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Ungleichheit

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Das größte Problem unserer Zeit ist die zunehmende Ungleichheit in den reichen Ländern. Abbildung E.1 zeigt die Entwicklung des Einkommensanteils, den das oberste 1 Prozent der Einkommensverteilung von 1913 bis 2015 in den USA verdiente.7 Das Diagramm stellt diesen Anteil vor und nach Steuern dar. Betrachtet man die für den Endverbrauch wichtigste Kennziffer nach Steuern, so zeigt sich, dass der Einkommensanteil der 1 Prozent Spitzenverdiener sich von seinem Tiefpunkt von 8 Prozent Mitte der 1970er Jahre bis zu seinem jüngsten Höchststand von 16 Prozent in etwa verdoppelt hat. Ein ähnliches, wenngleich weniger dramatisches Muster zeigt sich im selben Zeitraum in zahlreichen angelsächsischen Ländern. In einigen kontinentaleuropäischen und ostasiatischen Ländern mit einer großzügigeren staatlichen Umverteilung fielen die Einkommensmuster weniger stark aus.8


Abb. E.1: Einkommensanteile des obersten 1 Prozent der Haushalte in den USA einschließlich Kapitalgewinnen vor und nach Steuern. Quelle: Thomas Piketty, Emmanuel Saez und Gabriel Zucman, Distributional National Accounts: Methods and Estimates for the United States, Quarterly Journal of Economics (Dezember 2016), https://www.nber.org/papers/w22945.

Ist dieser Anstieg der Ungleichheit schlicht der Preis für eine dynamische Wirtschaft, wie viele »neoliberale« Ökonomen argumentieren? Manche Ökonomen haben behauptet, die zunehmende Ungleichheit spiegle die unterschiedlichen Fähigkeiten und Möglichkeiten begabter Menschen wider – Fähigkeiten, die ungenutzt blieben, wenn sie nicht durch ein höheres Einkommen entlohnt würden. Doch die zunehmende Ungleichheit spiegelt sich nicht nur in unterschiedlichen Löhnen, sondern auch in der Verlagerung des Nationaleinkommens weg von Löhnen wider. Abbildung E.2 zeigt den Anteil des Nationaleinkommens, der für sämtliche Arbeitskräfte – von Fabrikarbeitern bis CEOs – anfällt; Ökonomen bezeichnen ihn auch als die »Lohnquote«. In diesem Zeitraum ist der Anteil des Nationaleinkommens in den USA, der Arbeit entlohnt, um fast 10 Prozent gesunken, was die Vereinigten Staaten in die Nähe von Entwicklungsländern rückt, in denen die Lohnquote traditionell weitaus niedriger ist als in reichen Ländern.


Abb. E.2: Entwicklung des Anteils der Arbeitseinkommen am Nationaleinkommen der USA. Quelle: David Autor, David Dorn, Lawrence F. Katz, Christina Patterson und John Van Reenen, The Fall of the Labor Share and the Rise of Superstar Firms (MIT Working Paper, 2017), https://economics.mit.edu/files/12979.


Abb. E.3: Oben – Entwicklung der Wettbewerbsgewinne als Anteil des Nationaleinkommens in den USA. Unten – Gewinnspannen über Kosten (schwarz) und durchschnittlicher nach Aktien gewichteter Börsenwert (grau). Quellen: Simcha Barkai, Declining Labor and Capital Shares (2017), http://home.uchicago.edu/~-barkai/doc/BarkaiDecliningLaborCapital.pdf und Jan de Loecker und Jan Eeckhout, The Rise of Market Power and Macroeconomic Implications (2017), http://www.janeeckhout.com/wp-content/uploads/RMP.pdf.

Wohin ist das Geld geflossen, mit dem zuvor Arbeitnehmer entlohnt wurden? Wenn es sich lohnen würde zu sparen, wäre dies möglicherweise nicht so beunruhigend. Schließlich kann sich jeder Bürger dazu entscheiden zu sparen, und lohnendes Sparen kann das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Immer mehr Indizien deuten allerdings darauf hin, dass die Belohnung für das Sparen ihrerseits rückläufig ist (wie fallende Zinssätze zeigen) und stattdessen ein zunehmender Teil des Nationaleinkommens auf die Marktmacht entfällt – was wir später als das »Monopolproblem« bezeichnen werden.9 Abbildung E.3 macht diese Entwicklung deutlich.

Das obere Schaubild von Abbildung E.3 zeigt den Anteil des Nationaleinkommens der USA, der auf »wirtschaftliche Gewinne« oberhalb dessen zurückgeht, was bei vollkommenem Wettbewerb zu erwarten wäre – Gewinne nämlich, die auf Monopolmacht zurückzuführen sind. Diese Übergewinne haben sich seit Anfang der 1980er Jahre ungefähr vervierfacht, ebenso die zunehmende Ungleichheit und eine rückläufige Lohnquote.10 Diese Gewinne gingen überwiegend an die Superreichen. Wie wir unten ausführen, werden der Anstieg der Ungleichheit und der Rückgang der Lohnquote durch eine Reiche-werden-reicher-Dynamik befeuert und befeuern diese ihrerseits. 60 Prozent des Einkommens der 1 Prozent Spitzenverdiener resultieren aus solchen Gewinnen oder Kapitalrenditen (und eben nicht aus Löhnen), ein viermal so hoher Anteil wie der der unteren 90 Prozent Einkommensbezieher. Das untere Schaubild zeigt die gleichzeitige Entwicklung eines anderen Kriteriums der Marktmacht (den Überpreis oder die »Gewinnspanne«, die Firmen auf die Kosten aufschlagen) und den Börsenwert von Unter-nehmen.11 Die enge Übereinstimmung dieser Reihen und die enge Korrelation, die die Autoren zwischen dem Marktwert und der Gewinnspanne von Unternehmen in einem bestimmten Jahr ausmachten, deuten stark darauf hin, dass eine sinkende Lohnquote und zunehmende Ungleichheit nicht nur die notwendige Folge von beschleunigtem Wachstum sind. Vielmehr stehen sie in enger Korrelation (Symptome, Ursachen oder wahrscheinlich beides) mit der erhöhten Marktmacht.

Die Entwicklung der Ungleichheit in verschiedenen Ländern ist eine andere Geschichte. Abbildung E.4 zeigt den Anteil der globalen Ungleichheit, gemessen an der üblichen »mittleren logarithmischen Abweichung« (die in Kapitel 3 ausführlicher erörtert wird), welche zwischen verschiedenen Ländern und nicht innerhalb eines Landes von 1820 bis 2011 herrschte. Von 1820 bis 1970 wuchs die Ungleichheit zwischen verschiedenen Ländern um fast das Zehnfache; im Gegensatz dazu sank die Ungleichheit innerhalb eines Landes um rund ein Fünftel. Dieses Muster hat sich seit 1970 umgekehrt; die internationale Ungleichheit ist um etwa ein Fünftel gesunken, während die Ungleichheit innerhalb wohlhabender Länder gestiegen ist.


Abb. E.4: Globale Ungleichheit in unterschiedlichen Ländern und nicht innerhalb eines Landes von 1820 bis 2011, gemessen an der mittleren logarithmischen Abweichung (vgl. Kapitel 3). Diese Reihe beruht auf einer Zusammenführung der Daten von François Bourguignon und Christian Morrisson, Inequality Among World Citizens: 1820–1992, 92 American Economic Review, S. 4 (2002), und Branko Mila-novic, Global Inequality of Opportunity: How Much of Our Income Is Determined by Where We Live?, 97 Review of Econonomics & Statistics, S. 2 (2015), mit Dank an Branko Milanovic.

Wenn diese internationale Ungleichheit das Ergebnis des Wachstums dynamischer internationaler Märkte wäre, könnte sie wiederum ihren Preis wert sein. Die Tatsache, dass die internationale Ungleichheit mit dem Einsetzen beschleunigter Globalisierung und dem Abschluss der Dekolonisation zu sinken begann, deutet jedoch darauf hin, dass die internationale Ungleichheit möglicherweise eher auf den Kolonialismus und abgeschottete internationale Märkte als auf freie Märkte zurückzuführen ist.

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