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4. Dezember

Wartenwartenwarten

Wir warten. Immer warten wir. Auf besseres Wetter und bessere Zeiten. Und sagen, wenn sie denn endlich da sind, die besseren Zeiten, dass eigentlich doch früher alles besser gewesen ist.

Wir setzen auf die Zukunft, verklären die Vergangenheit und verpassen dabei die Gegenwart. Oft. Oft genug.

Wenn ich erst einmal das Abitur habe …

Wenn ich erst einmal die neue Wohnung habe …

Wenn ich erst einmal wieder gesund bin …

Wenn ich erst einmal im Ruhestand bin …

Dann!

Und wenn es gar nicht kommt, das »Dann«? Wenn uns nur das Jetzt bleibt?

Oder wenn wir entdecken, dass das Dann auch nicht anders ist als das Jetzt?

Dann warten wir eben weiter …

Warum warten wir eigentlich? Und worauf? Vor allem wohl, weil das Jetzt nicht alle Sehnsüchte stillt. Weil im Jetzt nicht alle Träume Wirklichkeit werden.

Wir warten wie Estragon und Wladimir in Samuel Becketts berühmten Stück »Warten auf Godot«, das 1953 in Paris uraufgeführt wurde.

Zwei Landstreicher warten an einem undefinierbaren Ort. Tag für Tag. Woche für Woche. Monat für Monat. Sie warten auf Godot. Den sie nicht kennen und von dem sie nichts Genaues wissen. Nicht einmal, ob es ihn überhaupt gibt. Am Ende jedes Aktes erscheint ein kleiner Junge und verkündet, dass sich Godots Ankunft weiter verzögert. Doch er kommt nicht. Ein ganzes langes Stück lang nicht. Umsonst gewartet. Umsonst gelebt.

Sind wir Estragon und Wladimir? Manchmal?

Wir warten, dass heil wird, was zerbrochen ist. Dass gesund wird, was krank ist. Dass gelingt, was misslungen ist.

Damit aber warten wir im Grunde auf den Himmel! Auf die Rückkehr des verlorenen Paradieses! Damit warten wir im Grunde – auf Gott!

Als ein kleiner Junge kommt. Ein ganz kleiner Junge. Und verkündet:

Gott ist längst gekommen. Und er kommt immer wieder. Kommt mitten hinein in unsere Brüche. In unser Unheil. In unser Scheitern. In unsere Schuld. Ich bin dieser Gott. Ich. Jesus.

Und staunend knien Hirten vor einer Futterkrippe. Und Soldaten vor einem Kreuz. Und verängstigte Jüngerinnen und Jünger vor einem leeren Grab.

Seine Geburt ist eine ganz und gar ungewöhnliche Geburt an einem ganz und gar ungewöhnlichen Ort. Doch dann gehen die Eltern mit ihm den gewohnten und gewöhnlichen Weg, der Juden seit vielen Generationen vorgeschrieben ist. Am 8. Tag die Beschneidung als Zeichen dafür, dass das neugeborene Kind nun auch ganz und gar zum Abrahams-Bund zwischen Gott und seinem Volk gehört. Und weil der Junge einen Namen braucht. Ihn nennen sie Jeschua. Jesus. Auf Deutsch: Der Herr hilft. Der Herr rettet.

Was für ein Name!

Ein paar Wochen später folgt die Darstellung im Tempel. Die »Auslösung«. Denn nach dem jüdischen Gesetz gehört alle männliche Erstgeburt dem Herrn. Weil aber dieser Herr Menschenopfer untersagt hat, werden ein paar junge Tauben geopfert.

Aber dann geht die Geschichte wieder ganz und gar ungewöhnlich weiter. Denn im Tempel gibt es zwei besondere Menschen. Den alten Simeon, dem Gott versprochen hat, dass er nicht sterben wird, ohne vorher den Messias gesehen zu haben. Und die alte Hanna, eine Witwe, die Gott Tag und Nacht im Tempel diente »mit Fasten und mit Flehen«.

Die sehen den Jungen, und beide wissen sofort, mit wem sie es zu tun haben. Und Simeon bricht spontan in einen grandiosen Jubelgesang aus:

»Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen, den du bereitet hast vor allen Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.«

Und Hanna, die alte Frau, die Prophetin, hört gar nicht mehr auf, Gott zu preisen. Später erzählt sie allen, die auf die Erlösung Israels warten, dass sie endlich da ist. In diesem kleinen Jungen. In Jesus. Gott hilft! Gott rettet!

Zwei alt gewordene Menschen, die stellvertretend für das alt gewordene Volk Israel stehen. Zwei Menschen, die warten. Die ein ganzes Leben lang gewartet haben. Deren Sehnsucht aber nicht erloschen ist wie eine ausgebrannte Kerze.

Ich stelle mir vor, dass ich Hanna für ein paar Minuten beiseite nehme und frage: »Wie hast du das aushalten können? Und kannst du mir verraten, wie ich das aushalten kann? Ich warte doch auch darauf, dass Gott seine Versprechungen und Verheißungen in meinem Leben erfüllt.«

Und ich stelle mir vor, dass Hanna mir freundlich zulächelt und sagt: »Hör doch einfach meine Geschichte. Lies sie. Hör und lies sie immer wieder. An ihr kannst du doch ablesen, dass Gott seine Versprechen immer und auf jeden Fall erfüllt. Und denk über die vielen anderen Geschichten nach, die dir deine Bibel erzählt. Und dann denk auch über dein eigenes Leben nach, über alle Verheißungen, die sich auch in deinem Leben schon erfüllt haben. Und staune darüber, dass man sich auf Gott verlassen kann. Dass seine Uhren zwar anders gehen als unsere, aber dass er immer zur richtigen Zeit handelt, zu seiner Zeit. Vielleicht wird die Zeit des Wartens dann eine Zeit der Vorfreude für dich.«

Später fasst der Apostel Paulus das Weihnachtsgeschehen in einem theologischen Spitzensatz zusammen: »Es ist erschienen die heilsame Gnade Gottes allen Menschen.« Die heilsame Gnade Gottes – und damit seine unverdiente Freundlichkeit und seine unerwartete Rettung. Erschienen in einem kleinen Jungen in einer kleinen Krippe in einem kleinen Stall in einem kleinen Ort in einem kleinen Land.

Dieses Ereignis kennt keine Parallele in der Geschichte. Es lässt sich einfach nicht vergleichen. Keine Erzählung der Weltliteratur kann es damit aufnehmen. Die heilsame Gnade Gottes ist erschienen, sie ist da, ein für alle Mal, und sie ist für alle Menschen da. Für alle Menschen aller Zeiten und in allen Ländern.

Wir warten. Wir werden auch weiter warten. Auf die Zeitung, auf den Bus, auf den Arzt. Aber wir müssen nicht mehr auf den Himmel warten. Der ist gekommen. Der ist da. Zum Greifen nah. Frohe Weihnachten!

JÜRGEN WERTH

Weihnachtswundernacht 2

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