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Wilddiebe fallen nicht vom Himmel

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Ich verschlang Romane und »wahrheitsgetreue« Schilderungen über edle Förster und böse Wildschützen, sah mit Begeisterung Heimatfilme, las mehrere Male »Wilddieberei und Förstermorde« des legendären Busdorf und bedauerte, dass es in der Lüneburger Heide keine Wilddiebe gab. Zu gerne hätte ich es meinen Idolen, den todesmutigen Jägern und Forstbeamten, gleichgetan, einen verruchten Wildschützen auf frischer Tat zu ertappen und seiner gerechten Strafe zuzuführen.

Meine Fantasien wurden durch die Unterhaltungen der alten Jäger so beflügelt, dass ich die Begegnung mit einem Wilddieb regelrecht herbeiwünschte, und dann nahte endlich die Stunde, in der ich all meinen Mut und meine Entschlossenheit beweisen konnte. Es kam tatsächlich zu einer prekären Begegnung, in der ich mich in Lebensgefahr wähnte, aber eiskalt den Lump zu überführen versuchte. Es geschah während der Rehbrunft.

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Lapuz, Lapin, Künigl, Karnickel – das Wildkaninchen hat viele Namen auf der Jagd.

An dem besagten Wochenende wird im Nachbarort Eversen Schützenfest gefeiert, eine Veranstaltung, der die gesamte Bevölkerung seit einem Jahr entgegenfiebert, so auch ich.

Ich male mir aber auch aus, dass so ein feuchtfröhliches Zusammentreffen eine ideale Gelegenheit sei, sich ungestört im Wald zu bewegen, um zu wildern. Niemand würde einen Schuss hören, niemand Verdacht schöpfen, alles, was Beine hat, Bauern, Jäger, Forstbeamte, ist ja auf dem Tanzboden versammelt.

Unser Haumeister, weit über 60 Jahre alt und durch das Arbeiten mit der »neumodischen« Motorsäge – einen Gehörschutz zu tragen ist unter seiner Würde – ziemlich taub, hat am Tag zuvor einen Schuss an den Holzförsterwiesen gehört, und für mich steht fest: Hier muss ich eingreifen!

Ich verzichte auf die verlockenden Runden Freibier und pirsche am frühen Nachmittag zu den »Holzförsterwiesen«. Mit gutem Wind von der schützenden Dickung her setze ich mich an den bemoosten Fuß einer dicken Erle und warte auf den Unhold, der tags zuvor hier geschossen haben soll.

Jenseits meines Sitzplatzes zieht sich ein verwachsener Schlag entlang, überwuchert von Himbeerranken und Brombeerdornen, die die durchziehenden Gräben füllen. Hieran schließt sich hoher Fichtenbestand.

Noch döse ich verträumt vor mich hin. Die tiefe Ruhe wirkt einschläfernd. Manchmal trägt ein Windstoß verschwommen verlockende, ferne Musiktöne vom Schützenfest herüber, Klänge der Blaskapelle und Karussellorgeln, dann ist es still.

Ich mustere meine Umgebung, erwäge für den Ernstfall Schussmöglichkeiten nach unterschiedlichen Richtungen und in diverse Entfernungen und male mir aus, was geschähe, wenn ein Mann mit rußgeschwärztem Gesicht aus dem dichten Beerengerank treten würde. Da bleiben meine Blicke auch schon an einem hellen runden Fleck im Gestrüpp auf der gegenüberliegenden Seite der Wiese hängen. Vor Aufregung schießt mir das Blut in den Kopf, mein Puls klopft ungestüm bis in die Schläfen.

Die Decke eines Rehs ist anders gefärbt als das Gesicht eines Wilddiebes, schießt es mir durch den Sinn. Durch das Fernglas versuche ich, das Gewirr der Sträucher zu durchdringen, sehe aber nicht mehr und nicht weniger als den unbeweglichen rötlich braunen Fleck, vermutlich die Fratze des Bösewichtes, durchschimmern.

Er passt dort nicht hin, ist fremd in der Umgebung, und auf einmal lauert er nicht mehr über dem Holunderstrauch, ist nach rechts gewandert, verbirgt sich hinter einer großen weißen Dolde. Der Kerl hat mich wahrscheinlich entdeckt und will sich davonstehlen.

Soll ich mit angeschlagenem Gewehr über die freie Fläche auf den Mann losstürzen? In Gedanken male ich mir aus, was ich rufen werde: »Hände hoch, Sie sind umzingelt, ergeben Sie sich!« Aber dann zwinge ich mich zur Ruhe. Was mache ich, wenn der Kerl einen Komplizen hat, der in der Nähe lauert?

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Dräuend zieht sich ein Unwetter über den sommerlichen »Holzförsterwiesen« zusammen.

Immer wieder starre ich dorthin, reiße dann aber meine Blicke los und leuchte den Waldrand ab, ob ich den anderen Schurken entdecke. Die beiden können mich doch nicht bemerkt haben?!

»Eiskalt« überlege ich, was in dieser gefährlichen Situation zu tun sei. Währenddessen beobachte ich mein unheimliches Gegenüber. Plötzlich erhebt sich der Kopf, geht aber sofort wieder in Deckung. Durchs Fernglas erkenne ich, wie er sich langsam nach rechts, dann nach oben schiebt und urplötzlich im dichten Grün verschwindet. Kaum ist er aus meinem Blick, taucht er verstohlen einen Meter weiter links wieder auf, fährt aber mit einem Ruck wieder zurück in die Deckung.

Mir wird es ungemütlich. Hat mich der Kerl bemerkt? Ich umfasse den Pistolengriff meiner Büchse fester. Mit einem kleinen Sprung verschiebt sich das Gesicht nach rechts. Will er fliehen? Wird er ins Hochholz rennen oder versuchen, durch den fast undurchdringlichen Bewuchs aus Beeren und Dornen zu flüchten?

Es wird mir immer mulmiger zumute, andererseits beflügelt es meine Entschlusskraft und meinen Mut, höchste Zeit zum Handeln, bevor mir der Mann durch die Lappen geht.

Kurz entschlossen schnelle ich vom Erdboden hoch, springe mit schussbereiter Büchse über die Wiese auf den Unhold zu und brülle: »Halt, Hände hoch!« Zum Flüchten ist es zu spät, trotzdem versucht der Kerl, in kurzen Hopsern geduckt zu entkommen. Noch sehe ich nur seinen roten Kopf über dem Pflanzengewirr, aber ich bin schneller als er, nähere mich ihm mit Riesensprüngen.

Dabei schreie ich todesmutig, immer darauf gefasst, mich sofort auf den Boden zu werfen, sollte der Mann Gebrauch von seiner Schusswaffe machen, noch einmal: »Bleiben Sie stehen, Hände hoch!« und stehe dann – vor einem roten Luftballon, der vom Schützenfest in den Wald herübergeweht worden war und im Abendwind müde zwischen den Sträuchern hin und her taumelt, mit einem dünnen Faden sich hier und dort festhakend und wieder losreißend.

Es dauert einige Augenblicke, ehe sich meine Erregung legt, und dann folgt die zweite Ernüchterung: An dem Faden ist ein Zettel befestigt, auf dem in kindlicher Handschrift steht: »Ballonwettbewerb. Der Finder dieses Luftballons wird gebeten, den Zettel zurückzusenden an …«, es folgt die Adresse der Tochter unseres Haumeisters.

Ich habe das Papier ausgefüllt und zurückgesandt, aber nicht erwähnt, dass ich es unter »Lebensgefahr erbeutete«.

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