Читать книгу Nach Amerika! Bd. 2 - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 6

Seminolenchief Osceola, gemalt von George Catlin

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«Nun, Madame, wenn Sie jetzt aufsteigen wollen», unterbrach der Wagenführer, der sein Geschirr glücklich von Bord und über das Flatboot weg auf festen Grund und Boden gebracht hatte, die Betrachtungen seiner Reisegefährtin, «die Pferde sind ausgeruht und können’s schon ziehen, und hier hinauf geht sich’s doch schlecht für so zarte Füße.»

Fräulein v. Seebald wäre gern noch länger hier geblieben, um das Leben und Treiben der Indianer mehr zu beobachten und sich vielleicht gar in ein Gespräch mit ihnen einzulassen; gebrochen Englisch wenigstens sollten doch viele von ihnen sprechen. Aber allein ging das auch nicht an, und es schien auch der Wagenführer, der noch einen weiten Weg vor sich hatte, keine große Lust zu haben, länger zu warten. Sie mußte sich deshalb wirklich nicht allein entschließen, den Platz zu verlassen, der ihr zum erstenmal in ihrem Leben eine Szene echt wilder Romantik bot, sondern auch auf höchst unromantische Weise, und noch dazu im Beisein einer Menge fremder Menschen, die gewiß dabei ihren Spott über sie hatten, auf einen ganz gewöhnlichen Rüstwagen hinaufklettern und sich dort in raschelnden Maishülsen, zu denen ihr ganzer Anzug auf nicht im mindestens paßte, vergraben. Es kostete ihr der Entschluß in der Tat eine Überwindung; aber trotz ihrem oft übertriebenen Hang zur Schwärmerei hatte Amalie v. Seebald, wie sie auch schon durch ihre ganze Reise bewiesen, doch viel Charakterstärke, die, mit dem Abenteuerlichen ihrer Situation, sie bald bewog, sich über alles andere hinwegzusetzen.

Der Amerikaner – wie überhaupt keine Nation aufmerksamer gegen Damen sein kann als diese, brachte indessen aus der nächsten grocery einen Stuhl heraus, daß sie bequemer auf den Wagen kommen konnte; lachend und verschämt nahm dabei die Dame ihre Kleider zusammen, stieg auf den Stuhl und schwang sich, von der breiten Hand des Wagenführers dabei unterstützt, auf das Rad und von da in den Wagen. Ein junger Bursche trug den benutzten Stuhl in die grocery zurück, der Amerikaner klatschte mit der Peitsche, die Pferde zogen an, und nebenhergehend, bis sie die obere Bank erreicht hatten, fuhr das ziemlich schwerfällige Geschirr, von den kräftigen Tieren gezogen, verhältnismäßig rasch den steilen Weg hinan. Die Indianer stießen dabei einen gellenden Schrei aus, die Kinder jubelten, die Hunde bellten und der Wagen rasselte, während der Mann, oben angelangt, selber im Fahren aufsprang und sich neben die Dame in die Maishülsen setzte, die etwas holperige, ausgefahrene Straße rasch entlang.

Das kleine Nest von Wirtshäusern ließen sie dabei gleich zurück, Lichtungen am Weg zeigten aber noch junge Farmen; sie fuhren eine Strecke lang zwischen Fenzen hin, die erst kürzlich urbar gemachtes Land umschlossen. Auch diese hörten endlich auf; hier und da lagen noch dicht am Weg gefällte und zu Fenzstangen zerspaltete Stämme, dort waren junge Bäume zu Feuerholz abgeschlagen, und jetzt zog sich die wohl breit ausgehauene, aber sonst sehr verwilderte und nur allein durch die Axt hergestellte Straße durch den finsteren, dichten Urwald hin, der sie in all’ seiner großartigen Majestät umfing.

So beengt und unbehaglich sich übrigens Fräulein v. Seebald noch bei dem ersten Besteigen des Wagens, und so lange sie die vielen fremden Menschen um sich her wußte, gefühlt hatte, so wohl, so frei wurde ihr es jetzt. Das Herz ging ihr auf, und wie die letzten Fenzen hinter ihr verschwunden waren, wie jene mächtigen, riesigen Bäume, die gerade zu ihrer gewaltigsten Höhe in diesen Niederungen aufsteigen, ihre Stämme wie gigantische Säulen um sie her emporreckten und die prachtvollen Wipfel schüttelten und mit ihnen rauschten und flüsterten, als ob der Wald Leben gewonnen hätte, als sie die wunderlich geflochtenen und verschlungenen Lianen in weiten Festons den Weg überhängen und von den höchsten Ästen der Bäume niederschaukeln sah, und ihre Phantasie diese dunklen Waldesschatten mit all’ dem Wild und Raubzeug des weiten Landes dicht belebte, da wußte sie sich vor Glück und Seligkeit kaum zu fassen. Die Tränen traten ihr in die Augen, und sie hätte laut aufjubeln mögen vor Lust und Wonne.

Ihr Ziel war jetzt erreicht, wonach sie jahrelang gestrebt und sich gesehn; derselbe Wald umfing sie schon, der ihrer Schwester eine Heimat, ein Paradies geschaffen, und nur ein Herz fehlte ihr jetzt, mit dem sie ihre Seligkeit teilen, dem sie das alles zujauchzen konnte, was ihre Brust in diesem Augenblick erfüllte und erhob.

Mit dem Mann an ihrer Seite, der trocken und gleichgültig auf seinem Platz saß und nur manchmal, wenn der Weg eine kurze Strecke glatt fortging, die Pferde zu rascherem Lauf antrieb, ließ sich aber freilich nicht reden; auch war sie des Englischen kaum mächtig genug, um gerade den Gefühlen Worte zu geben, die es sie trieb und drängte auszusprechen. So fuhren sie eine Zeitlang schweigend miteinander hin, wobei der Weg indes, je weiter sie in das Land hineinkamen, schlechter und sumpfiger wurde, und die ganze Aufmerksamkeit des Wagenführers erforderte. Der großartige, wirklich herrliche Wald dieser Niederungen blieb dabei unverändert, unverkümmert, aber die Bewohner und Besitzer desselben, die Moskitos, meldeten sich ebenfalls, und wenn sie auch gerade nicht häufig waren und durch die Bewegung des Fahrens schon abgehalten wurden, ließen sie sich doch, wenn der Wagen manchmal auf einen Augenblick hielt und der Fuhrmann absteigen mußte, um irgendeinen niedergebrochenen Ast aus dem Weg zu räumen, oder die Tiere um eine stehengebliebene Wurzel herumzuführen, hören und fühlen, während die zarte Haut der jungen Dame leicht unter dem scharfen Stich der kleinen, scharfsäftigen Tiere anschwoll.

Dadurch wurde übrigens ihr Geist auch wieder in etwas mehr dem Irdischen zugewandt, und Fräulein v. Seebald begann den Wagenführer nach ihrem Weg, der Länge desselben, den verschiedenen Ansiedlungen oder ,Plantagen’ (wie sie es nannte, was er aber im Anfang nicht verstand) zu fragen.

Der Bursche war ein einfach schlichtes ,Kind des Waldes’, wie Fräulein v. Seebald bald genug fand; er wußte auch in der Tat nicht viel mehr, als was im Bereich seines Waldes und der Landung von Little Rock lag. Allerdings kannte er den Weg genau, jeden Sumpf und Stamm, jede ,Clearin’, jedes ,Improvement’, wie die allerersten Niederlassungen genannt werden. Er war dabei imstande, genau anzugeben, wieviel jeder ,Nachbar’ den Tag über ,Fenzriegel’ spalten könne, wieviel Hirsche Johnny Bligh in der letzten ,season’ erlegt und wie viel coons25 sie in ihrem letzten crop (Ernte) im Maisfeld mit den Hunden gefangen oder geschossen hätten. Auch die Pferde und Rinder der Nachbarn kannte er persönlich, wußte jeden Flecken an ihnen, jeden Brand26 anzugeben, zeigte ihr auch den Platz, als sie daran vorbeifuhren, wo im vorigen Jahr der Panther ein junges Füllen erwürgt und beinahe auch noch gefressen hätte, wäre er nicht glücklicherweise (freilich zu spät, um es vor dem Erwürgen zu bewahren) dazugekommen, und ging dann speziell in seiner Unterhaltung auf die deutschen Einwanderer über, von denen, wie er meinte, ein ,heap’ die letzten Jahre herübergekommen sein müßten, denn am Cashriver hätte er zwei gesehen und nach Little Rock wäre eine ganze Familie gekommen, der Mann, die Frau und drei oder vier Kinder. In Little Rock wären überhaupt eine Menge Deutsche, es wimmelte ordentlich davon – er allein kannte sechs oder sieben, und Charley Fischer sei der Fidelste von allen, und ,a monstrous smart hand too!’ – ungeheuer schlau und pfiffig – und hätte ihm neulich einmal (vor drei Jahren) einen ganz faulen Western-Reservekäse27 aufgehangen, was er ihm aber nicht besonders übelzunehmen, sondern sich eher darüber zu freuen schien, daß er das fertiggebracht.

Nur von dem ,Grafen Olnitzki’ wußte er wenig oder gar nichts zu erzählen, seine ,old lady’28 kannte er gar nicht, hatte sie nie gesehen und glaubte auch nicht, daß sie viel aus der range (eigentlich Weideplatz, aber auch von Ansiedlungen gebraucht) herauskäme. Old Nitzky, wie er ihn unverdrossen nannte, sollte übrigens a powerful hand (sehr geschickt) mit der Büchse ein, und viele Hirsche und auch schon einige Bären geschossen haben. Jetzt war er lange nicht ,in die Ansiedlungen’ gekommen, aber er konnte sich noch recht gut auf ihn besinnen, denn er war ein großer, starker Mann und trug ,das ganze Gesicht voller Haare’.

Wenn aber der Führer ihr auch keine näheren Nachrichten über die geben konnte, deren Schicksal ihr so sehr am Herzen lag, und die es sie so glücklich machte, nach so langer Trennung wieder zu sehen, so war er doch in so mancher anderen Art praktisch und unendlich gutmütig. Er brach ihr einen Sassafrasbusch ab, um sich damit der dann und wann zu ihnen kommenden Moskitos zu erwehren, und hielt einige Male besonders an, um ihr einen Hut voll saftiger, zuckersüßer Persimonen29, die dort in Masse wuchsen, zu suchen und zu bringen, oder wilde Weintrauben zu pflücken, die von manchen Bäumen in schweren, blauen Massen niederhingen. Auch die Muscadinebeeren30, vor deren häufigem Genuß er sie des kalten Fiebers wegen warnte, mußte sie kosten, und die lange, fast widerlich süße Papaofrucht31. Wie sie dann weiter in den Wald hinein- und von den dem Fluß zunächst liegenden Ansiedlungen abkamen, zeigte er der Fremden hier und da die rasch erspähte Gestalt eines flüchtigen Hirsches, der stutzte, als er das Knarren der Räder hörte, und den schönen Kopf mit dem wunderlich gebogenen Geweih zurückwerfend, flüchtig über die Büsche hinweg in das Dickicht setzte; oder das häßliche, aber komische Opossum32, das amerikanische Beuteltier, das, eigentlich nach Australien gehörig, nur aus Versehen hier von der Natur geschaffen scheint, wie es scheu über den Weg lief oder rasch an niederhängenden Weinreben emporklomm, um einer vermuteten Gefahr zu entgehen. Manchmal hielt er sogar an, um ihr auf der Straße selber Bären-, Wolfs- und Panterfährten zu zeigen, die sie hier auf ihren nächtlichen Wanderungen in den weichen Boden eingedrückt, und tat überhaupt alles, was in seinen Kräften stand, um der jungen Dame den langen, etwas monotonen Waldpfad soviel als möglich zu verkürzen.


So zogen sie den langen Weg dahin; die Straße war breit ausgehauen, zeigte aber nur wenig Gleise, mehr Hufspuren und fast noch mehr die Fährten wilder Tiere. Dann und wann passierten sie eine große Ansiedlung, und gegen Mittag hielten sie sogar an einem Ort, dessen drei oder vier Blockhütten den stolzen Namen einer Stadt beanspruchten. Die Leute dort, ein einziger Farmer mit seinem Bruder, der einen kleinen Laden hielt, waren aber nicht stolz auf diese Bevorzugung vor den Nachbar clearings, bestellten ihr Land noch selber und machten neues urbar, um nicht etwa Häuser darauf zu bauen, sondern Mais hineinzupflanzen.

Dort wurde ein frugales Mittagsmahl eingenommen, da fast sämtliche Farmer in den westlichen Wäldern, wenigstens alle, die an einer Haupt- oder Countystraße wohnen, darauf eingerichtet sind, Fremde zu beherbergen und zu speisen. – Wirts- und Gasthäuser gibt es dort nur sehr wenige; Bargeld haben die Leute auch sehr wenig in ihrem gegenseitigen Verkehr: da wird denn das Fremdenbewirten gewissermaßen zu einer Erwerbsquelle, der sie sich umso lieber widmen, als sie wenig mehr Auslagen dabei haben, wie ein paar Betten mit Matratzen und wollenen Decken herzustellen. Die alte, westliche G a s t – f r e u n d s c h a f t , wie sie in früheren Zeiten Sitte war, geht dabei freilich verloren; eine Mahlzeit kostet einen Vierteldollar, ein Pferd zu beherbergen von einem viertel- bis halben Dollar, je nach der Gegend, das Bett für den Gast einen ,Bit’33 bis einen Vierteldollar, oder Nachtlager mit Abendbrot und Frühstück für einen Reiter gewöhnlich einen Dollar. Daß sie jemanden umsonst beherbergen könnten, fällt ihnen nicht ein; hat aber ein armer Teufel wirklich kein Geld und sagt er ihnen das gleich von vornherein, ehe er etwas verzehrt und genossen hat, so wird ihm selten ein Amerikaner alles das versagen, was er ihm sonst nur gegen Zahlung gegeben hätte.

Im Wald selbst, das heißt, ab von der Straße, wohin kein ausgehauener, von Geschäftsreisenden betretener Weg führt, und wohin sich nur der Jäger dann und wann verliert, ist das ganz etwas anderes. Der Wanderer teilt da Tisch und Bett mit seinem Wirt, und am Morgen, fragte er wirklich, was er dafür schuldig sei, lautet die Antwort: «Das Wiederkommen, Fremder; für das, was Ihr gehabt, wart Ihr willkommen.» - «Lieber Gott, es war wenig genug, was wir Euch bieten konnten», setzt die Frau auch wohl hinzu.

So wenig neugierig die Leute auch gewöhnlich dabei sind, was der Reisende treibt, woher er kommt, wohin er geht, wenn sie ihn auch manchmal im Laufe des Gespräches danach fragen, so erstaunt waren hier die Waldbewohner, eine ,lady’ im wahren Sinn des Wortes, in seidenem Kleid und Hut, mit Handschuhen an den Händen und Ringen an den Fingern, mit einem Schleier vor und anderen ,fixins’, wie sie’s nannten, a l l e i n im Wald zu sehen. Wenn sie es aber auch nicht wagten, die Dame selbst nach alledem zu fragen, was sie gern von ihr wissen mochten, und was ihnen fast das Herz abdrückte vor Neugierde, so stahlen sie sich doch einzeln hinaus, wo Billy Jones Mann die Pferde versorgte, um von diesem herauszubekommen, was die fremde Dame vermocht haben konnte, eine so abenteuerliche Fahrt allein zu unternehmen.

Billy Jones Mann wußte aber nicht mehr, als daß die Dame mit einem Dampfer nach Little Rock gekommen sei – das verstand sich ohnedies von selbst – und nach Old Nitzkis Farm irgendwo im Busch drin, Nordost von der Oakland Grove, hinüber wollte; es müßte wohl eine Verwandte von Old Nitzki oder seiner Frau sein.

Die Damen hätten sich übrigens die Mühe ersparen können, denn Fräulein v. Seebald kam ihnen bei Tisch auf halbem Weg entgegen, erzählte ihnen, daß sie ihre Schwester aufsuchen wolle, die sie in zehn Jahren nicht gesehen, und die hier, unfern von Oakland Grove, an den Grafen Olnitzki verheiratet sei, und frug jetzt selber, ob keine der Frauen sie vielleicht kürzlich gesehen habe, und wie es ihr gehe.

Niemand kannte sie – ein Mann wohnte allerdings dort oben im Wald, der so hieß, er war auch verheiratet, aber noch nie hierher zu ihnen gekommen, hatte wenigstens nie an ihrem Hause angehalten. Es sollte übrigens vortreffliches Land sein, wo er wohnte – nur ein wenig sumpfig.

Und wie weit war es noch bis dorthin?

Ih nun, nicht mehr so weit; in ganz gerader Richtung hätte es kaum vielleicht mehr als zwölf englische Meilen sein können, aber es führte, eines dazwischen liegenden Sumpfes wegen, kein Weg direkt dorthin; nur die Jäger kamen manchmal da hinein, es war ausgezeichneter Jagdgrund. Wer sonst hinüber wollte, mußte über Rosemores Farm; von da führte ein ziemlich betretener Pfad hinüber nach der Richtung, wie der alte Mann, dem das Haus hier gehörte, meinte, und er glaubte auch gehört zu haben, daß ein Pole da drüben ein ,Improvement’ habe.

Fräulein v. Seebald begriff gar nicht, daß Graf Olnitzki, der doch von seiner Farm aus einen lebhaften Verkehr mit Little Rock, der Hauptstadt, unterhalten mußte, hier so wenig gekannt sei; oder gab es vielleicht einen anderen Punkt im Inneren, wohin er seine Produkte absetzte?

«Ih nun ja, es sei möglich», lautete die Antwort, «daß es ihm bequemer oder ebenso bequem nach Batesville am Whiteriver wäre, wo hinauf auch kleine Dampfer liefen.34»

So mußte es auch sein; wahrscheinlich verkehrte er mit Batesville, jedenfalls auch eine bedeutende Stadt, wenn sie Dampfbootverbindung hatte. Viele Zeit zu weiteren Erkundigungen blieb ihr aber auch nicht mehr, denn Billy Jones Mann hatte wieder eingespannt, um Rosemores Platz noch vor Dunkelwerden zu erreichen; Fräulein v. Seebald erfragte und zahlte deshalb ihre Zeche, und wenige Minuten später rasselte der Wagen wieder, jetzt auf etwas besserem Wege, durch den Wald weiter und mehr nach Norden hinauf, seinem Bestimmungsort zu.

«Dort liegt Oakland Grove!» sagte der Fuhrmann plötzlich, als sie einen kleinen, sandigen Hügel hinaufgefahren waren und in der Ferne durch den Wald ein paar helle Fenzen35 herüberschimmern sahen.


«Haben wir von hier noch weit bis zu der Stadt?»

«Stadt? – Was für eine Stadt?»

«Oakland Grove.»

«Ist keine Stadt, unsere Farm und der Wald hier heißt so.»

«Und wo liegt die nächste Stadt?»

«Das ist Batesville;36 aber noch ein hübsch Stückchen Weg, bis man dahin kommt.»

Bald darauf erblickten sie in der Ferne, an einer langen, ziemlich gut gehaltenen Fenz hinfahrend, zwei durch eine offene Veranda miteinander verbundene, aus gut beschlagenen Balken errichtete Blockhütten, deren ganzes Aussehen wie Umgebung einen gewissen Wohlstand verriet. Eine Menge kleiner, dicht daran errichteter Gebäude dienten zu Ställen, Maisscheuern und Futterböden, und Hühner und Gänse um das Haus herum, wie eine Meute kläffender, wohlgenährter Hunde gaben dem Platz etwas Lebendiges, Wohnliches, hier mitten in dem stillen Wald.

Dasselbe Behäbige bot auch das Innere des Hauses, und als Fräulein v. Seebald, noch in der Tür, von einer würdigen Matrone, deren ganzes Äußere schon einen unendlich wohltätigen Eindruck auf sie machte, nach kurzen, einführenden Worten des Fuhrmanns, begrüßt wurde, und im Hause selbst noch zwei reizende junge Mädchen fand, die zwar sehr einfach in selbstgewebte Stoffe, aber nichtsdestoweniger höchst geschmackvoll gekleidet waren; als diese dann alles mögliche taten, es der Fremden bei sich recht wohnlich und bequem zu machen, fühlte sie sich zum erstenmal wieder frei von jenem drückenden Gefühl, das ihr den ganzen Nachmittag, sie wußte sich eigentlich selber keine Rechenschaft zu geben, weshalb, auf dem Herzen gelegen. Die Häuser, die sie bis jetzt hier überall getroffen, hatten gar zu ärmlich und dürftig ausgesehen, die Menschen so kränklich und das Notwendigste selbst entbehrend, was man doch zu einem wenigstens menschlichen Leben bedurfte. Hier war das anders, auch der kleine Platz wirklich nicht allein praktisch, sondern auch mit Geschmack angelegt, mit schattigen Bäumen und Sitzen vor der Tür, und, was sie bis jetzt noch bei allen übrigen Blockhütten schmerzlich vermißt, einem kleinen Gärtchen dicht daneben. Also das war doch möglich – die Wildnis bedingte nicht ein fast indianisches Leben; die Leute konnten es sich, wenn sie den Trieb und die Lust dazu hatten, wohnlich und bequem machen, und mehr noch durfte sie das jetzt bei Olnitzkis erwarten, die sogar das Bedürfnis dazu vom alten Vaterland mit herübergebracht.

Auch das Innere des Hauses war weit verschieden von dem der letzten Farm, wo sie Mittag gegessen. Statt der zerbrochenen Rohrstühle und umgedrehten Fässer, die dort als Sitze dienen mußten, fand sie hier ordentliche Möbel; sogar einen Sekretär und ein kleines, dichtbesetztes Bücherbrett. Große, reinlich überzogene und mit bunten Decken und jetzt aufgeschlagenem Moskitonetz versehene Betten füllten den hinteren Raum aus; große eiserne Holzstützen mit blankgescheuerten Messingknöpfen lagen im Kamin, neben dem, ebenfalls von Messing, Schaufel und Zange hingen; Fenster, mit reinlichen Gardinen daran, waren sogar in die mächtigen Stämme, welche die Wände bildeten, eingeschnitten, und der bald darauf mit dem weißesten Linnen bedeckte Tisch zeigte eine Menge von delikaten Speisen.

Der ganze Platz, mit dem freundlichen Benehmen seiner Bewohnerinnen, die ordentlich herzlich gegen sie wurden, als sie erst erfuhren, w e s h a l b und wie weit sie hierher gekommen, heimelte sie an. Das war, wenn auch mit sehr bescheidenen Ansprüchen, eine Waldwohnung, wie sie sich solche früher wohl gedacht und ausgemalt. – Hier in der stillen Einsamkeit des Forstes, unter dem leisen Rauschen der Waldwipfel, von keinen äußeren Stürmen getroffen und berührt, lebte ein einfach glückliches Volk – glücklich in seiner Ruhe und Freiheit, und der Traum einer solchen Existenz, von kalten, egoistischen Menschen im alten Vaterlande oft verlacht und verspottet, war endlich Wahrheit geworden und lag in Wirklichkeit hier um sie her. Mit dem seligen Gefühl wuchs aber auch die Sehnsucht nach der Schwester, und sie konnte den Morgen schon kaum erwarten, der ihr wieder auf ihren Weg leuchten sollte, um in die Arme der Geliebten zu eilen.

Auch die Entfernung war nicht mehr so groß; nur noch zehn englische Meilen etwa von hier – ein flüchtiges Pferd37 hätte solche Strecke in einer Stunde durchlaufen können, lag von Olnitzkis Farm (das Wort Plantage hatte sie endlich fallenlassen), oder Olnitzkis ,improvement’, wie es die Leute auch hier nannten. Wenn sie beizeiten aufbrachen, konnten sie den Platz recht gut am Mittag erreichen, und dann – wie ihr das Herz so ungeduldig – so freudig und doch auch wieder so ängstlich pochte; lieber Gott, zehn Jahre sind eine lange Zeit – zehn Jahre hatte sie die Schwester nicht gesehen, in den letzten Jahren sogar nicht einmal etwas von ihr gehört, wie manches Schmerzliche ihr dabei mitzuteilen aus der Heimat, die jene, ein Kind noch fast und von dem Glück der ersten Liebe wie berauscht, verlassen. Die Mutter war vor zwei Jahren gestorben, und wenn auch Sidonie die Trauerbotschaft bekommen, blieb das erste Begegnen der Geschwister nach d e m Verlust doch immer schmerzlich und mußte die Freude des Wiedersehens trüben. Aber fort mit solch’ traurigen Gedanken jetzt, wo sie so viel des Freudigen auch dabei brachte – ihr Bruder war von seinem Hofe ehrenvoll ausgezeichnet und angestellt worden, ihre jüngste Schwester die Braut eines geliebten Mannes, ihr Vater, noch immer rüstig und gesund, stand seinen Berufsgeschäften wie jemals vor, nur mit dem einen Verlangen, sein Kind, sein liebes Kind, das er damals so ungern von sich gelassen, noch einmal wiederzusehen. Wie hatte er sich in jener Zeit gesträubt, seine Einwilligung zu einem Bündnis zu geben, das er allein der tollen Schwärmerei des Augenblicks zugeschrieben, und in das er nur endlich willigte, um sein Kind durch eine Weigerung nicht noch vielleicht unglücklicher zu machen, als es, wie er fürchtete, durch die Verbindung werden würde. Jetzt lag die Zeit in weiter Ferne hinter ihnen. Sidonie war glücklich geworden, wie ja alle ihre Briefe bezeugten, und wenn sich auch die Schwärmerei der ersten Jugendliebe in ein ruhigeres und stilleres Gleis die Bahn geöffnet, so hatte sie doch auch mit keiner Zeile je erwähnt, daß sie sich fortsehne aus dem neuen, selbstgewählten Leben, daß sie bereue, den Schritt getan zu haben, der sie aus den Armen ihrer Familie, der sie aus dem Vaterlande riß.

Viel Unglück hatte sie trotzdem gehabt – der älteste Knabe war ihr im vierten Jahr gestorben, und in dem l e t z t e n Brief, den sie zu Haus geschrieben – schon zwei Jahre her, schien ihr auch das jüngste Kind, ein Mädchen, schwer erkrankt. Aber seitdem, und nach dem Tode der Mutter, hatte kein Brief von ihr die Heimat mehr erreicht, und nur ein einziges Mal war mündlich Nachricht von ihnen durch einen Fremden hinübergedrungen, der den Grafen Olnitzki zufällig in Little Rock gesprochen und von diesem erfahren habe, daß sich die Frau vollkommen wohl befinde und in ihrem, allerdings etwas einsamen Aufenthalt von Herzen glücklich fühle.

Wunderbarerweise behaupteten aber auch Rosemores, nicht imstande zu sein, ihr genügende oder nähere Auskunft über die doch nur kurze Strecke von ihnen entfernt wohnenden Leute zu geben. Olnitzki kam allerdings manchmal herüber zu ihnen, ja, hatte sogar früher schon einige Mal in ihrem Hause übernachtet, die Frau dagegen sich noch nie bei ihnen blicken lassen.

«Aber sie hatte doch andere Nachbarn in ihrer Nähe?»

«Allerdings, Jack Owen wohnte kaum tausend Schritt von ihrem Hause entfernt an der bearlick ridge, und Sam Houston, ein anderer Farmer, hatte sich etwa eine Meile oberhalb des ,postoak hollow’ niedergelassen. – Beide waren verheiratet und verkehrten gewiß miteinander. Besonders Jack Owens junge Frau war ein liebes, braves Weibchen.

Wunderbarerweise wußten diese ,Nachbarn’ nicht einmal, ob Olnitzkis Kinder hatten, und wieviel. – Ein oder zwei waren ihnen gestorben, aber auch das schien nur als Gerücht zu ihnen gedrungen, denn dort hinein führte kein bestimmter Weg, zu ihnen heraus kamen die Leute auch nicht, so bildete sich denn jeder seinen Wirkungskreis in der eigenen Umgebung, den Nachbar entbehrend und sich wenig um ihn kümmernd.

Aber was bedurfte Amalie v. Seebald auch jetzt noch weitläufiger Berichte, wo sie sich ja morgen schon – in wenigen Stunden – selber von allem mit eigenen Augen überzeugen konnte. Nur wie sie hinüberkommen sollte, beunruhigte sie noch; die Frauen vertrösteten sie aber auf die Ankunft der Männer, die jedenfalls zum Abendbrot daheim sein und schon Mittel und Wege finden würden, sie mit ihrem Gepäck hinüberzuschaffen. Lieber Gott, das sei nicht mehr als ihre Schuldigkeit, dafür zu sorgen, daß eine einzelne Frau, die so vertrauensvoll hier herüber zu ihnen gekommen war, auch nicht ohne Hilfe und Beistand gelassen würde, und Billy Jones, der Schwiegersohn des alten Rosemores, oder Mr. Rosemore selber fänden da schon Rat.

Hundegebell und Pferdegestampfe kündigte die Erwarteten, die irgendwo im Wald gewesen waren, um nach ein paar ausgebliebenen Kühen zu sehen, auch schon vor Dunkelwerden an, und drei Reiter hielten gleich darauf vor Rosemores Tür, sprangen aus den Sätteln, die sie mit dem Zaum den Tieren abnahmen, ihre weitere Versorgung einem herbeispringenden Negerknaben38 überlassend, und betraten bald darauf die innere Fenz, zum Hause kommend.

«Das trifft sich glücklich!» rief Sarah, Mr. Rosemores jüngste Tochter, die in die Tür getreten war, um den Vater zu begrüßen. «Da ist Mr. Owen von bearlick ridge selber, mit Vater und Bill; der weiß Rat und geht gewiß morgen früh ebenfalls nach seinem Haus zurück.»

«Hallo, Miß Sarah», lachte der also bezeichnete Backwoodsman, der die Worte verstanden hatte und mit seinem Sattel über dem linken Arm, seine Büchse in der Rechten, zum Hause herankam, «haben Sie mich erwartet?»

«Ich nicht, Mr. Owen», lachte das junge Mädchen, «aber eine fremde Lady, die hier im Hause sitzt und vor Sehnsucht nach Ihnen schon fast vergangen ist.»

«Alle Wetter», rief der Jäger, seinen Sattel rasch unter den Zwischenbau der beiden Häuser legend und die lange Büchse daneben lehnend, «eine fremde L a d y ? Das wäre der Teufel!»

«Nun, der T e u f e l gerade nicht, Mr. Owen», sagte die Matrone mit einem leisen Vorwurf in dem Ton, mit dem sie das Wort wiederholte.

«Bitte tausendmal um Entschuldigung, Missis Rosemore», sagte der Mann, leicht errötend, indem er ihr die Hand entgegenstreckte, «es fuhr mir nur so heraus; Ihr wißt ja schon, ich mein’ es nicht so bös.»

Es war eine kräftige, männliche Gestalt, der Mann, in die gewöhnliche Tracht der Hinterwäldler, in ein ledernes Jagdhemd mit ebensolchen Leggins gekleidet. An den Füßen trug er Mokassins von demselben Stoff, auf dem Kopf aber einen alten, abgetragenen, arg mißhandelten Filz, und an der rechten Seite seine Kugeltasche, während an der linken in dem breiten Ledergürtel das lange amerikanische Bowie- oder Jagdmesser stak. Das Haar war gelockt, sein Auge blau, und der Ausdruck seines Gesichts entschieden ehrlich und geradeaus, nur um den Mund und die selbst fein geschnittenen Lippen lag ein etwas harter Zug, der aber ebensogut Mut und Entschlossenheit andeuten konnte, und den westlichen Amerikanern, die im Wald erzogen und allen seinen Beschwerden und Gefahren von Kindheit an preisgegeben sind, besonders eigen ist.

Jack Owen war mit einem Wort ein prächtiges Urbild jener kräftigen, stählernen Menschenrasse, die den westlichen Urwald der Union erst als Jäger durchziehen, und dann mit ihren keck bis weit über die Grenzen der Zivilisation vorgeschobenen ,improvements’ besiedeln, dem Indianer und Bären ihre Heimat abtrotzen, und, nur mit Büchse und Axt bewehrt, im Schatten der dichten Wildnis sich eine Heimat schaffen. Diese Rasse bildet den Übergang von der Rothaut zum weißen Mann, und wie der Wolfshund, der halb dem Wolfsgeschlecht noch angehörig ist, keinen ärgeren Feind kennt als gerade den Wolf, so haßt der Pionier nichts ärger auf der Welt als den, in dessen Fußstapfen er doch hier getreten: den roten Sohn der Wälder39.

Als diese Männer das Zimmer betreten hatten, die, mit dem freien, natürlichen Leben um sich her, auch ebensolche Sitten angenommen haben, und sich, von anderen dasselbe verlangend und glaubend, eben so geben wie sie sind, gingen sie auf die fremde Dame zu, boten ihr zum Willkommen freundlich die Hand, und dann ihre Sitze am Feuer einnehmend, an dem sie ihre Mokassins auszogen und zum Trocknen aufhingen, war ihre erste Sorge, den Frauen Bericht über die entlaufenen oder ausgebliebenen Kühe, die, wie es schien, wieder eingefangen waren, abzustatten. Das Gespräch drehte sich jetzt ausschließlich um Kühe, Rinder und Schweine, bis zum Abendbrot, welches die beiden Töchter der alten Mrs. Rosemore indes bereitet hatten, und alle Teile der range oder des Weidegrundes, wo sich noch ein oder das andere Stück verhalten, wurden durchgenommen. Die Frauen selber interessierten sich dabei soviel dafür wie die Männer, und Fräulein v. Seebald, die dabei als stille Zuhörerin mit am Kamin saß, war wirklich erstaunt, soviel Ortskenntnis bei ihnen zu finden, mit der sie die nach Meilen entfernten Stellen im Wald, und ihre Richtung dabei nicht etwa nach bestimmten Wegen bezeichneten, sondern nach den Himmelsgegenden und kleineren, sie durchströmenden Wasserkursen.

Mit dem Abendbrot, bei dem sich alle um die im Zimmer zusammengerückten Tische sammelten, nahm aber auch das Gespräch eine andere Wendung; Jack Owen wurde der Fremden als der nächste Nachbar ihrer Schwester und jenes ,Mr. Olnitzki’ bezeichnet, und dann selber aufgefordert, einen Rat zu geben, wie die junge Deutsche am besten und leichtesten mit ihrem Gepäck hinüberkommen könne.

Jack Owen schien übrigens die letzte Frage ganz zu überhören, denn wie er erfuhr, daß die Fremde eine Schwester der ,Missis Olnitzki’ und über das Weltmeer nur einzig und allein herübergekommen sei, sie zu besuchen, sah er sie mit den klaren, treuherzigen Augen eine ganze Weile ernst und sinnend an, und fing dann auf einmal wieder, ohne ein Wort darauf zu äußern, von vorn an zuzulangen, als ob er bis dahin ganz vergessen habe zu essen.

«Und können Sie mir nicht etwas Näheres über die Schwester sagen?» bat Amalie. «Ich habe schon so oft und oft gefragt, und wie verschollen schien sie dort im Wald zu wohnen. Niemand konnte mir Rede stehen, niemand erinnerte sich in der Tat sie je gesehen zu haben.»

«Lieber Gott», sagte der Jäger, ohne sein Essen auch nur auf einen Augenblick zu unterbrechen, «unsere Frauen kommen alle wenig fort; manchmal zu einer Betversammlung oder irgendeinem Nachbarfest beim Klötzerollen oder Deckensteppen40, und da die Nachbarn so dünn gesät sind bei uns, fällt selbst das nicht häufig vor.»

«Aber Sie kennen sie doch?»

«Ich – oh gewiß – wohne keine halbe Meile davon.»

«Und es geht ihr gut?»

«Das kalte Fieber hat sie neulich einmal ein klein wenig abgeschüttelt, hatte aber nicht viel zu sagen, und ist bald vorübergegangen.»

«Und ihr Kind? Hat sich das arme kleine Mädchen erholt?»

«Das Mädchen?» wiederholte der Mann, zum erstenmal zu ihr aufschauend. «Der Knabe, meinen Sie.»

«Hat Sidonie einen Knaben?» rief Amelie überrascht.

«Hm», meinte der Jäger, sich ein neues Stück Wildbret auf den Teller nehmend, «seit wann haben Sie denn eigentlich keine Nachricht von ihr gehabt?»

«Seit über zwei Jahren.»

«Lieber Gott», sagte die alte Mrs. Rosemore.

«Dann freilich», brummte der Jäger halblaut vor sich hin, «seit der Zeit ist das Mädchen gestorben und vor einigen Monaten ein Knabe geboren worden, und d a s Kind allerdings ist jetzt schwer krank.»

«Das Mädchen tot – Du großer Gott – die arme, arme Sidonie.»

«Das Herz wird ihr wohl zu voll und schwer gewesen sein, um in der Zeit Briefe zu schreiben», sagte die Matrone bedauernd, «ja, aus s p r e c h e n und aus w e i n e n mag man sich dann wohl gern, aber zum Schreiben zwingt man die Hand da nicht.»

«Aber wie bekommt die Fremde die vielen Sachen hinüber, Mr. Owen?» fiel Sarah hier ein, um Amalie zu zerstreuen, daß sie sich nicht dem traurigen Gedanken zu sehr hingäbe. «Es wird schwer sein, das alles zu Pferde zu transportieren.»

«Ist’s denn so viel?» frug Jack Owen.

«Ei, die beiden Kisten hier, dann jene Koffer dort, und diese Schachteln und Reisesäcke.»

«Hm, das allerdings – packt sich auch verd – ungemein schlecht auf ein Pferd; aber das ist das Wenigste – sind es Sachen für Mrs. Olnitzki bestimmt?»

«Zum großen Teil, wie auch mein eigenes Gepäck.»

«Sehr gut, dann schaffen wir auch Rat», sagte der Jäger gutmütig, «solltet Ihr nicht mit Eurem kleinen Wagen über die greenbriar ridge41 hinüberkommen können, Rosemore? Nachher geht’s glatt und leicht durch den offenen Wald, dicht an der Bayou hin.»

«Über die greenbriar ridge mit dem Wagen, Mann», sagte aber der Alte, dabei mit dem Kopf schüttelnd, «wo denkt Ihr hin; da müßten wir erst eine ordentliche Straße durch brushy hollow aushauen, und blieben nachher noch immer im Sumpf an der anderen Seite stecken. Nein, nicht in acht Tagen brächten wir das fertig, aber mit den Tieren an der overcup flat hin geht es ganz gut; die Kisten und Koffer sind eben nicht übermäßig schwer und lassen sich recht gut auf einen Packsattel laden. Freilich muß man nachher tüchtig im Wald herumlavieren, um freie Bahn durch die Bäume durchzufinden, aber es geht doch, und ich getraue mich, sie in fünf bis sechs Stunden hinüberzuführen.»

«Aber Euer Falbe wird das nicht tragen wollen.»

«Bah, ich habe gerade Widdersons beide Maultiere in meiner Fenz, die er von Santa-Fé mitgebracht hat und nach Batesville hinaufnehmen will, die mögen ihr Futter abverdienen.»

«Das wäre vortrefflich!» rief Jack Owen. «Wann wird aber die Dame nach Olnitzkis zu aufbrechen wollen?»

«Oh, sobald nur irgend möglich!» rief Fräulein v. Seebald. «Ich ginge die Nacht hindurch, um die Schwester nur eine Stunde früher zu sehen, zu begrüßen.»

«Das möchte uns durch d e n Wald doch wohl schwer werden», lachte der Jäger gutmütig, «aber morgen mit Tagesanbruch steh’ ich zu Diensten und bin gern bereit, Sie hinüberzuführen. Ich gehe doch nach Haus.»

«Aber nicht vor dem Frühstück», fiel ihnen hier Mrs. Rosemore in die Rede, «mit leerem Magen verläßt niemand mein Haus, wenn ich’s verhindern kann, und die Mädchen werden schon früh auf sein, daß es nicht zu lange dauert.»

Amalie v. Seebald fügte sich gern dem freundlichen Wunsch, noch dazu, da sie ihren Führer nicht auch vor dem Frühstück fortziehen mochte, und die Männer besahen sich jetzt das Gepäck und trafen ihre Einteilung mit den Packen, die auf die beiden Maultiere verteilt werden sollten. Nachher wollte Jack Owen selber noch einmal mit seinem Pferd zurückkommen und den Rest nachholen. Die Maultiere sollte Bill Jones selber mit seinem Knecht hinüberbringen, Jack Owen aber wollte rascher mit der Lady voraus nach Olnitzkis improvement gehen.

Der Morgen kam, und mit klopfendem Herzen hatte Amalie ihre Vorbereitungen zu dem Marsch getroffen, als Jack Owen, nach beendigtem Frühstück, einen Damensattel auf sein Pferd geschnallt, vor der Tür erschien und die Lady einlud, sein Tier zu besteigen, während er selber zu Fuß voranging. Die junge Dame gestand jetzt freilich mit Erröten, daß sie noch nie auf einem Pferd gesessen, der Einwand wurde aber nicht beachtet; Jack Owens Pony war anerkannt das frömmste Tier in der range, ließ vor und neben sich schießen, wie der Reiter gerade Lust hatte, und ging seinen festen, sicheren Schritt ruhig fort, fast wie ein Maultier. Die Mädchen halfen ihr dabei lachend in den Sattel, ordneten ihre Kleider, gaben ihr eine kleine Gerte in die Hand, um das Tier vorwärts zu treiben, und Jack Owen, mit der Büchse auf der Schulter, von fünf mächtigen Rüden umbellt, schritt ihr voran in den dunklen Wald hinein.

* * *

ZWEITES KAPITEL

Die Gräfin Olnitzka.

Im Anfang hatte Amalie v. Seebald genug mit ihrem Pferd und dem neuen Sitz zu tun, auf dem sie sich noch nicht sicher fühlte, und deshalb auch nicht wohlbefinden konnte; das Ungewohnte der Bewegung dabei und das öftere Anstreifen an die überhängenden Büsche nahmen ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch, und ließ sie sich ängstlich an den Knopf des Sattels anhalten, um nicht herunterzufallen, wie sie immer noch fürchtete. Das gutmütige Tier, das Jack Owen auf seinen Jagden schon so abgerichtet hatte, ihm wie ein Hund zu folgen, ging aber einen so ruhigen, sicheren Schritt und kümmerte sich so gar nicht um die wild und fröhlich es umbellenden Hunde, nur auf den Weg und die darüber hinliegenden Wurzeln und Stämme achtend, daß sie sich bald daran gewöhnte und nach kaum halbstündigem Ritt schon fast die bis dahin gefühlte Angst vergaß.

Jack Owen ging dabei meist vor ihr, oft neben ihr her, die Büchse auf der linken Schulter, über deren Kolben die linke Hand herunterhing, die Hunde hinter sich, die jetzt, im wirklichen Wald drin, keinen Lärm mehr machen durften, um etwa irgendwo stehendes Wild nicht zu verscheuchen. Sein Blick schweifte dabei ruhig und forschend über alle offenen Stellen, die sie passierten, haftete oft auf einem vom Herbst gefärbten Busch, ob sich nicht doch in den geröteteten Blättern die schlanke Gestalt eines Hirsches berge, und suchte dann wieder in dem weichen Boden des Pfades die frisch eingedrückten Fährten des Rotwildes oder Raubzeuges, die herüber und hinüber gewechselt waren.

So hatten sie schweigend einen großen Teil des Weges zurückgelegt, und Amalie sah schon in jedem helleren Waldesfleck, der vor ihnen lag, die so heiß ersehnte Lichtung von ihres Schwagers Farm. Aber e i n Dickicht wechselte nur mit dem anderen, der Weg, der bis dahin ziemlich breit in den Wald hineingereicht hatte, wurde zum engen, kaum mehr begangenen Pfad, und noch immer zeigten sich nicht jene Spuren der Zivilisation, die unzertrennlich von einer größeren Ansiedlung sind und, wie der dünne Rauch über einer Stadt, die nähe des schaffenden Treibens tätiger Menschen verraten. Kein Fuhrwerk hatte diesem Boden hier je seine Räder eingedrückt, keine Axt noch die mächtigen Stämme berührt, und selbst die wenigen Pferdespuren im Pfad waren von Hirsch- und Pantherfährten fast unkenntlich gemacht. Und doch näherten sie sich mehr und mehr der Farm des Grafen, doch konnte nur eine kurze Strecke Waldes mehr sie von dort trennen. Nur eins war da noch möglich, daß sein ganzer Verkehr mit jener nördlich von ihm gelegenen Stadt bestand, die ihm doch wohl näher liegen mußte als Little Rock, ja vielleicht gar durch einen Strom die Verbindung erleichterte, aber das Herz des armen Mädchens füllte sich dennoch, so sehr sie auch dagegen ankämpfen wollte, mit einer unbestimmten Furcht, und wenn sie der auch keinen Namen zu geben wußte, drängte es sie doch zuletzt, von ihrem wortkargen Führer das unheimliche Gefühl verscheucht zu sehen.

«Es ist so still und einsam hier», brach sie das Schweigen endlich, «und doch können wir nicht mehr so weit von jener Farm entfernt sein, der dieser Weg zuführen soll.»

«In einer Stunde kann man’s von hier aus, wenigstens in dieser Jahreszeit, gehen», sagte der Mann, «aber im Winter ist’s weiter, denn die Gräben sind dann mit Wasser gefüllt, und man muß Umwege machen, um ihrem Schlamm auszuweichen.»

«Daß sich Olnitzki so tief im Wald angesiedelt hat!» sagte die Deutsche, fast mehr zu sich selbst als zum Führer redend.

«Ja, ‘s ist etwas einsam hier, für eine Frau wenigstens», lautete die Antwort, «aber der Mann fühlt sich desto wohler unter den Bäumen, und mir ist, wenn ich’s aufrichtig gestehen soll, nichts fataler auf der Welt, als wenn ich an eine Fenz komme – meine eigene ausgenommen.»

«Wie es Sidonie nur ausgehalten hat!»

«Ist das der Name Eurer Schwester?» frug der Jäger mit etwas leiserer Stimme, und sein Blick glitt über die Gestalt der Fremden flüchtig, aber doch forschend, hin.

«Ja – kennt I h r ihn nicht, als nächster Nachbar?»

«Es ist Sitte bei uns, die Frauen nur nach dem Namen ihres Mannes zu nennen», erwiderte der Jäger, «selbst unsere eigenen. Ich kann ihn aber trotzdem doch wohl einmal gehört haben, denn ich kam früher öfter mit Olnitzki zusammen.»

«Und jetzt nicht mehr?»

«Oh doch, ja, dann und wann wenigstens», sagte der Mann ausweichend, «er ist gerade ebenso wie wir anderen – eben nicht umgänglicher Natur, und hält seine Büchse und Hunde für die beste Gesellschaft auf der Welt.»

«Aber die arme Frau - s i e verkehrt doch wenigstens mit ihren Nachbarn?» frug Amalie.

«Sie? – Oh ja – jawohl», sagte der Jäger, «im letzten Winter war sie zweimal bei uns hüben, und meine Alte auch dort, und wie ihr vor zwei Jahren das Kind krank wurde und dann starb, ist wenigstens eine von den benachbarten Frauen fortwährend und abwechselnd bei ihr gewesen. – Sie wurde auch damals selber krank und mußte doch eine Pflege haben.»

«Lieber Gott, im letzten W i n t e r », seufzte Amalie still und kaum hörbar vor sich hin, und der Wald schien ihr ordentlich unheimlich dazu zu rauschen in seiner öden Einsamkeit. Sie fürchtete auch von dem Augenblick an wirklich eine weitere Frage zu tun, bis ihr Führer selbst wieder das Schweigen brach.

«Ihr habt die Schwester seit langer Zeit nicht gesehen?»

«Seit zehn Jahren nicht.»

«Eine lange Zeit, und wir werden alt dabei.»

«Sidonie war noch so jung, als sie die Heimat verließ.»

«Aus glücklichen, ruhigen Verhältnissen vielleicht heraus», sagte der Jäger, und sein Blick schweifte dabei wieder über den engen Waldeshorizont, der ihm da frei lag, um nach einem Wild auszuspähen.

«Aus den glücklichsten», sagte die Schwester, seufzend der Zeit gedenkend, «lieber Gott, sie hatte alles, was das Herz begehrt, begehren kann. In Überfluß und Reichtum erzogen, wurde sie von den Eltern auf Händen getragen, und die glänzendste Zukunft hätte ihrer im alten Vaterland gelacht.»

«Hm», sagte der Jäger, seine Büchse etwas weiter zurück über die Schulter werfend und den Tabakssaft seines Priemchens gegen die nächste Eiche spritzend, «hm – und Mr. Olnitzki hatte auch viel Geld?»

«Der Graf Olnitzki? – Nein», sagte Amalie, «aus Polen flüchtend, wo sein Volk besiegt und zerstreut worden, waren ihm von dem russischen Zaren die Güter konfisziert, war ihm selbst die Rückkehr in sein Vaterland abgeschnitten worden, und jenen unglücklichen Tapferen blieb damals nichts übrig, als in der neuen Welt auch eine neue Heimat zu suchen und zu gründen42

«Aber wie bekam er da so geschwind die reiche Frau?» frug der praktische Amerikaner, halb ungläubig dazu den Kopf schüttelnd.

«Ich weiß nicht, ob Sie sich jener Zeit noch erinnern», sagte, wieder tief aufseufzend, Amalie, «weiß auch nicht, ob Sie in Amerika damals unsere Gefühle geteilt, aber in Deutschland war es fast, als ob ein neuer, lebendiger Geist über das ganze Volk gekommen und die träumenden Nationen aus ihrem Schlaf geschüttelt habe. Ein Schrei für Polen ging durch Deutschlands Gauen, nicht bei den Regierungen zwar, die es mit dem nordischen Koloss nicht verderben wollten, wohl aber bei den Völkern. Doch statt das Schwert aufzugreifen für den bedrohten, geknechteten Nachbarstaat, begnügten sich die Männer, Sammlungen zu veranstalten, den Verwundeten und Beraubten Hilfe zu bringen, die Frauen zupften Charpie und sandten Leinwand und Bandagen in die Lazarette, und als die letzte Schlacht geschlagen, als die ungeheuren russischen Heere das kleine Reich mit ihren Massen überschwemmten, als Polen zertreten, vernichtet unter den stampfenden Rossen seiner Feinde lag und die wenigen seiner tapferen Krieger, die sich noch bis zur Grenze durchgeschlagen, fremden Boden hilfesuchend betreten mußten, da war es Deutschland besonders, das ihnen seine Arme öffnete, das sie in seine Familien, an seinen Herd nahm, die Kranken und Verwundeten pflegte und kräftigte, die Armen unterstützte, die Besiegten aufrichtete, mit Trost und Hoffnung und eigener Tat. Feste, Bälle und Konzerte wurden gegeben, um Summen zusammenzubekommen und den Flüchtigen Reisegeld nach Amerika zu verschaffen, und Frauen und Mädchen besonders wetteiferten darin, ihre Sympathien für die zertretene Nationalität der Unglücklichen zu zeigen. Wir trugen in den Schleifen und Zierraten unseres Kostüms nur die polnischen Farben, polnische Flaggen wehten in den erleuchteten Festesräumen, und viele, viele von uns gaben, was sie an Schmuck und goldenen Zierraten besaßen, willig her, um die Spende für die tapferen Krieger zu erhöhen.»

«Hm, hm, hm, hm!» sagte der Jäger, der, mit dem Kopf heftig dabei schüttelnd, rascher neben dem Pferde herging.

«Auch in unsere Familie», fuhr Amalie fort, «hatten wir einen jungen, edlen Polen aufgenommen, der unsere Schwelle, von Fieberfrost geschüttelt, mit einer Menge ungeheilter Wunden, mit zerrissener Uniform, dem Untergang schon nahe, betrat, und kaum ein Lager für sich eingerichtet bekommen, als ein hitziges Fieber sein Leben bedrohte und ihn für Monate an den Rand des Grabes brachte. Sidonie und ich pflegten ihn in der Zeit wie Schwestern; Sidonie besonders wich kaum mehr von seinem Bett, und wir hatten die Freude, den Unglücklichen nach langen Monden dem Leben, der Gesundheit zurückgegeben zu sehen. Vollkommen endlich wieder hergestellt und mit allem versehen, was er zu einer so weiten Reise brauchte, wollten meine Eltern dann den Fremden entlassen – aber es war zu spät; Sidoniens Herz hing an dem fremden Manne und konnte – wollte ihn nicht verlassen. Vater und Mutter baten und beschworen sie – umsonst, der Pole durfte nicht länger auf deutschem Boden weilen, unsere deutschen Regierungen fürchteten, das Mißvergnügen des Zaren zu erregen, und mit der warmen Frühlingsluft, die über die Berge zog und unsere Ströme vom Eis befreite – mit dem ersten Schiff, das den aufgetauten Strom befuhr – verließ Sidonie als Olnitzkis Gattin das väterliche Haus.»

Amalie schwieg, und Jack Owen ging wieder eine ganze zeitlang lautlos, aber recht schwer aufatmend neben dem Pferde her – endlich sagte er leise:

«Aber Olnitzki hatte Vermögen, wie er Amerika betrat.»

«Mein Vater ist wohlhabend und wollte die Tochter nicht der Ungewißheit einer selbst zu erkämpfenden Existenz preisgeben.»

Jack Owen blieb stehen und sah die Fremde überrascht und ungewiß an – er hatte augenscheinlich nicht recht verstanden, was sie mit den Worten meinte.

«Olnitzki hat also sein Geld nicht mit von Polen herübergebracht?» frug er endlich.

«So reich er dort gewesen sein mochte», sagte Amelie, «der Krieg verschlang alles, und jene edlen Herzen warfen nicht allein ihr Leben, nein, alles, was sie auf Erden ihr eigen nannten, in die Schale, um das Vaterland zu retten.»

«Hm, hm, hm, hm, hm!» sagte der Jäger wieder und schritt rascher vorwärts, als ob er die versäumten Minuten einholen müsse; aber er erwiderte nichts weiter, schien sogar jedes fernere Gespräch vermeiden zu wollen, und beschäftigte sich ausschließlich mit dem Weg, der hier auch in der Tat noch eher wilder und verworrener wurde, und seine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm, um der Fremden nur einigermaßen Bahn zu brechen. Amalie aber fühlte sich durch das ihr auffällige Benehmen des Führers beunruhigt, trieb ihr Pferd, jetzt schon vollkommen an den Ritt gewöhnt und dreist gemacht durch den sanften Schritt des Tieres, zu etwas schärferem Schritt mit der Gerte an, und sagte halb schüchtern, halb entschlossen, um jeder weiteren Ungewißheit ein Ende zu machen:

«Wie geht es meiner Schwester – ist sie g l ü c k l i c h und lebt sie so, wie wir es in Deutschland erwartet haben, daß sie leben würde und sollte?»

«Bst!» sagte ihr Führer aber als einzige Antwort, und bei der rasch, doch vorsichtig abwärts gedrehten rechten Hand blieb das gelehrige, aufmerksame Tier wie in den Boden gewurzelt stehen, regte sich nicht mit dem Kopf und schüttelte weder Schweif noch Mähne. Der Jäger aber, mit der Hand langsam, um keine rasche, auffällige Bewegung zu machen, nach vorn deutend, zeigte der Fremden, die dem ausgestreckten Finger mit den Augen folgte, die schlanke, prächtige Gestalt eines stattlichen Hirsches, der aus einem dichten Gebüsch herausgetreten war und sich, eine Gefahr ahnend, über eine kleine Waldblöße langsam hinüberäste.

Vorsichtig nahm der Jäger die Mütze vom Kopf, ließ sie geräuschlos auf den Boden gleiten, und eine Bewegung seiner Hand, mit einem Blick, den die klugen Tiere wohl verstanden, gebot den Hunden, den Platz zu wahren, bis er wiederkehre. Nur einer von ihnen, Deik, ein alter, von Narben zerrissener Bursche mit ganz kurz abgeschlagenem Schwanz und ebensolchen Ohren – zugestutzt, als ob sein Herr eben nicht mehr von ihm hätte haben wollen, als unumgänglich nötig war – wußte sich von dem Befehl ausgenommen. Als der Jäger jetzt, sich niederduckend und den Schutz eines kleinen Busches benutzend, rasch aber lautlos durch das feuchte, gelbe, den Boden bedeckende Laub hinglitt, folgte er ihm dicht auf den Fersen, haltend, wenn jener stehenblieb, und vorsichtig ausschreitend, wenn es der Jäger für rechtzeitig hielt, weiter vorzuschleichen.

Amalie selbst vergaß in dem neuen Eindruck der Jagd, der jetzt den Wald mit einem eigenen, kaum geahnten Zauber füllte, für den Moment wenigstens alles andere. Das edle, sich so sicher fühlende Wild, die in das Gras gedrückten klugen Hunde, die lebendige, ausdrucksvolle Gestalt des Jägers mit dem schleichenden Tier an seinen Fersen, das Pferd selbst, auf dem sie saß, das wie ängstlich den klugen Kopf nach dem leisen Rascheln ihres Kleides wandte, das Rauschen der mächtigen Wipfel dazu, durch das weit, weit herüber der gellende Schrei eines Falken tönte – sie preßte fast unwillkürlich ihre rechte Hand auf’s Herz, so laut kam ihr jetzt dessen Klopfen vor, und während sie in ängstlicher Sorge um das Leben des wunderschönen Tieres bangte, das so frei und glücklich dort durch den Wald schritt, mochte sie selbst kaum atmen, um dem Bedrohten nicht die Nähe des Feindes zu verraten.

Jack Owen war aber in diesem Augenblick nur noch einzig und allein Jäger. An seine Schutzbefohlene kaum denkend, die er jedoch auch sicher auf dem Tier wußte, glitt er, jetzt den Stamm einer Eiche oder eines Sassafrasbaumes benutzend, jetzt einen Busch oder umgestürzten Baumstamm als Schutz gebrauchend, zugleich aber auch nicht ganz direkt auf das Wild zu-, sondern etwas seitab schleichend, damit durch irgendein vielleicht unvorsichtig gemachtes Geräusch die Aufmerksamkeit des scheuen Wildes nicht etwa auf das im Wege haltende Pferd gelenkt würde, rasch und geräuschlos über den Boden hin, bis in vielleicht noch hundert Schritt von seiner Beute. Da knickte ein trockener, unter dem Laub versteckt gelegener Zweig, und ob sich der Mokassin über ihm zusammenzog und Jäger wie Hund instinktartig zusammensanken, wo sie standen, war der schwache Laut doch hinübergedrungen zu dem Hirsch, der gerade selber mit Äsen aufgehört hatte und hinüberhorchte nach dem Schrei des Falken. Die Tiere der Wildnis haben eine Sprache untereinander, die der Mensch nicht versteht – eine Stimme, um zu warnen und zu rufen, zu locken und zu verscheuchen, und sie achten darauf, wenn selbst ein feindliches Geschlecht die Warnung gäbe.

Einmal aufmerksam geworden, wußte Jack Owen aber auch recht gut, daß sich das scheue Tier nicht wieder beruhigen würde, um weitere Annäherung zu gestatten. So also rasch die Büchse hebend, die er in der Bewegung spannte, suchte das Auge den tödlichen Fleck, der Finger zuckte, scharf schmetterte der Schlag durch den Wald, und wie sich der Hirsch hob und zusammenbrach, und wieder empor und mit wilden Sätzen in das Dickicht hineinschnellte, fuhren die Rüden, die sich nicht länger halten ließen, von dem Platz auf, an dem sie gekauert, und folgten heulend und kläffend der flüchtigen Beute. Jack Owen aber wischte indessen vollkommen ruhig seine Büchse mit dem an den Ladestock geschraubten Krätzer aus, lud sie wieder, und sie dann auf die Schulter werfend, kehrte er zu seinem geduldig haltenden Pferd zurück, um seine Mütze aufzuheben und das Tier mit sich nach der Stelle zu führen, wo sie das Wild verendet finden sollten.

«Er ist davongelaufen», sagte Amalie v. Seebald, halb zufrieden damit, halb in getäuschter Erwartung, als der Schütze herankam und sein Pferd ihm – ohne jedoch seine Stelle zu verlassen – freudig entgegenwieherte.

«Ja, Miß», lachte der Jäger, «aber nicht weit; ich bin gut abgekommen, und die Kugel sitzt, vielleicht nur ein wenig tief, auf dem rechten Fleck. Die Hunde haben ihn schon.»

«Die Hunde? Wo? – Sie bellen ja noch.»

«Ja », lachte der Hinterwäldler, «aber nicht mehr gegen den Hirsch, sondern gegen Deik an, der Besitz von ihm genommen und keinen der anderen mehr heranläßt; der alte Bursche weiß schon, was sich schickt. Kommen Sie jetzt mit mir, wir gehen sogar nicht einmal um, sondern schneiden dort hinüber durch die vollkommen trockene Gründornebene eher noch ein paar hundert Schritt ab bis zu Olnitzkis Fenz, die auf der anderen Seite daran stößt. Ich will nur den Hirsch aufbrechen und in die Slew hängen, damit ihn die Schmeißfliegen nicht gleich bedecken, nachher hol’ ich ihn ab.»

Einen leisen Pfiff ausstoßend, den das Pony gut genug verstand, drehte er sich, von diesem jetzt dicht gefolgt, wieder auf dem Absatz herum, und die dichtesten Plätze vermeidend, führte er die Fremde ganz unbekümmert mitten in das Herz der Waldung hinein. Näher und näher aber kam dabei das Bellen der Hunde, und als sie diese endlich erreichten, war es, wie Jack Owen vorhergesagt. Deik hatte seinen Platz dicht neben dem schon verendeten Hirsch genommen und sich, seiner Autorität bewußt, ruhig dabei zusammengekauert, um die Ankunft seines Herrn zu erwarten, während die anderen Rüden ihn kläffend und knurrend, immer aber in achtungsvoller Ferne, umsprangen und die Zeit nicht schienen erwarten zu können, wo ihnen ein Teil des Wildbrets preisgegeben würde. Das geschah bald; Jack hatte im Nu den Hirsch herumgeworfen, aufgebrochen und zerwirkt, und dann den vorderen Teil, die beiden Blätter mit Hals und Kopf, an dem das Geweih noch saß, vom übrigen Körper trennend und in einzelnen, mächtigen Stücken den verschiedenen Rüden zuwerfend, zog er ein Stück Bast von einem dicht dabeistehenden Papaobaum ab und durch die Hessen43 der Hinterläufe des Erlegten, schleifte das Wildbret dann zum kaum zehn Schritt davon entfernten Wasser, dem das tödlich getroffene Tier noch zugeeilt war, und hing es hinein, wusch sich dann selbst die Hände in der Flut, warf die Büchse wieder über die Schulter und schritt, dem Pony ein neues Zeichen gebend, rasch mitten durch den Wald hin, einer bestimmten Richtung zu.

Diese brachte die Wanderer aber nach kaum viertelstündigem, rüstigen Marsch an die Ecke eines eingefenzten, mit Mais bepflanzten, aber sonst noch ziemlich wild aussehenden Feldes, in dem die meisten Bäume nur geringelt und abgestorben, oder mitten hinein in das Feld gebrochen standen und lagen, und um das hin ein schmaler Feldweg führte.

«Da sind wir am Ziel», sagte der Jäger, als er den Arm gegen das Maisfeld ausstreckte und zugleich um die Ecke desselben bog, von der aus sie einen freieren Blick auf die kleine Ansiedlung selber erlangen konnten. «Das hier ist Olnitzkis Feld, und er hat drüben auf der anderen Seite im letzten Jahr noch drei andere Acker Land urbar gemacht.»

«Und wie weit haben wir noch bis zum Haus?» frug Amalie, der das Herz anfing in fast fieberhafter Aufregung zu klopfen, indem sie fast unwillkürlich den Zügel des Ponys anhielt, um sich erst zu sammeln.

«Zum Haus? – Dort liegt es», sagte der Jäger, und sein Blick haftete wie in Mitleid auf der bleichen, zitternden Gestalt, die in Angst und Schreck die Hände faltete, als das suchende Auge nur eine kleine, niedere Hütte traf, aus der dünner Rauch in die blaue Morgenluft emporkräuselte.

«Das?» hauchte sie mit kaum hörbarer, trostloser Stimme. « D a s Olnitzkis Haus! – Das der Aufenthalt meiner armen Schwester!»

«’s ist eben nur eine Waldwohnung», sagte der Jäger, verlegen lächelnd, «mein eigen Haus ist eben nicht viel besser, und Olnitzki will, glaub’ ich, auch ein anderes bauen. Unser Klima hier verlangt es aber kaum anders, und zum bloßen Staat wäre die Mühe hier ebenfalls weggeworfen. Doch wollen wir nicht herangehen?»

«Nein – bitte, lassen Sie mich vom Pferd», bat Amalie, «es ist nur eine kleine Strecke – ich will von hier zu Fuß gehen – ich – ich möchte gern… »

«Ich kann mir denken, daß Sie die Schwester nach so langer Abwesenheit allein zu begrüßen wünschen», sagte der Jäger freundlich, indem er seine Büchse an die Fenz lehnte und sie mit scharfem Griff aus dem Sattel hob, «ist’s Ihnen recht, so gehe ich indes zurück und hole mein Wildbret. Ich weiß nicht, ob Olnitzki gerade frisches Fleisch im Hause hat, und da er jetzt Besuch bekommt, wird ihm ein Teil davon vielleicht willkommen sein. Wild gibt’s hier noch genug im Wald, aber es trifft sich nicht immer, daß man gerade zum Schuß kommt, wenn man etwas notwendig braucht, und besser ist besser. Sie können übrigens nicht mehr fehlen; der Pfad hier führt Sie, an der Fenz entlang, bis vor die Tür. Das meiste Ihrer Sachen wird auch bald eintreffen, und das übrige bringe ich Ihnen morgen früh.»

Er war bei den letzten Worten in den Damensattel gesprungen, und ohne einen Dank der Fremden abzuwarten, drückte er dem Tier die Hacken in die Seiten und sprengte, von den Rüden gefolgt, rasch zurück in den Wald, der sich im nächsten Augenblick schon wieder hinter ihm schloß.

Fräulein v. Seebald blieb allein zurück und brauchte noch Minuten, ehe sie sich so weit sammeln konnte, der Schwester gefaßt entgegenzutreten. Aber was zögerte sie auch hier, was fürchtete sie? Hatte denn der Jäger nicht vollkommen Recht, und durfte sie mitten im Wald etwas anderes erwarten, als die Wohnung eines Jägers? Auch Rosemores wohnten in einem ebenso unscheinbaren, vielleicht etwas höheren Blockhaus, und wie freundlich, wie wohnlich sah es bei denen aus. Es war unrecht von ihr, sich solch’ kindischem Kleinmut in einem Augenblick hinzugeben, wo sie ihr weitgestecktes Ziel endlich erreicht, und in den Armen der Schwester wollte und mußte sie ja bald jede solch’ törichte Furcht verscheucht, vernichtet sehen.

Dort lag die Wohnung, und dorthin trug sie jetzt, in Freude und Sehnsucht zitternd, der Fuß. An der Fenz hin, manchmal noch durch niedriges Gestrüpp und Unkraut, das den Boden dicht bedeckte, oder auch über niedergebrochene Stämme und Äste hin, lief und kletterte sie, von den weiten Kleidern oft gehalten, in immer wachsender Ungeduld, und erreichte endlich den kleinen, freien, von zahmen Vieh zertretenen und etwas schmutzigen Platz unmittelbar vor der Hütte, die in die Fenz hineingebaut lag. Hier sah sie auch das erste lebende Wesen – denn bis jetzt hatte ihr nur der blaue Rauch die Nähe von Menschen verraten – eine Frau in einem ordinären weiß-baumwollenen Rock – der selbstgewebte Stoff der Backwoodsfrauen – die vor der Tür der Hütte stand und das zu Mittag wahrscheinlich gebrauchte Geschirr in einem hölzernen Troge reinigte. Gott sei Dank, da war jemand, den sie erst fragen konnte, ehe sie das Haus betrat, und mit auf dem weichen Boden geräuschlosen Schritten zu ihr herangehend, sagte sie, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, mit lauter Stimme, aber in englischer Sprache:

«Guten Tag, Madame44, könnt Ihr mir sagen, ob die Gräfin – ob Mrs. Olnitzka zu Hause ist?»

Die Frau drehte sich nach ihr um und sah ihr starr und regungslos in die Augen, erwiderte aber kein Wort – sie mußte die Anrede nicht verstanden haben.

«Entschuldigt mich, liebe Frau», sagte die Fremde, den Blick dabei unruhig nach der Tür der Hütte werfend, als ob sie von dort in jeder Sekunde die Gestalt der Schwester zu sehen erwarte, «ich bin fremd hier – eben erst angekommen, und suche die Dame, der dies Haus gehört.»

Die Frau hob langsam die Hände auf – ihr Blick, erst erstaunt und erschreckt, wurde immer stierer und wilder, und während das Geschirr ihren Fingern entfiel, streckte sie plötzlich wie abwehrend die Arme von sich, und den bleichen Lippen entrang sich das Wort: «Amalie!»

«Heiliger – allmächtiger Gott!» schrie Amalie, in diesem Augenblick von jähem Schreck getroffen, während sie ihre Stirn mit beiden Händen hielt und die vor ihr stehende Frau anstarrte, als ob ein Geist vor ihr dem Boden entstiegen wäre. «Sidonie!» und die Arme nach ihr ausstreckend, umfing sie wie krampfhaft die bleiche, zitternde, schmächtige Gestalt.

«Meine Sidonie! – Mein liebes, liebes Herz!» flüsterte sie dabei, in ängstlich liebkosender Hast ihr die blassen, eingefallenen Wangen streichelnd und in vergehendem Schmerz die abgehärmten, an sie geschmiegten Glieder fühlend. «Mein armes, verlassenes Kind!» Aber sie vermochte nicht mehr zu sagen, und auch die Schwester hing lautlos – schluchzend in ihren Armen.

Aber Sidonie faßte sich zuerst wieder, und gewaltsam die Bewegung bezwingend, der sie sich im ersten Augenblick wohl unwillkürlich, selbst unbewußt hingegeben, strich sie die Haare aus der marmorweißen und fast ebenso kalten Stirn, und die Schwester leise auf Armeslänge von sich pressend, schaute sie ihr voll und zärtlich in die tränengefüllten Augen, und sagte mit leiser und so unendlich weicher Stimme:

«Amalie – oh, wie Dein lieber Anblick meinen Augen so wohl tut! Aber wo kommst Du her – Mädchen? Um Gotteswillen, was hat Dich aus Deutschland herüber in den Wald gebracht? Du – Du bist doch nicht… »

«Herübergekommen, um Dich zu sehen und zu küssen!» rief die Schwester, sie von neuem an sich ziehend. «Du böse, böse Frau schreibst ja doch nicht mehr, und da wir nicht länger ohne Nachricht von Dir leben konnten, gab der Vater endlich meinen dringenden Bitten nach und ließ mich ziehen, um Dich selber aufzusuchen. – Aber Sidonie – um Gotteswillen, Du bist krank – Du siehst bleich und elend aus, und strengst Dich dabei noch übermäßig an mit unnützer Arbeit. Was lässest Du die Magd das nicht besorgen?»

«Die Magd?» sagte die Frau verlegen, wehmütig lächelnd.

«Nun ja, Herz, oder einen Deiner Leute. – Lieber Himmel, ich habe Dich ja gar nicht wiedererkannt, als ich Dich traf, so blaß, so abgemagert siehst Du aus – daß wir Dich doch nie von uns fortgelassen hätten ! Aber wo ist Dein Mann? Wo Dein Kind? Und hier – hier drinnen in dem kleinen Häuschen wohnst Du wirklich Sommer und Winter?»

«Olnitzki ist hinauf auf die Jagd gegangen, aber ich erwarte ihn heute zurück, und mein armer kleiner Oskar schläft – er war recht schwer, recht schwer krank, das Kind.»

«Ich hörte es schon am Weg», sagte Amalie, «aber Du erwartest Deinen Mann h e u t e von der Jagd zurück? – Bleibt er denn auch über Nacht aus?»

«Selten, aber doch wohl manches Mal.»

«Und läßt Dich mit den Leuten hier ganz allein?»

«Mit den Leuten, Amalie?» sagte die Schwester leise und mit einem halb verlegenen, halb schmerzlichen Lächeln zu ihr aufschauend. «Wir leben hier einfacher, als Ihr daheim zu glauben scheint. Der Wald erzeugt wenig Bedürfnisse, und den wenigen zu begegnen, sind wir selbst genug. Wir halten keine Leute.»

«Keine Leute für das Feld?» rief Amalie erstaunt. «Und Dein Mann bestellt das alles allein?»

«In der Arbeitszeit nimmt er sich manchmal einen Mann herüber, um ihm zu helfen», sagte die Frau, «aber komm, Sidonie, komm in das Haus; die Herbstsonne sengt Dir noch die Haut, und Du wirst müde von der Reise sein. Auch mußt Du mir erzählen, wie und mit wem Du hierher gekommen, mitten auf Oakland Grove allein und ordentlich aus dem Boden heraufgewachsen. Wie ich Dich so da vor mir stehen sah, glaubt’ ich wahrhaftig erst, ich sähe Deinen Geist. – Aber Du wirst Dir Dein Kleid hier bei uns verderben.»

«Warum verderben?» lachte Amalie unter zurückgehaltenen Tränen vor, als sie die dünne, fast durchsichtige Hand der Schwester faßte und ihren Arm um ihre Schulter legte, um sie zum Haus zu führen. «Und wenn es wäre, ist es ja doch für die Reise bestimmt.»

Sie hatten sich indes der Tür genähert, und Sidonie streckte den Arm aus, um sie zu öffnen – aber der Arm zitterte, zögerte, und der Schwester Hand ergreifend und sie plötzlich fest, fast krampfhaft in die ihre pressend, sagte sie mit wie von innerer Bewegung erstickter, hastiger Stimme:

«Amalie – meine Heimat ist nicht das, was Du, trotz des ärmlichen Aussehens, zu erwarten scheinst – wir leben einfach, fast ärmlich, wie der geringste Waldbewohner im weiten Reich – Du wirst – Du wirst Dich nicht wohl hier bei uns fühlen – k a n n s t es nicht, denn der Abstand aus dem Leben, das Du gerade frisch verlassen, ist zu groß – zu – furchtbar – für Dich heißt das – für den nicht daran Gewöhnten, während wir es nicht besser wissen, nicht besser – verlangen. »

«Sidonie, um des Heilands Willen, was ist hier vorgegangen?» rief Amalie in Todesangst. «Was verheimlichst Du mir? Was soll die Vorbereitung jetzt bedeuten?»

«Nichts, Amalie», sagte die Frau jetzt schon gefaßter, «als Dich eben, wie Du es nennst, vorbereiten auf ein wildes, ungewohntes, und, wie Du es ja in Deinen Briefen mir so oft beneidet, ein – romantisches Leben. Schreck’ aber nicht davor zurück – unter der rauhen Außenschale birgt es doch noch oft den süßen Kern, und Hunderte von Familien leben hier im Wald gerad’ wie wir – und glücklich – und zufrieden.»

«Aber Du?»

«Ich gehöre zu ihnen», sagte die Frau leise, «bin eine von denselben, und – wenn mir mein Kind erhalten wird – verlange ich nicht mehr.»

Ihre Sprache war fast zu einem Flüstern herabgesunken, aber ein schwacher Schrei im Inneren machte ihrem Zögern rasch ein Ende. Das kranke Kind war erwacht, und die Mutter, der Schwester kaum noch gedenkend, stieß hastig die aus gespaltenen Brettern roh zusammengesetzte Tür auf, um zu dem Liebling zu eilen. Über dessen Lager gebeugt – und welch ärmliches Bettchen war es für den Grafensohn! – ließ sie die Schwester auf der Schwelle stehen, und Amaliens Blick überflog schaudernd das Innere der ärmlichen Hütte, die ihr, sie mochte sich dagegen stemmen wie sie wollte, gerade mit den Resten mancher Überbleibsel aus früherer, besserer Zeit nur noch trostloser, leerer, verlassener vorkam, als das ärmlichste Blockhaus, das sie bis jetzt im Wald gesehen.

Die Wände waren kahl und überall von den unverstopften Spalten der übereinander gelegten und nur oberflächlich zusammengefügten Stämme durchbrochen. Nur wo die beiden schmalen, kaum mit dem notdürftigsten Bettzeug belegten Betten standen, hatte vielleicht die Hand der Frau Maisstöcke und Überreste von Kleidungsstücken hineingestopft, um den unmittelbaren Zug wenigstens von dort her abzuhalten. An der einen Wand hing ein zerbrochener Spiegel von starkem, herrlichen Glas, dessen verwitterter, einst reich vergoldet gewesener Rahmen durch Streifen Hickorybast zusammengehalten wurde. Dicht daneben war ein roh gespaltenes Brett durch hölzerne Pflöcke in den dicken Eichenstamm befestigt, und neben einem alten Pulverhorn und ein Paar nachlässig da hinauf geworfenen Sporen, neben Blechbechern und alten Kannen und blechernen Tellern, standen einzelne Obertassen mit abgebrochenen Henkeln und ausgebrochenen Stücken, aber vom feinsten, vergoldeten und gemalte Sévres-Porzellan45. Nur über dem Bett der Frau hingen noch zwei Bilder aus der früheren Zeit – die ihrer Eltern – mit unzerbrochenen Gläsern; aber die Feuchtigkeit des Hauses hatte das Papier so vergilbt und gefleckt, daß sich kaum noch eine Ähnlichkeit erkennen ließ.

Amalie sah nicht mehr – heiß aufquellende Tränen füllten ihr den Blick, und als sich Sidonie von dem Krankenbett des Kindes aufrichtete, die Hand nach ihr ausstreckte und sie zu dem Lager des armen Kleinen zog, der in einem aus rohen Brettern zusammengenagelten Gestell, aber auf weichen, wohl der Mutter entzogenen Kissen sein Bettchen hatte, da brach die Kraft, die sie sich zugetraut, in einem wilden Tränenstrom sich Bahn. Neben dem Kind niedersinkend, barg sie ihr Haupt an dem Bett und schluchzte laut.

Sidonie wollte sie aufrichten – wollte sich und den Gatten entschuldigen – wollte l ü g e n, daß sie sich glücklich und zufrieden fühle hier in der freilich einsamen, ungewohnten Welt, aber – sie vermochte es nicht mehr. Das jahrelang ertragene, bestandene Weh hielt jeden Ton, jedes Wort zurück, und bleich, zitternd, mit tränenlosem, stieren Blick stand sie neben der Knieenden und schaute still und regungslos zu Boden.

Hundegebell vor dem Haus und Pferdegestampfe unterbrach die peinlich werdende Stille. Amalie richtete sich rasch und wie erschreckt empor, und auch Sidonie trat zur Tür und öffnete diese, um den rückkehrenden Gatten zu begrüßen.

«Hallo the house!» rief dieser schon von weitem die eigene Wohnung an. «Heda, Dony, h u p i h ! Komm heraus, Schatz, und sieh, was ich Dir mitgebracht!»

Bis dicht vor die Tür sprengte dabei, von der Hand des Reiters gelenkt, das Tier, bis es mit den Hufen die Schwelle betrat und mit dem klugen Kopf die Tür zu öffnen suchte, in der jetzt Sidonie erschien und, vor der Nähe des Pferdes erschreckend, angstvoll den Vater bat, des eigenen Kindes mit dem Lärm zu schonen.

«Ah, papperlapapp», lachte aber der Mann, «wird ihm nicht gleich ‘was schaden – sieh hier, was ich Dir mitgebracht.» Und in seinen Armen wand sich, mit den gebundenen Pranken vergebens arbeitend, um von den Banden, die ihn zusammenschnürten, loszukommen, ein junger Bär, und die Hunde heulten und kläfften und schnappten am Pferd hinauf, um die ihnen vorenthaltene Beute zu ergreifen und zu zerreißen.

«Ruhe, Ihr Bestien!» lachte dabei der Jäger vom Pferd herunter. «Ruhe und nieder mit Euch Kanaillen – Dony, nimm einmal ein paar Brände heraus und wirf sie zwischen die Satanstiere, sie ziehen mich sonst wahrhaftig noch vom Pferd hinunter. – Zurück mit Euch, Watch und Bull – warte, Bestie, wenn ich hinunterkomme, dreh’ ich Dir den Hals um für den Biß.»

«Das Kind ist kränker geworden, als es war, Olnitzki», bat die Frau, «geh nur wenigstens mit dem furchtbaren Lärm hier von der Tür weg, es stirbt mir ja vor Angst und Schreck.»

«Ah bah – das ist zäh und stirbt nicht», sagte der Mann finster, «sonst wären wir den Jammer lange los», und hinunterspringend vom Pferd, das er sich selber überließ, während er den jungen Bär mit riesiger Kraft in den linken Arm gepreßt hielt, führte er mit dem scharfen Büchsenkolben wohlgezielte Stöße gegen die heranpressenden Hunde, die sie heulend in sichere Entfernung zurücktrieben. Den Gefangenen dann zu Boden werfend, nahm er eine Kette herunter, die an einem der äußeren Balken des Hauses hing, befestigte sie mit einem starken Ledergurt um den Hals des Tieres, das er zu einem der nächsten Bäume trug, schlug das andere Ende der Kette um einen der unteren Äste, und die Banden dann rasch mit dem Messer lösend, sprang er zurück und rief lachend:

«So, mein Bursche, nun wehre Dich selber Deiner Haut! Hupih! Ihr Rüden – hupih – jetzt tut, was Ihr könnt.»

Und mit dem Jagdruf warf sich die Meute in toller Wut gegen den kaum entfesselten jungen Bären, und hätte ihn zerrissen, wäre dieser nicht rasch und gewandt, seine teilweise Freiheit benutzend, an dem Stamm, an den ihn die Kette gefesselt hielt, emporgeklettert. Dort setzte er sich dann auf dem untersten Aste fest, und hieb mit zurückgelegten Ohren und fletschenden Zähnen nach den gierig und wild gegen ihn aufspringenden Hunden hinunter.

«Hahahaha, das ist göttlich, das ist kostbar!» schrie und jubelte dabei der Pole. «Hupih, meine Burschen, hupih! Brav, Watch, beinah’ hoch genug, aber der schwarze Bursche teilt auch dafür böse Ohrfeigen aus – hupih – hahahaha! Aber, Wetter noch einmal», unterbrach er sich dabei, «wie er mich selber zugerichtet hat – Dony, Dony, da wirst Du tüchtig mit Nadel und Zwirn und Heftpflaster nachhelfen müssen, um alle die verschiedenen Risse an Leib und Jacke wieder in Ordnung zu bringen – hallo – wen haben wir h i e r ? »

Der überraschte Ausruf galt der Fremden, die er nicht wiedererkannte und in seiner Hütte fand, als er die Schwelle betrat. «Wie geht’s, Madame? Weshalb setzen Sie sich nicht? Hier ist ja noch ein Stuhl – wohl eine neue Nachbarin von uns?»

«Sie kennen mich nicht mehr, Graf Olnitzki?» sagte Amalie aber auf die englische Anrede in deutscher Sprache. «Ist mein Gesicht Ihnen in den zehn Jahren so gänzlich fremd geworden?»

«Alle Wetter!» rief der Pole, überrascht einen Schritt zurücktretend und die Tür hinter sich aufstoßend, um mehr Licht in den inneren, fensterlosen Raum zu bekommen. «Ist das nicht – ist das nicht Fräulein Amalie, meine sehr verehrte Schwägerin? Aber, zum Teufel, Schwägerin, wo kommen S i e auf einmal her, hier mitten in den Wald hinein? – Nun, einerlei, das erzählen Sie mir nachher; jetzt seien Sie uns herzlich willkommen und machen Sie es sich so bequem, wie – nun, wie es die Umstände gerade erlauben. Es ist gerade nicht v e r d a m m t bequem bei uns, läßt sich aber doch aushalten und genügt für den Wald. Gegen die Indianer leben wir noch immer wie die Fürsten46

Er hatte ihr dabei die rechte Hand entgegengestreckt, zog sie aber lachend zurück, denn sie war mit Blut bedeckt.

«Um Gotteswillen, wie siehst Du aus, Olnitzki?» rief aber auch in demselben Augenblick die Frau. «Zerrissen und blutig am ganzen Körper; was hast Du gemacht?»

«Du hättest dabei sein sollen, Dony», lachte der Pole, seine Mütze in die Ecke werfend und die ausgestreckten Arme, die Zeugnis des bestandenen Kampfes gaben, von sich haltend. «Wie ich schon auf dem Heimweg, mein altes Jagdunglück verwünschend, bin und drüben an der brushy slew vorüber halte, sehe ich plötzlich eine alte Bärin mit einem Jungen bei sich, die mir die Hunde vorher auch nicht im Mindesten gespürt oder bezeichnet hatten, aus einem kleinen Schilfbruch aufstehen und das Weite suchen. Jawohl, Weite, wir mit einem Hupih und Hurra hinterher wie die wilde Jagd, und wenn es die Alte auch noch eine Weile ausgehalten hätte, konnte das Junge doch bald nicht mehr fort und bäumte auf. Hätt’ ich schon ‘was geschossen gehabt, wär’s mir nicht eingefallen, mit dem Kalbfleisch fürlieb zu nehmen, so aber dacht’ ich, das Ding auf dem Baum wär’ sicherer wie die magere Alte im Busch drin, warf mein Pferd herum, sprang herunter und hätt’ es nun bequem niederschießen können. Aber so leichte Jagd wär’ ein Schimpf gewesen, und die Büchse deshalb unter den Baum legend, mit meinem Sattelseil umgehangen, klettre ich hinauf zu dem kratzenden, schlagenden Ding, pack’ es bei einer Hinterpranke und will es eben, während es ein mörderisches Geschrei ausstößt, mit mir herunterziehen auf den Boden, als ich die Büsche wieder brechen und krachen höre, und straf’ mich Gott, wie ich mich umsehe, kommt die Alte mit zurückgelegten Ohren und weit offenem, rotglühenden Rachen – aber zum Donnerwetter, Ruhe da, Ihr Bestien, man kann ja sein eigen Wort nicht verstehen vor der Teufelsbrut – kommt die Alte wie ein losgelassener Satan wieder durch den Wald gesaust und auf mich zu. Das Junge loslassen und am Stamm herunter nach meiner Büchse fahren, war im Nu geschehen; aber kaum hatte ich Zeit, den Hahn zu spannen und zu zielen, als die schnaubende Bestie herankam wie zehntausend Teufel. Meine Kugel traf sie mitten durch’s Herz, und die Büchse fortwerfend, behielt ich gerade noch Zeit, mein Messer aus der Scheide zu reißen, als sich die Wütende, wie unverwundet, auf mich warf und ich fühlte, wie mir Kleider und Haut in Fetzen vom Leibe flogen. Glücklicherweise dauerte die Geschichte nicht lange, die Kugel wirkte, und die Alte brach tot über mir zusammen; aber nun ging der Spaß mit dem Jungen von vorne los, und ich glaube bei Gott, es ist kein handgroßer Platz an meinem ganzen Leib, wo ich nicht einen Riß oder Biß habe von den Satanstieren. Du wirst mich tüchtig ausflicken müssen, Dony.»

Das Kind fing wieder an zu schreien; der Lärm der Hunde draußen ließ es nicht ruhen, und der Mann warf sich indessen, während die Frau nach dem Kleinen sah, erschöpft und blutig, wie er war, auf das Bett.

«Nun, Fräulein Schwägerin oder F r a u Schwägerin, ich weiß nicht einmal, wie man jetzt sagen muß, so lange haben wir nichts voneinander gehört, welchem glücklichen Ungefähr verdanken wir diesen Besuch, oder… » Er fuhr bei einem ihn plötzlich durchzuckenden Gedanken rasch von dem Lager auf und blickte scharf nach der Frau hinüber. «Hat mich Sidonie damit freundlich ü b e r – r a s c h e n wollen?»

«Sidonie wußte so wenig von meiner Ankunft wie Sie, lieber Graf», sagte Amalie, die mit Entsetzen den versteckten Verdacht in den Worten fühlte, und deren Blicken sich ein Abgrund öffnete.

«Graf?» lachte der Pole aber spöttisch auf. «Den Grafen müssen Sie hier weglassen, Fräulein v. Seebald, sieht das hier aus wie in einer gräflichen Wohnung? – Da, das ist der Rest meiner Vergangenheit», rief er, während er dort an der Wand hängende baumwollene Frauenkleider zurückschob und einen alten, mit Rost überlaufenen Kavalleriesäbel ans Tageslicht brachte, «auch ein prächtiges Symbol», setzte er mit höhnischer Bitterkeit hinzu, «denn die Lumpen hängen darüber hin und v e r s t e c k e n die letzten Überbleibsel des G r a f e n. Wie gefällt es Ihnen bei uns, heh? – Hübsch, nicht wahr? Romantisch genug, nur ein bißchen zuviel davon. Ja», setzte er dumpf brütend dazu, während er auf das Bett zurücksank und den Kopf in die Hand stützte, «früher war’s anders – besser vielleicht – vielleicht auch nicht, und ein freies, fröhliches Leben führen wir doch. Aber komm, komm, Dony, sieh mir nach dem Leib, der verdammte Bär hat mir doch weh getan, und ich glaube, ich habe viel Blut verloren; es wird mir auf einmal so schwach und schwindelig.»

Sidonie trat zu dem Bett des Gatten, um mit zitternder Hand die blutigen Kleider zu lösen und nach den Wunden zu sehen, die ihm der Bär im Todeskampf geschlagen, während Amalie, die schon Hut und Tuch abgelegt hatte, zu dem Kind ging und ihm den von der Mutter eingegossenen Trank zu geben suchte. Olnitzki hatte Recht gehabt: an Brust und Schultern trug er fast unzählige frische Wunden, keine aber glücklicherweise tief oder gefährlich, nur alle in das Fleisch hineingerissen, und mit dem Verband schwand auch bald jeder Anfall von Schwäche, den Blutverlust und übermäßige Anstrengung im Halten des jungen, schon ganz kräftigen Bären auf wenige Momente herbeigezogen.

Sidonie bereitete dann rasch etwas zu Essen für den erschöpften Gatten sowohl, wie für die Schwester, setzte die Kaffeekanne zum Feuer und tat Kaffee in die Mühle. Früher hätte es Amelie freilich nicht für möglich gehalten, daß die Schwester, auf deren Wink sonst zahlreiche Dienstboten lauschten, allein, ohne eine einzige Hilfe einem solchen Leben, solcher Arbeit preisgegeben sei; jetzt kam kein Laut des Staunens noch des Schmerzes mehr über ihre Lippen. Sie sah, sie fühlte ‘was, fürchtete sogar, daß noch mehr geschehen war, als sie sah, und nur die Angst erfüllte jetzt ihr Herz, ob da zu helfen – w i e da zu helfen sei.

Stimmen wurden draußen laut, die Hunde, die sich in etwas beruhigt hatten, als der junge Bär seinen sicheren Platz auf dem Baumast nicht mehr verließ und auf die unter ihm gelagerten Rüden ruhig niederschaute, schlugen wieder an, und Jack Owens Stimme rief gleich darauf, nach Waldesart, das Haus an, um von den Bewohnern einen in die Tür zu ziehen.

Olnitzki sprang selber, trotz Sidoniens Bitte, sich zu schonen, von seinem Lager auf, um zu sehen, wer da sei, und blieb verwundert in der Tür stehen, als er die Menge von Sachen, Koffern und Kisten, auf die Maultiere gepackt, vor seiner Wohnung halten sah.

«Hallo, Ihr Leute – guten Tag – was bringt Ihr da?» rief er hinaus. «Wetter noch einmal, Rosemore, seid Ihr ein wandernder Krämer geworden, der mit seinen Packen im Land herumzieht, um Band und Stecknadeln zu verkaufen? – Ah, Jack, Ihr führt wohl die Provisionen mit? – Nur herein mit Euch, der Kaffee wird gleich fertig sein, und ein heißer Becher voll uns gut tun.»

«Zum Henker noch einmal, Olnitzki, wie seht Ihr denn aus?» sagte Jack Owen, der indes vom Pferd gestiegen war und, das Wildbret auf der Schulter, auf ihn zukam. «Wer hat Euch denn so zugerichtet?»

«Der Bursche da und seine Mutter», lachte der Pole, auf den aufgebäumten jungen Bären deutend, «aber was soll’s mit dem Wilde?»

«Ihr habt Besuch bekommen», meinte der Jäger, leicht errötend, «und da ich nicht wußte, ob Ihr gerade Frischfleisch im Hause hättet, wollt’ ich Eurer Frau das Stück hier, das ich an der Gründornebene drüben vor einer Stunde etwa geschossen, herüberlegen. – Mir sind die Woche ein paar vor die Büchse gelaufen.»

«Und die Sachen da draußen?»

«Gehören der Dame – Eurer Frau Schwester, glaub’ ich, die gestern von Little Rock mit Billy Jones Geschirr herübergekommen.»

«So? – So ist die Sache? Nur herein, Ihr Leute – stellt die Geschichten nur indes da vorne hin, Rosemore; kann Euch wahrhaftig nicht einmal dabei helfen, denn der verdammte Bär hat mir die Arme so zerfetzt, daß sie mir steif und matt zu werden anfangen.»

Der alte Rosemore, der mit Bill Jones und Owens Hilfe die Kisten und Koffer bis zum Haus geschafft, trat jetzt mit diesem hinein, begrüßte die Frauen, frug nach dem kranken Kind, das er aufmerksam betrachtete und der Mutter verschiedene Kräuter anriet, um ein Bad daraus zu bereiten, und ließ sich dann von Olnitzki sein Abenteuer mit dem Bär erzählen, wollte aber unter keiner Bedingung zum Essen bleiben. Er sah, wie beengt der Raum schon ohnedies war, und weigerte sich auch, schon jetzt eine Bezahlung für den Transport der Sachen anzunehmen. Die Maultiere gehörten nicht ihm, wie er sagte, und er mußte den Eigentümer erst fragen, was er für den halben Arbeitstag für sie verlange – seinen eigenen Spaziergang verstünde es sich wohl von selbst, daß er den nicht rechnete.

Olnitzki redete den Nachbarn auch eben nicht besonders zu, noch zu verweilen, und eine Viertelstunde später trabten diese wieder, auf den indes ausgeruhten Tieren, der eigenen Heimat zu.

Sidonie hatte indessen der Schwester Hilfe für heute, da sie ja noch nicht Bescheid wisse in Haus und Wirtschaft, lächelnd abgelehnt, und Kaffee gemahlen und von dem frischen Fleisch in die Pfanne geschnitten, so daß bald ein recht gutes, nahrhaftes Mahl von Maisbrot und Wildbret, Honig und Kaffee auf dem reinlich gedeckten Tisch dampfte. Nur mit Sitzen, wie mit Geschirr und Messer und Gabeln sah es ärmlich aus. Amalie bekam die einzige noch ordentliche Gabel mit dem dazugehörigen Messer, Olnitzki nahm seinen Genickfänger, mit einer einzinkigen Gabel, um das Fleisch, das er schneiden wollte, damit zu halten, und Sidonie benutzte ein ausgeschnittenes Stück Rohr, das allem Anschein nach schon lange diesen Dienst verrichtete, abwechselnd des Gatten Messer dabei gebrauchend. Auch für den Kaffee bekam die Schwester eine der freilich henkellosen Tassen aus der alten Zeit, und wenn die Untertasse auch nicht dazu passte, trank es sich doch besser daraus wie aus den Blechbechern, die von Olnitzki und seiner Frau benutzt wurden. Aber ein eigenes, unheimliches Gefühl bemächtigte sich der Schwester, als sie den breiten Goldrand des zerbrochenen Geschirrs neben der blechernen Schüssel stehen sah, und dann der Zeit gedachte, wo sie selbst diese Tasse einst der jungen, hoffnungsseligen B r a u t geschenkt.

Das Gespräch bei Tisch war ziemlich einsilbig, und Sidonie selber konnte kaum fünf Minuten hintereinander auf ihrem Platz bleiben, so nahm das kranke Kind sie noch in Anspruch. Olnitzki aber neckte Amalien, daß sie so viel Gepäck in den Wald gebracht, wo sie so wenig brauchten, und war dann selber neugierig, zu sehen, was die Kisten enthielten, als ihm die Schwägerin sagte, daß das Meiste darin nur für ihn und seine Frau, wie für sein totes kleines Kind bestimmt gewesen, dessen Hinscheiden sie nicht einmal erfahren.

Einige Schwierigkeit hatte es für ihn, als das Essen beendet und das Kind in Schlaf gebracht worden, die Kisten mit seinen verwundeten Armen zu öffnen, aber es gelang ihm endlich, und Amalie suchte jetzt im Auspacken die Schwester – ja, sich selber zu zerstreuen, denn manches hatte sie mitgebracht, um ihr und dem Gatten eine Freude zu machen. Aber, lieber Gott, bei der Auswahl der Dinge war es ihnen daheim freilich nicht eingefallen, die Lieben in dem fernen Land sich in solchen Verhältnissen zu denken, als sie dieselben jetzt gefunden, und wunderlich nahmen sich die prachtvollen Stickereien an Zigarrentasche und Lesepult, Briefmappe und Taschenbuch, die Spitzenhauben und Glacéhandschuhe, das kleine, reizende Dejeuner47 vom feinsten, gemalten Porzellan, das auf seinen Kannen und Tassen Landschaftsszenen aus Sidoniens Heimat trug, die reich verzierte Lampe, die niedlichen, gestickten Pantoffeln, und alle die anderen, unendlich geschmackvoll und elegant gewählten Sachen in der ärmlich wilden Hütte aus, die ihr graues Bretterdach über sie spannte. Sidonie saß mit gefalteten Händen still daneben und wagte kaum die Gegenstände zu berühren, während Olnitzki langsam ein Stück nach dem anderen in die Hand nahm, lächelnd herüber und hinüber drehte, und dann auf den zu dem Zweck abgeräumten Tisch hinstellte.

«Hahahaha», brach er endlich in einem wilden, unnatürlichen Humor heraus, «wie die Burschen, unsere ungeschlachten Nachbarn, schauen sollen, wenn sie die wunderlichen ,fixins’ zum erstenmal sehen, wie sie staunen und sich den Kopf zerbrechen werden, zu was dies und das und jenes da bestimmt ist – hab’ ich’s doch selber fast vergessen», setzte er leise und unheimlich dabei lachend hinzu. «Und wie prächtig das Dejeuner zu dem alten Blechtopf paßt, und die Glacéhandschuhe hier zu d e n Fäusten; Schwägerin, Schwägerin, ich fürchte, Sie haben da viel Geld nutzlos verschwendet, und uns nur Illustrationen zu dem Bilde mitgebracht, wie Sie sich, trotz allen unseren Schilderungen vom Gegenteil, unser Wald- und Jägerleben hier eigentlich ausgemalt. Es fehlte jetzt nur noch ein Kronleuchter – erinnerst Du Dich noch, Sidonie, wie so ein Ding aussieht – um u n s e r e n Salon würdig zu schmücken.»

«Aber Sie wollen doch nicht immer ein solches Leben fortführen, Olnitzki?» sagte Amalie mit vor Angst und innerer Aufregung fast erstickter Stimme. «Wenn auch I h r kräftiger Körper solche Entbehrungen leicht erträgt, sehen Sie dagegen, wie die Schwester hingewelkt – denken Sie sich das junge, lebenslustige, glückliche Weib, das sie aus ihrer Elternhaus mit sich hineinnahmen in die Welt, und sehen Sie j e t z t die arme Gattin an.»

«Arme Gattin?» wiederholte Olnitzki, finster die Stirn runzelnd. «Das Weib soll dem Mann folgen in Glück und Leid, und wo sie z u s a m m e n tragen, hat sich, meiner Meinung nach, kein Teil zu beklagen.»

«Aber Sidonie… » wollte Amalie erwidern, doch ein ängstlich flehender Blick der Frau hielt das Wort auf ihre Lippen gebannt, und Olnitzki, eine mit den Farben seines Vaterlandes gestickte Zigarrentasche in der Hand, saß lange in dumpfen Brüten darauf niederstarrend. – Aber der böse Geist wich von ihm; tief aufseufzend strich er sich mit der Hand die Falten von der Stirn, und die Tasche auf den Tisch zu den übrigen Sachen legend, sagte er mit freundlichem Ausdruck in den Zügen:

«Nichts für ungut, Schwägerin, die verdammten Risse, die mir der Bär heute versetzt, brennen mich, morgen ist das vorüber. – Herzlichen Dank für alles das, was Sie uns so weit herübergebracht, es war ja so gut gemeint und wird Sidonie viele Freude machen; sie hängt doch wohl noch ein wenig an den alten Geschichten. Bereite der Schwester dann ihr Lager auf meinem Bett, Dony, ich lege mich hier zum Kamin – keine Umstände, Schwägerin», setzte er lachend hinzu, als er sah, daß sie dagegen protestieren wollte. «Sie kommen um nichts besser weg, denn es ist hart genug, und ich weiß wahrhaftig nicht, ob ich auf meinem alten Bärenfell hier dicht am Feuer nicht am Ende noch weicher und wärmer liegen werde, wie Sie da drüben. Jetzt aber gute Nacht, mir fängt der Kopf so wieder an zu schwindeln, und ich muß morgen früh hinaus, den Bär zum Haus zu holen, der noch draußen, eben nur aufgebrochen, im Walde liegt. So, mein Kind – das tut’s – das ist gut genug.» sagte er zur Frau, die ihm das Fell indes vor den Kamin gezogen und ein Kopfkissen mit einer wollenen Decke daraufgelegt hatte. «Das ist gut genug, nun laßt mich schlafen, und morgen früh soll uns die Schwägerin recht viel von zuhaus – von Deutschland erzählen.»

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Nach Amerika! Bd. 2

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