Читать книгу Suche nichts - finde alles! - Frank J. Kinslow - Страница 16

Inwiefern unterscheiden sich reines Gewahrsein, Selbst und „ICH“ vom „Ich“?

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Wörter beeinflussen uns stärker, als wir ihnen gewöhnlich zutrauen. Ich möchte ganz klar darlegen, was ein Wort bedeutet und wie es verwendet wird. Viele Menschen haben die unbefriedigende und letztlich destruktive Gewohnheit, zu einem Thema Stellung zu beziehen, ohne die verwendeten Schlüsselbegriffe eindeutig zu definieren. Ein Beispiel: Eine Frau fragt ihren Mann, ob er sie liebe. Er antwortet: „Ja, sehr.“ Und schon tänzeln sie die Straße der Glückseligkeit entlang, wobei beide glauben, Liebe bedeute für sie das Gleiche. Wenn diese Seligkeit Ahnungslosigkeit bedeutet, wird ihre Glückseligkeit nicht lange währen. Ihre Partnerschaft wird sie zwingen, genauer zu untersuchen, was Lieben bedeutet; andernfalls wird die Liebe langsam von innen heraus schwinden.

Bezweifeln auch Sie, dass viele Menschen bei „wackeligen“ Wörtern einen festen Standpunkt haben? Bitten Sie einen Freund, Ihnen die Begriffe „Freund“ oder „Terrorist“ ausführlich zu erklären oder den Geschmack einer Banane zu beschreiben. Diese Übung kann Ihnen die Augen öffnen. Die Beschreibung unterscheidet sich garantiert, vielleicht sogar signifikant von Ihrer eigenen Definition. Wir denken gern, andere sähen die Dinge genauso, wie wir sie wahrnehmen, doch das ist praktisch nie der Fall. Über die Menschen lässt sich nur das Eine mit Gewissheit sagen:

Jede und jeder ist anders. Unsere Sicht der Welt ist völlig einzigartig, niemand sieht sie so wie wir. Wir sind relative Wesen – zumindest leben wir so. Wir leben, als gäbe es keine Grundlage, keinen gemeinsamen Bezugspunkt, der für alle Menschen gilt. Wir ähneln Stäubchen, die ziellos in einem schwach beleuchteten Raum umherschweben.

Falls es einen universellen Bezugspunkt gäbe, welcher wäre das Ihrer Vermutung nach? Wäre er im äußeren Raum oder im inneren Raum, innerhalb des Geistes oder außerhalb davon? Nun, zufällig gibt es diesen einzigen Bezugspunkt, den die ganze Menschheit teilt. Nicht nur die Menschen teilen ihn, sondern alles Leben, die ganze Schöpfung. Es ist der Stoff der Weisen. Es ist das Selbst. (Anmerkung: Die Begriffe Selbst, „ICH“ [engl.: „I“] und „ICH BIN“ [engl.: „I Am“] sind in ihrer Bedeutung austauschbar und ermöglichen uns, dieses einzigartige Konzept des Selbst aus verschiedenen erhellenden Blickwinkeln zu betrachten.)

Unsere grundlegende Natur, das Selbst, ist die erste Schöpfung der reinen Bewusstheit. Reine Bewusstheit ist unmöglich mit unseren Sinnen zu erfahren. Wir können sie nicht sehen, schmecken oder riechen. Die Quantenphysik bezeichnet die reine Bewusstheit als implizite Ordnung; es ist die Nicht-Form, aus der Energie und Form erschaffen sind. Der Verstand kann über dieses reine Gewahrsein nachdenken, doch wir sind hilflos, wenn es darum geht, es zu denken. Das sind Denkprozesse und reine Bewusstheit entzieht sich den suchenden Fingern des Verstandes. Reine Bewusstheit hat keine Form, nichts, was diese mentalen Finger greifen könnten.

Alle Gedanken und alle Dinge kommen aus dem reinen Gewahrsein und doch ist dieses substanzlos, hat nichts, was die Sinne wahrnehmen oder der Verstand erfassen könnten. – Wird es Ihnen jetzt etwas zu abstrakt? Bleiben Sie da. Diese Zeit wird sich für Sie lohnen. Ihrem Verstand fällt es nur gerade schwer, etwas zu untersuchen, was sich nicht untersuchen lässt. Aber es lässt sich erfahren. Oder genauer gesagt: Das bewusste Wahrnehmen der reinen Bewusstheit erfährt Ihr Verstand als nichts, als völliges Fehlen einer Erfahrung. Und genau das steht an.

Obwohl reine Bewusstheit grenzenlos und formlos ist, bringt sie einen ersten Vorläufer hervor, aus dem alle Energie und Form hervorgeht. Die Quantenphysik bezeichnet dieses erste, formlose Feld als Nullpunkt oder Vakuumzustand. Ich nenne es Selbst. Das tue ich, weil die Sprache der Quantenphysik nur auf seine unpersönliche Seite Wert legt. Das Selbst ist sowohl unpersönlich als auch unendlich vertraut. Das Selbst ist einzigartig in der ganzen Schöpfung. Es steht in zwei Welten: im unveränderlichen, alles durchdringenden reinen Gewahrsein und in seiner dynamischen Schöpfung, dem Feld von Geburt und Tod.

Das Selbst erhält und schützt unaufhörlich das, was Sie „Ich“ nennen, den Teil von Ihnen, der einen Körper hat, einen Verstand, eine Geschichte und eine Zukunft, Hoffnungen und Ängste. Das Selbst gleicht einem warmen Wintermantel. Auch wenn Sie sich gerade eifrig dem Leben widmen und vergessen haben, dass Sie einen Mantel anhaben, wärmt dieser Sie. Es spielt keine Rolle, ob Sie die Begriffe des reinen Gewahrseins und des Selbst völlig erfassen. Über beide lässt sich schwerer reden, als man sie erfahren kann. Ja, sowohl das reine Gewahrsein als auch das Selbst können Sie erfahren, auch wenn Sie von beiden nie etwas gehört haben.

Das Selbst zu erfahren ist äußerst subtil und großartig. Wahrscheinlich haben Sie Ihr Selbst bereits erfahren und wissen es nicht einmal. Das ist ein Problem. Falls Sie Ihr Selbst nicht kennen, können Sie Ihren tiefsten Wunsch nicht kennen. Auf den nächsten Seiten werde ich Ihnen die Schlüssel in die Hand drücken, die Ihnen das Tor zum Selbst öffnen. Voraussetzung dafür ist nur, dass Sie ein Mensch sind und dass Sie bewusst sind. Mehr braucht es nicht. Die Entdeckung Ihres Selbst ist Ihr Geburtsrecht.

Warum ist es so wichtig, Ihres Selbst gewahr zu sein? – Es ist mehr als wichtig, es ist lebensnotwendig, grundlegend, unverzichtbar. Das Selbst zu kennen bedeutet, frei zu werden von Hoffnungen und Ängsten. Sobald Sie Ihr Selbst erkennen (wozu uns ja schon vor langer Zeit Sokrates aufforderte), wird Ihre Sicherheit unerschütterlich. Dann fühlen Sie intensiv und positiv und Sie denken klar und eindeutig. Zudem werden Ihre Sinne (Hören, Sehen, Schmecken …) schärfer und lebendiger. Und Ihr Körper altert langsamer. Er wird entspannter, lässiger und viel widerstandsfähiger gegenüber Stress und Krankheiten. Keine schlechte Ausbeute für eine so einfache Entdeckung.

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit und denken Sie an Ihre Kindheit zurück und dann an Ihre Jugend. Erinnern Sie sich jetzt an eine Zeit in Ihren Zwanzigern, Dreißigern… und so fort, bis zu Ihrem heutigen Alter. Denken Sie an das, was Sie jetzt gerade tun. Im Laufe Ihres Lebens haben Ihre Interessen und Ihre Gefühle sich gewandelt, Ihr Körper ist gewachsen und gealtert, Ihre Familienmitglieder sind reifer geworden, Freunde sind gekommen und gegangen. Doch da war ein Teil von Ihnen, den es schon immer gab, solange Sie zurückdenken können, und der heute immer noch da ist. Er hat sich nicht verändert.

Als Sie damals sagten: „Ich möchte zu meiner Mama“, oder später: „Ich verabscheue Sportunterricht“ oder „Ich werde dich immer lieben“ oder „Ich mag keine laute Musik“, identifizierten Sie sich mit Dingen, Ereignissen und Gefühlen, die Ihrem „Ich“ widerfuhren, aber nicht Ihrem „Selbst“ oder „ICH“. Die Dinge oder Gefühle Ihres Lebens (also sich nach Ihrer Mutter zu sehnen, die Sportstunden zu verabscheuen …), all das hat sich verändert und „ruht“ nun in dem Teil Ihrer Vergangenheit, der als Erinnerung bezeichnet wird. Dinge haben sich gewandelt, nicht aber das ICH.

Wenn Sie sagen: „Ich bin hungrig“, dann identifizieren Sie sich mit beiden Seiten Ihrer Existenz, mit dem unveränderlichen „ICH“ und dem veränderlichen „Ich“. Sie sagen, dass der Teil „ICH“ den Teil „Ich“ beobachte, der Hunger habe. Das „ICH“ ist wie ein stiller Zeuge oder Beobachter, der die Landschaft Ihres Lebens nur genießt. „Ich“ ist die Landschaft. „ICH“, das unzerstörbare und grenzenlose Selbst, war immer da. Es ist nicht gealtert und hat sich in keiner Weise verändert. Alfred Lord Tennyson schrieb zu diesem Mysterium der anhaltenden Unveränderlichkeit in seinem Gedicht The Brook sinngemäß: „Menschen kommen, Menschen gehen, ich aber gehe ewig weiter.“ Ebenso könnten wir, allerdings weit weniger elegant, formulieren: Meine Sicherheit, meine Gefühle, Gedanken, mein Körper und meine Umwelt kommen und gehen, doch „ICH“ bleibe immer. Dieser Satz berührt die Seele vielleicht nicht so stark, doch er bringt die Botschaft klarer „rüber“.

Die Sinne und der Körper sind wie Pferde, die einen Wagen durchs Leben ziehen. Der Wagenlenker ist Ihr Geist, Ihr Verstand. Ihr Selbst, das „ICH“, ist der Fahrgast, der Zeuge oder Beobachter von allem, was kommt und geht während Ihres Lebens und in der Zeit des „Ich“. Das Selbst bleibt unberührt und frei von den Kräften unserer Welt. Es ist das stille Zentrum des Friedens. Falls wir uns mit der umtriebigen Natur unseres Verstandes identifizieren, kommen wir nie zur Ruhe. Wenn wir das Leben von der Warte des Selbst aus wahrnehmen, bleiben wir von der offensichtlichen Mühe und dem Kampf unberührt, die uns auf der Straße des Lebens begegnen.

Das „Ich“ verändert sich ständig, das „ICH“ verändert sich nie. Wenn der Verstand auch zu wissen scheint, wohin er geht, so ist er doch verloren ohne die zarte Unterstützung des „ICH“. Das „ICH“ gleicht dem GPS-Satelliten, der die Position bestimmt: Es tut nichts, doch ohne das „ICH“ hat der Verstand keinen Bezugspunkt. Solange wir des „ICH“ nicht gewahr sind, werden wir vom Verstand, vom Körper und den Sinnen, also von den Bestandteilen des „Ich“, hinweggefegt. Pferd und Wagen gehen mit dem Fahrgast durch.

Bei den seltenen Gelegenheiten, da wir einen kostbaren Moment lang die chaotische Welt in Schach halten können, ertappen wir uns vielleicht bei der Frage: „Was soll das alles?“ oder „Was ist mein Lebenssinn?“ Und wenn vom „Ich“ keine Antwort kommt, dann flüchten wir uns in Überarbeitung, Fernsehen, Drogen, Sex, Geldverdienen, Geldausgeben oder alles andere, was den Verstand von diesen unbehaglichen, ruhigen Momenten ablenkt. Die Antwort ist einfach. Sobald wir des „ICH“ gewahr werden, überkommt uns eine Art Stille. Das „ICH“, das Selbst, wird zuerst als zarter Friede empfunden. Wenn sich dieser Friede im Laufe der Zeit vertieft, treten Freude und ein Gefühl von Ehrfurcht in unser Gewahrsein. Das fühlt sich so an, als beobachteten wir einen wundervollen Sonnenuntergang, brauchten aber keine Sonne dazu. Wir brauchen nichts. Friede und Freude treten dann immer wieder bei den seltsamsten Gelegenheiten und an den seltsamsten Orten auf. Eines Tages werden Sie erstaunt feststellen, dass Sie inneren Frieden während eines traumatischen Ereignisses empfinden oder in einer brenzligen Situation am Arbeitsplatz. Friede, das Ergebnis von Selbst-Bewusstheit, beginnt sich mit Nicht-Frieden zu vermischen. Genau dieses Verschmelzen von „ICH“ und „Ich“ vertieft die Lebenserfahrung und erweitert unsere Sicht der Welt.

Wenn wir unseres Selbst gewahr werden, dann werden wir wie ein Meer. Der Meeresgrund ist unbewegt und ruhig. An der Oberfläche finden wir Schaumkronen, Blasen und Wellen. Die unvorhersagbare, sich stets wandelnde Oberfläche entspricht dem „Ich“. Das „ICH“ aber gleicht der ruhigen Tiefe. Doch auch die größte Welle besteht aus Wasser. Das stille Wasser in der Tiefe nennen wir „ICH“ und das tosende Wasser an der Oberfläche „Ich“. Letztlich ist alles Wasser. Das „Ich“ ist lediglich ein aktiver Ausdruck des „ICH“. Wenn wir an der Meeresoberfläche leben, identifizieren wir uns mit der Turbulenz und dem Wandel. Wir erheben uns und fallen mit unseren Hoffnungen und Ängsten, nur um an die Felsenküste der Illusion geschleudert zu werden. Indem wir einfach der Tiefen des „ICH“ gewahr werden, genießen wir mühelos Halt und Gelassenheit. Die Stürme an der Oberfläche gehen weiter, doch vom Blickwinkel des „ICH“ aus bleiben wir unberührt.

Ein anderer Ausdruck für „ICH“ ist „ICH BIN“. Mit dieser Bezeichnung weisen wir darauf hin, dass das „ICH“ nichts tut, es ist nur. „ICH BIN“ bedeutet, dass nur das „ICH“ existiert, sonst nichts. Ich verwende gern dieses „ICH BIN“, denn es vertieft das Gefühl von „ICH“. René Descartes, der französische Philosoph des 17. Jahrhunderts, ist berühmt für seinen Ausspruch: „Ich denke, also bin ich.“ Seltsamerweise hat er den Satz umgedreht. (Sehen Sie mir nach, wenn ich mich hier zu einem Wortspiel mit seinem Namen verleiten lasse: Er ist sozusagen aus dem Wagen gestiegen [de-cart], bevor er vom Pferd abstieg [de-horse] … In diesem Sinne meine ich das mit der Umkehrung.) Er hätte besser sagen sollen: „ICH BIN, deshalb denke ich.“ Wenn wir Descartes’ Argumentation folgten, dann würde er aufhören zu existieren, sobald er zu denken aufhörte. Das stimmt einfach nicht. Diese Schlussfolgerung würde zwar für jemanden Sinn ergeben, der ständig denkt und nur an der Meeresoberfläche des Selbst vor sich hinlebt. Was würde passieren, wenn Ihre Gedanken einfach aufhörten? Würden Sie dann wirklich nicht mehr existieren? Wären Sie dann einfach abgeschaltet, als ob ein schicksalhafter Finger Ihren Lichtschalter ausgeknipst hätte? Da sage ich: „Keineswegs!“ Und ich werde es Ihnen im nächsten Abschnitt beweisen.

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Wenn Sie sagen: „Ich bin hungrig“, dann erkennen Sie damit den unveränderlichen wie den veränderlichen Aspekt Ihres Seins an. „ICH BIN + hungrig“ = „ICH“ + „Ich“. Normalerweise richten wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf das hungrige „Ich“ und ignorieren den Wohlgeschmack des „ICH“. Wenn Sie nur den körperlichen Hunger stillen, dann werden Sie vom Tisch aufstehen und immer noch nach der Fülle des „ICH“ hungern. Beide Seiten der Gleichung müssen im Gleichgewicht sein. Ihre Probleme werden nicht verschwinden und der Friede wird nicht aufblühen, solange Sie nicht Ihres Selbst gewahr werden.

Gleich werden Sie feststellen, dass der Verstand zu existieren aufhört, sobald Sie aufhören zu denken, doch das „ICH“ besteht ewig fort. Sowie der Gedanke an den Hunger schwindet, bleibt nur noch das „ICH BIN“. Oder wenn die Wut verschwindet, ist nur das „ICH BIN“ da. Alle weltlichen Wirren lösen sich auf in der grenzenlosen Umarmung des „ICH“, der Ganzheit des Selbst. Und wenn Verstand und Körper als Welle des „Ich“ wieder auftauchen, dann stützen sie sich auf das Meer des „ICH“.

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