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Der Vater – Gerrit Gaastra

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Vor der Abreise nach Indonesien.

Mein Großvater war das „Schwarze Schaf“ der Familie, tief schwarz, schwärzer ging nicht. Aber nicht durch eigenes Verschulden, sondern durch die Umstände seiner ersten Lebensjahre. Er wurde nicht kriminell, abgesehen von einer vielleicht kreativen Kassenführung für die niederländische Nazipartei. Ein Testament zu unterschlagen war auch unnötig, das absolut nichts zu vererben war, nicht mal das Ansehen seiner Person.

Die Niederlande waren schon immer das am dichtesten besiedelte Land Europas, das hieß Wohnraum war schon immer knapp. Das junge Ehepaar fand keine geeignete und bezog vorerst ein möbliertes Zimmer. Der neugeborene Stammhalter wurde seiner Großmutter in Obhut gegeben. Dort blieb er für mehr als ein halbes Jahr. Wenige Wochen, nachdem er zu seinen Eltern zurückgekehrt war, stand der Großvater vor der Tür und bat um die Rückgabe des Enkels weil seine Frau seelischem Schaden drohte zu nehmen. Die junge Mutter war erneut schwanger und vermutlich war auch finanzielle Unterstützungen der Grund, dass dem Wunsch nachgegeben wurde. Mein Großvater blieb acht Jahre bei seinen Großeltern, bis zum Tode seines Großvaters und dem Umzug der Witwe in ein sehr mondänes Altersheim. Als Achtjähriger kam der Junge zurück in seine Familie, wo er plötzlich fünf Geschwister hatte und nicht mehr die erste Geige spielte. Vorkommnisse sind nie nach außen gedrungen, aber es muss sie reichlich gegeben haben. Das Verhältnis zu den Eltern und Geschwistern blieb auf ewig gestört. Das Problem war nur, er war der Älteste, er war der Kronprinz und würde eines Tages das Familienoberhaupt werden.

Über die Schulbildung ist nichts bekannt, oder vorsätzlich nichts bekannt geworden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass seine Intelligenz oder sein Sozialverhalten eine höhere Schulbildung verhinderten. Die Brüder haben alle eine gymnasiale Ausbildung erhalten und dadurch auch bessere Berufschancen gehabt. Nach der achtjährigen Grundschule trat er eine Konditorlehre an, die er mit mäßigem Erfolg abschloss. Den Beruf hat er aber nie ausgeübt. Während der Lehrzeit lernte er seine spätere Frau kennen, die als Verkäuferin im benachbarten Milchgeschäft arbeitet. Es muss wohl sehr früh schon eine innige Beziehung gewesen sein, jedenfalls musste die Schwester ihren Bruder nach der Arbeit immer in der Konditorei abholen um ein Zusammensein mit den Mädchen zu verhindern. Aber wo ein Wille ist, ist bekanntlich auch ein Gebüsch. Nach diversen beruflichen Fehlstarts ließ sich mein Großvater von der Eisenbahn zum Telegrafisten ausbilden. Seinerzeit eine wichtige Aufgabe, da es noch kein Telefon gab und Nachrichten zwischen den Bahnhöfen mittels Morsegeräten übertragen wurden. Seine Bahnstation war ein winziger Bahnhof in einem Dorf, 16 km von Leeuwarden entfernt, an der eingleisigen Strecke nach Groningen, den einmal pro Stunde ein Zug passierte sowie gelegentliche Güterzüge. Viel zu tun war dort nicht und dort hat er sich wohl auch das Arbeiten abgewöhnt. Jedenfalls atmete die Familie auf, als er 1920 beschloss nach Indonesien auszuwandern. Besonders wohl auch, weil damit die endgültige Trennung von der Frau möglich war. Romeo und Julia nahmen also Abschied, aber so intensiv, dass es nicht folgenlos blieb.

Mein Großvater muss wohl ein schwieriger Charakter gewesen sein und einen Hang zum Choleriker gehabt haben. Die häufigen Wechsel der Bahnstationen über ganz Java von Batavia bis Surabaya waren wohl eher Querelen mit den Mitarbeitern geschuldet als beruflicher Aufstieg. Mein Großvater hat es nie weiter gebracht als zum Stationsvorsteher II. Klasse. Das Geld hat seine Frau verdient, und das soll nicht wenig gewesen sein.


Der Bahnhofsvorsteher in seinem Büro, 1927

Nach 12 Jahren quittierte er den Dienst und kehrte vom Heimweh getrieben nach Friesland zurück. Nicht vor Sehnsucht nach der Familie. Seine Frau und die Kinder wären lieber auf Java geblieben. Nach 6 Dienstjahren konnte die Familie einen Heimaturlaub von einem halben Jahr machen. Die Gelegenheit wurde auch genutzt um den Daheimgebliebenen zu zeigen, wie weit das schwarze Schaf es gebracht hatte. Eltern und Geschwister, auch die der Ehefrau wurden mit Geschenken überhäuft. Alle bekamen das Gleiche, die Männer ein Rauchservice aus Messing, eine Arbeit mittlerer Qualität aus den Werkstätten in Yogyakarta und die Frauen ein japanisches Teeservice und hauchdünnem Porzellan, zum Gebrauch gänzlich ungeeignet. Die Ehepaare bekamen zusätzlich noch eine kleine Lampe aus einer geschnitzten Holzfigur, chinesischen Ursprungs noch auch keine Qualität. Seinen Schwiegereltern kaufte er sogar ein Reihenhäuschen als Alterssitz. Soweit möglich wurden diese Geschenke nach dem Kriege wieder eingesammelt und bilden nun den Grundstock für den Fideikommis, über den im letzten Kapitel berichtet wird.

Nach der Rückkehr fand er nicht die Situation vor, die er sich erhofft hatte und wurde auch nicht in den Dienst der Eisenbahn übernommen. Eine Abwärtsspirale setzte sich in unaufhaltsam in Gang. Schuld waren nach seiner Meinung nicht seine Unfähigkeit in Geschäftsbelangen, sondern alle anderen. Besonders seine Eltern und Geschwister, die er beim Heimaturlaub doch so mit Geschenken überschüttet hatte und ihn nun fallen ließen wie eine heiße Kartoffel. Den Vorschlag eines Bruders mit ihm einen Brennstoffhandel zu gründen wurde mit der Begründung abgelehnt sein Bruder würde ihn doch nur übervorteilen und wäre ausschließlich auf sein Geld aus. Aus dem Plan des Brennstoffhandels wurde dann ein florierender Baustoffhandel, dessen phänomenalen Erfolg nach dem Krieg mein Großvater nicht mehr miterleben musste. Somit wurde er in die Arme des NSB, dem niederländischen Naziableger getrieben. In der Partei stieg er bis zum Kassenwart für die Provinz Friesland auf. Die materielle Not veranlassten meinen Großvater sich an der Kasse zu vergreifen Oder sich ein nicht genehmigtes Darlehn zu gönnen, dessen Rückzahlung dann vergessen wurde. Die Familie deckte den Mantel des Schweigens über diese Episode. Ein offiziell nicht mehr existierendes Familienmitglied konnte auch keine Schande über die Familie bringen. Als amtierendes Familienoberhaupt bin ich jetzt in der gleichen Situation wie die Oetker-Erben. Licht in das Dunkel dieser Zeit zu bringen. Aus den Mitteln der BATAVUS-Gaastra-Stiftung habe ich einen Forschungsauftrag erteilt, der aber zur Zeit nicht ausgeführt werden kann weil das Provinzmuseum in Leeuwarden einen Neubau bekommt und die Archive momentan nicht zugänglich sind. Da mein Großvater nie Mitglied in der NSDAP war, liegt im Zentralarchiv der Partei in Berlin-Zehlendorf auch keine Akte vor. Eine sehr umfangreiche Akte soll es in Bielefeld gegeben haben, die aber bei der Bombardierung des „Braunen Hauses“ in der Hochstraße vernichtet wurde. Die örtliche Parteizentrale in der Hochstraße war das einzige Haus, das in der Straße einen Bombenvolltreffer erhielt. Vorteilhaft für sehr viele Bielefelder in den späteren Entnazifizierungsmaßnahmen. Der Grund für die Übersiedlung ins „Reich“ war durch einen anderen Umstand gegeben. Die inzwischen achtköpfige Familie war auf Sozialhilfe angewiesen und meine Urgroßeltern sollten zur Unterstützung heran gezogen werden. Das war gar nicht im Sinne meiner Urgroßmutter die in solchen Dingen bestimmte. Sie beschied ihrem Ältesten sinngemäß. „Geh du doch ins Deutsche Reich zu deinem bewunderten Adolf da fließt ja Milch und Honig.“ Es blieb also nichts anderes übrig denn in Friesland würde er kein Bein mehr an die Erde bekommen. Parteiinterne Verbindungen ermöglichten dann die Umsiedlung. Bielefeld wurde gewählt weil da schon ein gescheiterter Schwager (inzwischen von der Schwester geschieden) lebte. Der wohnte in der Hagenbruchstraße, gegenüber von Delius, mied aber auch den Kontakt zur Familie Gaastra in der Senne. Angeblich wusste mein Vater das nicht und hat erst durch meine Nachforschungen im Familienarchiv davon erfahren.

Mein Großvater bekam eine Anstellung bei der Firma Ruhrstahl in Brackwede. Wo er sich angeblich um die Betriebsbahn auf dem Werksgelände kümmerte. Vermutlich handelte es sich aber um ein Parteigemauschel. Die Familie bekam ein Siedlungshaus in Senne II zugewiesen, das sie aber verlassen musste, als die asoziale Familie den Nachbarn nicht mehr zuzumuten war. Es erfolgte ein Umzug in einen Kotten mit dem Namen „Kuckuck“. Mir ist das Gebäude nur durch ein schlechtes Foto bekannt, da es wurde schon in den fünfziger Jahren wegen Baufälligkeit abgebrochen wurde. Der Kotten verfügte über keinerlei sanitären Anlagen, Wasser wurde aus einem Brunnen auf dem Grundstück geschöpft und als Toilette dienten die Gemüsebeete. Dieser Umstand sollte später noch eine Rolle spielen. Bedingt durch die Erkrankung beider Elternteile wurde die Familie Ende November 1943 wieder in die Niederlande abgeschoben wo mein Großvater im Februar 1944 an Prostatakrebs verstarb.

Mein Urgroßvater überlebte seinen Sohn um mehr als 20 Jahre, der dadurch Familienoberhaupt blieb. Mein Vater musste 1947 seinen „Thronverzicht“ erklären um nach Friesland zurückkehren zu dürfen. Das hieß aber nicht, dass sein Großvater auch nur einen Finger für ihn krumm gemacht hätte. Und das lag nicht nur daran, dass er eine Frau aus dem falschen Land geheiratet hatte, sondern auch an den besonderen Umständen wegen des Selbstmordes seines Bruders. Meine Mutter wurde von der „Mozartstraat“ hochgeschätzt. Besondere Wertschätzung erfuhr ich als erster Urenkel und unbestritten als zukünftiges Familienoberhaupt. Als mein Urgroßvater starb war ich 12 Jahre alt und schon rechtlich nicht in der Lage das Zepter zu übernehmen. Der jüngste und unverheiratete Sohn, ein Großonkel Toon, wurde als mein „Vormund“ bis zu meiner Volljährigkeit von meinem Urgroßvater bestimmt. Mein Großonkel hat dieses Amt vorbildlich ausgeführt und ich habe es bei ihm bis zu seinem Ableben gelassen. Bis wenige Tage vor seinem Tode habe ich im Telefonkontakt mit ihm gestanden und wurde vom ihm in alle Familienangelegenheiten und Geheimnisse eingeführt. Mein Vater hat das Familienwappen nie geführt, da es traditionell bei der Hochzeit verliehen wurde. Von der Eheschließung meiner Eltern wusste in Friesland niemand etwas und damit unterblieb auch die Wappenübergabe, wäre unter den zeitbedingten Umständen vermutlich auch nicht erfolgt. Ich habe bei meiner Hochzeit das Wappen bekommen. Das bei meinem Vater auf dem Flur hängende Familienwappen ist eine Fotografie meiner Wappentafel, alle Silbergegenstände mit Wappengravur sind Geschenke von mir, auch das mit Wappen verzierte Briefpapier. Defakto habe ich meinen Vater wieder in die Familie aufgenommen. Mein Vater war ein sehr emotionaler Mensch und besuchte immer, wenn wir in Leeuwarden waren, das Grab seiner Eltern, um eine um eine Blumenschale abzustellen. Seine Geschwister besuchten das Grab nie, wie sie unumwunden zugaben. Ein Steinwurf davon entfernt befindet sich die Gruft seiner Großeltern, die er nie besuchte. Zwangsläufig, nur wenn ich ihn im Rollstuhl dorthin fuhr, um mich dort vom Zustand der Grabanlage zu überzeugen. Das habe ich aber meistens gemacht, während er am Grab seiner Eltern verharrte. Ich glaube eine innere Versöhnung hat nicht mal über die Gräber hinaus stattgefunden.

Zu der Gruft meiner Urgroßeltern muss hier noch etwas gesagt werden. Es ist die protzigste Grabanlage die sich ein Familienmitglied errichten ließ. Nicht einmal des Gründerehepaar von Batavus leistete sich diesen Luxus. Sogar der Bürgermeister von Workum wurde übertroffen. Nach dem Kriegsende, als auch das Lebensende meiner Urgroßeltern näher rückte, begann meine Urgroßmutter von ihren Kindern Geldern einzufordern. Angeblich wegen der schlechten Zeiten und um ihre materielle Not zu lindern. Obwohl nichts den Eindruck einer Notlage vermittelte. Aber Diskussionen mit der alten Dame waren zwecklos und keiner wollte sich mit ihr anlegen. Nur hinter ihrem Rücken wurde sich empört. Als mein Urgroßvater gestorben war, fand sich die Familie vor einer gemauerten Gruft wieder, die von meiner Urgroßmutter in Auftrag gegeben worden war und in Raten abbezahlt wurde. Mit dem Geld ihrer Söhne! Der Friedhof ist in einem sehr feuchten Gebiet angelegt und das Argument war, sie wolle nicht, dass ihr Mann in feuchter Erde vermodere. Das hat ihr aber keiner abgenommen. SIE wollte im Tode keine nassen Füße bekommen und sorgte wie ein Pharao schon zu Lebzeiten für eine standesgemäße Grablege.

Sjoerd Gaastra 1921-2013

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