Читать книгу In den Wald - Franz Orghandl - Страница 10

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Nina war sich nicht ganz sicher.

„Für sehr viele Dinge“, sagte sie.

Konstantin Mayer drückte Nina den Krug mit Halmmilch in die Hand. Er selbst balancierte die Schüssel voll Knospen zurück zur ehrwürdigen hohlen Eiche, in der er wohnte.

Vor dem Baum machte Konstantin Mayer Feuer, um den Schaumkuchen zu backen und die Knospen aufzukochen. In die Eiche hinein setzte er eine besonders fette Glühwürmchendame, der viele Verehrer gerne Gesellschaft leisten wollten. Nina bereitete ihnen ein schönes Plätzchen in einem großen Blütenkelch, so dass sie lange bleiben und leuchten wollten. Nun brauchten sie noch Wasser. Und Nina wollte auch Salat.

„Nur Süßes mag ich nicht!“, sagte sie, denn nur Süßes mochte sie nicht.

Vor allem aber wollte sie in den Brunnen hinabtauchen. Dort gab es Brunnenkraut zu ernten. Gemeinsam mit Konstantin Mayer saß sie am steinernen Rand und wartete, bis der Mond höher gestiegen war und auf den Grund leuchtete.

Nina ließ sich mit dem Krautriffel in der Hand in das silberne Wasser gleiten. Wenn sie im Wald war, konnte sie lange unter Wasser bleiben, nichts hatte Eile. Sie zog ihre Kreise über dem kiesenen Grund, auf dem das Brunnenkraut spross. Nur die reifsten Triebspitzen riffelte sie vorsichtig ab, denn von wem man isst, den soll man gut behandeln. Sie drehte sich auf den Rücken, um den Mond hoch oben über der Wasseroberfläche zu betrachten. Er schien verschwommen, doch vertraut auf sie herab. So, wie er es auch über dem Beserlpark tat, wenn sie mit Papa spät vom Schwimmen heimkam.

Da wabberte ein schrilles Geräusch zu ihr herab. Ein Geräusch, wie es bisher im Wald nicht zu hören gewesen war.

Konstantin Mayers Kopf tauchte schemenhaft über dem Brunnenrand auf.

„Was ist das?“, trug es seine aufgeregte Stimme zu Nina.

Nina tauchte auf. Sie musste sich einen Moment besinnen.

„Das Telefon“, antwortete sie.

„Das was?“, rief Konstantin Mayer und hielt sich entgeistert die Ohren zu.

„Unser Telefon!“, rief Nina, der nun auch einfiel, wo dieses stand.

Auf dem Holzboden vor dem Elternschlafzimmer und mit bester Sicht auf ihr leeres Bett, wenn die Türe weit genug offen stand. Nina übergab hastig ihre Ernte und rannte los.


„Sag ihm, es soll aufhören!“, schrie ihr Konstantin Mayer hinterher.

Doch Nina war froh, dass es noch läutete, denn so wusste sie, dass noch keiner abgehoben hatte. Papa und Mama diskutierten nämlich gerne, wer rangehen musste, wenn sie es sich auf der Couch gemütlich gemacht hatten.

Atemlos ging es durch den Wald. Zweige peitschten Nina ins Gesicht und Nadeln, die sich lösten, blieben an ihren brunnennassen Gliedern kleben. Sie schlüpfte durch die Schrankwand und wand sich hastig an der Wäsche vorbei. Immer noch tropfend betrat sie das Elternschlafzimmer und fand sich genau im Lichtkegel der Flurlampe, der durch die offene Tür fiel. Und genau vor den Augen von Papa, der gerade den Hörer abgehoben hatte.

Nina erstarrte und Papa auch, aber der nur kurz.

„Und was soll das?“, fragte er und hielt den Hörer von sich weg und zu, damit ihn der Anrufer nicht hören sollte.

„Ich bin nur kurz aufgestanden!“, schnaufte Nina völlig außer Atem.

„Und warum bist du ganz nass?“, fragte Papa.

„Gewaschen“, sagte Nina.

Papa zog die Augenbrauen hoch.

Nina trabte mit gesenktem Blick an ihm vorbei, ihrem Zimmer zu.

„Halt!“, forderte Papa.

Nina blieb steif vor ihrem Bett stehen und wagte nicht, sich umzudrehen.

Sie hörte Papa zuerst ins Telefon „Hallo?“ sagen und dann:

„Moment, Vaterpflichten.“

Dann hörte sie, wie er die Tür zum Schrank weit aufmachte und sie spürte plötzlich ihr Herz in ihren Ohren schlagen. Da landete ein Handtuch unsanft auf ihrem Kopf.

„Danke“, sagte Nina.

Mit einem Patsch klatschte ein kleines Tannenästchen mit zarten, hellgrünen Wipfelchen auf den Parkettboden. Das hatte ihr Papa mit dem Handtuch aus dem Haar geschossen. Wie laut so etwas um diese Uhrzeit war! Und wie wenig Nina damit gerechnet hatte. Beinahe ebenso wenig wie Papa. Vielleicht, wäre sie einfach weitergegangen und ins Bett geschlüpft, wäre ihm trotzdem nichts aufgefallen. Obwohl er es gehört und dank des Flurlichts auch ein bisschen gesehen hatte, hätte es gewesen sein können, als wäre nichts gewesen. So viel wusste Nina inzwischen schon über Eltern zur Feierabendzeit.

Aber sie war nicht weitergegangen. Sie stand nur wie angewurzelt da, was Papa natürlich sagen ließ:

„Was war das?“

Was Nina natürlich sagen ließ:

„Nichts!“

Und das genügte, dass das, was da auch immer lag, höchstwahrscheinlich etwas Verbotenes war oder mit etwas Verbotenem zu tun hatte.

Papa sagte in den Hörer:

„Ich rufe zurück!“, und legte auf.

Dann kam er auf Nina zu und musterte sie. Danach musterte er den Tannenzweig, der ja eigentlich, wie Nina selbst, nichts allzu Ungewöhnliches darbot. Trotzdem fragte er mit ernstem Ton:

„Was ist das?“

Nun wusste Nina nicht, ob Papa tatsächlich nicht wusste, was das war. Das konnte eigentlich nicht sein.

„Sieht aus wie ein Tannenzweig …“, sagte sie dennoch.

Da sagte Papa noch eines der seltsamen Dinge, die er manchmal von sich gab:

„Im Frühling?“

Darauf wusste Nina nun wirklich keine Antwort. Aber keine Antwort war in so einer Situation nicht gut, also nickte sie.

„Und was macht der auf deinem Kopf?“, fragte Papa weiter.

Nina war nicht sicher, ob sie bestätigen sollte, dass er auf ihrem Kopf gewesen war, jetzt lag er ja immerhin auf dem Boden. Auf den starrte sie fürs Erste.

„Sieh mich an!“, sagte Papa mit seiner ernsten Allwissenheitsstimme und da wusste Nina endlich, dass er gar nichts wusste.

Nicht allgemein, aber in diesem Fall. Sie sah ihm also gehorsam wie fest in die Augen. Das verunsicherte Papa irgendwie, denn richtig cool kann immer nur einer sein. Nina wollte nicht, dass Papa nicht richtig cool sein konnte, weil er es doch so gerne war. Es war seine Spezialität. Also schenkte sie ihm ein sehr zerknirschtes Lächeln, hob den Zweig auf und sagte:

„Ich war im Wald.“

Papas Gehirn drehte kurz eine Runde und dann lächelte er spitzbübisch zurück. Nina mochte es gerne, wenn er so lächelte.

„Ach so“, sagte er und zwinkerte ihr zu. „Da braucht man so was natürlich.“

Und er ging in die Knie, nahm den Tannenzweig aus Ninas Hand und drehte ihn zwischen Daumen und Zeigefinger. Obwohl Nina einsehen musste, dass Papa nicht einmal an den Wald glaubte, wenn er ein Stück davon in der Hand hielt, streichelte sie ihm die Wange, weil er lieb war und auf ihrer Seite. Auf ihrer Seite bedeutete, dass er ein Auge zudrücken würde und darüber hinwegsehen, dass er sie lange nach Schlafengehzeit tropfend im Elternschlafzimmer vorgefunden hatte. Und wenn Papa oder Mama ein Auge zudrückten, bedeutete das, dass sie Nina nicht an den jeweils anderen verpetzten, weil sie nun ein Geheimnis mit ihr teilten.

„Zu dumm aber, dass du nicht daran glaubst“, murmelte Nina in ihren Polster, nachdem ihr Papa die Haare frottiert und sie zugedeckt hatte.

Doch da konnte sie ihm freilich nicht helfen.

In den Wald

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