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Der 24. Januar 1915.

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Von Korvettenkapitän Richard Foerster, damals Artillerieoffizier auf dem Flaggschiff S. M. S. ,Seydlitz“.

m 23. Januar des Jahres 1915, in einer dunklen Winternacht verließen wir Schlachtkreuzer „Seydlitz“, „Derfflinger“, „Moltke“ und „Blücher“ mit einer Anzahl Kleiner Kreuzer und Torpedoboote Wilhelmshaven, um einen Vorstoß nach Westen in die englischen Gewässer zu machen und besonders in der Gegend der Dogger-Bank das Treiben der englischen Fischerfahrzeuge, die dort, wie wir wussten, Spionagedienste taten, zu stören.

Es war das übliche Nordseewinterwetter, alles grau, der Himmel bedeckt, leichter Wind und leichte See aus West. In Kiellinie, d. h. einer hinter dem anderen, schoben sich die Schlachtkreuzer wie schwarze Ungeheuer gespenstisch durch die Nacht. Kein Laut als das Surren der Ventilationsmaschinen, die dicken schwarzen Qualm aus den Schornsteinen jagen. Rein Licht weit und breit, schwarze Nacht ringsum. Die Geschütze starren schussbereit ins Dunkel und die Ausguckposten lugen scharf aus.

Gegen 4 Uhr früh am 24. Januar kommen Lichter von Fischerbooten in Sicht. Sind das Lichtsignale, die uns verraten? Es sind holländische Fischer, wir lassen sie unbehelligt und fahren weiter.

Kurz nach 8 Uhr morgens, als gerade der Befehl gegeben war, mit östlichem Kurs zurück nach Wilhelmshaven zu laufen, wurden im Westen Rauchwolken gesichtet, die schnell näher kamen, und unter denen wir englische Kreuzer und Zerstörer erkannten. Sie hielten sich in respektvoller Entfernung, bis ihre großen Brüder, die Schlachtkreuzer, zu ihnen gestoßen waren, die wir als „Lion“, „Prinzeß Royal“, „Tiger“, „Indefatigable“ und „New Zealand“ ausmachten. Das Wetter war selten klar und sichtig, wir maßen die Entfernung zu ungefähr 20 Kilometer, als die feindlichen Schiffe bereits das Feuer auf uns eröffneten. Es ist viel, auch in unserer Presse, darüber geschrieben morden, dass die englischen Schiffe hätten weiter schießen können als wir, dass also unsere Geschützlafetten unzureichend gewesen wären; und es ist gerade von dem Dogger-Bank-Gefecht behauptet worden, die Engländer hätten uns auf Entfernungen beschossen, auf die unsere Geschütze überhaupt nicht hätten schießen können. Ich will hier nur das eine feststellen: Geschossen haben die englischen Schiffe auf uns, als die Entfernung ungefähr 20 Kilometer war, aber getroffen haben sie nicht, die Geschosse fielen vielmehr, 2 Kilometer zu kurz, ins Wasser und erst mit dem Abnehmen der Entfernung kamen die Geschossaufschläge in unsere Nähe. Da haben wir aber auch, anfangend mit ca. 18 Kilometer, das Feuer kräftig erwidert.

Für den Führer unseres Verbandes, Admiral Hipper, war es klar, dass er versuchen musste, den Feind auf südöstlichen Kurs zu zwingen, um ihn unserem Stützpunkt und damit unseren anmarschierenden Linienschiffen entgegenzuführen. Wenn es ihm auch verlockend erschien, durch Zudrehen zum Feinde die Gefechtsentfernung zu verringern und damit die Wirkung unserer Artillerie zu steigern und womöglich die Torpedowaffe zum Einsatz zu bringen, so musste er doch nach den eingehenden Meldungen hierauf verzichten, um nicht dem hinter den feindlichen Kreuzern mit hoher Fahrt anmarschierenden feindlichen Gros in die Arme zu laufen. Der sonst lebhafte und bewegliche Mann, der wegen seiner herzlichen Freundlichkeit und persönlichen Anspruchslosigkeit von jedermann geliebt und verehrt wurde, war in seinem engen Gefechtsstande im vorderen Kommandoturm von eiserner Ruhe und entschlossenem Willen. Durch den schmalen Sehschlitz in der Panzerwand beobachtete er, fast als einziger, die Bewegungen der feindlichen Schiffe; ausschließlich auf seine Beobachtungen und Eindrücke musste er seine schnellen Entschließungen aufbauen, die nach kurzer Besprechung mit seinem Stabschef, Kapitän z. S. Erich Raeder, als Signal an die unterstellten Schiffe übermittelt wurden.

Etwa ¾ Stunden, nachdem wir das Feuer eröffnet hatten, bekam ich die Meldung: „Turm D gibt keine Antwort“, und gleich darauf „Turm C gibt keine Antwort“.

Auf die Meldung, dass die beiden Türme keine Antwort gäben — im Gefecht werden alle Gefechtsstationen von Zeit zu Zeit angerufen, um ihre dauernde Bereitschaft zu prüfen — war mir klar geworden, dass es sich um einen Pulverbrand in diesen Türmen und ihren Munitionskammern handeln musste. Ich gab also zunächst den Befehl: „Abteilung III — das ist die Abteilung des Schiffes, in der diese beiden Türme mit ihren Kammern liegen —, fluten“, d. h. unter Wasser setzen. Dann sah ich vom Artilleriekommandostand aus einen Augenblick — ich durfte mein Ziel, den „Lion“ nicht zu lange aus dem Auge lassen — nach hinten in die Richtung der Türme C und D. Das war ein Grausen erregender Anblick; das ganze Hinterschiff war in eine blaurote Stichflamme eingehüllt, die unbeweglich bis in die Höhe der Mastspitzen stand. Also die Munitionskammern beider Türme in Brand, es konnte sich wohl nur noch um Sekunden handeln, dann waren die Geschosse reif zur Detonation, und dann flog das Schiff unweigerlich in die Luft. Das war kein schöner Gedanke; also weg mit ihm und zu etwas Verständigerem! Jetzt konnte es nur noch eins für uns geben: Schießen, so schnell wir konnten, um nach Möglichkeit auch noch in den letzten Augenblicken etwas zu erreichen. So gab ich denn den Befehl zum Schnellfeuern, und in Zwischenräumen von nur 10 Sekunden flogen schwere und mittlere Salven aus den Geschützmündungen heraus. Mir erzählte später der Kommandant des hinter uns fahrenden Schiffes, es wäre ein herzzerreißender Anblick gewesen, als aus unserem schönen Schiff plötzlich die riesige Feuersäule herausgeschossen wäre, und er hätte zu seinem Personal im Kommandostand gesagt: „Seht euch noch einmal die gute ‚Seydlitz‘ an, gleich ist sie weg.“ Und da wären aus dieser Feuersäule die Salven herausgesaust, eins, zwei, drei, als Zeichen des Leben- und Kämpfenwollens, auch angesichts des sicheren Todes. Da hätte er die Mütze vom Kopfe gerissen und mit seinen Leuten gerufen: „Drei Hurras für unsere brave unvergängliche ‚Seydlitz‘!“ Inzwischen war unser Erster Offizier, Korvettenkapitän Hagedorn, mit dem Feuerwerker und Pumpenmeister in die Abteilung III vorgedrungen, da, wo die Ventile zum Unterwassersetzen der Abteilung lagen. Das war eine schwierige Arbeit, denn aus den brennenden Munitionskammern war der giftige Pulverqualm in alle Räume der Abteilung gedrungen und es herrschte dort bereits eine gewaltige Temperatur. Aber jetzt handelte es sich um die Rettung von Schiff und Besatzung, da waren Pulverqualm und Temperatur Nebensache. Mit Todesverachtung stürzten die drei in die Abteilung zu den Flutventilen; sie hätten sie im Schlaf finden können, so oft war bei den Exerzitien die Lage und Bedienung dieser wichtigen Ventile instruiert worden. In rasender Eile reißen sie ein Ventil nach dem anderen auf, die Handräder sind glühend, die Haut bleibt daran kleben, was schert‘s! Das Schiff muss gerettet werden. Halb ohnmächtig kommen sie aus der Abteilung wieder heraus; es ist gelungen, die Munitionskammern sind unter Wasser gesetzt, der Brand unten im Schiff — der gefährlichste Brand — ist gelöscht. Aber oben aus den Türmen schlagen noch helle Flammen, das Holzdeck an den Türmen hat bereits Feuer gefangen und brennt, alles ist in einen undurchdringlichen Qualm gehüllt. Auch diesem Brand wird noch zu Leibe gerückt. Vom Nachbarturm E dringt eine Abteilung unter Leutnant zur See Walter vor; mit Feuerlöschschläuchen geht‘s oben in den Turm, und nach kurze Zeit ist auch dort alles gelöscht, so dass nun keine weitere Gefahr mehr droht. Als bei seinem Besuch an Bord ein paar Tage später der Raiser zu dem Leutnant zur See Walter, dem er das Eiserne Kreuz überreichte, freundlich sagte: „Na, das war wohl sehr warm da in dem Turm?“, da antwortete Walter prompt: „Jawohl, Euer Majestät, mehrere tausend Grad.“

In wenigen Minuten waren über 6000 kg Pulver abgebrannt; und das war nur ein kleiner Teil des Gesamtvorrates der beiden Geschütztürme. Unsere Art der Verpackung und Lagerung der Kartuschen, die sorgfältig durchdacht und in vielen Schießversuchen eingehend erprobt war, hatte es verhindert, dass die in Packgefäßen lagernde Munition zur Entzündung gekommen war; das Feuer hatte sich nur auf die im Transport befindlichen und in Bereitschaft liegenden Kartuschen übertragen. Hätte der Gesamtvorrat gebrannt, dann wären wir wohl, wie so manches englische Schiff in gleicher Lage, in die Luft geflogen.

Was war nun die Ursache dieses traurigen Ereignisses gewesen? Gleich nach dem Gefecht stieg ich in die ausgebrannten, noch halb voll Wasser stehenden Räume, um die Entstehung und den Umfang der Zerstörung festzustellen. Eine feindliche Granate hatte den Panzer des hintersten Turmes D, dicht unter dem Oberdeck, getroffen, unglücklicherweise an einer Stelle, wo zwei Panzerplatten zusammenstoßen. Die Granate war außerhalb des Panzers zerschellt und hatte die dort liegenden Wohnräume vollständig zerstört; durch die Gewalt des Aufschlagens aber war ein Stück, in einzelne Brocken zerlegt, durch den Turmraum geflogen, in dem eine Reihe Pulverkartuschen in Bereitschaft lagen. Die Kartuschen waren durch die glühend heißen Panzerbrocken zur Entzündung gebracht und nun hat sich der Pulverbrand mit rasender Geschwindigkeit nach oben und unten fortgesetzt, wobei er unten im Schiff auf die Räume des Nachbarturms C übersprang. Fast alle Bedienungsmannschaften waren augenblicklich tot, erstickt von den glühenden Dämpfen des brennenden Pulvers. Ich fand in einem Raum einen Matrosen, an einen Pfosten gelehnt, die Beine übereinandergeschlagen mit einem Buche in der Hand, vom Tode so plötzlich überrascht, dass er nicht einmal seine Stellung verändert hatte. Nur einige Leute, die ihre Station in unmittelbarer Nähe der Einsteigeluken hatten, waren, völlig verbrannt, noch lebend aus dem Turm herausgekommen; sie sind fast alle hinterher infolge der entsetzlichen Brandwunden und der Nachwirkung der eingeatmeten giftigen Pulvergase gestorben.

Ich muss hier noch kurz eines Mannes denken, der bei diesem Brande sein Leben verlor, das ist der Turmführer von Turm der Stückmeister Horl. Horl war ein prachtvoller Soldat, von eisernem Pflichtgefühl, wohlwollender Strenge gegen seine Untergebenen, gesundem Ehrgeiz und glühender Vaterlandsliebe. Für ihn war von vornherein klar: den Krieg gewannen wir. In den ersten Kriegsmonaten gönnte er sich keine Ruhe; sein Turm muss der Beste sein, an ihm sollte es nicht liegen. Und da hatte er sich auf den Winterkriegswachen bei Sturm, Eis und Schnee wohl zu viel zugemutet; im Januar 1915 erkrankte er ernstlich an Gelenkrheumatismus, und unser Schiffsarzt, Oberstabsarzt Dr. Fischer, sagte mir eines Tages, dass Horl ausgeschifft werden müsse. Mir tat das bitter leid, einmal des Mannes wegen, der nur eins wollte und hoffte: „Ran an den Feind“, dann aber auch unseres Schiffes wegen, dass damit einen der besten Deckoffiziere verlor. Aber was hilft das bei ernster Krankheit, da heißt es nur möglichst schnell gesund werden, um wieder bereit zu sein, und das war an Land eher möglich als an Bord. Am 22. Januar, als die Vorbereitungen zu dieser Unternehmung getroffen wurden, sollte mit den übrigen Kranken auch Horl in das Landlazarett gebracht werden; er hatte erfahren, dass ein Vorstoß in die englischen Gewässer geplant war, und da stand es bei ihm fest: er musste dabei sein. „Herr Oberstabsarzt“, sagte er, „ich weiß, dass ich in diesem Kriege falle; ich muss an Bord bleiben, wenn das Schiff in See geht; ich will mich auch ganz ruhig verhalten und in meiner Koje liegen bleiben.“ Es wurde ihm der Gefallen getan, er blieb an Bord in seiner Koje. Als am 24. Januar „Klar Schiff zum Gefecht!“ angeschlagen wurde und alles auf die Gefechtsstationen lief, da ließ sich auch Horl in seiner Hängematte in seinen Turm C bringen, um im Gefecht bei seinen Leuten zu sein. Der Brand im Turm packte mit allen seinen braven Leuten auch ihn. Wir fanden ihn später tot auf seiner Hängematte liegend, in einem der unteren Räume im Turm C; er war so krank und schwach gewesen, dass er nicht, wie es sicherlich sein sehnlichster Wunsch war, bei Beginn des Gefechtes an seinen Zielstand gehen konnte, aber er hörte wenigstens das Arbeiten seiner Leute und das Feuer seines Turmes, und er hatte die feste Zuversicht: „Die werden‘s schon schaffen.“ Der schnelle Tod hatte vielleicht einem langen Siechtum vorgebeugt. Ich habe den Verlust dieses treuen Mannes von Herzen betrauert. Leider verloren wir in diesem Gefecht einen unserer Schlachtkreuzer, den „Blücher“. Ein verhängnisvoller Treffer zu Beginn des Gefechts hatte seine gesamte Maschinenanlage manövrierunfähig gemacht. Er konnte zwar zunächst noch die Geschwindigkeit halten, aber allmählich blieb er zurück und war nun dem konzentrierten Feuer mehrerer englischer Schiffe auf nahe Entfernungen ausgesetzt. Wir konnten ihm nicht helfen, denn wenn wir zurückgingen, taten wir, was der Feind wollte, wir stießen auf sein hinter den Schlachtkreuzern anmarschierendes Gros, dem wir auch nicht annähernd gewachsen waren. Wir mussten das Schiff seinem Schicksal überlassen; sein Verlust wurde aufgewogen durch die schweren Schäden, die wir dem Feinde zugefügt hatten. „Lion“ war außer Gefecht gesetzt und musste als Wrack in den Hafen geschleppt werden und auf „Tiger“ war eine riesige Munitionsexplosion beobachtet, so dass mit dem Ausfall dieses Schiffes gerechnet werden konnte. Die Verwirrung war auf Seiten der Engländer so groß, dass sie das Gefecht abbrachen und sich zurückzogen. Über die Vorgänge des Gefechtes auf „Blücher“, über das heldenhafte Verhalten seiner Besatzung im letzten Verzweiflungskampf und über sein ehrenvolles Ende hat einer der Überlebenden, der Fähnrich zur See Paulsen, folgendes berichtet: „Auf südöstlichem Kurse fuhr unser Verband mit äußerster Kraft, ,Blücher‘ als letztes Schiff; der Feind stand an Steuerbord, fünf englische Schlachtkreuzer, wie wir später erfuhren: ,Lion‘, ,Prinzeß Royal‘, ,Tiger‘, ,New Zealand‘ und Indefatigable‘. Der Feind hatte das Feuer auf ca. 20 km eröffnet, unsere Brüder ,Seydlitz‘, ,Derfflinger‘ und ,Moltke‘ hatten bald erwidert, aber für unsere schwächere Artillerie — ,Blücher‘ hatte nur 21-cm-Geschütze, gegen 28 cm auf ‚Seydlitz‘ und ,Moltke‘ und 30,5 cm auf ,Derfflinger‘ und gegen 30,5 cm und 34,3 cm auf den englischen! Schiffen — war die Entfernung noch zu groß. Wir beobachteten viele Geschossaufschläge im Wasser, ganz nahe bei unserem Schiff, wir wurden beschossen, ohne uns wehren zu können. Schwere Granaten sausten über uns hinweg. Die Maschinen arbeiteten mit äußerster Kraft, das ganze Schiff vibrierte. Immer näher lagen die Geschossaufschläge bei unserem Schiff, die aufgeworfenen, gewaltigen Wassersäulen schienen in der Luft stehen zu bleiben, jetzt zu beiden Seiten des Schiffes, der Gegner war also eingeschossen. Da plötzlich ein gewaltiger Knall, ein Klirren, als ob Glas in Scherben springt, das Schiff schüttelt sich — Treffer im Vorschiff. Mit steilem Einfallwinkel war er mitten in die Back gesaust; eine hohe Rauch- und Feuersäule schoss aus der klaffenden Wunde, Von allen Seiten wurde nach der Parole gefragt, denn unten im Schiff hat man ja nur die kurze Erschütterung verspürt, von Ursache und Wirkung weiß man nichts. Wie bei den Friedensübungen kommen von allen Stellen die Meldungen zur Zentralstelle unten im Schiff, wo der Erste Offizier, Korvettenkapitän Roß, den Sicherungsdienst leitet. Brand-, Rauch- und Gasgefahr im Vorschiff ist das Ergebnis der Meldungen. Nach wenigen Minuten schon kommt der brave Zimmermeister, schweißtriefend und pechschwarz im Gesicht und meldet: ‚Vorschiff ist klar‘. Die Beschädigung war gering, die Gefechtstätigkeit des Schiffes nicht beeinträchtigt. Inzwischen war die Entfernung zwischen uns und unseren Gegnern geringer geworden und nun konnten auch wir das Feuer eröffnen; in das Krachen der detonierenden feindlichen Granaten mischte sich die ‚Musik‘ unserer eigenen Geschütztürme. Plötzlich, es mag 10 Uhr 30 Minuten gewesen sein, hören wir hinten im Schiff ein lautes Zischen, und wie ich durch einen Panzerschlitz nach achtern sehe, bemerke ich, dass der Turm? in Feuer und Qualm gehüllt ist. Ein schweres Geschoss war von oben durch vier Decks hindurch bis in den Mittelgang gedrungen und dort explodiert. Durch das Eindringen giftiger Gase war die Artilleriezentrale verseucht worden und musste geräumt werden; Granatsplitter hatten im dritten Heizraum die Hauptdampfrohrleitung beschädigt, so dass sofort der Dampfdruck zur Maschine fiel und die Geschwindigkeit bedeutend herabgesetzt wurde. Gleichzeitig wurde die Munition im Mittelgang zur Entzündung gebracht, und dieser Munitionsbrand pflanzte sich durch die Munitionsaufzüge in die Türme B und F fort, die gleichzeitig beide mit allen ihren Bedienungsmannschaften außer Gefecht gesetzt wurden. Durch diesen einen unglücklichen Treffer hatte das Schiff stark gelitten; besonders schwer war der Verlust an Geschwindigkeit, denn nun musste ‚Blücher‘ den Anschluss an seine Brüder verlieren. Ein Gang durchs Schiff zeigte die Verwüstungen, die im Innern bereits angerichtet waren. Heizraum III machte so stark Wasser, dass er verlassen werden musste. Im Mittelgang zwei Leute wimmernd in einer großen Blutlache; einem waren beide Beine abgerissen, dem anderen das Rückgrat gebrochen. Sie werden von Krankenträgern auf Transporthängematten zum Gefechtsverbandsplatze gebracht. Wie sah es hier aus! Dicht gedrängt lagen die Schwerverwundeten; mit eiserner Ruhe behandelte, schnitt und verband der kleine Assistenzarzt die armen Kerle, die mit bewundernswerter Energie Schmerz und Qual hinunterwürgten. Weiter durchs Zwischendeck. Heizraum V war ausgefallen: Leichen, abgerissene Glieder, Granatsplitter, Kesselteile lagen durcheinander, ein entsetzlicher Anblick. Weiter an Steuerbord, an der Schmiede vorbei; es geht nicht; das ganze Lecksicherungsholz in der Schmiede brennt und erzeugt undurchdringlichen Qualm und Hitze. Also zurück und an Backbord versucht. Dicht hinter mir schlägt eine Granate ein, ein Maschinist, mit dem ich eben noch gesprochen, sinkt lautlos nieder. Ich konnte noch feststellen, dass Heizraum II, III und IV ausgefallen waren; wir konnten also keinesfalls die Geschwindigkeit der übrigen Schiffe halten. Als ich wieder im Artilleriestand bin und Meldung über meine Feststellungen erstattet habe, ein ohrenbetäubender Knall. Fähnrich Meyer, der neben mir stand, fiel zu Boden, durch den Kopf getroffen. Im Artilleriestand flogen die Trümmer durcheinander; das große Entfernungsmessgerät des Standes war weggeschossen, Rauch und Gas erfüllten den engen Raum. Die Panzertür zum vorderen Kommandostand wurde von zwei kräftigen Leuten aufgestoßen, und nun drängte alles, was noch lebte, dorthin durch. Ich beobachtete durch einen Sehschlitz die feindlichen Schiffe und zählte für mich die Treffer, die unser armer ‚Blücher‘ bekam. Der Feind überschüttete uns mit Granaten; auch von Backbord her kamen kleine Kreuzer und Zerstörer auf Schussweite heran, um sich an dem Zerstörungswerke zu beteiligen. Unsere Schlachtkreuzer entfernten sich mehr und mehr, es war uns klar, sie mussten uns aufgeben; aber billig sollten uns die Feinde nicht haben, wir schossen verzweifelt auf die immer näher rückenden Gegner. Alle wussten, dass es zu Ende ging, aber mit unveränderlicher Ruhe wurde weiter gearbeitet, in dem Bestreben, mit den letzten Kräften noch möglichst viel zu erreichen, Prasselnd, zischend und krachend schlägt Treffer auf Treffer ins Schiff, Plötzlich dreht ,Blücher. 1M“ nach Steuerbord, die Rudermaschine versagt. In unermüdlicher Arbeit wird die Reserveeinrichtung betriebsklar gemacht, allmählich kommt das Schiff wirklich wieder auf Kurs. Torpedos werden geschossen, ein feindlicher Zerstörer sinkt, wir hören drei Hurras aus Turm A. Dann plötzlich wieder neuer Ruderversager, die Gestänge der Steuerung waren zerschossen; ,Blücher‘ torkelt von einer Seite zur anderen, todwund, aber immer noch kracht es aus den eigenen Geschützrohren; wo die Mannschaft noch lebt, da wehrt sie sich, Pink-klirr: Dreck und Splitter fliegen durch die Sehschlitze. Mein eines Auge scheint blind geworden zu sein. Bst — ein Splitter hat meinen Ring am rechten Finger getroffen und zerbrochen. Der Navigationsoffizier, Kapitänleutnant Kirchner, scheint am Kopf schwer verwundet. 12 Uhr 3 Minuten ,Lion‘ außer Gefecht, Hurra! Rumms, ein neuer Treffer gegen den Stand, giftige Gase strömen in dicken Schwaden herein. ‚Tür auf‘, alle, die hier nichts zu tun haben, raus! Durch einen schmalen Spalt dringt alles auf die Kommandobrücke; als ich gerade an die frische Luft komme, schlägt mir eine heiße blaurote Wolke entgegen: Turm A war getroffen, die Munition war in Brand geraten; auch die braven Kameraden waren alle tot. Vor mir ein wüster Trümmerhaufen, da wo das Kartenhaus stand, ein gähnendes, schwarzes Loch. Die Brücken, die Aufbauten sind weggefegt, überall rauchte es. Leichen, abgerissene Gliedmaßen liegen in Blutlachen an Deck, zerbrochene Eisenstangen liegen herum, das Deck ist an unzähligen Stellen aufgerissen, die Decken der Geschütztürme sind durchschlagen, es steht nur noch ein Schornstein, Schwerverwundete liegen stöhnend an Deck; die es noch können, suchen Schutz vor den feindlichen Granaten, die immer heftiger auf unser Schiff prasseln. Ich klettere und krieche über die Trümmer, es poltert von oben herunter, ein dumpfer Schlag auf den Kopf, mir wird's schwarz vor Augen, alles dreht sich um mich, und dann ist‘s aus. Als ich wieder erwache — es mag nach fünf bis sieben Minuten gewesen sein — hat das Schießen aufgehört; die feindlichen Schiffe haben sich im Bogen um uns herumgezogen und sind nicht mehr weit von uns entfernt. Ich taste mich vorsichtig über die rauchenden Trümmer von der Kommandobrücke nach achtern, aufs Mitteldeck, wo vereinzelte Matrosen und Heizer herumlaufen. Einer sieht mich, sieht, dass ich verwundet bin, und bindet mir zwei Schwimmwesten um; er meint, es wären genug da, die doch keinem mehr nützen könnten, und ich sei ja verwundet. Ich lasse es gern geschehen. Am Geschützturm lehnt einer und betet; ein anderer singt ‚Deutschland, Deutschland über alles‘. Wieder ein anderer lächelt mir zu und sagt: ‚Unser schönes Schiff, unser Blücher.‘ Es war uns klar, es ging zu Ende mit unserem stolzen Schiff, schon lag es hart nach Backbord über, bald musste es kentern. — Da fällt ein Schuss bei uns an Bord, ein Turm hat ihn gefeuert, wahrscheinlich durch ein Versehen, denn an ein Richten war ja nicht mehr zu denken. Und nun ging der Höllentanz noch einmal los, aus nächster Nähe überschütteten uns die feindlichen Schiffe mit einem Hagel von Granaten, um auch das letzte Lebenszeichen unseres Schiffes zu ertöten. Einem Heizer neben mir wird die Schlagader am Hals zerrissen; er ruft mir mit letzter Kraft zu: ‚Herr Fähnrich, es ist aus; grüßen Sie meine Eltern!‘ Dann sinkt er lautlos um. Das Schiff legt sich immer mehr über, mein Kamerad Reinländer kommt zu mir und schleppt mich über das Mitteldeck nach Steuerbord, damit wir beim Kentern nach Möglichkeit nicht unters Schiff kommen. Überall Tote, rauchende Trümmer, gähnende Löcher. An der Steuerbord-Reling sitzt mein Kamerad Krause, schwer getroffen; er sieht mich noch einmal schmerzlich an, dann sinkt er hintenüber und ist tot. Wir klettern aufs Torpedonetz, da dröhnt die Schiffsglocke laut durchs Schiff, das Signal: Alle Mann aus dem Schiffe! ‚Alle Mann, hahaha‘, ein Nervenkranker lacht aus vollem Halse. Der Rest der Besatzung sammelt sich auf dem Deck. S. M. S. ,Blücher‘ Hurra! Alle die von Pulverstaub beschmutzten, blutigen Gesichter, noch einmal flammt in ihnen die Begeisterung auf. Wie ein Sturm braust es über das Schiff: Unser oberster Kriegsherr, der deutsche Raiser, Hurra! und dann an den verschiedenen Stellen des Schiffes Gesang: ‚Heil dir im Siegerkranz‘, Deutschland, Deutschland über alles‘ und das Flaggenlied mit seinem stolzen Schluss: ‚Dir wollen wir treu ergeben sein, der Flagge Schwarz-Weiß-Rot‘. ‚Blücher‘ neigt sich mehr und mehr — es ist jetzt sicher, unser Schiff kentert. Viele springen über Bord. Ich laufe über das Netz, die Spieren, den Rumpf, den Schlingerkiel, da bin ich im Wasser. Hinter mir saugt‘s und zieht‘s, das sinkende Schiff; ich schwimme mit Aufbietung aller Kräfte, endlich bin ich frei. Mit kräftigen Stößen arbeite ich mich weg von dieser Stelle des Grausens, um mich herum der letzte Kampf der Ertrinkenden. Endlich, endlich komme ich in die Nähe eines Fahrzeuges, ich greife nach einer Leine, ich werde an Bord gezogen und — befinde mich in englischer Gefangenschaft.“ Noch manches Mal ist unsere stolze Hochseeflotte hinausgezogen, um den Gegner zu suchen. — Voran die Schlachtkreuzer. — Im gewaltigsten Ringen auf See, in der Schlacht vor dem Skagerrak errang die deutsche Flotte unvergänglichen Lorbeer. — Jetzt ruht sie auf dem Meeresgrunde. Deutschlands Macht zur See ist gebrochen; aber mit dem Wiedererwachen des deutschen Volksbewusstseins, mit dem Wiedererstarken deutscher Volkswirtschaft und dem Wiederaufblühen des deutschen Handels wird auch die Einsicht wiederkommen, dass ein großes Volk im Wettbewerb der Völker der Erde nicht ohne Seegeltung leben kann. Auf den Trümmern von Scapa Flow wird eine neue deutsche Flotte entstehen. — Es kommt die Zeit!

Es kommt die Zeit.

Wir pflügten das Meer im Eisenschiff,

Wir fahren zur See jetzt im schwankenden Kahn.

Uns schirmte ein Panzer vor Sturm und Riff,

Uns trägt und schirmt jetzt ein hölzerner Span.

Doch die See ist weit, und die See ist stark,

Und sie hält die Herzen uns stark und weit,

Und sie singt uns hinein in Blut und Mark:

„Es kommt die Zeit! Es kommt die Zeit!“

Uns dienten die Häfen der ganzen Welt,

Jetzt stellen wir Netze zum Fischen aus,

Wir lachten einst über Gut und Geld,

Jetzt fehlt das tägliche Brot im Haus.

Aber harte Arbeit zeugt harte Hand,

Eine Hand zum schwersten Werk bereit,

Und kehren wir leeren Bootes zum Land —

„Es kommt die Zeit! Es kommt die Zeit!“

Einst haben viele mit uns gelacht,

Sie schlafen da unten, ihr Mund ward stumm.

Doch treibt unser Boot durch die Nebelnacht,

Dann geht ein Raunen im Dunkel um:

Ihr seid die Erben von unserm Tod.

Unsere Braut, die See, hat der Feind gefreit.

Ihr sollt sie lösen aus Schmach und Not. —

„Es kommt die Zeit! Es kommt die Zeit!“


Auf See unbesiegt

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