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Fragmente einer Theologie kirchlicher Leitung

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„Ich will nicht über euch herrschen, und auch mein Sohn soll nicht über euch herrschen; JHWH soll über euch herrschen“ (Ri 8,23). So reagiert Gideon auf das Ansinnen der Israeliten, Israels König zu werden. Nicht Menschen sollen über Menschen herrschen. Dieses Recht ist allein Gott vorbehalten. Aus der Sicht Gideons droht die Annahme der Königswürde die Rettung zu verdunkeln, die Israel JHWH verdankt. Die königskritischen Stellen (Vanoni/Heininger, 19) entstammen der noch frischen Befreiungserfahrung jener Sklaven, die dem Joch ägyptischen Pharaonentums und mesopotamischer Stadtstaatenkönige entkommen sind und neue Formen des Zusammenlebens erproben – aus ihrer Sicht all dies mit Gottes Hilfe (vgl. Lohfink, 71–102). So reagiert auch Samuel skeptisch, als das Volk einen König verlangt: Samuel missfiel es, dass sie sagten: „Gib uns einen König, der uns regieren soll“ (1 Sam 8,6). Für Samuel steht die Einführung des Königtums im Widerstreit zur Königsherrschaft Gottes. Regina Polak

Dem deuteronomischen Königsgesetz (Dtn 17,14–20) steht auch ein herrschaftskritischer Strang gegenüber, der die Ausübung königlicher Macht ablehnt. Man kann das Alte Testament lesen als eine spannungsreiche Lerngeschichte im Umgang mit Macht. Auch das Leben und Sterben des Jesus von Nazareth zeugen von der Brisanz dieser Thematik. Es sind die Macht-Eliten, die seinen Tod verantworten. Seine Botschaft vom Reich Gottes beschreibt eine Form menschlichen Zusammenlebens, in der die soziokulturellen, ökonomischen und politischen Machtlogiken auf den Kopf gestellt werden; Qualitätsmaßstab menschlicher Gemeinschaft ist die Lebenssituation der Machtlosen: der Armen, Fremden und Marginalisierten; der Kinder und Kranken. Herrschende werden zum Dienen aufgefordert (Mk 10,43–45), ein Kennzeichen der Anhänger des Königs, dessen Reich nicht von dieser Welt ist (Joh 18,36). Dieser stirbt einen ohnmächtigen Tod am Kreuz. Die Auferstehung bildet den Höhepunkt jener paradoxalen Logik, die die Gestalt des Jesus von Nazareth bezeugt: die Macht der Ohnmacht.

Diese biblischen Erinnerungen bestimmen meine fragmentarischen Überlegungen zu einer Theologie der Leitung. Ohne sich mit Macht bewusst auseinanderzusetzen, drohen reale Machtverhältnisse verschleiert oder spirituell überhöht zu werden – gerade dann, wenn sich die Kirchenleitung als demütige Dienerin ihrer Gläubigen präsentiert. Aus theologischer Sicht ist

Macht zunächst eine Gabe: man denke an Moses, dem die Macht verliehen wird, sein Volk aus der Sklaverei zu führen; oder an Jesus, der seinen Jüngern die Macht verleiht, unreine Geister auszutreiben und Krankheiten sowie Leiden zu heilen (Mt 10,1). Macht bezeichnet hier jene Handlungsmöglichkeiten, die jemandem kraft seiner Fähigkeiten, Ressourcen und (amtlichen) Zuständigkeiten zur Verfügung stehen und mittels derer er/sie auf andere Menschen Einfluss nehmen kann. Gott lässt Menschen teilhaben an seiner Macht, damit diese sich an seiner Schöpfungs- und Heilsgeschichte beteiligen können. Diese Macht dient dem Schutz, der Bewahrung und Förderung des Lebens. Sie vollzieht sich als schöpferische Liebe, sie verwirklicht sich im Einsatz für Gerechtigkeit (vgl. Tillich 1991 [1954]). In den Händen von Menschen verkehrt sich diese Gabe jedoch immer wieder in Herrschaft und Gewalt über andere Menschen.

Das Bewusstsein um den zwiespältigen Charakter von Macht bildet daher ein Herzstück jeder Theologie der Leitung. Leitung dient dazu, die Angelegenheiten und Aufgaben, die alle betreffen, gestalten und erfüllen zu können. Dazu bedarf es auch institutionalisierter Macht und Personen, denen diese anvertraut wird. Zugleich bilden die Erfahrungen mit dem Scheitern menschlicher Macht und ihrer Opfer wie die biblischen Erinnerungen ein unverzichtbares Korrektiv und eröffnen eine theologische (Selbst)Kritik im Umgang mit Macht: alle menschliche Macht ist begrenzt und verliehen und Gott ist der Herr der Geschichte.

Lebendige Seelsorge 3/2014

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