Читать книгу Die Falkner vom Falkenhof - Eufemia von Adlersfeld-Ballestrem - Страница 7

Kapitel 5

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Der Zustand des alten Freiherrn von Falkner verschlechterte sich im Laufe der Stunden sichtlich; zwar verlor er das Bewusstsein nicht, aber die körperliche Schwäche nahm rapide überhand, und die Unruhe des nahen Todes kam über ihn und ließ ihn nicht rasten. Im Krankenzimmer neben dem Sessel des Sterbenden saß Alfred Falkner und hörte den Flügen zu, die die Fantasie desselben machte und sich in bizarren und grotesken Bildern erging. Außer ihm war noch der langjährige Verwalter des Falkenhofes zugegen, Herr Engels, dessen kraftvolle, starke Hünengestalt mit dem mächtig langen, nunmehr ergrauten Vollbarte wohlbekannt war in Feld und Wald ringsum, zum Wohle der weit ausgedehnten Besitzung. Die subalterne Stellung, die er einnahm, war ihm nicht an der Wiege gesungen worden, denn als Sohn eines hohen Staatsbeamten hatte er eine gediegene akademische Bildung genossen. Da aber kam das Jahr 1848, und Karl Engels ließ sich von dem losbrechenden Sturm mitreißen, auf den Barrikaden mitzufechten, und in Gefangenschaft geraten, konnte er von Glück sagen, dass nur langjährige Festungshaft seine Strafe war. Als er dann sein Gefängnis verließ, hatte er schwer mit dem Dasein ums tägliche Brot zu kämpfen gehabt, bis endlich sein guter Stern ihn seinem alten Freunde und Studiengenossen, dem „buckligen Falkner“ zuführte, der ihn zuerst als Schreiber bei sich beschäftigte, und dem Schiffbrüchigen des Lebens dann zu seinem Verwalter machte, was beiden Teilen zum Segen gereichte.

Es war ein eigenes Verhältnis gewesen zwischen den beiden. Das trauliche „Du“ der Jugendzeit hatten sie beibehalten, aber in Geschäftssachen hatten sie sich stets steif, als Herr und Diener gegenüber gestanden, hatten trotz aller Harmonie nie dieselbe Meinung gehabt und sich mindestens zweimal wöchentlich tödlich verfeindet. Das gehörte zur Gesundheit des sonderbaren Paares und schadete beiden nicht, noch weniger aber dem Falkenhofe, der dabei trefflich gedieh, und schließlich war es ihnen so zur Gewohnheit geworden, dass sie es für ein böses Zeichen genommen hätten, wenn sie einmal derselben Meinung gewesen wären.

„Karl, wer wird dich nur ärgern, wenn ich nicht mehr lebe?“, hatte der Kranke vorhin gefragt, als Engels bei ihm eintrat.

„Na, das lass dich nicht grämen“, hatte der Freund beruhigend erwidert.

„Es grämt mich aber doch“, sagte der Freiherr, der immer widersprach. „Meine Hoffnung beruht dabei aber auf dem Satansmädel, Friedrichs Tochter – die wird dir schon geigen, dass du die Engel im Himmel singen hörst, Karl!“

„Na, das ist schön“, erwiderte Engels, der glaubte, sein Freund rede im Delirium, denn er wusste so wenig von der Lehenserbfolge wie Alfred Falkner wenige Stunden zuvor.

Erst als letzterer ihn im Nebenzimmer aufklärte, begriff er die Äußerung des Freiherrn.

„Tut mir leid für Sie“, sagte er und reichte Alfred die derbe Rechte, „das war nicht recht von dem da drin, Sie so lange zu täuschen! Na, überlebt er den Anfall, so will ich's ihm schon sagen, unverblümt, darauf können Sie sich verlassen. Aber freuen tut es mich doch, das Mädchen, Freiherrn Friedrichs Tochter, wiederzusehen! Da war Leben drin, sage ich Ihnen, alle Wetter! Das schäumte und brauste wie in einer Sektflasche, aber die rechten Zügel fehlten, daran lag es, und der Übermut wusste nicht, wohin zuerst. Hatte sie lieb, sehr lieb, die kleine rothaarige Wetterhexe!“

Alfred Falkner nickte – er sah sie jetzt wieder deutlich vor sich im Mondschein am Brunnen, den Rosenkranz flechtend und das süße Lied von der Jugendzeit singend; denn es gibt Momente der Erinnerung aus früheren Jahren, die nie verblassen. Sie prägen sich dem Gedächtnis so fest ein, dass ihre Farben frisch bleiben, bis unser Leben selbst dahingeht – ein Augenblick im Stundenglas der Ewigkeit.

Schwächer und schwächer wurden die Kräfte des Schlossherrn vom Falkenhof mit dem scheidenden Tage; unaufhörlich fragte er nach dem Justizrat Müller, seinem Sachwalter, den er nach dem Falkenhof beordert hatte, und schon fürchteten sein Neffe und Engels, der Ersehnte könnte zu spät kommen, als er endlich nach Sonnenuntergang eintraf.

Doktor Ruß, der sich mit seiner Frau dem Krankenzimmer bisher ferngehalten hatte, trat dem kleinen, lebhaften Herrn schon in der Vorhalle entgegen und unterrichtete ihn von dem Zustande seines Klienten. Seine Frage, ob er in etwas sich nützlich erweisen könne, verneinte der Justizrat für den Augenblick, trotzdem aber geleitete Ruß ihn zu den Zimmern des Freiherrn und trat mit ihm bei dem Kranken ein.

„Was will der hier?“, raunte Engels vor sich hin, denn er und Doktor Ruß waren einander gar nicht grün, trotz der unversiegbaren Quelle von Liebenswürdigkeiten, die letzterer auf den Verwalter herabströmen ließ.

„Nun, Justizrat, was bringen Sie mir für Nachrichten?“, fragte der Freiherr eifrig, und sein halb erloschenes Auge begann noch einmal aufzuflammen.

Der kleine Jurist entfaltete Papiere, die er in einer Mappe mitgebracht.

„Soll ich in Gegenwart dieser Herren sprechen?“, fragte er. Der Kranke sah Engels, Alfred Falkner und Doktor Ruß der Reihe nach an.

„Warum nicht, lieber Müller? Nur beeilen Sie sich!“

Der Justizrat putzte sein Pincenez, klemmte es auf seine Nase und räusperte sich.

„Nun denn“, begann er, „so erlaube ich mir, Ihnen vor allem mitzuteilen, dass der Freiherr Friedrich von Falkner, Ihr ältester Bruder, lieber Baron, vor drei Jahren schon in Rio de Janeiro an einer akuten Krankheit verstorben ist. Hier sind die betreffenden Papiere darüber!“

„Tot also!“, sagte der Kranke leise. „Tot, gestorben vielleicht im Zorn gegen mich. Weiter!“

„Ihm folgte ein Jahr später seine Gemahlin, die Freifrau Tereza von Falkner, geborene Marquesa de Santiago, im Tode, verursacht durch ein jahrelanges Brustübel“, fuhr der Justizrat fort. „Sie starb, ehe sie von einem alten, unvermählten Onkel, dem Grafen Silvo Fernandez, dessen große Besitzungen geerbt hatte.“

„Güter in Brasilien sind so gut wie Güter auf dem Monde“, bemerkte der Kranke verächtlich. „Nun, und das Mädchen?“

„Die Freiin Dolores von Falkner lebt“, berichtete der Justizrat weiter. „Sie kehrte nach dem Tode ihrer Mutter nach Europa zurück und hält sich augenblicklich in B. auf –“

„Ah“, machte der Freiherr höhnisch, „sie weiß wahrscheinlich mehr von dem Kunkellehen als du, Alfred!“

„In B. auf“, fuhr der Justizrat fort, „woselbst sie bei der Hofoper als erste Sängerin unter dem Namen Falconieros wirkt. Als solche trat sie erst die große Erbschaft ihres Großoheims an.“

„Wie – was?“, fragte der Freiherr verblüfft, während aus Alfreds Antlitz jeder Blutstropfen gewichen war. Jetzt fiel es wie Schuppen von seinen Augen, jetzt verstand er die Ahnungsschauer, die ihn so oft durchzuckt, jetzt wusste er, dass es dieselbe Stimme, die Stimme der Satanella war, die damals in der Mondnacht auf dem Brunnenrande das Lied gesungen:

Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit

Tönt ein Lied mir immerdar – –

„Die Identität der jungen Dame ist ohne Zweifel“, schloss der Justizrat seine Chronik der Linie Friedrich Falkner.

„Also eine Opernsängerin, eine Theaterprinzess die Erbin vom Falkenhof“, sagte der Freiherr schneidend. „Man lernt nie aus, Justizrat!“

„Nein“, bestätigte dieser, in seinen Papieren kramend. „Ich kann aber mit Befriedigung feststellen, dass Donna Falconieros einen Leumund besitzt, wie, nun, wie ihn manche unserer höchsten Damen nicht hat – er ist tadellos hinsichtlich ihres Lebenswandels. Das ist doch wohl die Hauptsache!“

„Ja, die Hauptsache für sie selbst“, entgegnete der Kranke, sich ereifernd, „für mich aber ändert sie das Faktum nicht. Opernsängerin! Nun, da mag es mit den Gütern in Brasilien nicht weit her sein, ich sagte es ja gleich! Wir müssen diese Donna Dolores von der Erbfolge ausschließen, Justizrat!“

„Geht nicht“, entgegnete der Angeredete lakonisch. „Donna Dolores ist und bleibt die erbberechtigte Freiin von Falkner. Was sie privatim tut und treibt, geht uns nichts an! Außerdem enthalten die Lehensbestimmungen keinen Passus, der uns in dieser Angelegenheit dienen könnte.“

„Sie tut und treibt ihre Singerei aber nicht privatim, sondern sehr öffentlich“, sagte der Freiherr heftig.

„Aber nicht als Freiin von Falkner“, beharrte der Justizrat. „Sobald dieser Name außer Spiel bleibt bei ihrer Künstlerkarriere, kann ihr Recht nicht angefochten werden, wenigstens nicht von dem Erblasser. Allerdings steht es den Agnaten frei, gerichtlich gegen die Erbin vorzugehen, wenn sie finden, dass ihre Beschäftigung eine mit ihrem Stande unverträgliche und ehrenrührige war beziehungsweise ist.“

„Kann ich in diesem Falle nicht finden“, ließ Engels sich vernehmen.

„Wer redet hier ungefragt?“ fuhr der Freiherr auf. „Das ist meine Sache zu entscheiden! Nun, und was würde der Erfolg eines derartigen Vorgehens der Agnaten des Falkenhofes gegen die Erbin sein?“

Der Justizrat schnitt eine seiner charakteristischen Grimassen. „Kosten, viel Kosten“, sagte er achselzuckend.

„Unsinn“, schrie der Kranke, den Krückstock auf die Dielen aufstoßend und dann von sich schleudernd. „Der Bescheid, das Urteil? Ich frage nach dem Urteil!“

„Ja, das würde höchstwahrscheinlich dahin lauten, dass, da es der Freiin von Falkner beliebt hätte, zu ihrem Vergnügen unter anderem Namen Opernpartien zu singen, ihr dies nicht verwehrt werden könnte, und dass diese Künstlerpassion mit ihrem Besitz des Falkenhofes nichts zu tun hätte, um so mehr, als dieser Besitz doch nach ihrem Ableben an die prozessierenden Agnaten zurückfiele.“

Schon während der Gegenrede des Justizrates hatten sich die künstlich gehobenen Lebensgeister des Freiherrn zu legen begonnen, jetzt lehnte er sich erschöpft zurück.

„Nun, meinetwegen“, sagte er matt. „Lassen Sie mich das Testament unterschreiben – Sie haben es doch mitgebracht? Alfred, deine Sache bleibt es, gegen diese Opernprinzess, gegen die Komödiantin zu protestieren. Sie hat kein Recht an den Falkenhof!“

Der Angeredete schwieg – was sollte er auch sagen? Dass er im Prinzip dem Oheim beistimmte, nicht aber im Rechtspunkte. Das aber fühlte er sicher, dass er sie hassen musste, die ihm vom Anbeginn „unsympathisch“ war, und die jetzt urplötzlich seinen Pfad kreuzte, wie er es nie gedacht!

Der Kranke unterzeichnete das Dokument, das der Justizrat, sorgsam nach dem Original mundiert, mitgebracht, und Engels nebst einem Unterbeamten unterschrieben es als Zeugen. Zwei Stunden später fuhr der kleine Jurist nach B. zurück mit dem Testament, es beim Gericht niederzulegen, aber er kam nicht mehr dazu, denn schon am nächsten Morgen erhielt er die Nachricht, dass der Freiherr Gustav von Falkner zwischen zwei und drei Uhr nachts einem Herzschlag erlegen sei.

Die Falkner vom Falkenhof

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