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Kapitel 2

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Die Steine des Weges wechselten in festgetretenen und grobkörnigen Sand. Marc betrat den Stadtpark und richtete seinen Blick nach vorne. Er wurde begrüßt von einer weiß-grauen Engelskulptur, die schützend ihre Flügel über die Besucher des Parks spannte. An einigen Stellen erkannte man noch die weiße Farbe des Engels, doch der Wind und der Regen ließen ihn ergrauen. Unter den Augen liefen dunkelgraue Streifen und es sah aus, als ob der Engel heute mit Marc zusammen weinte. Die Flügel mit ihrem Farbspiel von Weiß bis Dunkelgrau sahen aus, als würden sie sich bewegen, aber die Bewegung schien immer mehr zu erstarren. Angelehnt an die Säule, auf der der Engel stand, war ein Fahrrad, dessen Vorderrad fehlte. Heute hatte wohl alles eine Bedeutung, denn Marc dachte daran, dass auch ihm das Vorderrad geklaut wurde, ohne das er nicht mehr vorankam.

Es musste gegen elf Uhr sein, und Marc ging ohne genaues Ziel den Weg entlang. Sein Kopf war voller Fragen und bestand im Moment aus einem Wirrwarr von Gedanken. Vorbei an einem Obdachlosen, der auf einer Parkbank selig schlief, ging er weiter in Richtung des Sees in der Mitte vom Park. Rentnergruppen werteten gemeinsam ihre heutigen Besuche beim Arzt aus und klagten auf hypochondrische Weise über die neuen Symptome, die sie erst kürzlich in einer Zeitung entdeckt hatten. Marc hat oft diese Gespräche verfolgt und es kam ihm immer wieder so vor, als ob die alten Leute die Krankheitssymptome wie die kleinen Bilder für das Poesiealbum tauschten. Seine eigene Oma suchte sich immer in den Zeitungen die verschiedenen Wehwehchen, um dann beim Arzt Tabletten dagegen zu bekommen, die sie dann natürlich immer beim Kaffeekränzchen mit Tante Lotte und den anderen Damen schlucken musste. Marc fragte sich, warum das so ist. Warum müssen alte Menschen immer nur von Krankheiten erzählen, anstatt sich am Leben zu erfreuen? Vielleicht war es das Mitleid, welches sie bekamen oder die Fürsorge der Familie. Aber würden sie das denn nicht auch haben, wenn sie sich bester Gesundheit erfreuten? Oder war es wirklich so, dass man im Alter immer neue Krankheiten bekommt? Er wusste es nicht, aber er war froh darüber, dass er sich mit seiner Großmutter immer gut verstanden hat. Sie haben viel zusammen unternommen und auch sehr viel gelacht. Als sie gestorben war, ist für Marc eine Welt zusammengebrochen. Aber eine Freundin half ihm und erzählte ihm von dem Leben, das uns nach dem Tod erwartet. Er wusste, dass seine Oma immer in seiner Nähe ist, wenn er an sie dachte, und das erfüllte ihn mit Freude. Er sah sie dann vor sich, ihr Lachen und ihre Gestalt, so voller Lebensmut und in ihrer positiven Einstellung zum Leben.

„Hallo“, rief eine zartzitternde Stimme in etwas Entfernung.

Marc schaute sich um und sah eine ältere Dame, die ihm zuwinkte. Er lief zu ihr und fragte, ob er ihr helfen kann.

„Hallo junger Mann.“, sprach sie ihn an, „Können Sie mir helfen, sonst stürze ich noch und tue mir was.“

Marc sah nicht, was sie meinte, womit er ihr helfen sollte. Doch als sie auf ihren Fuß zeigte, entdeckte er den offenen Schnürsenkel, den sie sich selbst nicht hätte zubinden können.

„Ja natürlich kann ich Ihnen helfen. Warten Sie, ich binde Ihnen den Schuh wieder zu.“

Marc ging in die Hocke, schlug die beiden Schnürsenkel übereinander und fragte die Dame, ob das zu fest sei. Er sah, dass ihr Fuß sehr angeschwollen war und sie ihn verbunden hatte. Er machte dann einen Knoten in die Bänder und fragte ob er noch weiter behilflich sein kann. Sie verneinte und bedankte sich ganz freudig bei ihm, während sie Marc einen zehn Euro Schein in die Hand drückte. Er wollte das Geld nicht annehmen, aber der Blick im Gesicht der alten Dame erinnerte ihn wieder an seine Großmutter, von der er oft gelernt hatte, dass der Körper im Alter zwar gebrechlich wird, die Sturheit der Jugend aber für alle Zeit erhalten bleibt. Sie verabschiedeten sich und Marc ging weiter, bis er an eine Parkbank kam, etwas abgelegen vom Weg und mit einem schönen Blick auf den See und den angrenzenden Spielplatz. Hinter ihr versuchte eine große Trauerweide den Himmel zu erstürmen. Dieser Baum musste uralt sein, dachte er sich. Er setzte sich auf die Bank, streckte seine Beine breit nach vorne auseinander und seine Arme gen Himmel. Mit einem tiefen Seufzer schlug er seine Beine dann übereinander und verschränkte seine Arme vor seiner Brust. Von weitem hörte er einen Hund bellen. Eine Frau führte ihn, wie so viele andere Menschen zu dieser Zeit, im Park spazieren. Marc schaute auf den See, der ganz ruhig dalag und folgte mit seinem Blick einem Ast, den die Frau ins Wasser warf, damit ihr Hund ihn zurückholte. Der Ast landete nicht weit vom sandigen Ufer im Wasser und ein Echo von gleichmäßigen und ruhigen Wellen ging von ihm aus. Freudig hüpfte der schwarze Labrador zum Ufer und sprang schwanzwedelnd ins Wasser. Den Kopf hochgestreckt schwamm er zum Holz und schnappte danach. Wieder am Ufer schüttelte er sich kräftig und um ihn herum entstand eine Fontäne feiner Wasserperlen die einen kleinen Regenbogen entstehen ließen. Mit neuer Kraft sprang der Hund seinem Frauchen entgegen und sie nahm ihm den Ast aus dem Maul. In dem Moment räkelte er sich auch schon im Gras. Man sah den beiden ihre Freude an und Marc überlegte, wie es ist, einen Hund in sein Leben zu holen. Doch ehe er sich diesem Gedanken widmen konnte, wurde er durch einen Lärm unterbrochen, der sich aus lautem Gebell und Geknurre zusammensetzte. Ein weiterer Hund war gekommen und nun zankten die beiden sich, während Frauchen und das Herrchen des anderen Hundes sich unterhielten. Marc erkannte, dass die beiden Hunde nicht kämpften, sondern nur spielten, doch es sah gefährlich aus. Ein Revierkampf oder einfach nur ein Austesten, wer von beiden der Stärkere ist. Trotz des Kampfes wedelten beide mit den Schwänzen und man sah, wie sie doch ein Team waren, zwei Freunde. Marc überlegte, ob es bei Menschen genauso ist. Sind diese Kämpfe der Hunde unsere Kriege? Aber bei Kriegen kommen viele Menschen ums Leben und sind unüberlegt. Hunde handeln aus ihrem Instinkt heraus.

Der Briefträger ging vorbei und schob sein Fahrrad neben sich her.

„Ist es nicht ein herrlicher Tag heute.“, sprach er Marc an.

„Oh ja, das stimmt.“, erwiderte Marc, „Ein herrlicher Tag!“

„Jeden Tag ...“, fuhr der Briefträger fort, „treffe ich neue Menschen im Park, aber viele kennt man schon und man unterhält sich wie mit guten Freunden. Sie habe ich hier noch nie gesehen.“

Marc war noch ein bisschen gedankenverloren und es war ihm im Moment irgendwie unangenehm so vollgeredet zu werden. Er versuchte aber freundlich zu sein und antwortete: „Das stimmt, ich wollte heute mal ein bisschen Ruhe vor allem haben und habe mich hierher zurückgezogen. Ich bin selten hier, aber es ist schön.“

„Ja, da haben Sie recht, es ist wunderschön im Park bei solch einem herrlichen Wetter.“, erwiderte der Briefträger, „Na, dann werde ich Sie nicht weiter stören.“

Ehe sich Marc versah, war der gelbe Mann auch schon wieder außer Sichtweite. Er lehnte sich wieder zurück und schob mit seinen Füßen den Rucksack unter die Bank.

Er genoss die Sonne, die ihm ins Gesicht schien, und dachte über all die Zeichen nach, die er heute bekommen hat. Das Büro seiner Chefin, das zum ersten Mal traurig aussah, der weinende Engel mit erstarrten Flügeln, die Alten im Park, die Hunde und die zehn Euro, die ihn an seine Großmutter erinnerten.

Parkbank ins Leben

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