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Christoph Benke | Wien

geb. 1956, Dr. theol. habil., Priester, Studierendenseelsorger, Schriftleiter von GEIST & LEBEN

c.benke@geistundleben.at

„Als sie hinblickten“ (Mk 16,4)

Die modernen Kommunikationsmittel verändern die Welt, genauer gesagt deren Wahrnehmung. Sie transformieren unseren Alltag. Sogar Gebärde und Gestus bleiben davon nicht unberührt: Viele Menschen blicken während des Gehens nicht mehr nach vorne, sondern schräg nach unten. Die Ursache dieser eigenartigen Körperhaltung ist das Display ihres Smartphones. Dorthin richten sich Blick und Aufmerksamkeit, die umgebende Welt samt Straßenverkehr und Passant(inn)en wird nur mehr aus dem Augenwinkel wahrgenommen. Gelegentlich führt diese Einschränkung zu Kollisionen. Spätestens dann ist ein Aufblick unumgänglich.

Als sich die Frauen „in aller Frühe“ zum Grab Jesu aufmachten, um den Leichnam Jesu zu salben, dämmerte es (vgl. Mk 16,1–4). Obwohl sie den Weg kannten, mussten sie wohl immer wieder auf den Boden blicken; die Sonne war eben erst aufgegangen (V. 2). Auch die Frauen waren gedanklich fokussiert, nämlich auf eine Sorge: „Wer könnte uns den Stein vom Grab wegwälzen?“ (V. 3) Vorstellbar ist, dass die berechtigte Sorge um den Zugang zum Inneren des Grabes ihre Wahrnehmung einschränkte. Als sie jedoch ankamen und innehielten, löste sich ihre Unruhe auf: „Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war.“ (V. 4) Mit dem genauen Hinschauen beginnt das Lernen dessen, was Ostern bedeutet. Das gilt für die Frauen um Jesus, aber darüber hinaus für jeden Menschen in der Christusnachfolge. Die christliche „Mystik der offenen Augen“ (Johann Baptist Metz) findet sich schon in den Osterevangelien.

In der spirituellen Szene haben gegenwärtig zwei Begriffe Hochkonjunktur: Kontemplation und Achtsamkeit. Dieser Aufschwung bringt notwendigerweise gewisse Unschärfen mit sich. Beide Vollzüge sind religionsübergreifend „anschlussfähig“ und darüber hinaus auch für säkular denkende Menschen einleuchtend, weil sie Entschleunigung verheißen. Jedenfalls intendieren beide eine sorgfältige Wahrnehmung von Wirklichkeit. Der geduldige „Hinblick“ der Kontemplation misstraut dem Ersteindruck und auch noch dem Zweiteindruck. Er lässt Dinge sprechen und legt die Komposition eines Ereignisses geduldig auseinander, um dessen Vielschichtigkeit offenzulegen. Der Versuch einer Zusammenschau der Ebenen (lat. con-templari) sucht, den Gehalt zu bergen. Und wo Achtsamkeit im Sinne von Aufmerksamkeit verstanden und geübt wird, führt dies zu hochaktiver, gespannter Präsenz. Simone Weil sah darin Parallelen zum Gebetsakt.

Jesus geht davon aus, dass der Blick eines Menschen auf die Welt und das Leben getrübt sein kann. Dem stellt er das „helle Auge“ gegenüber, das „dem Körper Licht gibt“ und ihn zur Gänze „erhellt“ (vgl. Lk 11,34–36). Im Tagesgebet der Osternacht betet die Kirche: „Gott, du hast diese Nacht hell gemacht durch den Glanz der Auferstehung unseres Herrn“. Kontemplation und Achtsamkeit, christlich verstanden, üben den Blick. Sie trainieren das genaue, geduldige Hinschauen, um die Welt und das Leben im Licht von Ostern zu sehen. Das „helle Auge“ ist die Bereitschaft, Gott in allen Dingen zu suchen und sprechen zu lassen. Theologisch gesprochen: Durch Schöpfung und Erlösung ist der Wirklichkeit eine Offenbarungsqualität eingeschrieben. Sie hat sakramentale Struktur. Die gesamte Wirklichkeit trägt in sich die Möglichkeit, das gläubige Individuum ebenso wie die Kirche näher mit Gott zu verbinden. Dazu muss man sich aber der Wirklichkeit stellen und „hinblicken“. Damit werden die Welt und das Leben nicht resakralisiert oder ihnen eine fromme Patina aufgezwungen, wo nichts Frommes ist. Dass irgendwo nur Diesseitigkeit herrscht, ist möglich.

Nebenbei bemerkt: Ursprünglich, als es den „Smartphone-Blick“ noch nicht gab, galt der Blick nach unten, zur Erde hin, als monastischer Gestus. Er sollte dem Menschen zur inneren Sammlung verhelfen sowie an die eigene Geschöpflichkeit und somit an die Demut erinnern. Daran ist ersichtlich, wie sich technischer, gesellschaftlicher und kultureller Wandel auf unsere Seh- und Hörgewohnheiten auswirkt. Dies hat wiederum etwas für Spiritualität zu bedeuten – mit ein Grund, warum die spirituelle Szene so vielgestaltig ist, wie sie nun einmal ist. GEIST & LEBEN will Anregungen zum genauen Hinschauen bieten und einer stets notwendigen Unterscheidung der Geister zuarbeiten.

Geist und Leben 2/2015

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