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2.1.2 Handeln als Grundbegriff der Soziologie: Max Weber

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Vollständig neu ist eine solche Sichtweise keineswegs. Dies gilt für die Philosophie, auf die wir noch näher eingehen (Kapitel 2.2), aber auch für die Soziologie dort, wo sie mit einer Reflexion ihrer eigenen Grundlagen beschäftigt war. Es wird sich allerdings noch zeigen, dass Habermas dieses Verhältnis in Bezug auf das Phänomen des Handelns auf eine durchaus neue Weise denken wird. Beschränken wir uns aber zunächst auf die Soziologie. In der auf Max Weber aufbauenden und an ihn anschließenden Soziologie gilt die Soziologie als die Wissenschaft vom ‚sozialen Handeln‘, weshalb Handeln als der Grundbegriff der Soziologie erscheint. Alle anderen Phänomene, mit denen sich diese Wissenschaft beschäftigt, lassen sich von diesem Begriff her bestimmen, d. h., sie werden als besondere Formen des Handelns aufgefasst. Das ist von solchen Richtungen her nicht unmittelbar einsichtig, die ‚Gesellschaft‘ oder ‚soziale Systeme‘ bzw. ‚Institutionen‘ als Grundbegriffe der Sozialwissenschaften auszeichnen möchten. Max Weber hatte jedoch zwei Gründe für die Wahl von Handlungen als Ausgangspunkt der soziologischen Analysen.

Zum einen sind Handlungen besser zu identifizieren als etwa ‚Gesellschaften‘, m. a. W.: Jeder ist aus seiner Alltagswelt mit dem vertraut, was wir als ‚Handlungen‘ bezeichnen. Wir können uns also darauf verlassen, dass wir das, was damit gemeint ist, aus ganz unterschiedlichen Perspektiven ohne große Probleme identifizieren können. Unser Alltagsleben hat ständig mit Handlungen zu tun, seien es die eigenen oder diejenigen anderer Menschen, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen. Man könnte dies auch so ausdrücken: Handlungen sind intersubjektiv leicht festzustellen, und damit haben wir so etwas wie eine objektive Beschreibbarkeit solcher Phänomene, auf die wissenschaftlich aufgebaut werden kann. Daraus ergibt sich, dass es die Aufgabe der Soziologie nach Max Weber ist, Handlungen nach ihren allgemeinen Zügen zu beschreiben und sie von solchen Ereignissen im menschlichen Leben abzugrenzen, die wir nicht als Handlungen auffassen können.

Zum Zweiten sind soziale Phänomene nach Max Weber auf verschiedene Weisen Formen von Handlungen von Menschen, in denen sie sich aufeinander beziehen, genauer gesagt: Es sind Formen von Handlungen, die sich auf Handlungen anderer Personen beziehen. Auf diese Weise lassen sich soziale Sachverhalte identifizieren, indem sie aus sozialen Handlungen als ihrer Basis verstanden werden.

Wenn wir jedoch von sozialen Handlungen sprechen, so nehmen wir offenbar eine Unterscheidung innerhalb dessen vor, was wir als Handlungen bezeichnen wollen. Das war in der Tat auch Max Webers Absicht. Es gibt demnach soziale Handlungen, aber es gibt auch solche Handlungen, die man nicht als ‚sozial‘ in dem hier gemeinten Sinne verstehen kann. Solche Handlungen können etwa nur die einzelne Person [<<35] angehen, oder sie können sich auf den Umgang mit der nichtmenschlichen Welt beziehen. Daraus entsteht allerdings das Problem, dass wir damit behaupten, solche Handlungen würden nicht im sozialen Zusammenhang geschehen.

Dagegen spricht, dass auch der Umgang des Individuums mit sich selbst und mit der physikalischen Welt durch kulturelle Normen bestimmt ist, die wiederum auf soziale Zusammenhänge zurückführen und damit auf Formen sozialen Handelns. Jedenfalls ist dieser Zusammenhang für das Denken von Habermas von Bedeutung, der Max Webers Denken überbietet durch die Auffassung, dass Handeln im Grunde stets sozial ist und dass wir darin die Grundlagen der Vernunft und gleichzeitig des Zusammenlebens in der sozialen Welt aktualisieren, die uns als Menschen ausmachen. Wenn die Soziologie also Handlungen zu ihrem Thema nimmt, so hat sie zu ihrem Gegenstand ebenso jene Grundlagen der Vernunft und damit die Selbstunterscheidung des Menschen von der nichtmenschlichen Welt.

Daraus ergibt sich, dass wir offenbar noch früher als im sozialen Zusammenhang ansetzen müssen, wenn wir Handeln bzw. Handlungen von Verhalten bzw. Ereignissen unterscheiden wollen. Eine der Pointen in Habermas’ Denken liegt gerade darin, dass wir aus diesem Unterscheiden den sozialen Zusammenhang gerade nicht ausblenden können. Natürlich sind wir damit schon beim zentralen Thema von Habermas’ Philosophie und Soziologie: dem Handeln, das kommunikativ ist und deshalb kommunikatives Handeln genannt wird. Bevor wir diesen Begriff genauer erklären, wollen wir jedoch die Frage der philosophischen und soziologischen Herkunft des Begriffes der Handlung noch nach einigen Hinsichten zu beantworten suchen.

Bei Max Weber gewinnt der Begriff der Handlung noch einige Auszeichnungen, die ihn bereits in die Nähe derjenigen Charakterisierung bringen, die wir letztlich schon bei Aristoteles – also am Anfang der Philosophie – finden können. Webers Definition von Handeln lautet so:

„,Handeln‘ soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden.“2

Danach stellt Verhalten den Oberbegriff dar, von dem sich Handeln dadurch unterscheidet, dass es subjektiv sinnhaft ist. Ein Handeln ist also ein spezielles Verhalten, [<<36] und ein Verhalten ist noch kein Handeln, außer wenn es durch diese Charakterisierung ausgezeichnet ist.

Wichtig ist nun, dass es für Handeln nicht ausreicht, dass der Sinn einem Verhalten durch äußere Beobachter zugeschrieben wird. Wenn die Katze also an der Schranktür kratzt und ihr ‚Dosenöffner‘ sich sagt, sie wolle noch mehr Katzenkekse, dann könnte man zwar sagen, er habe damit ihrem Verhalten einen Sinn zugeschrieben. Aber das führt nicht dazu, dass wir von einem Handeln im Sinne von Max Weber sprechen können. Der Sinn muss vielmehr subjektiv mit dem Verhalten verbunden werden, also von dem Akteur selbst aus, der eben dadurch überhaupt zu einem solchen wird, also zu jemandem, der handelt und sich nicht nur verhält. Wir müssen hier nicht diskutieren, ob manche Tiere zu einen solchen ‚sinnhaften‘ Verhalten fähig sind. Angemerkt sei jedoch, dass Max Weber dies durchaus für möglich hielt; zumindest wies er in einer Klammer darauf hin: „viele Tiere ‚verstehen‘ Befehl, Zorn, Liebe, Angriffsabsicht und reagieren darauf offenbar vielfach nicht ausschließlich mechanisch-instinktiv, sondern irgendwie auch bewusst sinnhaft und erfahrungsorientiert.“3

Kann ein Lebewesen subjektiv Sinn mit seinem Verhalten verbinden, so muss es sich offenbar auf sich selbst beziehen können, d. h., es muss ein Bewusstsein von sich selbst haben. Solange ein solches Wesen in der Außenwelt einen Reiz (Geruch von Katzenkeksen) wahrnimmt und sich daraufhin, über physiologische Vorgänge und neuronale Prozesse vermittelt, auf eine bestimmte Weise verhält (am Schrank kratzt), sprechen wir nur von Verhalten. Dies gilt auch dann noch, wenn dieses Lebewesen sich aufgrund von neuronal abgespeicherten Lernprozessen zur Erfüllung des Strebens eines anderes Lebewesens (seines ‚Dosenöffners‘) zu bedienen versucht, um sein Ziel zu erreichen. Wir sprechen hier in der Regel von Reiz-Reaktions-Prozessen im Sinne von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen, weil wir auch einem so hoch entwickelten Tier wie einer Katze kein Bewusstsein von sich selbst zuschreiben, durch das es sein Verhalten mit einem subjektiven Sinn verbinden könnte. Wir nehmen nicht an, dass es sein eigenes Verhalten als motiviert verstehen kann – obwohl wir uns durchaus sagen könnten, das Motiv für das Kratzen am Schrank liege darin, den ‚Dosenöffner‘ zum Öffnen der Tür und zur Bereitstellung der angestrebten Katzenkekse zu bewegen.

Wir unterstellen der Katze also keine Absichten im vollen Sinne dieses Wortes, ebenso wenig wie wir von dem Schlagen unseres eigenen Herzens sagen würden, es geschehe mit Absicht und wir würden ein Motiv damit verbinden. An dieser Stelle [<<37] wird aber schon deutlich, dass die Abgrenzung zwischen Verhalten und Handeln nicht sehr trennscharf ist. Max Weber hat dies im Zusammenhang mit einem bestimmten Handlungstyp auch zugegeben. Handeln kann aus bloßer Gewohnheit geschehen und wir können dann von ‚traditionalem Handeln‘ sprechen. Wir überlegen dann nicht mehr, sondern führen komplizierte Bewegungsabläufe aus, weil wir es jeden Tag so tun, etwa beim Zähneputzen oder Rasieren. Es könnte aber auch sein, dass jemand überhaupt nicht bereit ist, dem Verhalten der Katze jeden Sinn abzusprechen, und ihr sehr wohl ein Mindestmaß an Bewusstsein von sich selbst zuschreiben möchte, wie es für ein solch subjektives Erleben und für Verhalten auf der Grundlage von Absichten notwendig ist. Dagegen hätte man in früherer Zeit die kulturellen Selbstverständlichkeiten vorgebracht, auf deren Grundlage wir Tieren so etwas eben nicht zuschreiben. Heute sind unsere Vorstellungen anders, weshalb jene Unterscheidung noch weniger trennscharf geworden ist, als sie es aus sich selbst heraus schon ist.

Damit sind wir aber schon bei einem weiteren Begriff, der für das Verständnis des Handelns entscheidend ist. Dass ein anderes Lebewesen gehandelt – und sich nicht nur verhalten – hat, dies können wir durch bloße Beobachtung nicht erkennen. Das Standardbeispiel ist hier das Heben des Armes. Dieser Vorgang lässt sich zunächst als Ereignis in der natürlichen Welt vollständig objektiv beschreiben, wobei wir auch physiologische und neurologische Begriffe heranziehen können. Aber dieses Ereignis kann auch ein Grüßen oder eine Warnung bedeuten und damit eine Handlung darstellen, für die subjektiv ein Motiv bzw. eine Absicht besteht. Es stellt sich also in Bezug auf die Unterscheidung die Frage, wie wir – die Beobachter – das eine vom anderen unterscheiden. Wir müssen dafür ja offensichtlich erkennen, dass das andere Lebewesen subjektiven Sinn mit seinem Verhalten verbindet, d. h., dass es grüßen oder warnen will und den Arm nicht etwa nur gehoben hat, weil es durch ein Muskelzucken dazu gezwungen war. Die Antwort darauf lautet: Handeln können wir nicht durch bloßes Beobachten erkennen, sondern wir müssen es deutend verstehen.

Wir interpretieren (‚deuten‘) das beobachtbare Heben des Armes als Grüßen oder als Warnen, d. h., wir nehmen etwas als etwas und bleiben nicht bei der bloßen Beobachtung stehen. Dies geschieht im Falle des Handelns aber nicht so, wie wir eine Hauskatze als der Gattung der Feliden zugehörig auffassen (also sie in die zoologische Klassifikation nach Arten und Gattungen einordnen) oder ein Muskelzucken als Wirkung eines elektrischen Reizes bezeichnen können (also ein Ereignis durch seine Ursache erklären). Das hier gemeinte Interpretieren sollten wir besser von der Interpretation eines Textes her auffassen. Wir lesen ein belletristisches Werk und versuchen beim Lesen den Sinn aufzufinden, was etwa das sein könnte, was der Autor des Buches sagen wollte. Das können wir nicht durch Beobachtung feststellen, sondern indem wir deutend verstehen. [<<38] Wir erklären den Text aber nicht und wir suchen nicht nach Ursachen. Wir stellen also eine Motivations- bzw. Absichtsbeziehung zwischen dem Autor und dem Text her und sagen dann, wir hätten das Werk verstanden.

Damit sind wir wieder bei jenem Bewusstsein von sich selbst, das wir oben schon als Kriterium für die Unterscheidung einer Handlung von einem Verhalten (einem Ereignis in der Welt) herangezogen hatten. Wir müssen in der Deutung eines Verhaltens dazu kommen, ein Selbstverstehen zu erkennen, um darin einen Akteur zu erkennen (Habermas schreibt übrigens meistens ‚Aktor‘). Das können wir aber nicht durch die bloße Beobachtung, obwohl wir ohne Beobachten nicht die Grundlage für ein Verstehen gewinnen können; denn wenn wir nicht sehen, dass jemand den Arm hebt, können wir auch nicht interpretieren, dies sei zum Zwecke und aus der Motivation des Grüßens geschehen.

Eine Handlung fassen wir also nur durch die Leistung eines Fremdverstehens als solche auf. Wir verstehen, dass ein anderes Lebewesen sich so auf sich bezieht, dass es sich versteht und damit seinem Verhalten einen Sinn, eine Motivation und damit eine Deutung gibt. Wir verstehen, dass das Heben des Arms von eben diesem Menschen, der den Arm hebt, als Grüßen gemeint ist. Das können wir demnach nur, wenn wir uns selbst ebenso als verstehende Lebewesen auffassen, die ein bewusstes Verhältnis zu sich selbst einnehmen.

In dieser Tradition können wir demnach also keine scharfe Grenze zwischen Bewusstseinsprozessen und sozialen Vorgängen als Handlungszusammenhängen ziehen. Wir könnten auch sagen, dass sich im Begriff des Handelns das Psychische (verstanden als Bezug des Handelnden auf sich selbst) und das Soziale (verstanden als aufeinander bezogene Handlungen und Systeme von Handlungen) so eng miteinander verbinden, dass eine Trennung nur abstraktiv möglich ist.

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