Читать книгу Es geschah aus Liebe - Ernst Meder - Страница 14

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»Hallo Mama« Marie blickte nicht auf, sondern hämmerte weiter auf ihr Smartphone ein, als Ayla die Küche betrat. Zwischendurch schob sie sich immer mal wieder einen Löffel mit Müsli in den Mund und kaute vernehmlich.

Ayla setzte ihren türkischen Kaffee auf, ein Vermächtnis ihrer verstorbenen Mutter, und setzte sich zu Marie an den Frühstückstisch. Nachdenklich betrachtete sie ihre Tochter und dachte an das junge Mädchen von gestern, das auf so schreckliche Weise aus dem Leben gerissen wurde. Wann würde es so weit sein, dass sie sich ebensolche Sorgen machen musste, wie die Mutter von Sarah.

Spontan stand sie auf, ging zu ihrer Tochter und nahm diese gegen ihren Widerstand in die Arme und drückte sie.

»Mamaaaaa jetzt hast Du mir mein Spiel kaputtgemacht« jammerte diese »hätte das nicht noch etwas Zeit gehabt.«

»Entschuldige für das Spiel aber das hatte gerade keine Zeit, ich musste Dich einfach an mich drücken« in Gedanken setzt sie hinzu wer weiß schon, wie lange das noch möglich ist.

»Ähm Mama« sie zögerte, als ob es ihr schwerfiel, darüber zu reden.

»Was ist los, na sag schon« ermunterte sie Marie.

»Ich war gestern bei Baba« sie wartete auf eine Reaktion, die auch sofort kommt. Sie sagt zu ihrem Vater Baba und nicht Vater oder Papa und sie hatte es von ihr übernommen. Sie nannte ihren Vater ebenfalls Baba wahrscheinlich als Reminiszenz an das Land ihrer Väter.

»Du solltest doch zu Opa« sie sagte es scharf, denn im Gegensatz zum türkischen Begriff Baba hatte Ayla schon immer die Bezeichnung Opa anstelle von Dede vorgezogen.

»Baba hat mich angerufen, er wollte mich treffen, um etwas mit mir zu besprechen. Aber ich habe sofort Opa angerufen und ihm Bescheid gesagt.«

»Und was wollte Dein Vater mit Dir besprechen, was war so wichtig, dass es nicht warten konnte« nun klang sie zwar weniger grimmig, aber nur weil sie die Besonnenheit ihrer Tochter tolerierte.

»Baba wollte, dass ich mit zur Babaannem komme, weil sie Sehnsucht nach mir hat und weil sie mich so lange nicht gesehen hat.« Zuerst etwas stockend aber dann doch flüssig sprach sie weiter. »Aber ich habe ihm gesagt, dass ich nicht mitgehe und er ganz genau weiß, dass sie sich mir nicht mehr nähern darf. Und er soll erst mit Dir darüber reden.« Hörbar erleichtert, aber froh es sich von der Seele geredet zu haben, sieht sie ihre Mutter an.

Der erste Impuls war Ablehnung, sollte sie doch der Teufel holen, an ihre Tochter würde sie die Hexe nicht mehr lassen, dann jedoch versuchte sie, nachzuvollziehen was ihre Tochter wollte.

»Möchtest Du sie sehen, möchtest Du mit ihr reden.« Sie versuchte, es neutral zu sagen, wollte Marie nicht beeinflussen, wollte nicht, dass diese ihr später Vorwürfe machte, sie habe jeglichen Kontakt zu dem anderen Teil ihrer Familie verhindert.

»Vielleicht« sie wirkte, als habe sie lange darüber nachgedacht. »Wenn Du in der Nähe bist, dann habe ich keine Angst. Ich möchte sie fragen, warum sie mir das antun wollte. Ich verstehe es nicht, möchte ihr aber wenigstens die Möglichkeit geben, es mir zu erklären.«

Marie klang erwachsener, als sie zu Beginn der Diskussion reagiert hatte. Eigentlich hätte sie wissen müssen, dass sie sich auf ihre Tochter verlassen konnte.

Diesem Zwist ging natürlich eine Vorgeschichte voraus, die sehr unschön verlaufen war und die in ihrem Ursprung nicht nur in der Zeit vor ihrer Ehe lag. Sie hatte Ahmet ihren späteren Mann und Vater von Marie an der Humboldt-Universität kennengelernt, wo er Ingenieurwesen und sie Jura studierte. Obwohl vier Jahre jünger als Ahmet, war sie bereits Rechtsanwältin, während er sich noch im Grundstudium abmühte.

Ahmet, der sich immer häufiger mit ihr verabredete, zeigte all die Attribute, die sie an einem Mann schätzte. Er war höflich und zuvorkommend, respektierte ihre Meinung, auch wenn diese erkennbar nicht seiner Meinung entsprach. Später, wenn sie über diese Zeit sprach, erkannte sie natürlich, dass er damit ein Ziel verfolgte und diesem Ziel vieles unterordnete.

Das Sprichwort Liebe macht blind, bestätigte sich auch hier und so kam es, dass sie seine Familie kennenlernte, als er von Heirat sprach. Obwohl strenggläubig und das herkömmliche Frauenbild achtend, gab man sich weltoffen.

Dass sein Weltbild nicht ganz so offen war wie vorher immer behauptet, erfuhr sie kurz vor der Heirat, als sie bei einem Detail unterschiedlicher Meinung waren. Um seine Ansichten durchzusetzen, schlug er sie. Es war nur ein Schlag, aber er erschütterte sie bis ins Mark.

Obwohl sie zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger war, sagte sie die Hochzeit ab und verließ die gemeinsame Wohnung. Nach langer Überredung und vielmaligen Schwüren sie nie wieder schlagen, es sei ein einmaliges Versehen, sagte er damals, ließ sie sich überreden und heiratete ihn.

Zum nächsten Zwischenfall kam es etwa drei Jahre später, als erneut Streitigkeiten handgreiflich ausgetragen wurden. Dieses Mal waren die Auswirkungen gravierender und sie packte ein paar Sachen, nahm ihre Tochter und verließ die Wohnung. Von einem Polizeiarzt ließ sie die Spuren der Gewalt aufnehmen und reichte die Scheidung ein.

Die Zeit danach war schwierig und ohne ihre Eltern - ihre Mutter lebte zu dem Zeitpunkt noch - wäre es unmöglich gewesen. Aber all diese Widrigkeiten sollten nicht dazu führen, dass sie Marie ihrem Vater oder ihren Großeltern entzog. Erst ein Ereignis kurz vor dem dreizehnten Geburtstag von Marie führte zum endgültigen Bruch mit folgenschweren Auswirkungen.

Marie, die regelmäßig ihre Großeltern besuchte, wurde unbeabsichtigt Zeugin eines Gesprächs zwischen ihrem Vater und seiner Mutter, in der es um Heirat ging. In der Annahme ihr Vater will wieder heiraten, lauschte sie, ohne sich bemerkbar zu machen, und hörte zu ihrem Erstaunen, dass es um ihre Hochzeit gehen sollte.

Bei dem jährlichen Urlaub im Ferienhaus der Familie in der Türkei sollte Marie mit einem Bekannten, einem vermögenden Unternehmer verheiratet werden. Das Gehörte in einen Zusammenhang mit dem Foto zu bringen, das ihre Großmutter ihr seit einiger Zeit immer wieder zeigte, um die Vorzüge dieses Mannes zu rühmen, fiel ihr auch als dreizehnjährige nicht schwer.

Die Wut über diese ungeheuerliche Absicht hätte beinahe zu unüberlegten Handlungen geführt, erst ihr Vater brachte sie dazu, das Ganze als Mutter und Juristin zu betrachten. Sie nutzte Kontakte innerhalb der Polizei, Marie sagte vor einer Kollegin aus und diese veranlasste ein vorläufiges Kontaktverbot.

Bei einem späteren Prozess wurde den ehemaligen Schwiegereltern untersagt sich Marie bis auf dreißig Meter zu nähern, ihr Vater durfte sie nur im Beisein einer Betreuerin aus dem Jugendamt sehen. Als sie ihr drohten, Marie zu entführen setzte sie missbräuchlich den polizeilichen Apparat ein, um die in ihrer Ehe erlangten Erkenntnisse gegen sie zu verwenden.

Sie hatte bei Familientreffen mitbekommen, dass immer wieder über Familienmitglieder gesprochen wurde, die sich illegal in Deutschland aufhielten und teilweise erfolgreich Geschäfte über Strohmänner betrieben.

Insgesamt vierzehn Familienmitglieder samt Adresse hatte sie herausgefunden und ihrer Ex-Schwiegermutter vorgelegt. Dann sprach sie die Drohung aus, die aus dem Krieg eine Pattsituation entstehen ließ. Wenn Marie oder mir etwas geschieht, wird Marie bei meinem Vater untergebracht aber diese Personen, damit schob sie ihr die Liste der illegalen Familienmitglieder zu, werden innerhalb weniger Tage ausgewiesen. Und ich habe dafür gesorgt, dass sie erfahren werden, wer dafür verantwortlich ist.

Seit nunmehr fünfzehn Monaten herrschte Stille und Marie bestätigte immer wieder, dass keine Versuche zur Kontaktaufnahme stattgefunden hatten. Bis heute, als ihr Vater sie zu überreden versuchte zu ihrer Großmutter zu fahren.

Mit einem Ruck blickte sie auf und sah Marie in die Augen. Diese hatte die ganze Zeit geschwiegen, hatte darauf gewartet, bis ihre Mutter aus dem tranceähnlichen Zustand wieder in die Realität zurückkehrte. Sie drehte sich zu ihrem Kaffee, Marie hatte ihn wohl von der Herdplatte entfernt, als er übergekocht war.

»Du merkst, es fällt mir schwer, eine Entscheidung zu treffen, auch weil schon wieder versucht wurde, gegen Verabredungen zu verstoßen.« Sie nahm die Hände von Marie in ihre Hände »aber, wenn Du es unbedingt willst, werden wir einen Weg finden.« Jetzt blickte sie ihr prüfend in die Augen »ist das so in Ordnung für Dich.«

»Danke Mama« sie sagte es nachdenklich fast mit Bedacht und in ihrer leisen Stimme klang Ungewissheit mit, so als sei sie selbst nicht mehr sicher.

Es geschah aus Liebe

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