Читать книгу Die Falkner vom Falkenhof - Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem - Страница 4

Kapitel 2

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Bei Professor Balthasar trennte man sich bald, nachdem Donna Dolores sich entfernt hatte.

„Es freut mich“, hatte Keppler gesagt, nachdem sie gegangen, „es freut mich, dass sie gerade die ›Satanella‹ komponiert hat, und dass sie's bekannte trotz Ihrer scharfen Äußerungen, Baron Falkner, die sie gehört haben muss.“

„Das bestätigt nur meine Worte“, erwiderte der Legationsrat und ergriff seinen Hut.

„Nun, ich kann das doch nicht so ohne Weiteres zugeben“, meinte Balthasar nachdenklich, „dass sie mit ihrem Bekenntnis das harte Urteil bestätigte, gerade das beweist, dass sie es nicht zu scheuen hat.“

Falkner zuckte die Achseln.

„Da gehen unsere Ansichten auseinander, Professor. Die Kühnheit der Falconieros blendet Sie, wie ihr Genie die Menge. Mir ist dieses laute Bekenntnis der eigenen Herzlosigkeit mehr zuwider, als ich es ausdrücken kann.“

„Halt, rechnen Sie diese kleine Teufelei der Senora nicht zu hoch an“, sagte Keppler lachend, „Sie haben sie gereizt.“

„Wie konnte ich ahnen, dass sie lauschte? Überdies – es konnte ihr nicht schaden, die Wahrheit zu hören.“

„Das heißt: ihre Ansicht, Baron“, erwiderte Keppler mit Betonung. „Oder wollen Sie an Ihrer Behauptung, Donna Dolores habe kein Herz, auch jetzt noch festhalten, nachdem wir sie so ergreifend singen hörten?“

Ein beinahe feindseliger Blick aus Falkners Augen streifte den Maler.

„Sie sind selbst Künstler, Herr Keppler“, sagte er kalt, „Sie sollten doch am Ende wissen, wie man Effekt macht. Ich bedauere, wenn meine Zweifel nicht zu Ihren Ansichten stimmen, aber es ist mir unmöglich, an die Wahrheit der so schön vorgetragenen Gefühle einer Berufssängerin zu glauben.“

„Das also ist Ihr Schlagwort?“ Eine feine Röte flog über das geistreiche Gesicht des Malers. „Eine Berufssängerin. Sie denken sich darunter natürlich ein Wesen, das möglichst viel Kapital aus ihrer Stimme schlägt und, wie der Schuster seinen Pechdraht, allabendlich ihre Gesangspartie abarbeitet? Ich beneide Sie nicht um diese gewonnene Erkenntnis, Baron Falkner; ich freue mich, dass ich naiv genug geblieben bin, um an die Heiligkeit eines wahren Künstlertums zu glauben.“

„Chacun á son goût“, erwiderte Falkner leichthin, „ich bekenne, dass mir ein so starker Glaube fehlt, wenn ich auch zugestehen will, dass es in früheren Zeiten solche nur um der Kunst willen wirkende Künstler gegeben hat.“

„In jedem Fall ist die Grundidee der ›Satanella‹ tief durchdacht“, mischte sich der Professor ins Gespräch.

„Meinem Geschmack nach zu tief durchdacht für eine so junge Dame wie diese deutsche Brasilianerin“, unterbrach ihn Falkner nicht ohne Hohn.

„Nun, nun – einmal hat sie nur die Musik gemacht und nicht die Worte, und dann sehe ich von der Person völlig ab und zolle gern dem Werk die gebührende Anerkennung“, rief Balthasar, lebhafter werdend.

„Und ich vermag die Person von dem Werk nicht zu trennen, da sie mit diesem durch ihren Individualismus verbunden ist.“

„O Sie Barbar!“, rief Frau Balthasar, lachend zwischen die Herren tretend, deren Gespräch sie allzu scharf zugespitzt fand, „wie können Sie so hart sein? Aber wir wollen Ihnen verzeihen, wenn Sie das Zugeständnis machen, dass Senora Falconieros eine ungewöhnlich begabte, hervorragende Frau ist.“

Falkner verbeugte sich.

„Ich gebe das zu“, sagte er, „aber mir fehlen Verständnis und Geschmack für dergleichen ›ungewöhnliche und hervorragende Frauen‹, die in unseren Kreisen gottlob nicht üblich sind.“

Abermals eine Verbeugung, und Falkner verließ den kleinen Kreis.

„Das sind empörende Ansichten“, brach nun Frau Balthasar los. „Ich begreife nicht, wie ein Mann von der geistigen Bedeutung des Barons so engherzig sein kann.“

„Liebe Marianne, es mag sehr schwer sein, sich aus den fest geschnürten Wickelkissen gewisser Vorurteile herauszuarbeiten“, entgegnete der Professor kaltblütig. „Auch wir haben unsere Vorurteile, ohne dass wir es wissen, und auch wir gehen bei der Verteidigung unserer Ansichten aus Eigensinn und angeborener Rechthaberei weiter, als wir zunächst beabsichtigten. Überdies kann kein Mensch gegen seine Antipathien.“

„Falkners Äußerungen gegen Dolores deuten auf mehr als bloße Antipathie.“

„Das ist noch kein Grund, weshalb die beiden sich nicht noch einmal fabelhaft lieben sollten“, sagte Balthasar humoristisch.

„Unsinn.“

„Was willst du? Wie sagte Julia, als sie sehr rasch die Bekanntschaft ihres Romeo gemacht hatte?

So große Lieb' aus großem Hass entbrannt!

Ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt.

O Wunderwerk! ich fühle mich getrieben,

Den ärgsten Feind aufs Zärtlichste zu lieben.“

Frau Marianne lachte.

„Du vergisst, lieber Mann, dass weder Baron Falkner das Zeug zu einem Romeo hat, noch Donna Dolores, unsere Satanella, sich in eine schmachtende Julia verwandeln wird.“

„Weshalb nicht?“, meinte Keppler, indem er dem Paar gute Nacht bot, „die Natur spielt wunderbar, und am Ende hat jede Frau soviel von einer Julia in sich wie jeder Mann von einem Romeo.“

Inzwischen hatte Falkner seine Wohnung erreicht, aber er konnte noch keine Ruhe finden. Er trat ans Fenster, öffnete es und ließ die kalte Nachtluft ins Zimmer strömen. Obwohl der Winter sich dem Ende zuneigte und man auf den Straßen schon die ersten Frühlingsboten in Gestalt winziger Veilchen- und Schneeglöckchensträuße verkaufte, war seine Herrschaft noch nicht gebrochen, noch zeigte er manchmal empfindlich seine Macht.

Falkner war erregt, und dass er's war, ärgerte ihn um der Ursache willen.

„Um eine Sängerin“, murmelte er verächtlich, und doch konnte er das Bild dieser Sängerin nicht loswerden – es gaukelte ihm vor den Augen und blendete ihn.

„Ich hasse rote Haare“ – sagte er sich, indem seine Fantasie die goldenen Haarmassen der Satanella in jene fuchsige Farbe tauchte, die im Verein mit wässerigen Augen und fleckigem Teint so abstoßend wirkt.

„Sie werden bei Tageslicht so aussehen“, sagte er sich, „und die dunklen Brauen und Wimpern werden die Spuren der Farbe zeigen –“

Aber die Augen! Nein, die zu färben war ja ein Ding der Unmöglichkeit.

„Hüte dich vor allen, deren Haarfarbe von der der Augen absticht“, sagte er vor sich hin und musste gleichzeitig lächeln über die ausgekramte Kinderfrauenweisheit. Und am Ende, was ging ihn die „Brasilianerin“ an, die vielleicht in ihrem Privatleben den seltenen Namen Jette Müller oder Gustel Schulze führte. Der Gedanke daran zwang ihn zum Lachen.

„Donna Dolores Falconieros“, sagte er mit pathetischem Spott, „ich werde Ihnen aus dem Wege gehen. Zum Glück habe ich gar nichts mit Ihnen zu schaffen, voraussichtlich auch nicht in späterer Zeit. Unsere Wege führen sehr weit auseinander.“

Mit diesem Entschlusse glaubte Alfred von Falkner die Sache erledigt zu haben. Aber da fiel ihm das Lied ein:

Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit

Tönt ein Lied mir immerdar – –

Er kannte das Lied, aber wer hatte es gesungen, wann war es gesungen worden und von wem? Er sammelte seine Erinnerungen und dachte an die längstvergangenen Kinderjahre. Wen hatte damals der Falkenhof beherbergt? Er erinnerte sich nur eines prächtigen grünen Papageien, der ihm den Mittelfinger der rechten Hand durch und durch gebissen hatte, sodass man die Narbe heute noch sah. Damals hatte ihn jemand verlacht mit hellem, lustigem Lachen und ihm gesagt: „Es geschieht dir schon recht, denn wer hieß dich den armen Rio zu reizen!“

Er hörte plötzlich ganz deutlich die Worte wieder. Ganz richtig, Rio war der Name des klugen Vogels, der, wie er sich deutlich erinnerte, in drei verschiedenen Sprachen zu schimpfen verstand und dabei boshaft genug aussah. Nach jenem Biss und dem unbarmherzigen Lachen war er, Alfred Falkner, zum Oheim und Lehnsherrn gelaufen, um sich bitter zu beklagen, und seine Mutter, damals noch Witwe seines Vaters, hatte ihm tröstend den blutenden Finger verbunden und dazu finsteren Angesichts über das „herzlose fremde Ding“ gemurrt, das an den Schmerzen anderer seine Freude habe.

Aber wer war die Gescholtene?

Der Lehnsherr vom Falkenhof hatte zwei Brüder, eigenwillige, unbeugsame Naturen, wie sie das Falkengeschlecht nur jemals aufzuweisen hatte. Der jüngere der beiden, Alfreds Vater, hatte, während er des Königs Rock trug, sein und seiner Gattin Vermögen völlig vergeudet und starb kurz vor dem drohenden Ruin. Der Freiherr von Falkner nahm nun die Witwe mit dem Knaben zu sich und hielt diesem einen Erzieher, der seine Stellung so zu befestigen und sich so unentbehrlich zu machen verstand, dass ihm schließlich die immer noch stattliche Witwe die Hand reichte. Da sie nun auf dem Falkenhofe seit mehreren Jahren die Pflichten einer Hausfrau versah, weil der Lehnsherr unvermählt geblieben war, so wollte der Freiherr die Schwägerin, die seine Interessen vortrefflich zu wahren verstand, nicht mehr entbehren, und so geschah es, dass sie mit ihrem Gatten einen Flügel des Falkenhofes zu dauerndem Aufenthalt bezog.

Der ältere Bruder des Lehnsherrn war ein unruhiger Kopf gewesen, dessen erinnerte sich Alfred Falkner genau. Aber da er ihm im fünfzehnten Lebensjahre bereits aus den Augen entschwunden war und auch kein Mensch mehr seinen Namen genannt hatte, so wusste er nichts mehr von ihm. Zwanzig Jahre sind eine Zeit, in der man vergessen kann, besonders wenn der Gegenstand des Vergessens totgeschwiegen wird. Je mehr indessen Alfred Falkner der entschwundenen Erinnerung nachsann, desto mehr gewann er davon zurück, und nun trat auch die hohe, blonde Erscheinung des Oheims wieder vor sein geistiges Auge. Er erinnerte sich dunkel, dass der seltsamerweise nie mehr Erwähnte gleich ihm Diplomat war und jahrelang einer Gesandtschaft angehörte, die jedenfalls im Süden zu suchen war. Undeutlich zwar, aber doch mit Bestimmtheit entsann er sich, ein Gespräch zwischen seiner Mutter und dem Lehnsherrn belauscht zu haben, in dem sich dieser bitter darüber beklagte, dass der Bruder in einer zornigen Aufwallung den Dienst quittiert und obendrein sein Vermögen beim Zusammenbruch eines Bankhauses verloren hat.

Der Zusammenbruch eines Bankhauses! Diese Redefigur hatte damals auf Alfred tiefen Eindruck gemacht, denn er konnte sich gar nicht vorstellen, wie ein Bankhaus zusammenbrechen konnte.

Nun erinnerte er sich ganz deutlich, wie der Oheim mit Kind und Kegel, mit Sack und Pack auf dem Falkenhof seinen Einzug hielt; er hatte von einem Mansardenfenster aus mit atemloser Neugier zugesehen, denn es war ihm zu Ohren gekommen, der Herr des Hauses habe von einer Mulatten- und Negerwirtschaft gesprochen, die nun die altdeutschen Räume des Falkenhofes entweihen werde.

Das hatte in seiner jungen, unternehmungslustigen Knabenseele gezündet, und glühend vor Erregung hatte er die Mutter gefragt, ob denn der Oheim ein Fürst aus dem Morgenlande sei, dass er mit Mulatten und Negern komme. Frau von Falkner hatte ihm lachend geantwortet, der Onkel sei höchstens ein Bettlerfürst, aber seine Frau, die Tante, wäre vielleicht eine Mulattin oder etwas Ähnliches, jedenfalls eine „Fremde“.

Und nun kam der Onkel Bettlerfürst an, aber nur eine einzige große Negerin mit ihm, vor der sich Alfred natürlich entsetzlich fürchtete, wie vor dem leibhaftigen Teufel. Die Tante war jedenfalls nicht schwarz von Angesicht, das war schon ein Trost. Sie brachten auch ein kleines Mädchen mit, hell und licht wie eine Elfe, mit einem prächtigen Papagei, namens Rio, auf der Schulter, der den Hausherrn sofort mit einem kräftig schnarrenden „Filou! Filou!“ begrüßte. Jedenfalls war das im Lande der Mulatten eine Höflichkeitsform, wie Alfred meinte; er wunderte sich aber sehr, dass der also Begrüßte vor Zorn blass wurde und gleich in der Stunde der Ankunft seine bissigsten Redensarten hervorkramte.

Damals hatte er zum ersten Mal jenes helle, seltsame Lachen gehört, dessen er sich so genau zu erinnern wusste; er hatte gesehen, wie das kleine Mädchen den vorlauten Vogel gestreichelt hatte, worauf er, ermuntert und angefeuert durch den gespendeten Beifall, seiner ersten Äußerung noch ein lebhaftes „Caracho“ folgen ließ.

Nach dieser wichtigen Begebenheit wurden seine Erinnerungen wieder dunkler. Er entsann sich nur, dass das kleine Mädchen, das damals halb so alt wie er selbst gewesen sein mochte, sein Spielkamerad wurde und unaufhörlich an seiner Seite blieb, bis jener Biss des Papageien einen unheilbaren Riss in seinen Mittelfinger und das Lachen seiner kleinen Cousine einen ebensolchen in die Freundschaft brachte. Er kümmerte sich nach Knabenart nicht mehr um sie und um die fremden Bewohner des Falkenhofes, von denen er sich nicht besinnen konnte, sie überhaupt oft gesehen zu haben. Nur zuweilen hörte er die helle Stimme der Kleinen durch die Kreuzgänge hallen.

Mit seinem fünfzehnten Jahre, als sein Erzieher seine Mutter heiratete, kam er auf ein Gymnasium, um dort sein Abitur zu machen. Zwei Jahre lang, während der er den Falkenhof nicht wiedersah, dauerte sein Studium, dann legte er eine Prüfung ab und trat sofort seine Reise nach der Universität an. Nach den ersten zwei Semestern seines Studentenlebens besuchte er zum ersten Mal wieder die Heimat. Dort fand er alles in hastender Tätigkeit – die „Fremden“ sollten den Falkenhof verlassen. Es war ein schrecklicher Streit unter den beiden Brüdern ausgebrochen, der sofort das Verhältnis trennte; was eigentlich vorgefallen war, darüber erfuhr er keine Silbe. Man war nicht sehr mitteilsam auf dem Falkenhof.

Der Oheim hatte schon einige Tage vorher das Haus seines Bruders verlassen, jetzt folgte ihm seine Familie nach, und Alfred entsann sich genau der hochgepackten Wagen, die bei seiner Ankunft vorläufig noch unbespannt vor dem großen Tor ihrer Insassen harrten.

Als Alfred am selben Abend allein durch die Kreuzgänge des inneren Hofes schritt, die Zigarre im Munde und das Mondlicht beobachtend, wie es durch die doppelten Säulenreihen der mit Efeu und Kletterrosen umsponnenen gotischen Bogen huschte und sich in breiten, fahlgrünlichen, glänzenden Streifen auf die Steinfliesen legte, da hörte er plötzlich eine wunderschöne, wenn auch noch kindlich klingende Stimme ein einfaches Volkslied singen:

„Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit

Tönt ein Lied mir immerdar – –“

Er hatte das Lied hundertmal gehört und wohl auch selbst gesummt, dennoch aber veranlasste es ihn diesmal stillzustehen und den süßen Tönen zu lauschen. Sein nächster Gedanke galt der Sängerin – wer und wo war sie? Er brauchte nicht lange zu suchen. Die Gebäude umschlossen ein viereckiges Stück Land, auf dem von jeher ein herrlicher Blumenflor grünte und blühte. Inmitten des Gartens befand sich das Bassin eines großen Brunnens, und vier kräftige kristallhelle Wasserstrahlen ergossen sich aus ebenso vielen dräuenden Delfinköpfen in das graue steinerne Becken, das außen üppig mit grünem Farnkraut und Huflattich umsäumt war. Die vier mächtigen Schweife der Delfine vereinigten sich in der Mitte des Brunnens zu einem säulenartigen Gewinde, das sich nach oben vasenförmig öffnete und eine ehemals vergoldet gewesene, mächtige siebenzackige Freiherrnkrone trug.

Auf dem Rande des Bassins saß oder schwebte die Sängerin des ergreifenden Liedes – eine weiß gekleidete Mädchengestalt, ein Kind, mit lang herabwallenden Haaren, die im Mondlicht glänzten wie flüssiges, mit Kupfer gemischtes Gold.

Alfred meinte an jenem Abend eine jener Lichtelfen zu sehen, wie das Märchen sie beschreibt, so duftig und zart wie aus Mondschein gewoben. Er wagte nicht, sich zu rühren, aus Furcht, die Elfengestalt am Brunnenrand könnte in Nebel zerfließen, wie es die Art dieser holden Geister ist.

„Und die Schwalbe singt, und die Schwalbe singt

Im Dorf wie einst – –“

verklang das Lied. Die Sängerin aber erhob sich und stand im nächsten Augenblick auf dem Rande des Bassins, einen Kranz von Rosen und dunklem Blattwerk in den Händen – sie hatte ihn während des Singens gewunden.

Mit sicheren schnellen Schritten ging sie rings auf dem schmalen Rand des Bassins herum, als sei sie an solche handbreiten Pfade gewöhnt.

Da tönte eine erschrockene Stimme aus dem im Schatten liegenden Flügel des Falkenhofes hervor: „Bei allen Heiligen, Kind, halt ein, du fällst!“

Und nun lacht die Elfe als Antwort. Ein lustiges, helles Lachen, das einen Anflug von Spott hatte.

„Lass mich nur machen“, rief sie zurück, „ich habe hier einen schönen Kranz gewunden, meinen Abschiedsgruß dem Falkenhof! Den will ich der Steinkrone da droben überwerfen, damit sie auch einmal etwas von Rosenduft spürt – –“

„Kindereien – komm ins Haus, es ist spät“, kam die strenge Stimme zurück.

„Ich komme schon – aber erst den Kranz“, antwortete die Elfe im Mondlicht, „er kann der alten verwitterten Krone nicht schaden, der frische Schmuck, wenn er auch morgen früh schon welk ist. Vielleicht blüht er noch einmal auf.“

Sie hob den Arm und warf den Kranz so sicher, dass er richtig über die Krone fiel und ihre sieben perlengezierten Zacken wie mit Purpur umsäumte.

„Wie schön“ – rief die Elfe triumphierend, aber im selben Moment glitt ihr Fuß auf dem schlüpfrigen Gestein aus – ein Schrei aus dem Dunkel des Hauses, und die weiße Gestalt verschwand in dem hoch aufspritzenden Wasser des Bassins.

Mit einem Sprunge war Alfred im Hof und am Brunnen – seine kräftigen Arme zogen die leichte Gestalt aus dem Wasser und setzten sie vorsichtig auf den trockenen Boden. Sie war nicht bewusstlos, kaum erschrocken, und ihre Augen, die ihm im Mondlicht seltsam dunkel erschienen, sahen ihn fragend an.

„Bist du – sind Sie verletzt?“, fragte er stockend.

Da lachte sie schon wieder.

„O nein“, sagte sie, „der Oheim drinnen hat mir's hundertmal gesagt, ich sei eine herzlose Person – und denen geschieht nichts, wenn sie ins Wasser fallen, sie können nicht untergehen. Nur Menschen, die ein Herz haben, zieht's auf den Grund.“

„So? Und was klopft denn da bei dir an der Stelle, wo bei anderen Menschen das Herz sitzt?“ fragte Alfred belustigt.

„Da?“ Sie legte die Hand auf die Stelle. „Oh, da liegt bei mir ein hohler Muskel.“

„Wirklich? Und fühlt der Muskel nichts?“

Sie sah ihn groß an.

„Nein –“, sagte sie langsam, „es muss wohl nicht sein, denn der Oheim sagt, ich sei herz- und gefühllos – ein Satanskind.“

Und nun lachte sie wieder auf, dass es wie der Ruf der Spottdrossel durch den Garten und die Kreuzgänge klang, raffte ihr triefend nasses Kleid zusammen und floh ins Haus.

Am nächsten Morgen, als er ins Freie hinaustrat, waren die Wagen verschwunden. Die „Fremden“ waren abgereist, und „es krähte kein Hahn nach ihnen“, wie Mamsell Köhler, die Beschließerin, sagte, als sie an das Inordnungbringen des verlassenen Flügels ging.

Nein, es krähte kein Hahn nach ihnen, denn nicht mit einer Silbe wurden sie erwähnt von dem Oheim, der Mutter und deren Gatten.

Nur einer vermisste das Satanskind – das war der Verwalter des Gutes, ein mittelalterlicher Hagestolz, dem es tausend und aber tausend lustige kleine Streiche gespielt hatte, wie allen im Hause, nur dass es drinnen Empörung und sittliche Entrüstung über den „schlechten Charakter“ gab, während er lachte. Dafür sang sie ihm abends, auf dem Fensterbrett seines Häuschens hockend, Lieder zur Mandoline vor.

Alfred von Falkner seufzte tief auf – er war mit seinen Erinnerungen zu Ende. Es war nicht viel und nur sehr Unklares, da man ja auf dem Falkenhofe das niederdrückende System des „Totschweigens“ übte und unliebsamen Personen keine Silbe gönnte. Aber er war dennoch zufrieden, nun wusste er doch, wo er das Lied gehört hatte, das die „Komödiantin“ gesungen.

Bei dieser Erkenntnis fuhr ihm ein jäher Schreck wie ein glühender Strom durch das Herz – ihm war, als gliche die Satanella des heutigen Abends der kleinen zarten Elfe von damals, als sie im Mondlicht am Brunnen ganz ernsthaft ihre Herzlosigkeit behauptete.

Im nächsten Augenblick aber musste er sein Erschrecken belächeln.

„Unsinn“, sagte er vor sich hin, „meine Nerven sind erregt von der Satansmusik der im Grunde geschmacklosen Oper. Es war das Lied, das mir den hirnverbrannten Gedanken eingab – denn das kleine Mädchen, das es vor vierzehn Jahren sang, war am Ende doch eine Freiin von Falkner.“

Mit diesem beruhigenden Gedanken suchte er sein Lager auf, aber die schlichte Weise tönte noch in seinen Träumen fort:

Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit

Tönt ein Lied mir immerdar.

Die Falkner vom Falkenhof

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