Читать книгу Nach Amerika! Bd. 2 - Gerstäcker Friedrich, Jurgen Schulze - Страница 8

Typisches Boardinghouse Ende des 19. Jahrhunderts

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«Ich spreche nur von etwas», rief sein Sohn, in edlem Eifer erglühend, «das mir schon lange auf der Seele brennt, und das, neben der Sklavenfrage, ein Schandfleck für die Union ist – ich spreche von dem unbeschützten Zustand, in dem sie gerade d i e Menschen an ihrer Küste berauben und plündern läßt, die das Mark ihrer Bevölkerung bilden, und ohne welche die einzelnen Staaten schon in ihren Schulden erstickt und zugrunde gegangen wären – die fleißigen Ackerbauer, die den Boden urbar machen, die den Verkehr brechen für Dampfschiff und Eisenbahn, die den Wert des Landes in den weißen Staaten um das Zehnfache, in vielen um das Hundertfache vermehrt haben, und anspruchslos und tätig dabei ihre stille, ruhige Bahn fortgehen.»

«Und was soll der Staat mit denen anfangen, was sollte er für die tun», sagte der Alte mit einem spöttischen, ja, fast verächtlichen Lächeln, «die der Musjö da für die G e p l ü n d e r t e n und B e r a u b t e n hält, und seinem eigenen Vater dabei gewissermaßen P l ü n d e r u n g und R a u b unter die Nase reibt, he?»

«Er sollte in den Haupthafenplätzen seines großen Reiches, in New Orleans und New York, Philadelphia, Baltimore und wie sie heißen, Häuser erreichten, in denen die Armen, wenigstens die ersten Wochen hindurch, ein Unterkommen, im Notfall u n e n t g e l t l i c h , fänden, und wo ihr Eigentum, wenn sie in das Land hinein müssen, um Arbeit zu suchen, von geschworenen Beamten, sicher und vor Verfall geschützt, aufbewahrt würde, bis sie imstande wären, es zu reklamieren.»

«Könnte gleich eine Kleinkinderbewahranstalt damit verbunden werden», lachte der Alte.

«Wollte Gott, es geschähe!» rief Franz. «Tausende von Kindern, die später einmal unsere besten und kräftigsten Bürger bilden, würden dann vor Elend und Untergang bewahrt.»

«Aber was sagst Du m i r das hier?» rief der Alte, endlich ungeduldig werdend. «Was hab’ i c h damit zu schaffen? Warum gehst Du damit nicht zum Gouverneur oder zum Präsidenten und stellst ihm einmal die Geschichte vor? Der wird mit dem größten Vergnügen darauf eingehen.»

«Der Präsident kann dabei noch nichts tun», sagte der Sohn, den im Spott gemachten Vorschlag ganz ernsthaft nehmend. «Nein, die einzelnen Staaten müssen das aus sich selber kräftig schaffen und herstellen, die einzelnen wohlhabenden Bürger zusammentreten und zum Besten ihrer eigenen Stadt ein solch Asyl gründen. Wieviel tausend Menschen sehen in Amerika die Hand, die sich ihnen und ihrer Not Hilfe bietend entgegenstreckt – wieviel tausend finden aber nur, daß eben die Hand, anstatt sie zu stützen und zu halten, in ihre Taschen greift und sie des Letzten beraubt, was sie noch mitgebracht, um sich selbst zu helfen. Oh Vater, Sie sind reich – wenn Sie den Anfang machten zu solchem großen Werk… »

«Du bist ein Esel, hätt’ ich bald gesagt», unterbrach ihn der Alte hier mürrisch, «Donnerwetter, jetzt hab’ ich den Unsinn satt, nun mach’, daß Du fortkommst, und sieh, daß Du mir vor allen Dingen den Elsässer wiederfindest – schick’ ihn mir nur herauf; ich will schon mit ihm fertigwerden.»

«Vater!» rief Franz in edler Entrüstung, sich gegen einen Auftrag sträubend, den er selber für unredlich und schlecht hielt. «Vater, ich passe nicht zu dem, wozu Sie mich machen wollen; lassen Sie mich fort, allein in die Welt hinaus, und ich will mir mein eigenes Fortkommen schon gründen, mir schon Bahn brechen zu einem neuen, frischen Leben, und wenn ich mir mein Brot im Anfang mit der Schürstange oder mit Axt und Schaufel verdienen sollte.»

«Und das Geld, das ich auf Deine Erziehung verwandt?» rief der Alte ärgerlich. «Wer zahlte mir denn die Zinsen? Schöne Wirtschaft das; nicht wahr, wenn die Zeit jetzt gekommen ist, wo Du Deinen alten Vater, der niemanden auf der Welt weiter hat, auf den er sich verlassen kann, unterstützen solltest, und dann von ihm fortlaufen willst, um ein eigenes Geschäft anzufangen? Was würde dann aus den paar Dollars, die ich mir erspart, wenn ich die Augen einmal zudrücke und fremde Menschen dann hier um mich her säßen, die sich die eigenen Taschen in aller Geschwindigkeit füllen würden? Was würde aus dem Geschäft selbst, das ich seit ein paar Jahren endlich zu einer Art Aufschwung gebracht, und das nie, solange ich und Du es verhindern können, in fremde Hände fallen darf? – Unsinn, Franz, Du weißt gar nicht, w a s Du von Dir stoßen willst, um irgendeiner fixen, wahnsinnigen Idee, die eben unausführbar ist, nachzulaufen. Mach’ jetzt, daß Du fortkommst, und tue, was ich Dir befohlen habe – ich will nichts mehr wissen, sag’ ich Dir», schrie er den Sohn unwillig an, als dieser wieder etwas entgegen wollte, und Franz verließ, tief aufseufzend, aber mehr als je entschlossen, seine Hand zu nichts zu bieten, was er nicht vor dem eigenen Gewissen verantworten könne, das Zimmer.

In diesem aber ging, die Arme auf dem Rücken gekreuzt, mit raschen, unruhigen Schritten der alte Hamann auf und ab, leise Flüche in den Bart murmelnd, und mit dem Kopfe dazu finster und unwillig schüttelnd.

Draußen klopfte jemand leise an die Tür.

«Herein!» rief der Alte barsch.

«Herr Hamann zu sprechen?» rief eine freundliche Stimme.

«Ah, Sie kommen mir gerade wie gerufen, Messerschmidt», rief ihm der Alte rasch entgegen, «sind Sie meinem Jungen begegnet?»

«Herr Hamann junior waren eben so freundlich, mich auf der etwas dunklen Treppe beinahe über den Haufen zu rennen.»

«Er ist verrückt, der Bengel!» rief der Vater.

«Verliebt vielleicht», lächelte Herr Messerschmidt.

«Gott bewahre; er will eine deutsche Kleinkinderbewahranstalt und ein Gratis-Einwanderungshaus gründen.»

«Bah!» sagte Herr Messerschmidt. «Das ist eine Idee, die am besten durch dasselbe Mittel kuriert wird, das sie allein ins Leben rufen könnte.»

«Und das wäre?»

«Geld», sagte der Agent achselzuckend, «das ist die alte Geschichte, die nur immer von solchen vorgebracht wird, die gerade kein eigenes Geld zur Verfügung haben, um es darauf zu verwenden. Überweisen Sie Ihrem Herrn Sohn ein Vermögen, und er wird etwas Gescheiteres damit anfangen.»

«Vermögen überweisen», brummte der Alte. «Sie reden ha hinaus, als ob ich zwei oder mehr zu vergeben hätte. – D a s ärgert mich ja gerade, daß der junge Laffe eben das ruinieren will, womit sich sein armer alter Vater das Brot verdienen muß. Unter dem Leib will er mir den Stuhl fortziehen und sein schmutziges Zwischendecksgesindel darauf setzen; es ist zum Verzweifeln!»

«Unsinn», lächelte Herr Messerschmidt, «lassen Sie uns von etwas Vernünftigerem reden; das ist eine Idee, die in schönen, wohlklingenden Redensarten verraucht, und wenn Sie mir folgen, geben Sie ihm vollkommen Recht, muntern ihn noch dazu auf, etwas Derartiges zu beginnen, und versprechen ihm Ihre tätige Hilfe und Unterstützung.»

«Daß ich ein Narr wäre!» rief der Alte. «Der Junge hielte mich beim Wort, und was das Schlimmste ist, er jagt mir schon jetzt die Kunden aus dem Haus hinaus, und wäre imstande, den eigenen Vater an den Pranger zu stellen.»

«Das wäre allerdings fatal», sagte Herr Messerschmidt, die Augenbrauen in die Höhe ziehend und plötzlich ganz ernsthaft werdend, «wenn die Sache s o steht, bester Herr Nachbar, da möchte ich Ihnen denn doch raten, den Burschen lieber aus dem Haus zu tun und jemanden hineinzunehmen, auf den Sie sich sicher verlassen können. Ich selber würde… »

«Ihnen meinen eigenen Sohn vorschlagen, he?» fiel ihm der Alte kurz und mit einem mißtrauischen Blick in die Rede. «Habe ich Recht oder nicht?»

«Nun, der Junge hat Talent und guten Willen.»

«Glaub ich», brummte der Alte, «aber mein eigen Fleisch und Blut steht mir näher, und ich werde den Jungen schon zur Raison bringen. Er m u ß mir gehorchen, oder – aber, hol’s der Teufel, wir wollen von ‘was anderem reden », unterbrach der sich plötzlich selbst, «kommen Sie wegen der Pfandgeschichte?»

«Oh, Gott bewahre», lachte Herr Messerschmidt, «die Sache ist ganz einfach, der junge Bursche behauptet, die beiden goldenen Uhren bei Ihrem früheren Barkeeper, von dem er auch die Quittung hat, versetzt zu haben. Der ist jetzt fort, niemand weiß wohin, und ich habe ihm nun den guten Rat gegeben, einen Aufruf an ihn in dem New Orleans Advertiser51 abdrucken zu lassen; daß ihm nachher niemand darauf antwortet, versteht sich von selbst. Nein, lieber Hamann, ich wollte unsere kleine Speditionsabrechnung in Ordnung bringen – brauche gerade Geld, und muß vor dem neuen Jahr meine Kasse jedenfalls regulieren.»

«Und wieviel macht’s im Ganzen?»

«Hundertundsiebenundneunzig Dollars fünfzig Cents.»

«Seit zwei Monaten?»

«Ja, und einige Tage – Ihre Geschäfte sind brillant gegangen; hier ist übrigens auch die spezifizierte Note.»

«Hm, hm», sagte Herr Hamann, das ihm überreichte Papier öffnend und langsam durchlesend, «da steht ja der Goldschmied mit zehn Dollars darauf, der nur acht Tage im Hause blieb und nicht einmal sein Boarding zahlte; was fällt Ihnen denn ein? – Den müssen Sie streichen.»

«Er war gestern bei mir», sagte Herr Messerschmidt lächelnd, «und frug mich um Rat, wie er wohl wieder zu der Tuchnadel kommen könne, die wohl einige achtzig Dollars wert sein soll.»

«Bah, Unsinn, der Quark war nachgemacht – fünfundsiebzig Cents hat mir der Jude dafür gegeben.»

«Das hab’ ich ihm auch gesagt», schmunzelte der Agent, «und ihm sogar versichert, ich würde es im Notfall bezeugen können.»

«Nichtsnutziges Gesindel», brummte Herr Hamann in gerechter Entrüstung über die Schlechtigkeit der Welt, erwähnte aber weiter nichts von den zehn Dollars. Der Agent beobachtete ihn indessen schweigend, während er las, und trommelte dabei auf dem Hut, den er zwischen den Knien hielt, einen Marsch.

«Hier ist noch ein Posten, der nicht hierher gehört.»

«Und?»

«Die Oldenburger – ich bitte Sie um Gotteswillen, was schaffen Sie mir für Volk ins Haus! Drei Wochen füttere ich jetzt die ganze Gesellschaft, und habe ihnen heute Morgen, weil g a r nichts aus ihnen herauszukriegen ist, gekündigt. Wie kann ich Ihnen demnach zwei Dollars für den Kopf zahlen?»

«Sie haben Recht, das wäre unbillig», sagte Herr Messerschmidt freundlich, «wir wollen es dann lieber so machen: ich zahle Ihnen den ,Boarding’ für die Leute, ziehe aber, was sie indessen an Arbeit im Hause geleistet haben, ab und bekomme dann ihr Gepäck solange überliefert.»

Herr Hamann sah mit einem nichts weniger als freundlichen Blick nach ihm hinüber, faltete aber das Papier zusammen, hielt es ein paar Sekunden wie nachdenkend in der Hand und sagte dann kopfschüttelnd:

«Das würde eine Menge Umstände und Rechnereien machen – da, gehen Sie an das Pult und schreiben Sie mir Ihre Quittung; ich hole Ihnen indessen das Geld.»

«Alter Gauner», murmelte Herr Messerschmidt, dem Wirt aber unhörbar, freundlich zwischen den Zähnen durch, und ging mit einer höflichen Verbeugung zu dem Stehpult, um dem Verlangen Folge zu leisten. Wenige Minuten später war dies Geschäft zwischen den beiden Männern abgemacht. Wie Herr Messerschmidt das Geld gerade nachgezählt, die einzelnen Banknoten sehr genau betrachtet und dann in sein Taschenbuch gelegt hatte, klopfte es wieder an die Tür, und auf das mürrische «Herein!» des Hausherren drückte sich, ängstlich und verlegen, seinen Hut unter den Arm quetschend, der eine der Oldenburger ins Zimmer und blieb an der Tür stehen.

«Nun, was soll’s?» sagte Herr Hamann, während Herr Messerschmidt aufstand, an das Fenster ging und hinaus auf die Straße sah.

«Herr Wirt», sagte der Oldenburger mit bittendem Ausdruck in der Stimme, «Ihr Ausschenker hat uns vorhin gesagt, daß Sie uns nicht länger in Kost behalten wollen.»

«Füttern wollen, meint Ihr wohl?» sagte Herr Hamann. «Wie komme ich dazu, ganze Schiffsladungen voll Menschen zu ernähren, ohne daß ich einen Pfennig Bezahlung bekäme?»

«Wir wollen ja gern gehen», sagte der Mann, «und Ihnen später alles auf Heller und Pfennig bezahlen, aber er will uns unsere Koffer nicht mitgeben.»

«Auch noch, nicht wahr? – Erst hier Gott weiß wie lange mit den ganzen Familien zehren, und dann auch noch mit Sack und Pack abziehen. Dumm seid Ihr nicht, das muß wahr sein, und blöde auch nicht.»

«Wir wollten Ihnen ja gern den Wert der gehabten Kost in Sachen zurücklassen, wenn wir nur das Übrige mit fortnehmen dürfen. Wir können doch nicht s o in die Welt hineinziehen?»

«Das geht mich nichts an», entgegnete mürrisch der Wirt, «ich habe hier keinen Handel mit alten Kleidern, sondern ein Gasthaus, in dem ich für jedes Pfund Fleisch, was ich haben will, bar mit meinem Geld bezahlen muß.»

«Aber was sind wir Ihnen denn eigentlich schuldig?» frug der Mann. «Der Ausschenker hat uns eine Rechnung gegeben, auf der eine Menge Gläser Getränke stehen, von denen wir nichts wissen, aber nicht einen Pfennig für die Arbeit abgerechnet, die wir in der Zeit für Sie getan, und die Frauen haben doch Woche ein, Woche aus gewaschen, und wir selber all’ Ihr Holz gespalten und gesägt, Ihren Mist gefahren, Ihre Kartoffeln ausgemacht im Feld und hereingeschafft.»

«Die Arbeitstage sind Euch nicht mit aufgeschrieben», sagte Herr Hamann.

«Nein, das ist wahr, aber auch nichts dafür zugute, lieber Gott, wir haben uns unsere Kleider dabei heruntergerissen und tüchtig zugegriffen, das wissen Sie selber am besten.»

«Mein Essen war auch nicht schlecht, und bei den teuren Zeiten könnt’ ich’s vor meinen Kindern nicht verantworten, wenn ich andere Leute umsonst fütterte, warum sucht Ihr Euch keine feste Arbeit?»

«Lieber, guter Gott», sagte der Mann, «dort der Herr, der am Fenster steht, kann Ihnen darauf die beste Antwort geben. Hat er uns nicht von Woche zu Woche hingehalten und immer und immer versprochen, und immer nichts gebracht?»

«Naja, nun macht m i r auch noch Vorwürfe, daß ich mir Euretwegen die Schuhsohlen abgelaufen, ohne einen roten Dreier dafür zu haben!» rief Herr Messerschmidt, sich rasch und ärgerlich nach dem Mann umdrehend. «Kann i c h die Leute z w i n g e n , Euch Arbeit zu geben, oder habe ich mich überhaupt dazu verpflichtet?»

«Nichts für ungut», bat der arme Teufel kleinlaut, «es war ja gar nicht so bös gemeint, und ich habe es nur erwähnt, um dem Herrn da zu beweisen, daß wir ja alles tun wollten, was eben nur in unseren Kräften stand.»

«Gut, ich will Euch was sagen», rief Herr Hamann nach einer kleinen Pause, in der er wie überlegend vor sich niedergesehen, «da es Euch doch zu viel Schererei machen würde, die Frauen mitzunehmen, wenn Ihr Arbeit suchen geht, so mögen die beiden Frauen mit den beiden Kindern hier bei mir im Hause bleiben und für ihre Kost die Wäsche besorgen, bis Ihr wiederkommt. Seid Ihr das zufrieden?»

«Aber würden Sie ihnen denn nicht wenigstens einen kleinen, nur ganz geringen Lohn aussetzen?» bat der Mann. «Damit wir… »

«Nun ja, reicht dem Volk einen Finger und sie greifen nach der ganzen Hand!» rief Herr Hamann, sich entrüstet gegen den Agenten wendend. «Geht zum Teufel mit Eurer ganzen Sippschaft, ich will meinem Gott danken, wenn ich Euch alle los bin!»

«Aber s o war es ja gar nicht gemeint», sagte der Mann schüchtern, «wir sehen ja ein, daß Sie Not und Mühe genug mit uns gehabt haben, und die Frauen nur aus Gefälligkeit hier so lange im Hause lassen wollen – nichts für Ungut. Wir anderen wollen dann unser Möglichstes tun und, finden wir nur Arbeit, gewiß unsere Schuld bald abtragen. Etwas Wäsche dürfen wir uns doch aus unseren Koffern nehmen, nicht wahr, Herr Hamann?»

«Ja, meinetwegen, der Barkeeper soll Euch das nachher herausgeben; jetzt macht aber, daß Ihr fortkommt, ich habe mehr zu tun, und wenn der Barkeeper Zeit hat, soll er einmal einen Augenblick heraufkommen.»

Der arme Teufel von Bauer dankte dem Mann auf das Herzlichste, und würde ihm gern die Hand zum Abschied in aller Freundschaft gereicht haben, wenn er sich’s eben getraut hätte. So verbeugte er sich nur gegen die beiden Männer, die seiner gar nicht achteten, und zog die Tür hinter sich ins Schloß, die aber gleich darauf wieder, und zwar rascher als vorher, aufflog.

Unwillig sah Herr Hamann dorthin, um eine nochmalige Störung der Bauern mit Entrüstung zurückzuweisen, als er in das rote, halb spöttische, halb kecke Gesicht eines seiner irischen Boarders schaute, der ihm ganz respektswidrig vertraulich zunickte, die Tür hinter sich zumachte und dann auf Herrn Hamann zuging.

«Nun, was soll’s, Patrick? – Was habt Ihr hier oben zu suchen?» rief ihm der Wirt, mit der Nähe des stets halbtrunkenen Burschen eben nicht recht zufrieden, mürrisch entgegen. «Weshalb hat Euch der Barkeeper hier heraufgelassen?»

«Konnt’s eben nicht verhindern, mein Herzchen», sagte Patrick lachend, «denn wie er mir in den Weg treten wollte, legte ich ihn ganz sanft – ich habe dem süßen Burschen nicht ein bißchen weh getan – unter den Schenktisch.»

«Was wollt Ihr denn da von m i r ? » rief Herr Hamann bestürzt aus. «Was habt Ihr vor, daß Ihr mit Gewalt hier zu mir heraufbrecht und meine Leute mißhandelt?»

«Frieden, bei Jäsus, mein Herzchen», beschwichtigte ihn der rauflustige Ire, «nichts honey, wie eine kleine Abrechnung zwischen uns beiden, von denen jeder glaubt, daß der andere in seiner Schuld ist.»

«Ich in Deiner Schuld, Patrick?» rief Herr Hamann rasch und erstaunt aus. «Wohl deshalb, weil Du beinahe drei Wochen bei mir gegessen und getrunken hast?»

«An der Bar ist jeder Schluck bei Cent und halbem Cent bezahlt», beteuerte der Ire.

«Aber das Essen, wer hat das berichtigt?»

«Hab ich Euch nicht den Graben um den Hof gezogen?»

«Den Graben?» rief Herr Hamann verächtlich. «Du hast Dich drei volle Tage, das heißt die Stunden abgerechnet, die Du dabei im Schenkzimmer gesessen, mit dem kleinen Graben… »

«Über Mittag, Herzchen.»

«Nun ja, das wollen wir nicht untersuchen – drei volle Tage mit dem kleinen Graben herumgeschlagen, den ein tüchtiger Arbeiter in e i n e m Tage beendigen würde. Doch bin ich willens, Dir selbst d a s zu vergüten.»

«Nun ja, honey, da sind wir ja schon in Ordnung», lachte der Ire. «Dein Holzkopf von Barkeeper hätte mir mein Bündel gleich herausgeben und sich selber eine Unannehmlichkeit ersparen können.»

«Wenn Du den Rest herauszahlst.»

«Welchen Rest?»

«Der mir noch zugute kommt.»

«Verdammt der Cent, den Ihr da noch kriegt», lachte der Ire. «Drei Tage Arbeit, pro Tag zwei Dollars, sind sechs Dollars… »

«Drei Tage und zwei Dollars den Tag? – Ihr seid verrückt!»

«Never mind,52 immer noch genug bei Verstand, um meinen eigenen Vorteil wahrzunehmen», spottete der Ire. «Macht also sechs Dollars, zwei und eine halbe Woche für drei Dollars geboardet, bleiben anderthalb Dollars Rest, die ich dem Fischkopf von Barkeeper unten auf den Schenktisch gezählt habe und die der Töffel nicht nehmen wollte. Natürlich steckt’ ich sie wieder ein, und nun kann er sehen, wie er sie zum zweitenmal aus Patricks Tasche kriegt.»

«Ihr könnt Eure Sachen nicht eher bekommen, bis Ihr Eure Rechnung bezahlt habt», mischte sich in diesem Augenblick Herr Messerschmidt ins Gespräch, wünschte aber auch gleich darauf, gar nichts gesagt zu haben, denn der Ire, durch den Streit unten und ein paar Gläser Whisky erhitzt, fuhr jetzt dermaßen gegen ihn an und drohte ihm, bei der geringsten Silbe, die e r, den die Sache auf der Welt nichts anginge, wieder hineinwürfe, mit einer so unangemessenen Anzahl Hiebe, daß sich der feige Bursche schon langsam nach der Tür zurückziehen wollte. Doch auch hieran wurde er von dem aufmerksamen Iren verhindert, der nicht mit Unrecht fürchtete, der Agent würde dann unten vielleicht Lärm machen und einen Constabler herbeiholen. Den beiden Männern aber erklärte er jetzt, daß er ihnen alles, was ihm Zimmer stände, kurz und klein schlagen und ihre eigenen beiden erbärmlichen Kadaver noch dazu vor sich her die Treppe hinuntertreten wolle, wenn ihm nicht augenblicklich sein Bündel Wäsche ausgeliefert würde.

Hamann und Messerschmidt, obgleich der Letztere von derber, untersetzter Statur war, getrauten sich nicht, den Burschen zum Ärgsten zu treiben, und Hamann besonders sagte schnell und höflich:

«Aber so machen Sie doch nur nicht solch’ einen Lärm, bester Herr Patrick – wenn Sie Ihre Arbeit für so viel wert halten, habe ich auch nicht das Mindeste dagegen – lassen Sie sich nur unten Ihr Bündel geben.»

«Natürlich», sagte Patrick, der seinen Vorteil rasch übersah, lachend. «Alles in Ordnung, Mr. Hamann – geht wie geschmiert, bitte dann nur um die Quittung für bezahlte Kost.»

Hamann wollte sich noch weigern, etwas Schriftliches zu geben; er sah aber auch bald, daß er den Burschen nicht anders los würde, und schrieb ihm rasch ein paar Zeilen für den Barkeeper auf.

«Danke, Sir», sagte der Ire, das Geschriebene durchbuchstabierend und dann in die Westentasche drückend, «jetzt ist’s aber an mir, zu traktieren – wollen Sie nicht mit hinuntergehen und eins mit mir trinken?»

«Sie haben doch jetzt alles, was Sie wollen?» sagte Herr Hamann, nun auch endlich ungeduldig werdend.

«Haha, nichts für ungut», rief der Ire, «wenn ein Gentleman den anderen traktieren will, ist das eine Höflichkeit und muß auch als solche betrachtet werden, aber never mind – wenn Sie nicht wollen, so viel besser, und nun good bye, Gentlemen.» Und die Hände in die Taschen schiebend, während er sich eine seiner irischen Jigs pfiff, verließ Patrick, mit vollem Grund höchst zufrieden über seinen Erfolg, das Zimmer, und eine Viertelstunde später, mit seinem Bündel unter dem Arm, auch das Haus, in dem er sich fast drei Wochen Kost und Logis durch ein paar Tage leichte Arbeit ertrotzt hatte.

«Sie sollten einen Constabler rufen und den Burschen arrettieren lassen», sagte Herr Messerschmidt ärgerlich, wie der Ire das Zimmer verlassen hatte.

«Daß mir die Schufte nachher das Haus oder den Schenkstand demolieren», knurrte Herr Hamann, «nein, der Lump mag laufen, fällt mir vielleicht einmal wieder auf andere Art unter die Hände; aber eine Warnung soll mir’s für die Zukunft sein, keine Iren wieder in mein Haus zu nehmen. – Es ist trunkenes, rauflustiges, betrügerisches Volk; da lob ich mir die Deutschen, die nehmen Vernunft an und haben vor der Polizei Respekt. Aber, lieber Gott, mir ist der Ärger ordentlich in die Glieder geschlagen, und Sie täten mir einen großen Gefallen, Herr Messerschmidt, wenn Sie mir durch einen der Leute unten ein Glas Wein heraufschickten.»

«Mit Vergnügen», sagte Herr Messerschmidt, seinen Hut aufgreifend und im Begriff, das Zimmer zu verlassen, «apropos, Herr Hamann – die Aktien, die Sie im vorigen Jahr gekauft haben, sind ja in den letzten Wochen fabelhaft gestiegen – Sie müssen ein rasendes Geld daran verdient haben.»

«Wenn ich sie hätte behalten können», entgegnete mürrisch der Wirt, «glauben Sie, ich verdiene hier Kapitalien zum Hinlegen? – Gott sei’s geklagt, meine deutschen Landsleute, mit den Verlusten, die ich allein an Auslagen für Proviant und Getränke habe, machen mich, wenn ich noch länger das Geschäft fortsetze, zum Bettler, und ich bin mehr als je gesonnen, mich ganz zurückzuziehen und es meinem Sohn zu übergeben, um dem ewigen Ärger und Skandal zu entgehen. Wäre mit dem törichten Gesellen nur ein vernünftiges Wort zu reden – bitte, den Wein, lieber Herr Messerschmidt.»


«Guten Morgen, Herr Hamann.»

«Guten Morgen, Herr Messerschmidt.» Und der Alte ging mit auf dem Rücken gekreuzten Händen und fest und ärgerlich zusammengezogenen Brauen wieder in seinem Zimmer auf und ab, bis der Barkeeper, einen kleinen Präsentierteller in der Hand, auf dem eine Karaffe mit Rotwein und ein Wasserglas standen, hereinkam und diesen auf den Tisch setzte. Hamann sah ihn an, nickte ihm zu, daß es gut sei, und setzte seinen Marsch im Zimmer fort, während Jimmy jedoch auf seiner Stelle stehenblieb und – einer leidigen Gewohnheit nach einen seiner Finger nach dem anderen abknackte, daß es klang, als ob er sich die Glieder vom Leibe bräche.

«Nun, was giebt’s noch?» sagte Herr Hamann, mürrisch vor ihm stehenbleibend. «Was wollen Sie?»

«Verdammt feines Mädchen unten, S ü r ! » sagte Jimmy, zog die Augenbrauen in die Höhe und streckte, die Schultern zurückpressend, den Kopf soweit nach vorn, als er nur möglicherweise konnte.

«Verdammt feines Mädchen?» sagte Herr Hamann erstaunt. «Was, zum Teufel, schiert denn das m i c h ? – Sind Sie betrunken?»

Jimmy behielt seine Stellung bei, zog aber den Mund, wie in freundlicher Anerkennung des huldreichen Scherzes, von einem Ohr bis zum anderen, ohne übrigens auch nur eine Silbe weiter zu erwidern.

«Nun, zum Wetter noch einmal, was wollen Sie denn von mir? Stehen da und ziehen das Maul breit, als ob Sie eine Schlehe verschluckt hätten; glauben Sie, daß ich Zeit habe, Ihren Albernheiten zu folgen?»

Wie man mit einem einzigen Ruck einen Tabaksbeutel zusammen und in zahllose Falten legen kann, so zuckte das Gesicht des eben noch so freundlichen Mannes nach dem Mittelpunkt der zu einer Spitze vorgeschobenen Lippen, von denen sich die Augenbrauen womöglich noch weiter entfernten, und eine halbe Minute vielleicht in dieser Stellung bleibend, sagte er ruhig:

«Setzt jemand irgendetwas in irgendeine Zeitung, wenn jemand von irgendetwas etwas nachher nichts wissen will?»

Herr Hamann wollte noch heftiger darauf erwidern, als ihm plötzlich einfiel, daß er allerdings eine Annonce hatte in das deutsche Blatt einrücken lassen, wonach er ein junges, deutsches Mädchen suchte, um die Aufwartung bei Tisch, das Einschenken des Kaffees und Tees und die Überwachung seines Geschirrs und seiner Wäsche zu übernehmen. Jimmy aber, als er merkte, daß sein Prinzipal jetzt wußte, was er wollte, begann wieder, seine Fingergelenke zu revidieren und überzuknacken, als ob er sich von der Brauchbarkeit derselben zu überzeugen wünsche.

«Sie bringen einen noch zur Verzweiflung mit Ihrem verfluchten Gesichterschneiden und Fingerbrechen», sagte Herr Hamann aber ungeduldig. «Können Sie das nicht gleich und gerade heraus sagen?»

«Verdammt feines Mädchen unten, S ü r ! » begann Jimmy wieder, genau wie im Anfang, seine Rede, um den Prinzipal vielleicht zu überzeugen, daß er eben gar nichts anderes gleich gesagt habe.

«Wird wieder so ein Rüpel mit Holzschuhen sein, wie sich schon ein Dutzend gemeldet haben», brummte der Alte.

«Venus!» sagte Jimmy, und drohte wirklich, sich seine Finger zu verrenken.

«Esel – hätte ich bald gesagt», zischte Herr Hamann zwischen den Zähnen durch, und setzte dann lauter hinzu: «Und warum schicken Sie mir sie nicht herauf?»

Jimmy hielt darauf eine Antwort für unnötig und verschwand blitzschnell durch die noch offene Tür, um wenige Minuten später mit der Angemeldeten zurückzukommen, die er aber, da in diesem Augenblick unten nach ihm gerufen wurde, allein oben mit seinem Herrn zurücklassen mußte. Aber schon in der Tür drehte er sich noch einmal nach dem jungen, in seiner dunklen, einfachen Tracht wirklich bildhübschen Mädchen um, starrte ihr vielleicht eine halbe Minute lang stier in die Augen, und war dann in wenigen Sätzen die Treppe hinunter.

Vor Herrn Hamann indessen, mit von der Erregung des Augenblicks etwas gebleichten Wangen, stand Hedwig Loßenwerder und sagte mit noch ein wenig zitternder, aber bald wieder fest werdender Stimme:

«Sie haben, mein Herr, eine Wirtschafterin für Ihr Hauswesen gesucht, und ich bin gekommen, um mich Ihnen dafür anzubieten.»

«Hm», sagte Herr Hamann, dicht vor dem jungen Mädchen stehenbleibend, und sie so fest und aufmerksam von Kopf bis zu Füßen betrachtend, daß dem armen Kind das Blut in Stirn und Schläfe stieg, und es verlegen den Blick zu Boden senkte, «hm – nicht übel, aber – Sie sind zu jung, mein Kind.»

«Ich habe in ähnlicher Weise schon drei Jahre in Dienst gestanden», sagte sie leise.

«Drei Jahre? Und wie alt sind Sie jetzt?»

«Ich werde im nächsten Monat sechzehn Jahre.»

Hamann schüttelte mit dem Kopf und setzte, die Fremde dabei dann und wann von der Seite ansehend, seine Wanderung im Zimmer wieder fort, während Hedwig indessen still und regungslos stehenblieb, um eine entscheidende Antwort des Mannes zu erwarten.

Die letzten Wochen hatten eine große Veränderung in Hedwigs ganzem Äußeren hervorgerufen, und das ängstlich schüchterne, fast kindliche Mädchen, das sie noch an Bord gewesen, war in der kurzen Zeit zur ernsten, selbständigen, selbsthandelnden Jungfrau herangereift. Schwere Stunden waren es aber gewesen, die das bewirkt, schwere, herbe Stunden, in denen die selber so unglückliche Clara ihr alles vertraut, was das eigene Herz bedrückte, von dem ersten Verdacht des Diebstahls an, bis zu dem Augenblick, wo sie die Gewißheit in Mark und Seele traf, daß der eigene Gatte der Verbrecher sei und, weit schlimmer und entsetzlicher als ein bloßer, feiger Dieb, nicht allein den treuen, schuldlosen Diener ihres Vaters, nein, auch ihr eigenes Glück und Leben kalt und meuchlerisch gemordet habe.

Der Schmerz um den Bruder war damit, wenn nicht aus ihrer Brust gewichen, doch von anderen, mächtigeren Gefühlen, die sie früher nie gekannt, abgestumpft, ja fast verdrängt – von einem Gefühl der Bitterkeit gegen die Menschen, die einen armen Unglücklichen kalt und teilnahmlos verderben ließen, ohne sich viel um seine Schuld oder Unschuld zu kümmern, und dem Gemordeten kaum ein einsam verachtetes Plätzchen an der Kirchhofsmauer gönnten; von einem Gefühl des Hasses gegen den Mörder selbst, der frei und ledig, in Glück und Reichtum – der Beute seines Verbrechens – unter Gottes Sonne wandelte. Nur an Clara hing sie mit aller Liebe und Aufopferung, deren ihr warmes, weiches Herz fähig war, nur in Clara sah sie die Leidensschwester – nicht mehr die Gebieterin – die mit ihr noch stärker fast getroffen und geschlagen worden, und einem Schatten gleich lag eine dunkle Ahnung, der sie nicht Ausdruck und Form zu geben wußte, auf ihrer Seele, daß der Verstorbene in größerem Schmerz und Weh dahingeschieden, auch von i h r verkannt zu sein.

«Und Sie glauben, daß Sie der Sache vorstehen könnten?» sagte Hamann endlich, wieder vor ihr stehenbleibend und ihr scharf und forschend ins Auge schauend.

«Ich glaube es», sagte Hedwig, dem Blick fest begegnend.

«Haben Sie Zeugnisse?»

«Ja – hier.»

Der Wirt überlas die Papiere und gab sie ihr zurück.

«Ja, das klingt alles recht schön», sagte er, «aber ist weit von hier, und irgendein Torschreiber oder Bäcker kann das ebensogut geschrieben haben, aber… », setzte er rasch hinzu, als er sah, daß sich die Wangen des jungen Mädchens unter dem halben Verdacht tiefer färbten und sich ihre Gestalt höher emporrichtete, «aber das kann und wird auch wohl alles in Ordnung sein, nur darauf gehen können wir hier nicht, und müssen selber sehen und prüfen. Sind Sie das zufrieden?»

«Ich will eine Woche auf Probe meinen Dienst antreten», sagte Hedwig, «wenn Ihnen das genügt.»

«Das wäre gut», sagte Herr Hamann leise, mit dem Kopfe nickend, «und wieviel Lohn verlangen Sie?»

«Keinen.»

«Ich meine nicht für die Probewoche, sondern überhaupt.»

«Keinen», sagte die Jungfrau fest und entschieden.

«Keinen Lohn?» rief Herr Hamann, überrascht zur ihr aufschauend. «Und was sonst dafür? Denn um gar nichts kann ich mir doch nicht gut denken, daß Sie arbeiten wollen?»

«Nein», sagte Hedwig mit leiserer Stimme als vorher, «ich verlange vielleicht mehr dafür, als Sie gesonnen sind, mir zu bewilligen, könnte aber auch nur unter der Bedingung die Stelle, die ich gewiß zu Ihrer Zufriedenheit ausfüllen würde, annehmen.»

«Und das wäre?»

«Ich habe eine kranke Schwester in der Stadt», sagte Hedwig, «das wenige, was wir mitgebracht, ist halb verzehrt, und ich suche deshalb einen Dienst, um uns beide zu erhalten, bis meine Schwester wieder zu Kräften gekommen ist. Alles, was ich bis dahin für meine Arbeit verlange, ist, daß sie mein Zimmer mit mir bewohnen, mein Lager mit mir teilen darf und die wenige Nahrung erhält, die ihr Körper verträgt.»

«Eine Kranke ins Haus nehmen?» sagte Herr Hamann kopfschüttelnd. «Nein, Mamsell, das ist eine mißliche Sache, davon hat man nur Schererei und Kosten, und darauf k a n n ich mich nicht einlassen.»

«Sie ist nicht mehr k r a n k », sagte Hedwig rasch, «nur noch schwach und erschöpft von schwerem, doch ü b e r s t a n d e n e m Leiden. Nur Ruhe bedarf sie, keiner Pflege mehr, auch verlange ich nicht, daß sie mit an der Wirtstafel ißt; das wenige, was sie braucht, würd’ ich ihr selber bringen.»

«Wie heißen Sie?» frug Herr Hamann.

«Hedwig.»

«Und Ihre Schwester?»

«Clara.»

«Mit Zunamen?»

«Loßenwerder», sagte Hedwig, und wie sie den Namen aussprach, färbten sich ihre Stirn und die Schläfe dunkelrot.

«Clara Loßenwerder?» wiederholte Hamann.

«Ich heiße H e d w i g ! » sagte das junge Mädchen, und eine eigene, ihr selbst unerklärliche Angst schoß ihr bei der Verbindung der beiden Namen durch das Herz.

«Ja, ja, Hedwig», wiederholte Herr Hamann, sie wieder dabei betrachtend, als ob er ihr mit dem Blick bis in das innerste Herz hineinsehen wollte. «Nun, ich will Ihnen einmal etwas sagen – Ihr Gesicht gefällt mir, obgleich man danach nicht recht gehen kann und durch eine hübsche Firma oft genug hinter’s Licht geführt wird; aber – wir können’s ja einmal miteinander versuchen. Ich brauche zwar eine derartige Wirtschafterin gerade jetzt nicht mehr so unumgänglich nötig, und würde auch nur wenig Lohn geben können. Vielleicht, wenn wir einander zusagen, ließe sich’s aber auch auf die Art einrichten, erst müssen wir jedoch beide wissen, woran wir miteinander sind, wären Sie das zufrieden?»

«Ich habe nicht mehr verlangt», sagte Hedwig.

«Gut, dann können Sie heute noch einziehen, wenn Sie wollen – aber die Schwester bringen Sie mir noch nicht ins Haus», setzte er rasch hinzu, «es ist das mit kranken Leuten eine eigene Sache.»

«Aber darf ich sie in der Woche jeden Tag wenigstens einmal besuchen?» frug Hedwig.

«Zwischen dem Mittag- und Abendessen ist nicht viel Zeit», sagte Herr Hamann, «aber die Abende n a c h dem Essen können Sie benutzen, wie Sie wollen – also, wann kommen Sie?»

«Noch heute Mittag finde ich mich ein», sagte Hedwig, «und hoffe recht von Herzen, daß sie mit mir zufrieden sein werden.»

Sie verließ nach kurzem Abschiedsgruß, aber Trost und Hoffnung im Herzen, das Gemach, während Herr Hamann sich aus der bis jetzt noch nicht berührten Karaffe ein volles Glas Wein einschenkte, und dann, wieder vollkommen zufrieden mit sich selber, seinen Spaziergang im Zimmer aufnahm.

Für die Besetzung einer solchen Stelle hatte er schon gefürchtet, ziemlich beträchtlichen Lohn zahlen zu müssen, denn er konnte sich eine Person dazu nicht aus dem Haufen der Auswanderer heraussuchen, und jetzt war alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sie durch ein ganz junges, hübsches Mädchen, was ihm jedenfalls eine Menge Kostgänger ins Haus ziehen würde, und für wenig mehr als nichts, für die doppelte Kost von ein paar Frauen, die überdies nicht viel aßen und gar nichts tranken, bekommen konnte.

VIERTES KAPITEL

Verschiedene Beschäftigungen.

Vor der Tür des deutschen Wirtshauses in –Street standen die armen Oldenburger, jeder ein kleines Bündel unter dem Arm, und schauten trübselig und trostlos die Straße hinauf und hinab, die nach Norden und Süden hin in die Welt, die weite Welt hinausführte. Und immer noch hatten sie nur erst deren Schwelle betreten, immer noch hoben sie zögernd den Fuß, und wagten ihn nicht niederzusetzen, weil er nicht gleich den altgewohnten Boden unter sich fühlte. Während der eine seufzte und den Kopf hängenließ, kratzte sich der andere mit der rechten Hand hinter dem Ohr und zerrieb einen halbgemurmelten Fluch zwischen den fest übereinander gedrückten Zähnen.

«In Amerika können die Bauern in den Kuts-chen fahren», sagt da plötzlich eine wohlbekannte Stimme ein nur zu wohlbekanntes, aber schon lange nicht mehr angestimmtes Lied, «in den Kuts-chen mit Sammet und mit Se-i-de!» Und als sie sich, eben nicht freudig überrascht, nach dem Sänger umdrehten, rasselte gerade der kleine, wunderliche Karren Maulbeeres, von diesem geschoben, an ihnen vorüber, und der Dampf aus der kleinen, schmutzigen Pfeife zog in zusammengedrängten kurzen Kräuselwolken, regelmäßig auspuffend wie von einer Diminutiv-Lokomotive53, hinter ihm drein. Übrigens tat er gar nicht, als ob er die Oldenburger sähe, und war auch schon an ihnen vorbei, als ihn der Ruf des einen – «Herr Maulbeere!» – erreichte und anhalten machte.

Es ist ein eigentümliches Gefühl, nach einer gewissen Zeit wieder mit früheren Reisegefährten zusammenzutreffen, von denen es sich dabei wunderbarerweise gleich bleibt, ob man sie gern gehabt unterwegs, oder vielleicht die ganze Reise über gar nicht mit ihnen verkehrt hat. Was da unterwegs auch vorgefallen sein mag, wie man übereinander gedacht und sich vielleicht ganz besonders danach gesehnt hat, das Schiff verlassen zu können, um von solcher Gesellschaft endlich einmal fortzukommen: ein kurzer Aufenthalt an Land, mit dem Fremden, Ungewohnten um sich her, hat das alles verscheucht, wir haben es vergessen und begrüßen mit aufrichtiger Freude den früheren Reise- und Leidensgefährten.

«Guten Tag, Herr Maulbeere», sagte der eine Oldenburger, der, sein Bündel in der Linken, die paar Schritte hinter ihm hergegangen war und jetzt, neben ihm stehenbleibend, die Rechte nach ihm ausstreckte. «Wie geht’s hier in Amerika?»

«Hallo», sagte Maulbeere, sein Tragband von den Handgriffen seines Karrens ziehend und, indem er sich aufrichtete, die gebotene Hand, aber noch etwas zögernd, annehmend, «hallo, Ihr Leute – immer noch zu Fuß? – Donnerwetter, wo sind denn die Kuts-chen?»

«Ja, Kuts-chen», sagte der Oldenburger in seinem eigentümlichen Dialekt, «es fährt sich hier was in Kuts-chen – wir sind froh, daß wir zu Fuß gehn dürfen…»

«Ich fahre», sagte Maulbeere mit einem wohlwollenden Seitenblick auf seinen Karren.

«So weit haben wir’s noch nicht einmal gebracht», sagte der andere, jetzt ebenfalls hinzutretend, «guten Tag, Herr Maulbeere.»

«Guten Morgen, meine Herren, guten Morgen; irgendetwas zu schleifen? Scheren, Messer, Rasiermesser, Lanzetten, Pflugscharen, Sensen?» rief Maulbeere, mit einer Geschäftsmiene dabei wieder auf seine Schleifsteine deutend. «Stehe zu Diensten und sollen billig bedient werden – sehe mehr auf gute Behandlung als schlechten Gehalt.»

«Ach, lassen Sie das Spaßen, Herr Maulbeere», meinte der erste wieder, einen tiefen Seufzer ausstoßend, «die Geschichte hier ist verzweifelt ernsthaft, und wenn man nicht weiß, wo man Brot hernehmen soll, ist einem nicht gerade wie Lachen zumute.»

«Hoho», sagte Maulbeere, die Augenbrauen in die Höhe ziehend, «schon drei Wochen in Amerika und noch kein Brot? – Das ist Pech!»

«Ist es Ihnen denn geglückt?»

«Harte Arbeit, Schentelmen», sagte der Scherenschleifer achselzuckend, «s e h r harte Arbeit – habe im Sinn, die Residenz zu verlassen.»

«Und wo gehen Sie hin?»

«Den Fluß hinauf, versteht sich; werde das Land durchziehen, hier ist wenig zu verdienen. Es gibt eben hier zu viel Mäuler, die Brot haben wollen. Apropos, wo sind denn Ihre Frauen?»

«Arbeiten da drin», sagte der eine, mit dem Kopf nach dem Haus hinüberzeigend.

«So? – Untergebracht?» frug der Scherenschleifer. «Nun, da kann man ja gratulieren.»

«Aber kriegen nichts», sagte der andere.

«Desto länger Aussicht auf stete Beschäftigung», bemerkte Maulbeere.

«Aber wovon nachher leben?»

«Vielleicht von den großen Rosinen, die Sie früher im Topf gehabt», meinte Maulbeere, «ist ein merkwürdiges Land, das Amerika; guten Morgen, meine Herren!» Und mit den Worten tauchte er wieder mit den Ösen seines Tragbands nach den beiden Griffen des Karrens, warf sie in das richtige Gleichgewicht und schob, während ihm die weiße Wolke folgte, rasch die Straße nieder, ohne sich um die beiden Bauern weiter zu bekümmern.

Die nächste Straße rechts einbiegend, die zum Fluß niederführte, erreichte er dort die sogenannte Flatbootlandung, und das Ufer sah hier kahl, und keineswegs so belebt aus als weiter oben, wo die rauchenden, dunklen Schornsteine und oberen Decks der Kajüten, oder die wie spinnwebartig durchflochtenen Masten über die hohe, mit Gütern und Warenballen bedeckte Levée hervorragten. Der Strom hatte in dieser Jahreszeit wenig Wasser, und die niederen, flachen Boote schwammen, nur erst bemerkbar, wenn man auf die Levée selber trat, tief unter der steilen, schmutzigen Bank, mit Tauen an diese befestigt, am Ufer. Alligatorähnlich lagen sie dabei in der trüben Flut, hier und da mit den Vorderteilen auf dem Schlamm, und nur mit schmalen Laufplanken von diesem aus nach trockenem Boden oder Sand hinüberreichend.

Wunderbare Fahrzeuge sind aber diese F l a t b o a t s des Mississippi, allem Anschein nach aus den ersten Urzuständen des Schiffbaues herrührend, und doch noch nicht, weder durch Dampf- noch durch Segelschiffe, aus ihrer Wirksamkeit verdrängt, ja eher mit diesen anwachsend und an Zahl zunehmend.

Ein langes, aus derben Planken mit hölzernen Pflöcken zusammengenageltes und mit Werg und Teer dichtgemachtes, vielleicht sieben Fuß tiefes Boot mit vollkommen flachem Boden, das, wenn geladen, fünf bis sechs Fuß im Wasser geht, ist es mit einer Art vielleicht vier bis fünf Fuß hohem Fachwerk umgeben, und mit zölligen oder halbzölligen Brettern, die in der Mitte etwas gewölbt, quer von einem Bord nach dem anderen hinübergebogen sind und ziegelartig übereinander liegen, gedeckt. Diese Boote gehen nur mit der Strömung, wie wir ihnen schon auf dem Mississippi begegnet sind, manchmal geradaus, manchmal über Steuer, nicht selten meilenweit seitwärts, den Krabben ähnlich, ihre Bahn entlang, hier der Strömung folgend, dort, durch eine Rückströmung gehalten, daß die Leute mit den langen, Finnen ähnlichen ,sweeps’ oder Rudern stundenlang arbeiten müssen, um nur wieder los und in freies Fahrwasser zu kommen. Und wie manches sinkt und verdirbt auf der langen, mühseligen und oft gefährlichen Bahn. Plötzliche Stürme und Unwetter (der Hurricane in Natchez 1841 zerstörte damals hundertundzwölf in wenigen Meilen Entfernung), im Wasser verborgene Snags54, Untiefen und festgeschwemmtes Driftholz versenken manches von ihnen, und man kann immer rechnen, daß kaum dreiviertel der Zahl ihr Ziel erreichen.

So unscheinbar dabei ihr Äußeres ist, so wertvolle Ladungen bergen sie nicht selten in dem rohen, unbehilflichen Kasten, die der Führer, wo er einen Markt für seine Waren zu finden glaubt, oder zuletzt in New Orleans selber, mit dem Vorderteil an Land schiebt, und seinen, weder Steuer noch Abgaben zahlenden Laden gleich fix und fertig eingerichtet hat, den er, wenn die Waren abgesetzt sind, auseinanderschlägt und mit verkauft.

Und wie wunderlich sieht es in den Booten selber aus – hier das erste – der Weg ist etwas steil, die schlüpfrige Bank hinunter – birgt in seinem Inneren ein buntes Gemisch von allem, was das Herz eines richtigen Yankee erfreuen könnte: Butter, Schmalz, Kartoffeln, Hühner, Apfelwein und Whisky, Heu, Zwiebeln, getrocknetes Obst, und Fässer mit Makrelen, Kisten mit Stockfisch und Traubenrosinen, Krachmandeln, Nudeln, Käse – alles steht bunt und wild durcheinander gepackt, hier in Proben aufgestellt, dort in angerissenen Fässern und Kisten, unter Deck – daneben liegt ein Boot mit eingesalzenem Schweinefleisch von Cincinnati, und das Fett, mit dem das Deck beschmiert ist, dampft in der Sonne; dort liegt ein anderes mit Baumwolle von Tennessee, da ein anderes mit Tabak von Kentucky geladen; und da strecken Rinder und Schafe den Kopf aus den offengelassenen Luftlöchern anderer, und blöken und brüllen ihren Kameraden zu. Die Staaten Arkansas, Missouri, Texas, Tennessee, Kentucky und Illinois senden jährlich wohl dreißigtausend Stück lebendigen Hornviehs nach New Orleans, und von Ohio werden ebenfalls Hundert solcher ,schwimmenden Sauställe’ mit ihren grunzenden Bewohnern der ,Königin des Südens’ zugeführt.

Was das für ein Leben ist zwischen den einen schauerlich warmen Fettgeruch und Dunst faulenden Obstes und angegangenen Fleisches ausstoßenden Fahrzeugen; wie die Eigentümer auf der Levée stehen, oder vorn in ihren Booten sitzen, Käufer herbeizurufen, und ihre Waren dabei ausschreien, die vorzügliche Qualität derselben anpreisend! Dazwischen durch dann das Drängen und Treiben der Arbeiter, die hier ein verkauftes Boot entladen, damit es nachher auseinandergeschlagen und in seinen Planken noch verwertet werden könne, dort eine Partie aufgekaufter Fässer und Kisten die steile Livée mühselig hinaufschaffen, und von Fett und Schmutz bedeckt unter ihren Lasten keuchen und schwitzen, bis die die Höhe der Levée erreicht haben, dort sich einen Augenblick die glühende, tropfende Stirn abtrocknen, und dann wieder schwanken Schritts niedersteigen, ihr Werk von Neuem zu beginnen.


Offenes Flatboat

Maulbeere fuhr mit seinem Schleifkarren, seinem Grundsatz treu, keinen Fleck unbesucht zu lassen, wo er die Hoffnung hatte, etwas verdienen zu können, oben an der Levée hin, dann und wann stehenbleibend, um seine schon auswändig gelernten Rufe: «No knifes, no scissors to grind?55» ertönen zu lassen. Hier und da bekam er auch wirklich zu tun, dort und da schaute ein behaubter Kopf unter einem der niedrigen Flatbootdecke vor, eine rauhe Stimme rief ihm ein «Stop!» zu, und irgendein rotwollener Unterrock, oder auch dann und wann ein schlankes, hübsches Kind in dem kleidsam eng anschließenden Mieder der Backwoodsfrauen, nur die feinen, rosigen Züge von dem unförmlichen Sonnenbonnet fast verhüllt, stieg die Bank zu ihm hinauf, eine widerspenstige Schere, mit der der Vater oder Gatte so lange Bindfaden geschnitten hatte, bis sie jeden weiteren Dienst verweigerte, wieder zu stellen und zu schärfen. Oder der Flatbootmann selber stieg langsam das Ufer hinan, ein riesiges, langes Messer in der Hand, mit dem er Speck und Käse schneiden mußte, und das er auch gern schärfer haben wollte, als es war. Solange er seinen Stein dann drehte, daß die hellen, blitzenden Funken daraus vorblitzten, drängte sich ein Kreis von neugierigen Müßiggängern, von denen die Levée schwärmt, um ihn her, nicht selten fast mehr von der wunderlichen Gestalt des Mannes selber, als von seiner Arbeit ergötzt, bis er die ihm gebrachten Instrumente in Stand gesetzt, sein Geld dafür eingestrichen und sein Tragband wieder eingehakt hatte, um mitten zwischen die Schar, die ihm lachend Raum gab, mit einem deutschen «Bitt’ um Verzeihung» hineinzufahren.

An manchen Stellen wurde er übrigens durch die dort aufgestapelten Fässer und Waren in seiner Bahn aufgehalten, und mußte einen Umweg machen, den Hindernissen aus dem Weg zu kommen. Eben auch war er wieder einer Anzahl fettglänzender und entsetzlich duftender Porkfässer56 ausgebogen, als er eine lachende Stimme seinen Namen nennen hörte. Wie er aber stehenblieb und sich überall vergebens nach einem bekannten Gesicht umschaute – denn auf die Arbeitsleute, von denen ein großer Teil gerade Mittag gemacht, während das Ausladen noch nicht wieder begonnen hatte, achtete er gar nicht – rief einer der Flatbootleute, die zwischen den heraufgerollten Pork- oder Schweinefässern standen, und von der schmutzigen Arbeit und Schweiß und Sonne in ihren kurzen blauen Oberhemden und abgetragenen oder zerdrückten Strohhüten kaum eine Physiognomie erkennen ließen, indem er dem Scherenschleifer freundlich zunickte:

«Aber, Herr Maulbeere, kennen Sie mich nicht mehr?»

«Wetter noch einmal!» sagte dieser, seinen Karren niedersetzend und die Gestalt erstaunt von oben bis unten betrachtend. «Die Stimme ist mir bekannt und das Gesicht auch, hat wenigstens, wie Herr Schulze sagen würde, eine merkwürdige Ähnlichkeit mit einer Nebelkrähe oder einem Schornsteinfeger.»

«Habe ich mich denn in den paar Tagen so merkwürdig verändert», lachte der Mann, seinen Hut abnehmend, unter dem eine Fülle kastanienbraunen, lockigen Haares vorfiel, «daß mich mein Reisegefährte und Kojennachbar nicht einmal mehr kennt?»

«Herr Eltrich – so wahr ich lebe!» sagte Maulbeere, jetzt aber wirklich auf das Äußerste erstaunt. «Wie um Gottes Willen sehen Sie denn aber aus, und was machen Sie hier in dem Aufzug und bei d e r Arbeit?»

«Mein Schicksal ist bald erzählt», sagte der junge Mann mit lachendem Gesicht, aber doch kaum imstande, einen gewaltsam aufsteigenden Seufzer zu unterdrücken. «Kaum hier in New Orleans angekommen, ließ ich mir auf leichtsinnig kindische Weise – ich war genug davor gewarnt worden – und von dem Neuen, was mich überall umgab, beirrt, von dem Neger, der mein sämtliches Gepäck auf seinem Karren hatte, dieses mit allen unseren Effekten, ein paar Kleinigkeiten, die meine Frau in der Hand trug, ausgenommen, entführen. Von allem entblößt, was schon der einzelne Mann, wie viel mehr eine Familie zu ihrem Leben braucht, sah ich, wenn ich nicht rasch Anstalt machte, Geld zu verdienen, unseren Untergang, oder doch einen Zustand grenzenloser Not vor Augen. Vergebens lief ich dabei herum, in meiner Kunst Beschäftigung zu erhalten – ich konnte mich nicht einmal anständig kleiden, denn es war ja alles zum Teufel, und mit etwas abgerissen aussehenden Menschen wollte sich niemand einlassen. Wir aber brauchten auch außerdem Brot, ein paar Dollars, die ich noch im Vermögen besaß, nahmen schon in der ersten Woche so rasend schnell ab, daß ich mir genau die Zeit berechnen konnte, wo wir, wenn nicht irgendetwas geschah, das aufzuhalten, auch ohne einen Pfennig dasitzen würden, und ich entschloß mich kurz und gut, Arbeit zu suchen und zu nehmen, wo ich sie finden würde. Drei Tage lief ich auch hiernach vergebens herum; der gute Wille tat es nicht allein, denn die wieder gesundere Jahreszeit in New Orleans hatte eine wahre Unmasse von Arbeitern hierher zurückgeworfen, bis ich, eigentlich in letzter Verzweiflung, diese Boote besuchend, Arbeit und guten Lohn auf einem von ihnen fand. Es hatte gerade seine Leute streiteshalber, den sie mit dem Eigentümer gehabt, entlassen.»

«Und d i e Arbeit hier können Sie tun?» sagte Maulbeere, abwechselnd und erstaunt bald die leichte, schmächtige Gestalt, und die sonst so feinen, jetzt fettbeschmutzten Hände des jungen Mannes, bald die schweren Pork- und Mehlfässer betrachtend, die um ihn her aufgestapelt lagen.

«Der Mensch kann alles, was er m u ß », lachte der junge Mann. «Früher hab’ ich es freilich selber nicht für möglich gehalten, jetzt aber geht es, und alles berücksichtigt, sogar vortrefflich, denn ich verdiene, außer der Kost, einen Dollar den Tag, und befinde mich vollkommen wohl und gesund dabei.»

«Und Ihre Frau?»

«Pflegt zuhause das Kind und weint und lacht, wenn sie mich in diesem Aufzug ankommen sieht. – Ich habe sie aber noch nicht bewegen können, einmal mit dem Kleinen hier herunterzukommen und unserer Arbeit zuzusehen – sie meint, es bräche ihr das Herz.»

«Bah», sagte Maulbeere kopfschüttelnd, «wenn S i e sich nicht den Rücken bei den verdammt schweren Fässern brechen, glaube ich nicht, daß Gefahr für Ihrer Frau Herz zu fürchten ist, aber – was Leichteres wäre mir doch auch lieber. Ich weiß nicht, den Begriff Amerika habe ich mir anders gedacht, als Fässer gepökelten Schweinefleisches bergauf zu kollern.»

«Ich auch, lieber Maulbeere, ich auch, aber was wollen wir machen?» lächelte Eltrich. «Hunger tut weh und ehrliche Arbeit schändet hier nicht, das ist schon ein ungeheurer Vorteil dieses freien Landes – andere habe ich allerdings noch keine Gelegenheit gehabt, kennenzulernen.»

«Es ist eine kleine, aber doch immer eine Empfehlung», sagte Maulbeere achselzuckend, «und ungefähr so, als ob ich jemanden ins Wasser werfe, und erlaube ihm dann, das Maul zuzumachen und zu schwimmen – und dafür fünfunddreißig Taler Gold Passage – kommt mir beinah’ ein wenig teuer vor. – Haben Sie die Fässer Pech – oder ist das etwa gar Kolophonium57 auch mit heraufgewälzt?»

«Ja», lachte Eltrich.

«Stoffverschwendung», murmelte Maulbeere zwischen den Zähnen durch, und setzte dann lauter hinzu: «Nein, zu s o l c h e r Arbeit möchte ich mich doch nicht verstehen; werde wenigstens suchen, mich so lange davor zu bewahren als möglich. Meine Absicht ist hier in Amerika, sobald sich eine schickliche Gelegenheit dazu bietet, meinen Händen, wie meinem linken Hinterbein, das nun so lange Jahre hat das Rad treten müssen, Ruhe zu gönnen und mit dem Geist zu arbeiten.»

«Aber wie wollen Sie das anfangen, Herr Maulbeere?»

«Daran arbeitet mein Geist eben noch», sagte der Scherenschleifer etwas geheimnisvoll, «der passende Zeitpunkt ist auch noch nicht gekommen. Sollte er nahen, werde ich ihn nicht versäumen.»

«Hallo, boys – hier, macht, daß die Sachen hinaufkommen!» unterbrach da eine Stimme vom Flatboot herauf die Unterhaltung der beiden Reisegefährten. «Die Karren kommen da oben schon wieder zurück und wollen Ladung haben.»

«Ich muß fort, Herr Maulbeere», rief Eltrich rasch, dem Mann die Hand entgegenstreckend, sie aber wieder zurückziehend, «ich mache Sie schmutzig», setzte er, dabei leicht errötend, hinzu.

«Ich wasche mich wieder», sagte Maulbeere, ohne eine Miene zu verziehen, nahm die nochmals dargebotene Hand, schüttelte sie weit wärmer, als das sonst seine Gewohnheit war, und blieb dann, während Eltrich wieder nach dem Boot hinuntersprang, noch eine Weile oben auf der Levée, die heiß niederbrennende Sonne nicht weiter beachtend, halten, um zuzusehen, wie sein Reisegefährte arbeitete. Eltrich war vielleicht der einzige von den Zwischendeckspassagieren gewesen, mit dem er nie ein unfreundliches Wort gehabt, der ihn nie verspottet oder verärgert; einer der wenigen, dem, wie seiner Frau, man es auf den ersten Blick ansah, daß sie einst in besseren Verhältnissen und größeren Bequemlichkeiten gelebt, während sie sich doch alle beide nie, auch über die größten Unannehmlichkeiten nicht, weder über Kost noch Raum beklagten. Das besonders hatte ihnen die Achtung dieses wunderlichen Zwitterdings von Tier und Mensch, des Scherenschleifers, gewonnen, und wenn dieses Herz überhaupt einer solchen Regung fähig gewesen wäre, würde er den jungen Mann, der sich mit seinem schmächtigen Körper jetzt gegen ein ziemlich dreihundert Pfund schweres Porkfaß legte und es mit triefender Stirn den Hang hinaufarbeitete, bemitleidet, ja, ihm vielleicht irgendeine Hilfe angeboten haben, er hätte von vornherein überzeugt sein können, daß sie Eltrich nicht annahm. Maulbeere wollte etwas Derartiges aber auch nicht einmal riskieren, und nur nach einer Weile auf das Entschiedenste mit dem Kopf schüttelnd, drehte er sich um, hakte sein Tragband wieder ein und fuhr in seinem gewöhnlichen, schwankenden Gang die Levée hinauf, der Dampfbootlandung zu.

Über den freien, vor dieser Landung liegenden Platz schritt ein Mann mit einer Frau. Der Mann trug einen Jagdranzen über der Schulter, die Frau ein in ein rotes Tuch eingeknüpftes Bündel in der Hand, aber den Kopf bloß dabei, die Haare wirr und ungemacht, und nur mit einem schwarzsamtenen Band zusammengebunden, in dem vor ein kleiner, unechter, emaillierter Schmuck hing. Ohrringe und Halskette waren von demselben Metall, paßten aber, wie das in grellbunten Farben prangende seidene Tuch, das sie um den Hals trug, schlecht zu den bleichen Wangen, den hohl liegenden, stieren Augen. Die Leute, die ihnen begegneten und nicht gerade zuviel mit sich selber zu tun hatten, blieben auch stehen und schauten der wunderlichen, ja fast unheimlichen Gestalt nach, die wankenden Ganges neben dem Mann hinschritt, mit den Händen dabei focht und einzelne, unzusammenhängende Worte ausstieß.

«Sei jetzt vernünftig, Jule!» flüsterte ihr der Mann zu, ihren Arm zu gleicher Zeit fassend, daß sie vor Schmerz einen leichten Schrei ausstieß. «Zum Donnerwetter noch einmal, alle Menschen, die uns begegnen, stieren uns an und halten Dich am Ende noch für verrückt. Laß doch zum Teufel die Arme ruhig, was hast Du denn damit in einem fort in der Luft herumzufahren? Wenn Du mir nicht unterwegs wieder vernünftig wirst, weiß ich wahrhaftig gar nicht, was ich mit Dir anfangen soll.»

«Unterwegs? – Ja – das ist gut», sagte die Frau, leise vor sich hinlachend, «unterwegs – wenn wir nur erst unterwegs wären – ich sehne mich danach.»

«Na, dann geh auch ordentlich zu und betrage Dich nicht so albern», brummte der Mann, «sieh, das Boot raucht schon, wir müssen machen, daß wir hinunterkommen.»

«Herrgott!» rief die Frau, plötzlich stehenbleibend und sich mit der linken Hand wild über die Stirn streichend. «Wir haben – wir haben etwas zu Haus vergessen!»

«Vergessen?» sagte der Mann, sie fragend anschauend. «Na, was ist nun wieder los – die Brieftasche? Nein, die habe ich hier, und das Geld ist auch da – was hast Du denn vergessen?»

«Die K i n d e r ! » flüsterte die Frau und ergriff heftig seinen Arm; der Mann aber schleuderte sie wild von sich. Wie er jedoch sah, daß mehr und mehr Menschen auf sie aufmerksam wurden, und stehenblieben und ihnen nachschauten, trat er rasch an die Frau wieder heran, zog ihren linken freien Arm in den seinen, und sie mit eisernem Griff haltend und mit sich fortziehend, zischte er ihr ins Ohr:

«Bist Du denn ganz des Teufels, sinnloses Weib, hier auf offenem Platz den Unsinn auszuschreien? – Oder möchtest Du etwa mit den amerikanischen Zellengefängnissen Bekanntschaft machen? Komm – halte Dich fest an mich und verliere Dein Bündel nicht; ein Glück, daß die Leute kein Deutsch verstehen.»

«Gehen wir denn hin, wo sie sind?» frug die Frau rasch, immer noch an dem einen Bild sich anklammernd.

«Mir wärs recht, wenn Du’s tätest», rief der Mann in finsterem, kaum zurückgehaltenem Groll, «ich habe das Gewinsele und Geklage satt – begreife überhaupt nicht, wie ich es so lange ausgehalten, und geb’ Dir meinen Segen auf die Reise.»

«Und ich d ü r f t e zurück?» rief die Frau rasch und heftig, bewegt zu ihm aufschauend.

«Treib keinen Unsinn», knurrte der Mann, «Du wärst am Ende imstande, ihnen gerade wieder in den Rachen zu laufen und die Freude zu machen, daß sie Dich eine halbe Lebenszeit ins Spinnhaus stecken könnten. – Dort liegt unser Boot – alle Wetter, da geht auch ein alter Bekannter noch von Bord her, kennst Du den, Jule?»

«Laß den widerlichen Menschen», sagte die Frau, in sich zusammenschaudernd.

«Guten Tag, Herr M e i e r ! » rief in diesem Augenblick Maulbeere, der mit seinem Karren gerade an ihnen vorüberfuhr und den Hut in spöttischer Ehrerbietung tief gegen ihn schwenkte. «Bitte mich Ihrer Frau Gemahlin auf das Gehorsamste zu empfehlen.»

Steffen, der seine rechte Hand in der Hosentasche stecken hatte, zog sie heraus, griff an die Mütze, und ging steif und finster an dem ihm aus mehr als einer Hinsicht verhaßten Scherenschleifer vorüber.

«Ein nobles Pärchen», murmelte dieser aber vor sich hin, als er, ohne sich nach den beiden weiter umzusehen, an ihnen vorbeigefahren war, «ein s e h r nobles Pärchen, das muß wahr sein. Gäbe auch ‘was drum, wenn ich wüßte, das die einmal für ein Ende nehmen hier in Amerika – jedenfalls auf Staatsunkosten, oder müßte mich sehr irren.»

«Hallo, Scherenschleifer!» rief da eine laute, fröhliche Stimme hinter ihm her. «Halt da, hier ist Arbeit für Euch!»

Maulbeere hielt rasch still und sah sich nach dem Rufer um. Dieser stand vorn auf dem Bug desselben Bootes, das der Mann von der Haidschnucke mit seiner Frau eben betreten hatte und das an seinem Boilderdeck ein großes Schild mit dem Namen: The Backwoods Queen und dem Bestimmungsort: St. Louis trug.

«Ist denn heute die ganze Haidschnucke über die Landung weggeschüttelt?» murmelte der Scherenschleifer erstaunt zwischen den Zähnen durch, als er wieder einen seiner Reisegefährten, ebenfalls als Bootsmann gekleidet, gar nicht weit von sich entfernt stehen und winken sah. «Und blaue, verdammt kurze Hemden scheinen ein ordentlicher Modeartikel zu sein – hm, hm, hm, Herr Donner als Matrose, auch nicht übel! Zachäus Maulbeere darf da, seinen größeren Fähigkeiten entsprechend, wohl bald erwarten, Kapitän zu werden.»

«Nun, Maulbeere, wie gehen die Geschäfte?» rief ihm Georg Donner noch einmal zu, und kam dann über die Laufplanke, seine beiden Daumen vorn in dem breiten Ledergürtel, der seine Hüften umschloß, herüber an Land. «Wetter noch einmal, Mann, Ihr seht noch genauso aus wie an Bord und habt Euch nicht im mindesten amerikanisiert!»

«Hätte bald ‘was gesagt», brummte Maulbeere, die Gestalt vor sich mit einer eigenen Mischung von Spott und Humor betrachtend, «aber was tun Sie hier eigentlich, und wie sehen Sie aus?»

Maulbeere hatte allerdings Ursache so zu fragen, denn mit Georg Donner schien jedenfalls eine ganz eigentümliche und große Veränderung vorgegangen zu sein. Schon in seinem Äußeren war er ein anderer Mensch geworden, der den dunklen Rock ab- und ein kurzes, blaues Matrosenhemd übergeworfen hatte, das in der Mitte von dem schon erwähnten Ledergürtel zusammengehalten wurde. Die Beine staken in Hosen von demselben einfachen Stoff, sein blaugestreiftes Hemd hielt ein schwarzseidenes, in einen Matrosenknoten geschlagenes Halstuch zusammen, und das dunkle, lockige Haar deckte eine baumwollene schottische Mütze, während an dem Gürtel ein kurzes Matrosenmesser mit hölzernem Griff in lederner Scheide hing. Aber das nicht allein – sein ganzes Wesen hatte das Ernste, Träumerische verloren, das ihm an Bord so eigen gewesen, und war frei und entschlossen, ja fast keck geworden, ohne jedoch dadurch irgendetwas von seiner offenen Ehrlichkeit verloren zu haben.

Er lachte, als er den schmutzigen, verdrossenen Burschen, der ihm immer in seinem ganzen Wesen viel Spaß gemacht, noch eben so sauertöpfisch, bis in dasselbe Knopfloch hinauf eingeschnürt, und ohne die Spur von irgendeiner reinen Wäsche vor sich stehen sah, besserte aber dadurch Maulbeeres Laune keinesfalls.

«Wie ich aussehe, mein würdiger Maulbeere?» lachte Donner. «Wie ein Mann, der entschlossen ist, seinen Weg in Amerika zu machen, und das Land zu sehen und kennenzulernen.»

«Um das L a n d kennenzulernen, gehen Sie auf’s W a s s e r ? » fragte der Scherenschleifer, seine Stirnhaut zu unzähligen Falten zusammenziehend. «Auch nicht übel, und als was? – Kapitän, Steuermann, Koch, Ingenieur?»

«Nicht von alledem, Kamerad», lachte der junge Mann, «zu so hohen Posten kann man erst avancieren, wenn man von der Pike auf gedient hat; vorerst mache ich eine Reise als Feuermann mit.»

«Als H e i z e r an Bord?» frug Maulbeere wirklich erstaunt.

«Als Heizer», bestätigte Donner lachend, «mit dreißig Dollars monatlichem Gehalt, und frei Kost und Logis, Whisky, Zucker, Kaffee und wie die Vorteile alle heißen, die uns das wackere Boot bietet.»

«Sind Sie bei dieser Anstellung als L e h r l i n g oder gleich als G e s e l l eingetreten?» frug Maulbeere, der sich noch immer nicht an dem Kostüm seines früheren Reisegefährten sattsehen konnte.

«Als Geselle, Herr Maulbeere, als Geselle, und Sie sollten einmal sehen, wie ich die Schürstange schwingen werde.»

«Kann ich mir lebhaft denken», beteuerte der Scherenschleifer, sein Gesicht in einen förmlichen Knoten zusammendrückend, «kann ich mir lebhaft denken – ist auch eine recht passende Beschäftigung für einen Pastorssohn.»

«Schadet nichts, Maulbeere», lachte der junge Mann, «nur ehrlich und rechtschaffen gehandelt und sich sein Brot selber erarbeitet, auf das Übrige kommt’s dann nicht an, ob ich einen Frack oder ein Schurzfell trage. Aber d u r c h komm’ ich, darauf können Sie sich verlassen, so lange mir Gott meine Gesundheit und meine gesunden Glieder läßt. Übrigens sind noch ein paar Bekannte von Ihnen hier an Bord», setzte er rasch hinzu, «Karl Berger, der Deserteur, und Herr Schulze aus Hannover.»

« A u c h Feuermann?» rief Maulbeere rasch und erstaunt.

«Der erste ja, der letzte nicht», lachte Georg Donner, «sollte sich nicht übel mit der Schürstange ausnehmen, und würde das Feuern wohl kaum vierundzwanzig Stunden aushalten. Er geht als Passagier, glaub’ ich, nach St. Louis.»

«Hm», brummte Maulbeere vor sich hin, «alle Welt geht fort von hier; wenn ich wüßte, daß es im Lande besser wäre, schöb’ ich meinen Karren auch an Bord.»

«Scheren und Messer wird’s überall zu schleifen geben», sagte Donner.

«Die Möglichkeit ist vorhanden, daß ich mir in Zukunft meine eigenen Messer schleifen l a s s e », sagte Maulbeere.

«Oho!» rief Donner verwundert aus. «Ja, wenn Sie solche Pläne haben, Freund Scherenschleifer, dann ist doch wohl New Orleans der beste Platz, galoppierende Spekulationen rasch zur Ausführung zu bringen. Ich wüßte übrigens eine für Sie.»

«Eine Spekulation? – Und die wäre?»

«Haben Sie die riesenhaften Ankündigungen von Stiefelwichse gesehen, die überall in der Stadt an den Straßenecken kleben?»

«Allerdings – wo sich der Neger vor dem Stulpenstiefel rasiert», feixte Maulbeere, dem die Idee ungemein gefallen.

«Diesselbe!» lachte Donner. «Wenn Sie Ihren Stiefeln imstande sind halb den Glanz zu geben, den das Schulterteil Ihres Rockes hat, so ist Ihr Glück gemacht.»

«Hören Sie einmal, mein lieber Donner», sagte jetzt Maulbeere gereizt und mit einem fast boshaften Lächeln in den entsetzlich häßlichen Zügen, «wenn Ihre Feuer nicht besser scheinen werden als Ihr Witz, so glaub’ ich, käm’ ich eher mit meinem Schiebkarren nach St. Louis hinauf, wie Sie mit Ihrem Dampfboot. – Wer weiß, ob mein blanker Rock nicht noch länger hält, als Ihr blaues Hemd, und Sie im nächsten Winter nicht vielleicht Gott danken würden, einen so warmen Überzieher zu haben.»

«Frieden, würdiger Greis, Frieden», lachte der junge Mann, «die Bemerkung war keineswegs böse gemeint und sollte Sie nicht beleidigen – im Gegenteil hab’ ich sogar eine Bitte an Sie: mir nämlich über ein paar junge Leute von unserem Schiff Auskunft zu geben, die Sie gewiß nicht – wenigstens trau ich das Ihrem Scharfblick kaum zu – aus den Augen verloren haben.»

«Und die wären?» sagte Maulbeere immer noch mißtrauisch den jungen Burschen dabei betrachtend.

«Was ist aus Doktor Hückler geworden?» sagte dieser. «Ich habe ihn nicht wieder gesehen, seit er an jenem ersten Landungsabend unser Schiff verließ.»

«Wohnt jetzt in –street», sagte Maulbeere, «führt ein großes Schild über der Tür: J.A. Hückler, deutscher Doktor und Geburtshelfer», murmelte Maulbeere, «und rechts und links an dem Schild hat er sich ein paar große schwarz-rot-goldene Kokarden malen lassen.58»

Georg Donner lachte.

«Der wird sein Brot hier schon finden», sagte er achselzuckend, «wer kann’s ändern, vielleicht haben die Leute Recht, die da behaupten in Amerika w o l l - t e n die Menschen betrogen sein.»

« V i e l l e i c h t haben sie Recht?» brummte Maulbeere vor sich hin. «Da ist gar kein vielleicht dabei, und wer hier seine K n o c h e n einsetzt, muß gewöhnlich die Haut mit in Kauf geben. Ich gedenke hier G e r b e r zu werden – aber nach wem wollten Sie noch fragen?»

«Haben Sie von Henkel und seiner Frau nichts gehört?»

«Hm», sagte Maulbeere, sich mit der linken Hand die grauen Kinnstoppeln streichend, «gehört gerade nicht, aber gesehen.»

«Gesehen? – Was?»

«Nun, wie sie von Bord ging», sagte Maulbeere.

«Die arme Frau – ob sie sich wohl erholt hat?»

«Wunderliche Geschichte das», meinte Maulbeere.

«Ich glaube nicht, daß die Krankheit von Bedeutung war», sagte Donner, die Bemerkung darauf beziehend. «Ruhe und nahrhafte Kost werden sie wohl bald wieder hergestellt haben. Ich hätte sie gern einmal wieder besucht und mich nach ihrem Befinden erkundigt, mochte sie aber doch auch nicht stören. Wissen Sie nicht, wo sie wohnen?»

«Wer ? – Die Frau mit dem Mädchen?»

«Henkels.»

«Möglich, daß sie sich wieder zusammengefunden haben», meinte Maulbeere trocken, «im Anfang waren sie auseinander.»

«Wieso?» frug Donner erstaunt.

«Nun, die Dame ist in ein Hotel gezogen und der Herr in ein anderes», meinte Maulbeere, «waren lange genug zusammen an Bord, und Amerika ist ein freies Land.»

«Unsinn», sagte der junge Mann lachend, «da haben Sie sich etwas aufbinden lassen, Herr Maulbeere; Henkel wird sich hüten und seine junge, wunderhübsche Frau in ein anderes Hotel ziehen lassen. Ich möchte nur wissen, ob sie sich wieder vollkommen wohl fühlt.»

«Könnten Sie am besten wissen, wenn Sie wären zu finden gewesen», sagte Maulbeere trocken.

«Zu finden gewesen? – Was wollen Sie damit sagen?»

«Daß Sie das kleine Ding – wie hieß das Mädchen doch, das in der Kajüte die Kammerjungfer spielte?»

«Hedwig!» rief Donner schnell.

«Jawohl, Hedwig; daß sie die wie eine Stecknadel in der ganzen Stadt gesucht, und mich, den sie zufällig auf der Straße traf, auch nach Ihnen gefragt hat.»

«Guter Gott, hätte ich nur eine Ahnung davon gehabt!» rief Georg. «Aber was wollte sie von mir – ärztliche Hilfe?»

«Nun, was sonst? – Die Frau lag lebensgefährlich krank, und sie hatten, wie sie sagte, kein Vertrauen zu einem amerikanischen Arzt; müßte mich übrigens sehr irren, wenn nicht vielleicht ebensowenig Geld wie Vertrauen.»

«Ebensowenig Geld? – Ihr Vater ist einer der reichsten Leute in Heilingen, und ihr Gatte Herr oder Erbe einer halben Million.»

«Ja – ist recht schön, aber wie mir jetzt scheint, ist die halbe Million noch nicht reif und muß erst noch eine Weile hängen. Die junge Mamsell habe ich jedoch zu Herrn Doktor Hückler geschickt, der sein Schild gerade an dem Tage aufgemacht; von dem wollte sie aber nichts wissen und ging traurig fort.»

«Und welches Hotel war das?» rief Georg rasch.

«Ja, das weiß ich nicht mehr», sagte Maulbeere.

Das scharfe Läuten der Bootsglocke von der Backwoods Queen unterbrach ihre Unterhaltung.

«An Bord da, Ihr Leute, an Bord! Höll’ und Verdammnis, was steht Ihr da draußen herum und habt Maulaffen feil! An Bord jeder Mutter Sohn von Euch; wenn ich Euch nicht Beine machen soll!»

«Wenn ich nicht irre», sagte Maulbeere freundlich, «so ersucht Sie der Mann da drinnen, doch gefälligst zum Kaffee hineinzukommen, nicht wahr?»

«Lieber Gott», rief Georg, die spöttische Bemerkung ganz überhörend, «daß ich jetzt hierher gebannt sein muß und keine Zeit mehr übrig habe, um sie aufzusuchen!»


«Würden in dem Kostüm auch außerordentlich achtbar und vertrauenerweckend aussehen», bemerkte der Scherenschleifer.

«Hallo, an Bord da! – Ihr, Dutchman dort drüben mit der schottischen Mütze – wie heißt der Bursche gleich – he, George, an Bord hier, hört Ihr nicht, oder soll ich Euch auf die Strümpfe helfen?»

«Gleich, gleich!» rief der junge Mann ängstlich und ungeduldig mit dem Fuß stampfend. «Ich wollte meine acht Tage Lohn, die ich hier schon an Bord gearbeitet habe, einbüßen, wenn ich nur zwei Stunden Raum jetzt hätte, um die arme Dame zu besuchen und zu erfahren, wie es ihr geht.»

«Haben drei Wochen Zeit gehabt und nicht daran gedacht», meinte Maulbeere ruhig, «woher kommt jetzt auf einmal die Eile?»

«Wollen Sie mir einen Gefallen tun, lieber Maulbeere?»

« L i e b e r Maulbeere!» sagte der Scherenschleifer, still vor sich hinlachend. « L i e b e r Maulbeere, wie zärtlich das klingt! Und was wär’s?»

«Wollen Sie die Frauen auskundschaften?»

«Die Mamsell meinte, Madame Henkel hätte sich schon unendlich nach mir gesehnt. Wenn die Sache nur nicht zu gefährlich ist.»

«Wollen Sie ihnen sagen, daß ich keine Ahnung gehabt hätte, sie bedürften meiner Hilfe? In vierzehn Tagen aber spätestens kehrt mein Boot nach New Orleans zurück, und ich stünde dann ganz zu ihren Diensten. Ihre Adresse sollen sie mir unter meinem Namen auf die Post legen.»

«Ich soll doch sagen, daß Sie S c h i f f s d o k t o r an Bord geworden wären?» frug Maulbeere.

«Sagen Sie die W a h r h e i t », rief Georg, «das ist immer das Beste, aber adieu, Maulbeere – ich muß wahrhaftig fort.»

«Der Kaffee wird kalt», meinte dieser.

«Sie ziehen die Planken schon ein!» rief der junge Mann. «Leben Sie wohl, und wenn ich Ihnen je wieder einen Dienst erweisen kann, zählen Sie auf mich!»

«Werft das Tau da los!» rief ihm in diesem Augenblick die Stimme des Steuermanns zu, der vorn auf dem Bug stand und das in den Stromgehen des Bootes leitete. «Das Tau da vorn in dem Ring an Land, wo der Baboon59 von einem Menschen steht – siehst Du nicht?»

Maulbeere, der mit dem Baboon gemeint war, verstand glücklicherweise nicht, was der Mann auf Englisch rief; Georg aber warf das Springtau, an dem der Vorderteil des Bootes noch an Land befestigt war, los. Wieder tönte die Glocke, die letzte Planke, auf der der junge Mann kaum Zeit behielt, an Bord zu laufen, wurde eingezogen, und Georg Donner winkte noch einmal von Bord aus dem am Ufer zurückbleibenden Maulbeere mit der Hand, was dieser, sehr zum Ergötzen der übrigen Feuerleute und Deckhands, mit einer sehr tiefen und ehrfurchtsvollen Verbeugung, bei der er den alten Hut in der Luft schwenkte, erwiderte. Dann aber, seinen Karren aufnehmend, murmelte er vor sich hin:

«Lieber Maulbeere, jawohl – l i e b e r Maulbeere – Angenehmen spielen und Maulbeere soll Bote spielen – bah – werde ihm selber eine Adresse auf die Post legen, die ihn freuen soll.» - Und der Scherenschleifer fuhr, von dem Gedanken ergötzt, still vor sich hinschmunzelnd, die Levée entlang.

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FÜNFTES KAPITEL

Literarische Bekanntschaften.

In New Orleans in der –Straße, an der unteren Ecke des Marktes, stand ein schmales, hohes, aus roten, unbeworfenen Backsteinen errichtetes Haus, das über seine ganze Breite hin ein mächtiges, weißlackiertes Schild, und auf diesem die Worte:

E x p e d i t i o n d e r N e w – O r l e a n s – B i e n e

trug. An der Tür unten war noch ein kleines, deutsches Schild angebracht, das die ,Office’ des ,Editors’ oder Redakteurs als eine Treppe hochliegend, und die Stunden von zehn bis zwölf Vormittags, wie von drei bis fünf Uhr Nachmittags als die passendsten bezeichnete, ihn zu sprechen.

Es war etwa halb vier Uhr Nachmittags, Anfang November jenes Jahres, als ein junger Mann, sehr anständig gekleidet, in schwarzem Frack, dunklen Beinkleidern und Handschuhen, seinen Hut vielleicht der Wärme wegen in der Hand, das Haus erreichte, das kleine Schild unten durchlas, sein Haar dabei etwas ordnete, und dann die ziemlich steile, noch ganz neue Treppe langsam hinanstieg. Er trug ein fest eingeschlagenes Paket, das möglicherweise Manuskripte enthielt, unter dem linken Arm und klopfte leise an die mit einem entsprechenden Schild bezeichnete Tür.

«Walk in!60»

«Habe ich das Vergnügen, mit Herrn Doktor Rosengarten zu sprechen?»

«Bitte – ich bin kein Doktor – aber mein Name ist Rosengarten; mit wem habe ich die Ehre?»

«Theobald – Fridolin Theobald – lyrischer Dichter und Schriftsteller im Allgemeinen, aus Deutschland», stellte sich unser Freund dem kleinen, etwas schwärzlich aussehenden Mann selber vor, indem er ihm eine gewissenhaft an der Ecke eingedrückte Visitenkarte überreichte.

«Und womit kann ich Ihnen dienen?» sagte Herr Rosengarten, einen etwas mißtrauischen Blick nach dem Paket werfend, das jener unter dem Arm trug. «Wohl erst ganz kürzlich von Deutschland gekommen, wenn man fragen darf?»

«Seit etwa drei Wochen», sagte Herr Theobald, indem er anfing, sein Paket aus einem großen Bogen Makulatur herauszuwickeln, «und wollte mir nur die Freiheit nehmen, Ihnen hier einiges für Ihr sehr geschätztes Blatt anzubieten.»

«Ah, Sie sind sehr freundlich», sagte Herr Rosengarten etwas verlegen, indem er nach seiner Brille auf dem neben ihm stehenden Schreibtisch herumfühlte, die gefundene aufsetzte, und beide Hände dann, als ob er nicht voreilig damit zu sein wünschte, in seine Rocktaschen schob.

«Ich habe hier zweierlei», sagte Herr Theobald mit einer leichten Verbeugung, «was beides, wie ich kaum zweifle, und wovon Sie sich auch wohl bald überzeugen werden, nicht geringes Furore beim Publikum machen wird. Ich will und möchte nicht gern unbescheiden sein, aber ich weiß, daß der Erfolg nicht fehlen kann. Sie haben doch vollständige Pressfreiheit hier in Amerika?»

«Vollständige», versicherte Herr Rosengarten, mit einem sehr entschiedenen Kopfnicken.

«Ihre Constitution61 garantiert es Ihnen wenigstens… »

«Ah, und wir wissen es aufrecht zu erhalten», beteuerte Herr Rosengarten, «der Präsident in seinem Weißen Haus ist nicht sicher, angegriffen und seiner verborgensten Fehler wegen öffentlich an den Pranger gestellt zu werden.»

«Schön – sehr schön», rief Herr Theobald, «Gott sei ewig gedankt, daß ich endlich einmal diesen Engelsgruß, wenn ich mich so ausdrücken darf, von geweihten Lippen aussprechen hören kann. – Sie sind auch Schriftsteller, nicht wahr?»

«Hm – ja», sagte Herr Rosengarten mit einem bescheidenen Blick nach dem breiten, halbgeöffneten Glasfenster, das ihn von der Druckerei trennte. «Eigentlich Buchdrucker – die Ausstattung unserer Sachen läßt nichts zu wünschen übrig, aber die leichten Sachen, die Leitartikel vorn im Blatt und die Angriffe auf die Gegenpartei schreib’ ich gewöhnlich selber.»

«Ihr Blatt ist rein demokratisch?»

«Diamant», sagte Herr Rosengarten, «das heißt», setzte er rasch hinzu, «Sie werden mich wohl verstehen, was man damit sagen will – Demokrat den Grundsätzen, aber nicht immer den Prinzipien nach.»

«Das verstehe ich allerdings n i c h t », sagte Theobald erstaunt.

«Nun, ich meine», versicherte der Editor der New-Orleans-Biene, «daß wir grundsätzlich reine Demokraten sind und die demokratischen Prinzipien auch in unserem Blatt, gerade im demokratischen Sinn aber auch die allgemeinen Menschenrechte vertreten, zu denen die Whigs62 als unsere Brüder ebensogut gehören. Solcherart suchen wir denn eine Verschmelzung der beiden Parteien zu vermitteln. Wissen Sie», fuhr er fort, als ihn der Fremde immer noch nicht zu begreifen schien, «die Demokraten sind gewöhnlich ungemein enthusiasmiert für ihre Sache, aber – nur ein sehr geringer Teil von ihnen befindet sich in hinlänglich günstigen pekuniären Verhältnissen, um nicht allein eine Zeitung zu lesen, sondern sie auch zu halten und – was die Hauptsache ist, auch zu bezahlen, während die Whigs, besonders zeitweise, auf höchst liberale Weise auch die kleinste Vergünstigung anerkennen. – Ich weiß nicht, ob ich mich deutlich genug ausgedrückt habe.»

«Ich muß allerdings gestehen, daß ich das noch nicht ganz vollkommen begreife», sagte Herr Theobald.

«Es ist unser Prinzip, im echt demokratischen Sinne», sagte Herr Rosengarten, « b e i d e n Teilen g e r e c h t zu werden, wir stehen, um Ihnen gewissermaßen durch ein Beispiel unser Ziel anschaulich zu machen, in Fechterstellung, bei zurückgeworfenem Körper mit dem linken Fuß auf der Demokratie, mit dem rechten den Whiggismus nur allerdings leicht berührend, nur danach fühlend, aber jeden Augenblick bereit, uns im Angriff momentan ganz darauf zu werfen, und dann nur wieder zum Schutz auf den linken Fuß zurückzufallen.»

«Aber gegen w e n kämpfen Sie dann?» fragte Herr Theobald in sehr natürlicher Frage, durch diese Erklärung wirklich selber konfus gemacht.

«Gegen jeden, der uns angreift», sagte Herr Rosengarten schnell, «die Biene kann auch stechen, mein verehrter Herr», er warf einen raschen Blick auf die vor ihm liegende Karte, «mein verehrter Herr Theobald; die Biene kann auch stechen, trotz ihrem Fleiß, mit dem sie Wachs für ihre Zellen, Honig für ihre Leser einträgt. Wir haben uns dabei mit den besten Kräften Amerikas verbunden», setzte er mit einigem Selbstgefühl hinzu, «und wissen, daß wir dem Publikum etwas Gediegenes, Solides bieten können.»

«Sie bringen aber, wie ich gesehen habe, a u ß e r der Politik auch Erzählungen, Novellen und Lyrik?» sagte Herr Theobald.

«Gewiß, oh sicher», beteuerte Herr Rosengarten, «nur durch Mannigfaltigkeit kann sich ein Blatt in Amerika halten.»

«Und verschmähen dabei gewiß nicht Artikel, welche auf die Verbesserung der Kultur, der Zustände hinarbeiten, und diese, wo sie unzweckmäßig oder faul sind, rügen.»

«Gewiß nicht», sagte Herr Rosengarten rasch und erfreut, «wir suchen sogar etwas darin, mit sämtlichen Zuständen unzufrieden zu sein, und, indem wir viel, s e h r viel verlangen, wenigstens e t w a s dadurch zu erreichen. Wenn Sie Amerika näher kennenlernen, werden Sie uns ganz Recht geben.»

«Ich habe schon jetzt einige Erfahrungen gemacht», versicherte ihm Herr Theobald, «die mich veranlassen, Ihnen in mancher Hinsicht beizustimmen, und die Zeit, die ich in Amerika zubringe, nicht allein benutzt, um frische Eindrücke zu sammeln und Beobachtungen und Vergleiche anzustellen, sondern auch diese Beobachtungen und Resultate niederzuschreiben. Nun muß ich Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich bis jetzt der Tagespresse nicht solche Macht zutraute, um auf die öffentliche Meinung zu wirken, indem ein Journal, ob es nun täglich oder wöchentlich erscheint, mit der nächsten Nummer schon gewissermaßen beiseite geschoben wird und veraltet ist. Der amerikanische Buchhandel63 steht dagegen auf einer von jedem anderen Land unerreichten Stufe, und die Exemplare populär gewordener oder in die Zeitumstände eingreifender Werke werden in einer enormen Masse in das Volk geworfen und verbreitet. Ich habe in diesen letzten Tagen deshalb auch versucht, meine Beobachtungen, in Verbindung mit einigen anderen literarischen – und, wie ich mir schmeicheln will, nicht ganz wertlosen Artikeln, als Band vereinigt, hier bei einem der ziemlich zahlreich vertretenen Buchhändler herauszugeben, aber eine solche grenzenlose Apathie bei ihnen gefunden, daß ich wirklich erstaunt bin.»

«Sie haben es nicht drucken wollen?» sagte Herr Rosengarten, etwas derb der Sache auf den Grund gehend.

«Nun, das will ich gerade nicht sagen», parierte Theobald den Stoß auf seine Eitelkeit, «aber sie machten mir so viele Umstände und Schwierigkeiten, daß ich es in Widerwillen aufgab, mit ihnen in irgendeine Geschäftsverbindung zu treten. Die Sache selber aber ist zu wichtig, im speziellen Fall für Louisiana, in seinem ganzen Umfang aber auch für die Vereinigten Staaten von Amerika, um sie aufzugeben, und ich bin es als Schriftsteller der Welt schuldig, dem Ungetüm, das seine Fittige drohend über das wunderschöne Land breitet, wenn ich ihm nicht gleich einen Stoß ins Herz versetzen kann, eine so gefährliche Wunde als möglich beizubringen, damit es unter den nach und nach auf es geführten Streichen endlich verblutet.»

«Und welches Ungeheuer meinen Sie?» frug Herr Rosengarten gespannt.

«Welches Ungeheuer? – Die Sklaverei!»

«Ja, mein lieber Herr Theobald», sagte da der kleine Redakteur, sich wie verlegen die Hände reibend und die Schultern hinaufziehend, «da sind Sie allerdings gleich auf den wundesten Fleck gekommen.»

«Nicht wahr?» rief der Dichter erfreut.

«Jawohl, jawohl, aber… »

«Aber… ?»

Nach Amerika! Bd. 2

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