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Zum Glück war das aber auch gar nicht notwendig, denn es war wieder nur Yin, der ihr linkes Bein streifte, als er an ihr vorbeiging. Er schnüffelte an der Klarsichthülle mit dem Umschlag, verlor aber sofort wieder das Interesse, und sah nach draußen. Es nieselte zwar mittlerweile nur noch, doch der Kater machte dennoch keine Anstalten, das Haus zu verlassen. Vermutlich war es ihm immer noch zu nass. Er maunzte verärgert, drehte sich um und stolzierte davon, wobei er sich im Vorbeigehen erneut kurz an Anjas Bein rieb, bevor er schließlich im Wohnzimmer verschwand.

Anja, die ihm schweigend hinterhergeschaut hatte, richtete ihren Blick wieder auf den Umschlag. Allmählich spürte sie die Kühle der Nacht auf der bloßen Haut ihrer Beine und fröstelte. Außerdem wurde sie sich darüber bewusst, dass sie im Bademantel, barfuß und mit feuchten Haaren in der offenen Haustür stand. Sie bückte sich daher rasch und ergriff die Klarsichthülle mit den Spitzen ihrer Finger vorsichtig an einer Ecke. Für den Fall, dass Hülle und Umschlag Bestandteile einer offiziellen Ermittlung werden sollten, wollte sie keine Spuren verwischen und so wenige eigene Fingerabdrücke darauf hinterlassen wie möglich.

Als sie sich wieder aufrichtete, hatte sie, wie schon einmal an diesem Abend, das intensive Gefühl, jemand würde sie heimlich beobachten. Sie erschauderte und sah sich suchend um, konnte jedoch niemanden entdecken. Allerdings gab es in ihrem Blickfeld diverse Möglichkeiten, wo sich jemand vollständig vor ihren Blicken verbergen konnte.

Sie schloss daher rasch die Tür und schob für alle Fälle die Sicherheitskette in die Schiene. Dann ging sie, nachdem sie den Schirm an seinen Platz zurückgestellt hatte, mit der Klarsichthülle zwischen den spitzen Fingern in die Küche.

Als Erstes zog sie sich Einweghandschuhe an. Da sie diese stets dann benötigte, wenn sie das Haus oder die Wohnung einer vermissten Person durchsuchte, besaß sie einen Vorrat davon.

Sie holte ein Gemüsemesser aus der Besteckschublade und öffnete damit den Umschlag, sobald sie ihn aus der feuchten Hülle geholt hatte, die sie zum Trocknen auf ein Küchentuch neben der Spüle legte. Als sie einen ersten vorsichtigen Blick in das Kuvert warf, entdeckte sie darin ein einzelnes ungefaltetes DIN-A4-Blatt. Sie nahm das Papier heraus, legte den Umschlag auf den Tisch und sah sich dann an, worum es sich handelte.

Soweit sie sehen konnte, war es ein normales weißes Blatt Druckerpapier. Darauf war das Farbfoto einer Frau abgedruckt, die sich zu einer schwarzen Katze hinunterbeugte, um diese zu streicheln. Das Bild war allem Anschein nach heimlich nach Einbruch der Dunkelheit durch die geschlossene Terrassentür aufgenommen worden, denn die Frau und die Katze befanden sich im hellerleuchteten Wohnzimmer eines Hauses.

Anja musste unwillkürlich daran denken, wie sie vor dem Duschen versucht hatte, Yin zu trösten, als dieser im Wohnzimmer vor der Terrassentür gesessen und missmutig nach draußen in den Regen gestarrt hatte. Deshalb hätte sie die Aufnahme auch leicht für ein Foto von sich und Yin halten können. Allerdings hatte sie sich nicht zu ihm hinuntergebeugt, als sie ihn gestreichelt hatte, sondern war neben ihm in die Hocke gegangen. Und je länger sie das Foto betrachtete, desto mehr Unterschiede zwischen ihr und der abgebildeten Frau einerseits und dem Wohnzimmer auf dem Bild und ihrem eigenen andererseits fand sie.

Allerdings gab es auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Zum einen natürlich die schwarze Katze, die Yin sehr ähnlich sah, auch wenn sie etwas kleiner und zierlicher wirkte. Außerdem hatte die Frau auf dem Foto ebenfalls kurze blonde Haare, auch wenn ihr Haarschnitt ordentlicher wirkte als Anjas stets etwas zerzauste Frisur. Darüber hinaus waren die Haare der anderen Frau leicht gewellt, und ihr Pony war etwas länger.

Dennoch war die oberflächliche Ähnlichkeit der abgebildeten Person und ihres Haustiers zu Anja und Yin unheimlich und ließ sie frösteln. Vor allem, weil diese Ähnlichkeit nach Anjas Meinung nicht zufällig, sondern beabsichtigt zu sein schien.

Spielte etwa irgendjemand da draußen ein abartiges Spielchen mit ihr, indem er ihr dieses Foto geschickt hatte.

Falls ja, dann hatte Anja auch einen konkreten Verdacht, um wen es sich dabei handelte. Und zwar um denselben Mann, der ihren Vater und zahlreiche andere Menschen auf dem Gewissen hatte. Und bei dem es sich, wenn sie nicht komplett auf dem Holzweg war, um ihren Onkel handelte.

Erst als sie sich das Foto so genau angesehen hatte, als wollte sie sich jedes Detail einprägen, widmete sie sich den Dingen, die sich darüber hinaus auf dem Blatt befanden.

Über dem Foto stand in großen schwarzen Druckbuchstaben ein einzelnes Wort:

VERMISST!

Und unter der Aufnahme standen der Name CARINA ARENDT und eine Adresse.

Anja kannte die genannte Straße. Sie traf in weniger als dreihundert Metern Entfernung auf die Straße, in der sie wohnte, und grenzte ebenfalls an den Waldfriedhof. Die auf dem DIN-A4-Blatt abgedruckte Adresse konnte daher höchstens einen Kilometer und damit eine Viertelstunde entfernt sein, wenn man gemütlich zu Fuß ging. Mit dem Auto war man vermutlich sogar in zwei Minuten dort.

Sie überlegte, was sie jetzt tun sollte.

Allerdings musste sie nicht lange darüber nachdenken. Auf keinen Fall wollte und konnte sie den Inhalt des Umschlags ignorieren. Er war gewiss nicht ohne Grund auf ihre Fußmatte gelegt worden. Und auch die Ähnlichkeit zwischen der Frau auf dem Foto und ihr dürfte alles andere als ein Zufall sein. Außerdem elektrisierte sie das Wort »VERMISST!«, denn immerhin gehörte es zu ihrem Aufgabenbereich als Kriminalbeamtin, vermisste Personen aufzuspüren.

Schon aus diesen Gründen musste sie der Sache auf den Grund gehen. Und da sie nicht wusste, ob es sich nicht doch nur um einen makabren Scherz handelte, würde sie trotz ihres Urlaubs erst einmal höchstpersönlich nach dem Rechten sehen, bevor sie die zuständigen Stellen darüber informierte.

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