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Stagnation

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Der letzte bedeutende Paradigmenwechsel in der Wirtschaftsphilosophie fand in den 1970er Jahren statt, als die »Stagflation« (hohe Inflation verbunden mit hoher Arbeitslosigkeit) der damals weitverbreiteten keynesianischen Auffassung Hohn sprach, Inflation sei ein Preis, den es sich für Vollbeschäftigung zu zahlen lohne. Die als Reaktion darauf entstandenen neoliberalen und »angebotsorientierten« Ideen versprachen eine Ankurbelung des Wirtschaftswachstums dank größerer Spielräume für den Kapitalismus (niedrigere Steuern, Deregulierung, Privatisierung). Selbst wenn der Kapitalismus zu einer gewissen Ungleichheit führe, werde der Reichtum schließlich zu den gewöhnlichen Arbeitnehmern »durchsickern«. Allerdings sickerte nicht nur der versprochene Reichtum nicht durch – er trat gar nicht erst ein. Tatsächlich sank das Produktivitätswachstum in diesem Zeitraum erheblich. In den USA zum Beispiel wuchs die Arbeitsproduktivität vom Ende des Zweiten Weltkriegs bis 2004 um jährlich rund 2,25 Prozent. Seit 2005 hat sich das Produktivitätswachstum um einen vollen Prozentpunkt auf rund 1,25 Prozent verlangsamt.12


Abb. E.5: Durchschnittliches reales Produktivitätswachstum pro Jahr weltweit für verschiedene Regionen oder Länder und Zeiträume, 1950–2013. Quelle: OECD.

Dieses Phänomen war in den USA weniger stark ausgeprägt als in anderen reichen Ländern. Abbildung E.5 zeigt das Produktivitätswachstum in den Ländern der Welt ab 1950.13 Insgesamt ist das Produktivitätswachstum seit Mitte des Jahrhunderts dramatisch gesunken, mit Ausnahme des Zeitraums von 1995 bis 2004 in einigen wohlhabenden Ländern und mit Ausnahme der Entwicklungsländer, in denen ein gegenläufiger Trend zu beobachten war. In zahlreichen wohlhabenden Ländern wie Frankreich und Japan sank das Produktivitätswachstum um den Faktor zehn von 5 Prozent bis 7 Prozent im Zeitraum von 1950 bis 1972 auf den Bruchteil eines Prozents im letzten Jahrzehnt. Die jüngsten Daten zeigen ein noch desolateres Bild.14

Ein damit verbundenes Problem betrifft die wirtschaftlichen Schlüsselressourcen Arbeit und Kapital, die von weitverbreiteter Arbeitslosigkeit (im Fall von Arbeit) bzw. Fehlallokation (im Fall von Kapital) gekennzeichnet sind. Dieser Aspekt des stagnierenden Wirtschaftswachstums hat eigenständige Bedeutung, weil Arbeitslosigkeit und niedrige Löhne zu sozialen und politischen Konflikten führen. Arbeitslosigkeit und Fehlbeschäftigung unterscheiden sich je nach Umgang mit Langzeitarbeitslosen von Land zu Land. In Europa sind die Arbeitslosenzahlen gestiegen, während in den USA Männer im Haupterwerbsalter aus dem Erwerbsleben ausscheiden. So sank beispielsweise die Erwerbsquote von Männern im Haupterwerbsalter in den USA von 96 Prozent im Jahr 1970 auf 88 Prozent im Jahr 2015. In den meisten Ländern Europas ist die Arbeitslosigkeit von 4 bis 6 Prozent um 1950 auf gleichbleibende 10 Prozent oder mehr gestiegen.15 Und nicht nur Arbeitskraft wird in der heutigen Wirtschaft unzureichend genutzt. Jüngste Untersuchungen haben ergeben, dass Wirtschaftsgüter auch firmenübergreifend falsch zugeteilt sind, sodass Kapital nicht von den Unternehmen, Sektoren oder Städten eingesetzt wird, die es am sinnvollsten nutzen könnten.16 Dies deutet darauf hin, dass die Umverteilung von Kapital und Beschäftigung von weniger produktiven hin zu produktiveren Unternehmen das Sozialprodukt drastisch erhöhen könnte.17

Zusammengenommen zeigen die Trends zunehmender Ungleichheit und stagnierenden Wachstums, dass normale Bürger in wohlhabenden Ländern nicht mehr viel besser leben als ihre Eltern. Wie der Ökonom Raj Chetty und seine Mitautoren feststellten, hatten 90 Prozent der 1940 geborenen Amerikaner einen höheren Lebensstandard als ihre Eltern, während nur 50 Prozent der 1980 geborenen Kinder dies hat-ten.18 Für andere wohlhabende Länder liegen zwar noch keine ähnlichen Zahlen vor, die Muster dürften aber ähnlich sein.

Diese Trends stellen das gleiche Problem für den neoliberalen wirtschaftlichen Konsens dar, den die Stagflation zuvor für den keynesia-nischen Konsens darstellte. Im Austausch für Ungleichheit versprach man uns wirtschaftliche Dynamik. Wir bekamen zwar die Ungleichheit, doch die Dynamik nimmt de facto ab. Nennen wir es stagnequality – geringeres Wachstum bei gleichzeitig zunehmender Ungleichheit anstelle von Inflation. Es verwundert daher nicht, dass die Öffentlichkeit die klassische Sicht von Ökonomen ablehnt.

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