Читать книгу Parkbank ins Leben - Frank W. Kolbe - Страница 10

Kapitel 6

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Von Herrchen und Frauchen, die mit ihren Hunden spazieren gingen und von den Leuten, die zur Arbeit liefen oder von der Arbeit kamen, ließ Marc sich jetzt gerade nicht mehr stören. Er ließ den Tag noch einmal an sich vorbei laufen und stellte fest, dass heute alles anders war als sonst. Es schien, als ob alle von seiner Kündigung wussten und sich nun hier im Park zusammengefunden hatten, um ihn zu ermuntern und ihm Lebensweisheiten beizubringen. Aber warum das alles? Er würde so gerne alles rausheulen, aber er hatte ja nicht mal die Möglichkeit dazu. Seit er hier im Park war, häuften sich die Begegnungen mit den verschiedensten Menschen - bekannte und unbekannte. Sie erzählten ihm von ihrem Leben und er selber bekam von allen diesen Menschen etwas für ihn ganz besonders wertvolles geschenkt: deren Lebenserfahrungen. Doch warum lässt ihn keiner weinen? Immer wieder stellte er sich die Frage und erinnerte sich an einen Spruch, den seine Mutter ihm einmal sagte, als er seinen ersten Liebeskummer hatte:

Niemand ist deiner Tränen wert.

Der, der sie wert wäre,

würde alles dafür tun,

damit du sie nicht vergießt!“

Alle Leute, die er heute getroffen hatte, haben genau dies getan. Sie gaben vieles dafür, dass er sie nicht vergießen musste. Sie taten es unbewusst, aber sicherlich der eine oder andere auch bewusst. Und wieder stellte er sich die Frage: „Warum das alles?“ Wenn er an den Spruch seiner Mutter dachte, müssten alle diese Menschen es wert sein, für sie Tränen zu vergießen, denn sie alle sorgten ja nun mal dafür, dass er es nicht brauchte. Er ging noch einmal alle Personen im Geiste durch und kam zu dem Entschluss, dass es tatsächlich stimmte. Für sie alle hätte man Tränen vergießen können. Für Olivia, weil er sie wieder weggeben musste zum Beispiel oder für den Obdachlosen, der all sein Geld durch den Konkurs verloren hat, weil er so merkwürdig lehrreich war und Hatschi, aus Ehrfurcht. Alles fügte sich wie ein Puzzle zusammen und es kam Marc so vor, als ob heute ein Tag war, der für ihn eine Ausbildung darstellte.

Fragen über Fragen kamen auf ihn zu und er wusste gar nicht, wo er beginnen und wo er enden sollte. Sein Kopf war voll von Gedanken. Er litt Schmerz über die Kündigung und erfuhr gleichzeitig Freude über die ganzen Geschehnisse. Er wusste sich nicht mehr auszudrücken. Sein Geist, seine Gedanken fuhren Achterbahn. Er selber aber, sein Körper, saß still auf dieser Bank. Er kam sich inzwischen vor wie ein König auf seinem Thron, der seine Bürger empfing, die ihm alle von ihrer Ernte abgeben mussten. Die Ernte bestand diesmal aus Wissen und Erfahrung.

Kaum hatte er diesen Gedanken zu Ende gebracht, durchbrach eine fürchterlich schrille Stimme diese herrliche Stille. Die Stimme schrie seinen Namen und gehörte niemand anderem als Stefanie, einem Mädchen, mit dem er zusammen zur Schule ging. Sie war damals über beide Ohren in ihn verliebt, aber er hatte sich nie auf sie eingelassen. Ob sie ihn immer noch so mochte, das wusste er nicht. Marc drehte sich um und zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, welches Stefanie direkt als Einladung sah, sich zu setzen. Sie erzählte ihm ohne Punkt und Komma ihr Leben. Marc war kurz vor einem Schrei mit dem flehenden Inhalt um Ruhe, doch sie stoppte und fragte: „Und wie geht es dir so?“

„Bestens!“, antwortete Marc etwas genervt, „Mir geht es bestens.“

„Das ist schön. Du siehst noch besser aus als früher mein Hase. Hast dich gut raus geputzt.“

„Danke dir Stefanie.“

Nun wusste er nicht, ob er sich ein Gegenkompliment ausdenken musste, oder ob er irgendwie darum herum kam. Er hörte ihre Stimme und er sah sie an und alles sprach gegen ein Kompliment. Also suchte er nach anderen Möglichkeiten.

„Studierst du noch?“, fragte er kurz und knapp.

Das war ein Fehler, denn alleine um ihre Fächer inklusive der Dozenten und ihren Kommilitonen aufzuzählen, brauchte sie über fünf Minuten. Er wollte schreien. Die Worte Hau endlich ab du Nervensäge klangen wie ein Harfenspiel der Elfen in seinem Kopf. Doch ehe er wahnsinnig wurde, fing ein Gärtner hinter ihnen an den Rasen zu mähen, sodass sie sich kaum noch unterhalten konnten. Stefanie sagte nur noch, dass sie sich sicherlich bald einmal wiedersehen würden und verschwand. Doch hatte sie das nur einfach gesagt, oder geschrien? Er wusste es nicht, denn ihre Stimme ging durch Mark und Bein und selbst eingewachsene Fußnägel rollten sich in ihrer Frequenz.

Das qualvoll gleichmäßige Rattern des Rasenmähers zwang Marc aufzustehen. Er ging auf den Weg und nutzte die Zeit sich zu strecken. Wieder ist ihm etwas aufgefallen an der Situation eben. Stefanie war nervtötend, er hatte sie sich weggewünscht und plötzlich ertönte der Rasenmäher und sie war verschwunden.

Ein weiterer Gärtner harkte das restliche Gras zusammen und füllte es in einen Korb. Die Geräuschkulisse wurde allmählich wieder sanfter und Marc fiel wieder zurück auf die Bank. Er fragte sich, wer als nächstes erscheinen würde. Er machte ein Spiel daraus und begann mit der Frage, ob es sich um jemand bekanntes oder um jemand unbekanntes handeln würde. Vorerst jedoch blieb alles ruhig. Seine Blicke schweiften wieder durch den Park und wieder einmal blieb sein Blick auf dem See hängen. Auf seiner Oberfläche sah Marc eine runde Fläche, auf der sich kleine Wellen bildeten. Es sah aus, als ob eine Glasplatte auf dem Wasser lag und nur durch ein ungleichmäßiges Loch, ziemlich in der Mitte, konnte der Wind das Wasser beherrschen. Dieses Schauspiel ist ihm schon früher an verschiedenen Orten aufgefallen. Doch heute fiel es ihm besonders auf. Er versuchte sich zu erklären, wie so etwas entstehen konnte. Musste denn nicht die gesamte Oberfläche des Wassers Wellen schlagen? Wie kam es dazu, das genau dieser ungleichmäßige und dennoch scharf umrandete Kreis Wellen hatte? Die einzige logische Erklärung war für ihn, dass die Oberflächenspannung unterschiedlich ist, und dass ausgerechnet an dieser Stelle die Wellen waren, lag vielleicht an der Wassertiefe. Er beobachtete das Sonnenlicht, welches sich auf diesem Bereich spiegelte. Es funkelte wie tausende kleine Diamanten, die jemand dort hingestreut hatte. Es glitzerte in unendlich vielen Farben und Marc stellte sich vor, dass genau an dieser Stelle ein Regenbogen geboren wird. Als Kind wurde ihm immer gesagt, dass am Ende eines Regenbogens ein Schatz zu finden sei. Seine Großmutter sagte einmal, dass er diesen Schatz erst finden wird, wenn er bereit ist, die Wunder zu erkennen, die jeden Tag stattfinden. Heute war ein Tag, an dem er schon sehr viele Wunder erlebt hatte. Kleinigkeiten, die ihm jeden Tag begegneten, aber die er nie beachtet hatte. Der Wind spielte ein Spiel mit den Diamanten auf dem Wasser. Einige dieser funkelnden Punkte waren sehr hell, andere dagegen waren farbenfreudiger. In der Mitte dieses Wasserdiadems leuchtete ein heller weißer Punkt.

Marc schaute genauer hin, doch konnte nicht erkennen, was es war, das das Sonnenlicht so spiegelte. Vielleicht eine Flasche. Aber nun erkannte er, dass dieses Licht größer wurde. Ein weißes Licht, dass immer heller und größer wurde. Er erschrak etwas, denn er wusste nicht was das war. Er blinzelte mit den Augen, so, als ob er es wegwischen wollte, doch es gelang ihm nicht. Es wurde immer größer und es schwebte wie eine Wolke über dem Wasser. Oder schwebte es am Ufer? Marc konnte es nicht erkennen; er war zu erschrocken und begeistert davon. Es leuchtete nun größer als ein Mensch. Doch Marc erkannte, dass es Konturen annahm und er war starr vor Staunen. Es war ein Mensch, der sich aus dem Licht entwickelte. Nein, nun erkannte er es, ein Engel war es, ein wunderschöner Engel, umhüllt von einer weißen Wolke aus strahlendem Licht. Was um alles in der Welt hatte das zu bedeuten? Marc hielt nichts von solchen Dingen. Er hielt es immer für Humbug und nun sah er einen Engel. Er konnte sich nicht bewegen. Es kam ihm vor, als ob er keinen Körper mehr hatte, so leicht fühlte er sich. Selbst wenn er sich bewegen wollte, schien es, als ob sein Körper ihm nicht gehorchen wollte. Es klappte einfach nicht und so ließ er es auf sich zukommen.

Wärme durchströmte seinen Körper. Eine Wärme, die sich von der der Sonne unterschied. Dieses Gefühl entspannte seinen ganzen Körper und er merkte wie auch sein Geist und seine Gedanken eine entspannende Massage erlebten. Alles war auf einmal weit weit weg und er wusste im Moment nicht einmal mehr, dass er mitten im Stadtpark auf einer Parkbank saß. Es war still und er schwebte weit über allem, vollkommen schwerelos. Noch immer sah er den Engel, der nun vor ihm zu schweben schien. Marc glaubte, diesen Engel schon lange zu kennen, solch eine Energie strahlte er aus. Das Gesicht dieses Wesens hatte eine Mimik, die Marc nicht einordnen konnte. Es war weder ein ernstes, noch ein neutrales Gesicht, noch ein lachendes. Doch trotzdem strahlte es bedingungslose Liebe aus und Fröhlichkeit.

„Bin ich tot?“, frage er sich in Gedanken.

Der Engel bewegte sich und eine Welle aus Ruhe traf auf Marc.

„Stellst du dir so den Tod vor?“, hörte er eine Stimme.

Marc wollte sich umschauen, um zu sehen, wer mit ihm sprach, aber sein Blick bewegte sich nicht, sondern blieb mit dem Engel in Kontakt.

„Wer spricht mit mir?“, fragte er und erst in diesem Moment bemerkte er, dass er diese Frage in Gedanken gestellt hatte, obwohl er sprechen wollte. Doch das konnte er nicht.

„Sei unbesorgt, ich möchte dir etwas zeigen.“

Das Licht, das den Engel umgab wurde heller und hüllte ihn wieder ein, sodass er nun wieder seine Konturen verlor und zu einer Wolke aus diesem Licht wurde. Die Wolke verschwand langsam in sich selbst bis sie zu einem kleinen Punkt wurde, der sich in sanften Bewegungen weit wegbewegte und dann noch einmal inmitten unzähliger Sterne hell aufleuchtete.

Parkbank ins Leben

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