Читать книгу Die Falkner vom Falkenhof - Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem - Страница 6

Kapitel 4

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Wo der rauschende Laubwald des deutschen Nordens kühlen, wonnigen Schatten gibt, wo noch keine Axt sich gerührt, um Eichen und Buchen zu fällen und an ihrer Stelle rasselnde, qualmende Fabriken zu errichten, wo weit und breit nichts zu sehen ist als Himmel, Wald und lauschige, glitzernde kleine Seen, da liegt der Falkenhof.

Der große vierflügelige graue Steinbau mit seinen vier runden, efeubewachsenen, hoch und steil bedachten Türmen lehnt sich dicht an den grünen Wald, der hier zum Park umgeschaffen ist, während vor seiner Front sich ein mächtiger Rasenplatz, von Monatsrosen umsäumt und mit Gruppen der edelsten Rosen bepflanzt, ausdehnt. Die Wirtschaftsgebäude verbergen sich hinter dichtem Strauchwerk und Baumgruppen, sodass der Falkenhof einsam im grünen Wald zu liegen scheint – ein grauer, Stein gewordener Traum aus längst vergangenen Tagen.

Der Bau selbst entstammte dem sechzehnten Jahrhundert und war ursprünglich für ein adeliges Damenstift bestimmt gewesen, das dort nur ein kurzes Dasein gefristet und sich dann aufgelöst hatte. Da die Stifterin und Erbauerin eine Falkner gewesen war, so fiel die Besitzung an die Falkners zurück als Lehen, und ein Zweig dieser Familie ließ sich dauernd darauf nieder. Im Laufe desselben Jahrhunderts starben die anderen Linien des alten Geschlechts aus und die des Falkenhofes führte den Namen weiter bis heute.

Es waren seitdem viele junge Falken flügge geworden. Viele hatten ein friedliches Nest gefunden, andere sich im Fluge zu hoch gewagt und ihr Leben mit versengten Schwingen und gebrochenem Sinn beschlossen. Wieder andere waren verschollen, verdorben und gestorben, während einzelne kühn emporflogen zu sonnigen Höhen – wie es das Leben in großen Familien so fügt im Laufe der Jahre, Jahrhunderte.

Jetzt war das stolze Falkennest nur schwach besetzt. Der alte Freiherr und sein Neffe, der Legationsrat, waren die letzten männlichen Glieder des alten Stamms, und da der Freiherr mit einem Fuße im Grabe stand und der Neffe noch unvermählt war, so stand die Fortexistenz der Falkner auf schwachen Füßen.

Daran dachte der Freiherr Alfred, als er der Heimat seiner Kindheit entgegenfuhr. Er hatte schon oft daran gedacht, sich aber nie zur Vermählung entschließen können, einfach aus dem Grunde, weil die ihm bekannten jungen Damen sein Herz noch nicht erweckt hatten. Wenigstens fesselte keine ihn so, dass er sie zur Gemahlin hätte wählen mögen. Nicht dass er blasiert gewesen wäre; vor dieser Krankheit des gepriesenen neunzehnten Jahrhunderts bewahrte ihn sein Verstand. Aber die Hohlheit des Kopfes und Herzens, die ihm aus all den hübschen und schönen Gesichtern entgegenlachte, hatte ihn immer wieder zurückgeschreckt. „Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang“, hatte ihm eine warnende Stimme oft zugeflüstert, wenn er das Rechte getroffen zu haben glaubte. Der furchtbare Gedanke, das ganze Leben neben einer unsympathischen Gefährtin dahinwandeln zu müssen, hatte ihn wieder befreit von der drohenden Fessel. Darüber war er achtunddreißig Jahre alt und obendrein Legationsrat geworden, denn dass nur sein Geist ihn so schnell befördert, das konnte niemand dem „schönen Falkner“ bestreiten, ihm, der die Wonne und Sehnsucht aller Mütter von reifen und überreifen Töchtern war.

Er hatte ernste, fast strenge Ansichten vom Leben und von seinen Pflichten. Die diplomatische Laufbahn, in die der Oheim, seine Mutter und sein Stiefvater ihn gedrängt hatten, war nicht nach seinem Geschmack. Ihn lockte mehr die Wissenschaft, und er war auch gewillt, sich ihr ganz zuzuwenden, sobald er frei war.

Jetzt fuhr er vielleicht dieser Freiheit entgegen, durch sonnige Felder, schattige Wälder und duftende Wiesen, aber er konnte die winkende Freiheit nicht froh begrüßen, denn erstens musste sie dem Oheim, der ihn an unzerreißbaren Fesseln hielt, den Tod bringen, und dann – – –

Den zweiten Gedanken dachte er nicht aus, vielleicht weil es nicht gut ist, jeden Gedanken auszudenken, vielleicht, weil der Wagen eben in den breiten Kiesweg einbog, der, von hohen Buchen beschattet, dem südlichen Seitenportal des Falkenhofes zuführte.

Als der Wagen unter der gedeckten Einfahrt hielt, trat Alfred Falkner dem Stiefvater entgegen, eine hochgewachsene Männergestalt mit klugen, ausdrucksvollen Zügen. Das schlichte, halb ergraute Haar war glatt nach rückwärts gekämmt, sodass die eigentümlich runde, katzenkopfartige Bildung des Hauptes hervortrat. Seine Augen bedeckte eine Brille, der starke Bart auf der Oberlippe war tief dunkel, wie die dichten Brauen, die die Augen beschatteten. Das war der Doktor Ruß, der „Magister“, wie die Leute vom Falkenhof ihn nannten, eine unleugbar bedeutende Erscheinung, deren peinlichste Ordnungsliebe auch in seiner Kleidung angenehm hervortrat. Er schien zu jeder Stunde bereit zu sein, das Parkett eines Fürstensaals zu betreten, so sorgfältig und tadellos war seine Toilette.

„Willkommen, geliebter Sohn“, rief er mit leiser, sympathischer Stimme und streckte dem Freiherrn die Hände entgegen, „wir haben deiner lieben Gegenwart mit Ungeduld entgegengeharrt!“

Falkner legte seine Rechte flüchtig in eine der sich ihm entgegenstreckenden Hände – er hatte den Mann nicht leiden können, als dieser noch sein Lehrer war. Und als sich Doktor Ruß mit seiner Mutter vermählte, wurde das Gefühl gegen ihn noch bitterer, denn halb erwachsene Söhne pflegen Stiefvätern Misstrauen entgegenzubringen, und weder er noch Doktor Ruß selbst schienen die leidenschaftlichen Ausbrüche vergessen zu haben, mit denen damals der Jüngling die Nachricht begrüßte, die Mutter habe seinen Lehrer, der obendrein jünger war als sie selbst, als Gatten erwählt. Das damals feindliche Verhältnis hatte im Laufe der Zeit einem ruhigen Begegnen Platz gemacht, das die Welt freundschaftlich nennt, aber Falkners Abneigung gegen den Mann seiner Mutter war nie ganz gewichen. In seinem Inneren bäumte sich immer wieder ein unbezähmbares Gefühl auf, wenn Doktor Ruß ihn Sohn nannte.

„Steht es schon so schlimm mit dem Oheim?“, fragte er als Antwort auf die Begrüßung des Stiefvaters.

„Es war gestern schlimmer“, entgegnete der Doktor und lud den Freiherrn ein, mit ihm die Treppe hinaufzusteigen. „Der alte Herr hatte einen bösen asthmatischen Anfall, er verlangte nach dir und dem Justizrat Müller aus B. Abends verlor er das Bewusstsein, das jedoch zum Teil heute wiederkehrte. Allein ich fürchte, fürchte“ – –

Doktor Ruß schüttelte bezeichnend mit dem Kopf.

Oben an der Treppe wurde der Ankömmling von seiner Mutter begrüßt, einer stattlichen Frau, der man das Mehr der Jahre über denen des Gatten kaum ansah. Sie musste einst schön gewesen sein, aber ihre Züge waren jetzt hart, ihre kalten blauen Augen ohne Güte, und ein erkältender Zug von Hochmut lag in den herabgezogenen Mundwinkeln. Im Gegensatz zu ihrem Gatten trug sie sich einfach und unmodisch, fast nachlässig, wie man es oft bei älteren Damen findet, die einsam leben und mit der Jugend zugleich jene Nettigkeit ablegen, die ein weibliches Wesen bis ins höchste Alter hinein nicht entbehren kann.

„Guten Tag, Alfred“, sagte sie kurz, denn sie hasste Gefühlsäußerungen ebenso wie Schönfärbereien, aber ein wärmerer Strahl aus ihren kalten, durchdringenden Augen bewies, dass die Ankunft des Sohnes sie freute, infolge jenes Naturinstinkts, der – auch bei der Wölfin – Mutterliebe genannt wird. „Du siehst angegriffen aus“, setzte sie in demselben Tonfall hinzu, indem sie in das düstere Zimmer voranschritt, das sie für gewöhnlich bewohnte und auf dessen großen Mitteltisch sie eine Erfrischung hatte bereitstellen lassen.

Alfred Falkner wusste, dass die Gefühlstemperatur im Falkenhof auf dem Gefrierpunkt zu stehen pflegte. Ein derartiger Empfang enttäuschte ihn deshalb auch nicht mehr, obgleich er zu den warmfühlenden Menschen gehörte, wenn auch zu jener Spezies, die ihr Empfinden hinter der eisernen Maske des Stolzes verbergen. Dass diese Maske nicht gefallen war, durfte nicht ihm zur Last gelegt werden; er hatte eben das Hochfeuer noch nicht passiert, noch nicht in jener tauwindartigen Temperatur gestanden, die warmfühlende Menschen um sich verbreiten. Die sanftklingenden, milden Worte des Doktor Ruß hatten noch nie ein Echo in ihm wachgerufen.

Während er sich an den Tisch setzte und die gebotene Erfrischung annahm, umfasste sein Stiefvater seine Frau und küsste liebevoll ihre große, weiße Hand.

„Mein geliebtes, gutes Weib“, sagte er salbungsvoll, „es ziemt sich zu betrachten, wie der Herr die Geschicke lenkt. Dein Kind steht vor einem großen Wendepunkt seines Lebens.“

„Und ich nicht minder“, sagte sie leise, und mit fast erschreckender Leidenschaftlichkeit im Ton, die man unter dieser eisigen Hülle nicht vermutete, fügte sie hinzu: „Nach Jahren, Jahren der Abhängigkeit, der Demütigung und des Gnadenbrots!“

„Das letztere war dein Wille, geliebtes Weib“, erwiderte Ruß mit gleicher Sanftmut. „Hättest du nicht so heftig opponiert, ich hätte eine Professur gesucht und gefunden, die uns unabhängig gemacht hätte – aber die Rücksicht und der Hinblick auf deine Zukunft, Alfred, hieß uns hierbleiben und ausharren.“

„Deine Professur hätte meine Zukunft wohl kaum beeinflusst“, sagte Falkner ruhig.

„Doch – unsere Liebe zu dir gebot uns zu bleiben und dein Erbe für dich zu verwalten und zusammenzuhalten.“

Jetzt erhob sich Falkner.

„Das wäre geschehen auch ohne Erbschleicherei“, sagte er unbewegt.

Doktor Ruß hustete – dabei aber schoss ein böser Blick unter den Brillengläsern hervor auf die Reckengestalt seines Stiefsohnes, dem mit süßen Reden absolut nicht zu nahen war.

„Du bedienst dich starker Ausdrücke“, sagte er jedoch mit ruhiger Milde, so wie man es einem unbezähmbaren Kinde gegenüber zu tun pflegt.

Auf Falkners Stirn schwoll die Ader bedenklich, aber er beherrschte sich.

„Wann kann ich den Onkel sehen?“, fragte er.

„Oh, du magst gleich hineingehen“, antwortete Frau Ruß. Und ohne ein weiteres Wort verließ der Sohn das Zimmer.

„Das wird ein strenger Herr auf dem Falkenhof werden“, meinte der Doktor, indem er sein rundes Haupt sinnend wiegte.

„Eigensinnig und hartköpfig ist er, wie alle Falkner“, erwiderte sie achselzuckend. „Mir fiel nur der Ernst auf, den er diesmal in erhöhtem Maße mitgebracht – das sieht fast aus wie Schwermut.“

„Daran denkt nur dein Mutterherz, meine Liebe. Ihr Mütter nehmt oft für Schwermut, was vielleicht nur – Schulden sind“, sagte der Doktor mit leisem Lachen.

„Möglich“, entgegnete sie kühl.

Währenddessen schritt Alfred Falkner den Korridor des Südflügels entlang und bog in den östlichen Teil des Hauses ein, in dem der jetzige Herr des Falkenhofs wohnte. Während er dem entgegenschritt, sah er durch die von schlanken Säulen getragenen Spitzbogen, die die kreuzgangartigen Korridore nach innen begrenzten, in den geräumigen Hof hinab, dessen graue Mauern bis zu den steilen Giebeldächern hinauf mit Klematis, Kletterrosen und Efeu umsponnen waren. Da blühten die Rosen wie ehemals auf dem smaragdgrünen Rasen, und aus dem Brunnen mit den Delfinen, deren gewundene, sich nach oben bäumende Leiber die Freiherrnkrone trugen, rauschten die kühlen, kristallhellen Wasserstrahlen wie damals, als in der Nacht die Feengestalt mit dem goldenen Haar am Bassinrande schwebte, einen Kranz flocht und dazu sang.

Warum ihm dieses Mädchen nur immer mit der Gestalt der Sängerin der Satanella verschmolz? Er blieb einen Augenblick stehen und sah hinab in den Hof, der jetzt ganz von Sonne erfüllt war, und es kam ihm der Gedanke, ob wohl der Rosenkranz, den sie damals nach der Krone warf und der an deren Zacken hängen blieb, schon ganz zu Staub geworden sei? Ärgerlich wandte er sich ab und schritt weiter – zu welch absurden Gedanken ließ sich der Mensch doch mitunter hinreißen.

Er betrat den östlichen Frontflügel, der parallel mit dem westlichen lief und die anderen Flügel an Länge bedeutend überragte, sodass das ganze Gebäude ein längliches Viereck bildete. Hier wohnte der Schlossherr, und hier in der sogenannten Bibliothek, die aber mehr Familienarchiv war, verbrachte er den größten Teil seines Lebens mit heraldischen und genealogischen Forschungen. Aber der lange, weite Raum, dessen Bücherreihen die Familienpapiere bargen, sodass eigentlich nichts in ihm an eine Bibliothek erinnerte, war leer; die schweren dunkelblauen Plüschvorhänge der drei Bogenfenster waren herabgelassen. Den Schritt dämpfend, durchmaß Falkner den Raum und öffnete leise die ins Wohnzimmer des Onkels führende Tür – und dort, vor seinem offenen Schreibtisch saß er, die wohlbekannte, verkrüppelte Gestalt mit dem Höcker, tief in den grünen Saffiansessel vergraben, rechts und links an den Sessel gelehnt die Krücken, mit denen er sich so schnell und gewandt fortzubewegen verstand. Aber das gelbe, vertrocknete, hässliche und bartlose Gesicht mit den langgezogenen Zügen, dem spitzen Kinn und den boshaften Augen – wie verändert sah es dem Eintretenden entgegen! Uralt, wie aus Pergament gepresst, hatte dieses Antlitz ja immer ausgesehen, selbst in den Tagen der Jugend seines Besitzers, aber heute war doch etwas Besonderes darin – die Runen des Todes.

„Ah, Mosjö Alfred“, schnarrte der alte Herr trotz der drohenden Zeichen in seinem Antlitz mit dem gewohnten spöttischen Ton. „Was verschafft mir die hohe Ehre deines Besuches?“

„Meine Mutter schrieb mir, du seist krank, Onkel. Da wollte ich doch einmal selbst nach dir sehen“, erwiderte Falkner herzlich und reichte dem armen reichen Krüppel die Hand.

Kichernd wie ein Kobold, kitzelte der alte Freiherr mit der Fahne der Gänsefeder, die er in der spindeldürren, großen gelben Rechten hielt, die Fläche der ihm gebotenen Hand. „Das Opfer liegt – die Raben steigen nieder“, zitierte er mit blinzelnden Augen.

Sofort zog Falkner seine Hand zurück und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen.

„Hoho, wohin?“, rief der Kranke ihm nach.

„Zurück nach B.“, entgegnete der Legationsrat lakonisch, ohne sich umzuwenden.

„Hiergeblieben“, kreischte der Freiherr, und als sein Neffe zögerte, setzte er bissig hinzu: „Ist das eine Art, mit einem umzugehen? Ist das die Manier, sich einem Erbonkel angenehm zu machen?“

Falkner ergriff einen Stuhl und setzte sich zu dem Kranken.

„Ich bin gekommen, nach dir zu sehen, weil Pietät und Pflicht mir dies gebieten“, sagte er abweisend. „Das Angenehmmachen überlasse ich – anderen Leuten!“

Der Schlossherr vom Falkenhof lachte, dass ihm die Augen übergingen.

„Anderen Leuten!“ wiederholte er ganz außer Atem. „Gut, sehr gut! Anderen Leuten! Warum machst du eine Pause vor dieser kostbaren Umgehung des Namens Theobald Ruß, Dr. phil. usw. he?“

„Lassen wir den Doktor Ruß aus dem Spiel, Onkel“, erwiderte Falkner, unmutig über die Äußerung, zu der ihn die Art des Kranken hingerissen. „Sage mir lieber, wie du dich fühlst seit dem gestrigen bösen Anfall?“

Der alte Herr überhörte die Frage vollständig. Mit gleichgültiger Miene ergriff er ein Federmesser und begann an seiner Feder herumzuschnitzeln.

„Nun, mein Junge, erzähle mir, was man in B. tut und treibt“, sagte er dabei jovial. „Ist es wahr, dass man dort eine Weltausstellung plant? Schöner Gedanke, aber wo nimmt man das Geld her? Ich gebe keinen Deut dazu!“

So wenig sympathisch ihm der Onkel war, hier überkam es Alfred Falkner doch wie ein Weh bei dem erzwungenen leichten Ton des armen Krüppels, um dessen Mund und Augen sich schon so schreckliche Linien zogen. Was war das Leben dieses Mannes gewesen? Ein schneckenartiges Fortbewegen an Krücken, ein reicher Besitz und ein Betrachten der Lebensfreuden anderer; Entsagung, Verbitterung und die Freude, seine Umgebung mit Bosheiten peinigen zu können. Warum musste es solche Menschen geben?

Die zitternden, krallenartigen, gelben Hände sanken müde mit ihrem Spielwerk in den Schoß, und die stechenden Augen richteten sich forschend auf die ernsten Züge seines Gegenübers.

„Was haben sie dir drüben über mich gesagt?“, flüsterte er plötzlich leise und schnell.

„Nur die Tatsachen, Onkel“, erwiderte Falkner, aber der Unwille über das von den Seinen Gehörte stieg wieder in ihm auf.

Eine Weile war es still im Krankenzimmer, so still, dass man nur die Fliegen an den geschlossenen Fenstern summen hörte.

„Höre, Alfred“, nahm endlich der Schlossherr wieder das Wort, und es war merkwürdig, wie unsicher die scharfe Stimme klang, „ich glaube, ich habe dir unrecht getan!“

Erstaunt sah der also Angeredete empor. Verbarg sich hinter den sonderbaren Worten eine neue Bosheit, wie er sie unter der schönfärberischen Bezeichnung eines „Scherzes“ auszuteilen liebte?

„Es ist nämlich – das heißt“, fuhr der Kranke noch unsicherer fort, „na, als ich gestern die kleine Mahnung bekam, dass gegen den Tod kein Kraut gewachsen ist, da schossen mir plötzlich tugendhafte Gedanken durch den Kopf – na, schließlich bist du ja alt genug, hast deinen Verstand und wirst dich darüber hinwegsetzen, nicht wahr, mein Junge?“

Falkner sah forschend den Onkel an – verlor sich wieder die Besinnung des alten Herrn?

„Nun, zum Kuckuck, begreifst du denn nicht?“ platzte der Alte mit gewohnter Ungeduld heraus und setzte höhnisch hinzu: „Tu nur nicht so, als hätten die da drüben dir nicht von Anfang an in den Kopf gesetzt, dass du mein Erbe, der Erbe vom Falkenhof seist! Kannst du das leugnen?“

„Nein“, sagte Falkner fest.

„Nun, siehst du“, quiekte der Kranke. „Und du hast's geglaubt?“

„Ja“, bestätigte der Gefragte.

„Natürlich, dergleichen glaubt man gern“, höhnte der Freiherr, „aber gestern hat mir deshalb mein Gewissen geschlagen“, fügte er spöttisch hinzu; „ich hätte dir den frommen Glauben nehmen sollen, nehmen müssen, Alfred, aber es hat mir zu viel Spaß gemacht, den hochgelahrten, superklugen, christlich milden Herrn Doktor Ruß und seine holde Ehehälfte – –“

„Meine Mutter“, fiel Falkner ein.

„Nun ja, deine Mutter, die auf meinen Tod lauert, seitdem sie unter meinem Dache lebt – kurz, die ganze Gesellschaft am Narrenseil herumzuführen. Aber schließlich kann ich ja doch die langen Gesichter nicht mehr sehen, wenn sie erfahren, dass sie die Rechnung ohne den Wirt, das heißt ohne die Lehensbestimmungen gemacht haben. Aber es ist dir doch nicht sehr unangenehm, Alfred, dass dir der Falkenhof so vor der Nase fortgeschnappt wird?“

„Ich verstehe dich noch nicht, Onkel“, entgegnete Falkner etwas beklommen.

Der Kranke bewegte sich unruhig in seinem Sessel hin und her.

„Du bist doch sonst nicht so schwer von Begriff“, sagte er verdrießlich, „aber freilich, dir hat ja keine Seele etwas von den Erbfolgebestimmungen des Falkenhofes gesagt. Mich wundert nur, dass der weise Herr Doktor Ruß sie noch nicht herausgetüftelt hat – der muss doch seine Nase sonst in allem haben. Aber die Erbschaft schien ihm wohl zu sicher – –“

„Onkel –!“ fiel Falkner etwas ungeduldig ein.

„Ja, ja, ich komme schon zur Sache“, fuhr der Freiherr auf und kramte etwas nervös unter den Papieren herum, die seinen Schreibtisch bedeckten. „Da ist es“, sagte er, und zog ein Dokument hervor, „das heißt dies sind die Lehensbestimmungen vom Jahre 1563, bestätigt durch die Unterschrift und das Insiegel Sr. Majestät Maximilian II., des Heiligen Römischen und Deutschen Reiches Imperator et rex. Anerkannt sind sie ferner unter meinem Großvater selig durch den damaligen Landesfürsten und dessen Regierung, sodass selbst der Herr Doktor Ruß, falls er sie umstoßen wollte, kein Glück damit haben dürfte. Nun also, hier steht es schwarz auf weiß: Die Erbfolge auf gedachtem Lehen, der Falkenhof genannt, ist also geregelt, dass dem jeweiligen Inhaber desselben, wenn er mit dem Tode abgegangen oder gerichtlich auf den Besitz Verzicht geleistet hat, sein ältestes Kind, gleichviel ob es ein Sohn oder eine Tochter ist, folgt. In letzterem Falle bleibt aber das Lehen nur so lange in ihrem Besitz, bis sie stirbt, und fällt dann an das älteste Glied männlicher Deszendenz aus dem freiherrlichen Hause derer von Falkner zurück. Bei Mangel an Leibeserben des jeweiligen Besitzers fällt das Lehen an den Ältesten des Hauses oder dessen ältestes Kind, gleichviel ob Sohn oder Tochter. In letzterem Falle gelten immer die oben angeführten Bestimmungen, dass eine Lehnsherrin des Falkenhofes ihn niemals auf ihre Kinder, falls sie sich vermählt, nach ihrem Tode übertragen kann, sondern dem ältesten männlichen Agnaten oder dessen Deszendenz überlassen muss. Vermählt die Lehnsherrin sich aber mit dem ersten Agnaten oder dessen Erben selbst, so fällt das Lehen natürlich an die Kinder aus dieser Ehe, und die anderen Agnaten treten vor diesen zurück.

Nun, was sagst du dazu?“ fragte der Freiherr triumphierend, als er mit der Vorlesung zu Ende war.

Falkner hatte sich erhoben und war ans Fenster getreten. Es kann ein Mensch sehr groß denken und über die Schwäche, den Besitz zu seinem Götzen zu machen, erhaben sein – die plötzliche Nachricht, dass er nicht reich, sondern arm sei, wird ihn dennoch bewegen. Alfred Falkner war nicht habsüchtig, aber er war auch nicht an ein Leben der Einschränkung gewöhnt; er war aufgewachsen mit dem Bewusstsein, er sei der Erbe des Falkenhofes, des reichsten Lehens der Monarchie; niemals war ihm gesagt worden und nie hatte er selbst daran gedacht, es könne daran gerüttelt werden, und nun – – –

Dem alten Herrn wurde die Pause doch allzu lang und die Stille zu drückend.

„Alfred!“, rief er, und in seinem Ton lag ein sonderbares Gemisch von Scheu, Trotz, Spott und Reue. „Alfred, nimm dir's nicht zu Herzen – – 's ist mir leid, dass es dir wehtut – ich habe ja aber bloß den alten Schleicher, den Ruß, ärgern wollen, nicht dich, denn im Grunde bist du mir doch der Liebste von allen. Als ich von Bruder Friedrich damals im Zorn schied, drohte ich ihm, die Lehensbestimmungen zu deinen Gunsten umstoßen zu wollen, und ich hab's auch wirklich versucht, aber es lässt sich an dem Dokument da nicht rütteln, Alfred!“

Jetzt wandte Falkner sich um und trat neben den Stuhl, in dem das boshafte, hinfällige Schattenbild eines Menschen sich krümmte unter dem geraden, vorwurfsvollen Blick seines Neffen, der so hoch und gebietend neben ihm stand.

„Kein Wort weiter, Onkel!“, sagte er fest. „Gott soll mich behüten, dass je der Gedanke in mir keimte, andere um ihr gutes Recht betrügen zu wollen. Sind diese Bestimmungen rechtskräftig, so soll mit meiner Bewilligung niemand wagen, daran zu rütteln, damit ich bereichert werde. Dass du mich aber in Unwissenheit darüber gelassen, mich als reichen Erben erziehen ließest, nur in der boshaften Freude, meine Mutter zu enttäuschen und den Mann zu ärgern, den du nicht leiden magst – das sind Dinge, die du vor deinem Gewissen zu verantworten hast, nicht vor mir!“

„Alfred!“, wimmerte der alte Mann, „Alfred, scheide nicht im Zorn von mir – das ist doch ein hässliches Scheiden –“

Falkner beugte seine hohe Gestalt über den elenden Krüppel.

„Es mag schwerere Enttäuschungen geben als diese“, sagte er, mitleidig geworden im Angesicht des Todes, der sein Opfer schon gezeichnet hatte. „Und zum Beweis, dass ich nicht grolle, findest du mich bereit, dir Beistand zu leisten, falls du ihn zur Ordnung deiner Angelegenheiten neben dem eines Juristen bedarfst!“

Der kranke Mann heftete seine stechenden klugen Augen fest auf das männlich-schöne Antlitz seines Neffen, und dabei bekamen diese sonst vor Bosheit funkelnden Augen einen eigentümlich verschwommenen Ausdruck.

„Du bist ein guter Junge“, sagte er matt, und nach einer Pause fügte er hinzu: „Mich hat die Sache doch angegriffen und alteriert – ich hatte geglaubt, du würdest außer dir geraten – das hätte mir nicht so geschadet! Geh jetzt und schicke mir ein Glas Wein oder sonst etwas zur Stärkung, hörst du? Bleib aber auf dem Falkenhof, bis der Justizrat kommt –!“

Er lehnte sich erschöpft zurück, und Falkner verließ das Zimmer. In der Bibliothek aber musste er stehenbleiben zu einem Augenblick der Sammlung an diesem Wendepunkte seiner Zukunft. Die Enttäuschung, die ihn getroffen, war groß und die Entsagung größer, denn ohne habsüchtig zu sein, lässt sich der plötzliche Verlust eines großen Besitzes, dieses nervus rerum der Welt, immerhin schwer genug tragen, selbst da, wo Jugend, Kraft und Fähigkeit sich finden, den Verlust, wenn auch nicht zu ersetzen, so doch zu mildern. Leute, die nichts wissen von dem Luxus des Lebens, die die vielen Dinge als Liebhabereien für Sammlungen, Bücher usw. nicht kennen, verschmerzen Verluste von Vermögen oder geträumten Erbschaften viel eher und leichter als solche, die sich ein mehr innerliches und einsames Dasein durch das zu verschönern suchen, was ihrem Geschmack entspricht, aber eben nur mit großen Mitteln zu erkaufen ist. Alfred Falkner gehörte nicht zu den Menschen, die das Geld im Wahn des Leichtsinns mit vollen Händen unwürdigen Zwecken opfern, er spielte auch nicht, aber er genoss sein Leben, indem er reiste und sein Heim durch kostbare Gemälde und Kunstgegenstände verschönte. Er konnte diesen Liebhabereien frönen, denn er erhielt die Mittel dazu, und wenn er auch keine Schulden im Hinblick auf das zu erwartende große Erbe machte, so ward ihm doch manches, selbst Geld, daraufhin angeboten.

Und jetzt sollte alles anders werden, jetzt sollte er den Kampf um das Dasein selbst aufnehmen und zusehen, dass er ein standesgemäßes Leben mit dem Gehalt, das er verdiente, führte. Und seine Mutter –!

Die ganze eigene Enttäuschung, die er soeben erlebt, schrumpfte mit einem Mal in ein Nichts zusammen in dem Gedanken an seine Mutter, denn wie würde sie's tragen? Für sie war's ja hundertmal schwerer, sich eine eigene Existenz zu gründen, als für ihn, der Jugend, Kraft und Fähigkeit hatte, dem Dasein goldene Früchte abzuringen. Freilich, sie hatte ja ihren zweiten Gatten! Falkner lächelte bitter vor sich hin, als ihm der Mann einfiel, der seine Mutter so beherrschte, dass er selbst ihren mütterlichen Gefühlen Zügel anlegte und sie nach seinem Gutbefinden regelte. Jetzt konnte er's beweisen, ob seine Liebe groß genug war, um für sie und sich zu arbeiten!

Doch die Zeit verrann, und der Kranke drinnen bedurfte einer Stärkung. Falkner atmete tief auf, als wolle er neues Leben mit diesem Atemzuge einsaugen, und verließ die Bibliothek. Draußen im Korridor kam ihm Mamsell Köhler entgegen, die Beschließerin, die in ihrem ewigen grauen Kleide von Mix-Lüster, der schwarzseidenen Schürze und dem schwarzen Spitzentüchelchen über den eisgrauen Löckchen, die ihr altes verschrumpftes Gesicht einrahmten, jahraus, jahrein als ein unermüdlich tätiges Hausgeistchen durch die Korridore, Gemächer und Treppen des Falkenhofes huschte. Seit er selbst das Herrenhaus zuerst betreten, kannte Alfred Falkner die kleine Mamsell Köhler, und sie war sich immer gleich geblieben, nur dass ihre Löckchen mit der Zeit gebleicht waren. Sie trug ihre Kleider immer noch nach dem Schnitt, der in ihrer Jugend maßgebend gewesen, stets war sie in peinlichster Ordnung zu sehen, und ihr Leinenkragen, ihre Manschetten und die Strümpfe, die unter den Kreuzbändern ihrer Halbschuhe hervorleuchteten, waren stets von blendender Weiße.

Falkner hielt sie an, als sie schnell an ihm vorüberknicksen wollte, und bat sie, dem Onkel die gewünschte Stärkung zu bringen.

„Ei du mein Gott ja“, rief sie eifrig, „ein Gläschen Sherry oder Madeira werden dem gnädigen Herrn Baron guttun. Ach“, setzte sie traurig hinzu, „er macht keine Scherze mehr mit mir, wenn ich zu ihm hineingehe, und was schlimmer ist, er verhöhnt mich nicht mehr – da wird es wohl Matthäi am letzten mit ihm sein!“

Sie huschte die Treppe hinab, und Falkner stand wieder an den säulengetragenen Bogen und sah in den Hof – vielleicht zum letzten Mal in diesem Leben, wie er dachte. Dann schritt er langsam, sehr langsam nach dem düsteren Zimmer, das seine Mutter bewohnte und in dem die Möbel so gerade und steif standen und kein Zierrat Kaminsims und Tischchen schmückte.

In der tiefen mittleren Fensternische auf dem hohen Tritt saß Frau Doktor Ruß und strickte; ihr Gatte saß an dem feuerlosen Kamin, ein Buch in der Hand. Sein Blick glitt schnell und forschend über den eintretenden Stiefsohn, als suche er dessen Gedanken zu entziffern.

„Nun, wie fandest du den armen Onkel?“, fragte er mit liebevollem Tone.

„Sehr verändert“, entgegnete Falkner kurz.

„Ja, es geht zu Ende mit ihm“, bemerkte Frau Ruß kühl, indem sie eine neue Nadel abzustricken begann. Es gibt weibliche Wesen, die immer stricken, in jeder Stimmung, nur mit dem Unterschied, dass sie es in erregter Stimmung schneller tun als sonst; Wesen, die jede Stimmung hinwegstricken und in langen Strümpfen verarbeiten, die in Freud und Leid, in Sommerhitze und Winterkühle mit den Nadeln klappern und, wo andere Vergessen suchen, Trost oder Mitteilung, die gefallenen Maschen auflesen und Patentfersen stricken – sie gemahnen an jene grauenvollen Strickerinnen, die zur Schreckenszeit in Frankreich um die arbeitende Guillotine saßen und zu den fallenden Köpfen gleichmütig für ihren Lebensunterhalt Strümpfe förderten.

Alfred Falkner ließ sich müde in einen der hochlehnigen Sessel am Sofatisch gleiten – noch wusste er nicht, wie er es einleiten sollte, seine Mutter in Kenntnis von dem zu setzen, was er eben droben beim Oheim erfahren.

„Du warst lange bei ihm“, bemerkte Doktor Ruß, „fandest du ihn bei vollem Bewusstsein?“

„Er war vollkommen klar“, entgegnete Falkner, „und setzte mir die Bestimmungen über die Erbfolge im Lehen auseinander –“

„Ah!“, sagte Doktor Ruß und legte sein Buch beiseite. Die Sache begann ihn zu interessieren.

„Nun, was ist da lange auseinanderzusetzen?“, fragte Frau Ruß gleichgültig. „Du bist der Erbe, damit basta!“

„Nein, liebe Mutter, der bin ich nicht“, erwiderte Falkner, entschlossen, die Sache zur Sprache zu bringen.

Frau Ruß sah ihren Sohn einen Moment an, aber sie hörte nicht auf zu stricken. „Ich finde solche Scherze unpassend“, sagte sie ruhig, aber scharf.

„Nun, der Onkel könnte sich höchstens einen solchen erlaubt haben, daran erkenne ich ihn“, meinte Doktor Ruß, seinen Stiefsohn scharf beobachtend. „Vielleicht teilt er dir auch mit, wer größere Ansprüche auf den Falkenhof hätte als du.“

„Gewiss tat er das“, entgegnete Falkner gereizt wie immer, wenn der Mann mit den stets vermittelnden Honigworten dort sprach. „Erben des Falkenhofs sind rechtskräftig Onkel Friedrich von Falkner und seine Deszendenten!“

„Ah –!“ Frau Ruß hatte sich erhoben und das Strickzeug mitten in die Stube geschleudert – ihre kalten Augen blitzten, ihre Hände ballten sich – im Nu war aber ihr Gatte an ihrer Seite.

„Ruhig, Adelheid, ruhig, mein Weib“, mahnte er sanft, ihre Hände streichelnd. „Siehst du nicht, dass dein guter Schwager sich einen Scherz mit Alfred erlaubt hat? Denn so viel ich gehört, soll Baron Friedrich in Brasilien gestorben sein, und dann besaß er nur eine Tochter –“

„Diese Tochter aber erbt den Falkenhof, und erst nach ihrem Tode fällt das Lehen, das ein sogenanntes Kunkellehen ist, an mich oder meine Deszendenz zurück“, erklärte Falkner ruhig.

Einen Moment war es still, ganz still in dem Zimmer. Das vordem so erregte Antlitz der Frau Ruß war ruhig geworden, unheimlich ruhig und steinern, die Augen leblos, als seien sie blind. Ihres Gatten Züge waren aschfahl geworden – er musste sich sichtlich beherrschen, ehe er in seinen gewöhnlichen, leisen und milden Ton zurückfallen konnte.

„Ei, das sind überraschende Nachrichten“, sagte er langsam. „Nun, wir werden ja sehen, ob sie auch rechtskräftig sind. Ein Kunkellehen also! Und warum hat man das nie erfahren? Adelheid, geliebtes Weib, fasse dich! Ich stehe mutig dir zur Seite, dein und Alfreds gutes Recht zu wahren und zu verteidigen, falls es dessen bedarf –“

„Das heißt, falls ich dessen bedarf!“, rief Falkner, sich hoch aufrichtend. „Aber ich zweifle, dass ich deines Beistandes je bedürfen werde!“

„Ah, schön – die stolze Falkennatur regt sich in deinem Spross, Adelheid“, erwiderte Doktor Ruß gemäßigt. „Und darf man fragen“, setzte er hohnvoll hinzu, „darf man fragen, was mit uns geschehen soll, wenn der brasilianische Onkel mit seinem Neger- und Papageiengefolge wieder hier einzieht?“

„Wir würden in diesem Fall das Haus, auf das wir kein Anrecht haben, verlassen, nicht wahr, liebe Mutter?“

„Als Bettler!“, sagte sie mit unbeschreiblichem Ausdruck in dem halb gezischten, halb geflüsterten Tone.

„Vis-á-vis de rién“, ergänzte Doktor Ruß.

„Ich für meinen Teil habe meinen Beruf“, erwiderte Falkner. „Ich kann mich ins Ministerium versetzen lassen und werde jedenfalls dafür sorgen, dass du, liebe Mutter, deinem Stande gemäß leben kannst!“

„Himmel, wie heroisch!“, rief Doktor Ruß mit leisem Lachen, das so provozierend wie möglich klang.

Falkner maß ihn mit blitzenden Augen.

„Oh“, sagte er schneidend, „jetzt bietet sich dir die Gelegenheit, deine viel gerühmte Professur anzutreten und auch das Deinige für die Frau zu tun, die ihr Schicksal vertrauensvoll an dich gekettet hat – mit einem Wort, zu beweisen, dass du auch verdienen und nicht nur verzehren kannst!“

„Alfred –!“ fuhr Frau Ruß auf, angestachelt durch einen innigen Handkuss ihres Gatten.

„Ich gehe auf mein Zimmer, liebe Mutter“, erwiderte Falkner ruhig.

„Besprich du alles mit deinem Mann – es tut nicht gut, wenn ich dabei bin, ich weiß es, besonders jetzt, wo ich von meinem Piedestal als Erbe des Falkenhofes herabgestiegen bin!“

Die Falkner vom Falkenhof

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