bzw. dekorative Rolle spielte dieser Landadel an den Höfen der Königinnen Wilhelmina und Juliana.


Das Wappen zeigt einen geviertelten Schild mit Bügelhelmbekrönung, mit dem doppelköpfigen Habsburger Adler, achtfach geschachtem, rot/​weißem Feld. Die Helmzier wird von einen mit Bändern verziertem goldenen Ring gebildet. Die heraldische Lesung des Wappens ist ungeklärt. Aber nicht nur bei diesem Wappen, sondern gesamteuropäisch. Ungeklärt ist, ob dieses rot/​weiße Schachbrett Landbesitz, also mehrere Felder oder Gemarkungen, oder ein festes aus Steinen gebautes Haus bedeutet. Vermutlich beides, denn wer ein festes Steinhaus sein Eigen nennen konnte, besaß sicherlich auch Ländereien. Geklärt ist die Bedeutung des doppelköpfigen Adlers. Es ist der Hinweis einen kaiserlichen Beamten in den „Niederen Landen“, also dem jetzigen Belgien und Holland zur Zeit der Habsburger vor den 80-jährigem Krieg. Der merkwürdig anmutende Ring als Helmzier kommt bei mehreren Familienwappen vor und bezieht sich auf das „Ringstechen“, einen noch heute in Friesland ausgetragenen Pferdesport mit Reitpferden und Kutschen. Der vierte Familienstamm mit der Bezeichnung „Oranjewould“, zu dem unser Zweig gehört führt zusätzlich den Wahlspruch „’it is mei sizzen net te dwaen“ (mit herumsitzen ist nichts getan).

Eindeutig sind der Name und dessen Herkunft. Friesische Namen enden häufig auf die Silbe „stra“. Übersetzt heißt das „von, von dem“ vergleichbar mit dem holländischem „van oder van der“. Die Gaastras kommen demnach vom Gaa mit dem doppelten „a“. Da ist eine Verwandtschaft mit dem niederdeutschen Geest (Sandrücken). Die Gaastras kommen demnach vom Sandrücken, von dem es in der niederländischen Provinz Friesland vier Gebiete gibt. Das könnte auch eine Erklärung für die vier unterschiedlichen Stammbäume sein. In der Stadtkirche von Workum ist ein aufwändiges barockes Grabmal des Bürgermeisters Gaastra zu finden. Workum ist das Verwaltungszentrum des „Gaasterlandes“ des südlichsten Sandrückens der Provinz Friesland. Dann würde auch der Doppeladler einen Sinn machen. Das sind Glieder, die sich zu einer Kette zusammenfügen.

Erst in der sogenannten „Franzosenzeit“ wurde in Folge der Französischen Revolution die „Batavische Republik gegründet und eine bürgerliche Verwaltung eingeführt. Zu Gunsten von Napoleons Bruder wurde dann das Königreich Holland gebildet. Als der sich als noch unfähiger als „König Lustick von Westphalen“ erwies wurden die Niedrigen Lande ein französisches Departement. Erst seit dieser Zeit gibt es vollständige und verlässliche Unterlagen. Davor waren es Kirchenbücher und die Unterlagen und Aufzeichnungen der Zünfte, durch die Informationen bezogen werden können. Aus Unterlagen der Zunft der Silberschmiede erfahren wir etwas über Tabbe, Sjoerd, Hendrik und Douwe Gaastra, die von 1735 bis 1925 in dem Örtchen Gorredijk in sechs Generationen eine Silberschmiede führten, die jeweils vom Vater auf den Sohn über gingen. Der letzte Silberschmied verstarb hochbetagt unverheiratet und kinderlos im Jahre 1923 und hat bis wenige Monate vor seinem Tode noch gearbeitet und seine Erzeugnisse auf dem Markt von Heerenveen verkauft. Die komplette Werkstatt ist jetzt im Heimatmuseum von Gorredijk ausgestellt. Dieses Museum hat auch die größte Sammlung von Arbeiten dieser „Silberdynasty“ und hat eine umfangreiche Publikation veröffentlicht. Weitere Objekte befinden sich im Besitz des Rijksmuseums in Amsterdam und dem Friesischen Provinzmuseum in Leeuwarden. Bei den Silberarbeiten handelt es sich nicht um außergewöhnliche Kunst- und Sammlerstücke, sondern vorwiegend Knöpfe, Schnallen und Beschläge für Bibeln. Aber auch Bestecke, Tauflöffel, Kannen und Schalen wurden hergestellt. Soweit mir bekannt ist, besitzt kein Familienmitglied ein Stück aus der gaastraschen Produktion. Allen niederländischen Auktionshäusern habe ich Suchauftrage erteilt, aber in den vergangenen 30 Jahren ist nie ein Stück auf den Markt gekommen. Die Museumsstücke haben sich einige Jahre im Familienbesitz befunden und fielen im Zuge einer Scheidung an die geschiedene Ehefrau, eine geborene Landmeter. Der Bruder dieser Dame hat in den sechziger Jahren die umfangreiche Sammlung dem Museum gestiftet und sich damit verdient gemacht, indem er das Buch über die Goredijker Silberschiede verfasst hat.

Da immer nur ein Sohn die Werkstatt übernehmen konnte (und das war nicht immer der Älteste, sondern der Geeignetste) mussten sich die anderen Söhne nach anderen Verdienstmöglichkeiten umsehen. Damit übernimmt dann unser Familienzweig die Führung. Das waren 2 Brüder, von denen der Jüngere 1875 in Sneek eine Segelmacherei gründete. Diese Firma besteht noch heute und fertigt neben Segel, besonders für Surfbretter, Sportkleidung, vorwiegend für den Wassersport, an. Meistens wird der Name Gaastra mit diesen Produkten in Verbindung gebracht. Ich trage diese Kleidung auch mit Vorliebe weil ich dann sagen kann wo Gaastra drauf steht ist auch Gaastra drin. Und das kann nicht jeder sagen. Über den älteren Sohn und nunmehrige Familienoberhaupt ist wenig bekannt, außer dass er eine geschäftstüchtige Frau heiratete. In dessen Fußstapfen ist dann mein Großvater getreten. Diese unsere „Stammmutter“ führte einen Laden für hochprozentige Getränke und ein Kaffeehaus (nicht zu verwechseln mit den Amsterdamer Coffeeshops). Noch heute dürfen Lebensmittelgeschäfte in den Niederlanden keine Alkoholika verkaufen, das ist streng getrennt. Ein entfernter Vetter (aus der Linie „Batavus“) gab mal zum Besten, dass er im Laufe einer Auseinandersetzung zwischen seiner Mutter und Großmutter den Vorwurf aufschnappte „Kaffeehaus, Kaffeehaus, das war keine Kaffeehaus, das war ein Hurenzelt!“ Darin lag vermutlich das Erfolgsrezept, frei nach der Volksweisheit „gesoffen und … wird immer“. Aus dieser Ehe gingen drei Söhne und eine Tochter hervor. Die Tochter ist für den Stammbaum uninteressant und lag überwiegend ihrem jüngeren Bruder auf der Tasche. Der älteste Sohn trat in die Kolonialarmee ein und ist auf Sumatra verschollen. Der zweite Sohn war mein Urgroßvater, über den ich noch ausführlich berichten werde.


Die Brüder auf Einkaufsreise.

Der jüngste Sohn Andries wurde das Glanzstück der Familie. 1880 geboren, heiratete er 1904 und verkündete seiner Braut am Hochzeitstag „Eine Feier kostet nur Geld, das sparen wir und gründen lieber eine Firma.“ Das taten die beiden auch, einen Handel mit Reparaturwerkstatt für Wanduhren und Nähmaschinen. Wieweit er dafür qualifiziert war ist nicht bekannt. Aber er hatte die richtige Nase und nahm Fahrräder in sein Programm auf. Aber beließ es nicht bei dem Handel, sondern baute Fahrräder aus Teilen, die aus Frankreich und Deutschland bezogen wurden, selber zusammen und vertrieb die Produkte unter dem Namen „BATAVUS“. Die Fabrik und Fabrikationsanlagen wuchsen beständig, wie auch das Sortiment. Neben Fahrrädern, auch Schlittschuhe, Gartengeräte, Krankenhausmöbel, Mopeds und Mofas, elektrische Haushaltsgeräte (Staubsauger) usw. Batavus wurde zum größten Arbeitgeber in Friesland und Andries Gaastra zum reichsten Mann der sowieso schon nicht armen Provinz. Unter anderem besaß er 80 (!) verpachtete Bauernhöfe und kaufte ein Schloss im „Oranjewoud“ bei Heerenveen. Aus der Ehe gingen zwei Söhne und eine Tochter hervor, die sich was die Firma betraf ideal ergänzten. Nach einem kometenhaften Aufstieg kam der Absturz. Wegen angeblicher „Kollaboration“ erhängte er sich im Mai 1945 in seiner luxuriösen Motoryacht. Er hatte der Verlobung seiner Tochter mit einem Deutschen Offizier zugestimmt und angeblich nicht verhindert, dass Arbeitskräfte aus seiner Fabrik als Zwangsarbeiter nach Deutschland verschleppt wurden und dort umkamen. Die Yacht blieb im Familienbesitz und wurde genutzt. Ein Feuer vernichtete das Schiff 1947. An Bord befand sich die Tochter, die bei dem Brandt den Tot fand.

Die dramatischen Ereignisse der Nachkriegszeit beeinflussten den Stand meines Vaters in der Familienhierarchie, aber auch dazu später. Der Entwicklung der Firma tat das keinen Abbruch. BATAVUS entwickelte sich weiter, ist noch immer der größte Arbeitgeber in Heerenveen und größter Fahrradhersteller der Niederlande. Als letzter Gaastra hat mein Vetter Andries die Firma 2012 mit Erreichen der Pensionsgrenze verlassen. Aber die Fahrradakte ist für die Familie Gaastra noch nicht geschlossen. Ein Vetter baut in Belgien und Canada sehr erfolgreich Spezialräder, und dessen Sohn ist ein bekannter Fahrradkonstrukteur und lebt in Bonn.


Familie Gaastra ohne Schwiegertöchter, 1928

Mein Urgroßvater, Gerrit Sjoerd Gaastra wurde nach dem Verschwinden des ältesten Bruders auf Sumatra Familienoberhaupt. Er war der „Schöngeist“ der Familie, was er sich durch den Erfolg seines Bruders vermutlich leisten konnte. Es ist nicht überliefert, welchen Beruf er erlernt hat. Vermutlich keinen. In seinen jungen Jahren war es das, was man heute einen Entertainer nennen würde. Er managte eine Schauspieler Truppe, trat selber erfolgreich auf, u. a. auch als Clown und schrieb kleine Theaterstücke und Sketsche. Einige Werke sind mir bekannt und werden auch heute noch aufgeführt. Er heiratete seine Mippi, als sich Nachwuchs ankündigte, also ganz in der Familientradition. Mein Urgroßvater war sehr sprachbegabt, sprach fließend Französisch, Englisch und Deutsch, letzteres gefiel meiner Mutter besonders. Diese Sprachbegabung war des einzige, was er seinem ersten Enkel, meinem Vater vererbte. Neben der Bühnentätigkeit war er auch in einem Zeitungsverlag beschäftigt, der seinem Freund gehörte, der aber wohl wenige Ambitionen zum Zeitungsgeschäft hatte und von Beruf Sohn und Erbe war. Mein Urgroßvater wurde ins Boot geholt, aber welche Tätigkeiten er ausführte blieb unbekannt, Er wurde als „Faktotum“ bezeichnet, übersetzte Artikel aus ausländischen Zeitungen (genaugenommen klaute er sie) und schrieb wohl auch gelegentlich Beiträge. In erster Linie war er der Freund vom Inhaber. Im Mai eines jeden Jahres nahm er sich einen Monat Urlaub und begleitete seinen Bruder auf einer Europafahrt, die sowohl geschäftlichen wie auch privaten Ambitionen diente. Aus diesen Reisetätigkeiten bezog er vermutlich auch ein entsprechendes Einkommen.

Meine Urgroßeltern bewohnten ein sehr schönes Haus in der Mozartstraat in Leeuwarden, das in den zwanziger Jahren im „Amsterdamer Stil“ erbaut worden war. Dieser Baustil entspricht dem Bauhausstiel in Deutschland. Auch die Inneneinrichtung war sehr gediegen, unter anderem auch durch Möbel aus Indonesien, die mein Großvater beschafft hatte. Jedenfalls wurde, wenn es um meine Urgroßeltern ging, von der „Mozart Straat“ gesprochen, in einer Mischung aus Hochachtung und Verachtung. Mit Ausnahme meines Großvaters, des familiären „Kronprinzen“ erhielten alle Söhne eine gute Ausbildung und wurden erfolgreiche Geschäftsleute.

Meine Urgroßmutter war eine geborene Wempe, deren Familie aus dem Oldenburgischen stammte. Es ist die Familie Wempe, die noch heute die Juwelierkette betreibt. Der Vater war in die Niederlande ausgewandert und hatte dort einen Stuckateur Betrieb errichtet, der in der Provinz Holland noch heute besteht. Also auch wirtschaftlich geordnete Verhältnisse. Meine Urgroßmutter hatte auch ein entsprechendes Auftreten. In der Weltwirtschaftskrise, die auch in den Niederlanden ihre Spuren hinterließ, wechselte häufig das Hauspersonal. Mein Urgroßvater arbeitete auch zuhause, als ihm mal nach einer Tasse Tee gelüstete. Er ging in die Küche wo immer Tee bereit stand und schütte sich eine Tasse ein, die er dann gleich wieder ausspuckte weil sie scheußlich schmeckte. Das Küchenmädchen ist gleich angelaufen gekommen und hat gerufen. „Nein Herr Gaastra nicht trinken, der ist nur für uns, ich koche Ihnen Tee.“ Das Personal hatte nur Anspruch auf den zweiten Aufguss bzw. aus Tee von getrockneten Teeblättern. Er hat dann „Marie!“ durchs Haus gebrüllt. Meine Urgroßmutter hieß amtlich Marie Catharina, wurde aber Mippi gerufen, die niederländische Verniedlichung von Maria, und wenn er Maria rief war Gefahr in Verzug. Fazit war, das gesamte Personal, es waren mehrere Personen, bekam für 3 Monate Gehalt und wurde entlassen. Mit dem Argument: „Ich gebe mehr Geld für Stellenanzeigen aus, als die Leute hier verdienen.“ Das war sicherlich gelogen, denn ich glaube nicht, dass er die Stellenanzeigen bezahlen musste. Nach 3 Monaten wurde das Personal wieder neu eingestellt. In der Zwischenzeit hat meine Urgroßmutter das Haus alleine versorgen müssen. Sicherlich nur unter heimlichen Knurren. Jedenfalls hatte das Hauspersonal die beste Arbeitgeberin in Leeuwarden. Als sie ihre letzten Lebensjahre in Alkmaar in einem Pflegeheim verbrachte wurde sie vom Personal wegen ihres vorbildlichen Umganges mit den Angestellten gelobt.

Meine Urgroßeltern hatten sieben Kinder, fünf Jungen und zwei Mädchen. Die älteste Tochter war das dritte Kind und starb im Alter von acht Jahren an einer Blutvergiftung. Das sah meine Urgroßmutter, die nicht als besonders religiös bekannt war, als eine Strafe Gottes an und verbot ihrem Mann weitere Bühnenauftritte. Darüber war es alles andere als glücklich, beugte sich aber und trat nie wieder auf. Erst am Tage der goldenen Hochzeit, auf massiven Druck der Familie, hat er sein Paradestück noch einmal vorgetragen.

Sjoerd Gaastra 1921-2013

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