Читать книгу Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis - Группа авторов - Страница 12

1.1 Museologie und Museumsgeschichten
Monika Sommer

Оглавление

Bald ist es ein Vierteljahrhundert her, seit mit der 1989 von Peter Vergo herausgegebenen Aufsatzsammlung mit dem programmatischen Titel The New Museology ein wichtiger Markstein in der Erforschung einer äußerst heterogenen Museumslandschaft gesetzt wurde, und ein neuer Begriff die Veränderung der Frageperspektiven auf die in Museen stattfindenden, kulturelle Bedeutung generierenden Prozesse umschrieb. Der angekündigte Aufbruch implizierte eine Absage an eine Museumswissenschaft, die sich allzu sehr auf Fragen der Museumsverwaltung beschränkte und grundsätzliche Fragen zur Geschichte und Gegenwart der Museen aussparte: „[…] what is wrong with the ‚old‘ museology is that it is too much about museum methods, and too little about the purposes of museums.“ 2 Das Unbehagen rührte nicht nur aus der Unzufriedenheit mit der mangelnden theoretischen Auseinandersetzung, sondern auch aus einer Analyse der Praxis, die den (großen) Museen attestierte, gleich toten Fossilien zu sein, weshalb Vergo „a radical re-examination of the role of museums within society“ 3 forderte.

Wie sehr Museen mit der Gesellschaft verknüpft sind beziehungsweise sein sollen und wo die Grenzen zwischen einer privaten und einer öffentlichen Sammlung zu ziehen sind, darüber lässt sich genauso trefflich streiten, wie über den Ursprung des Museums. Etymo­logisch gesehen, führt der Weg in die griechische Antike, als die den Musen geweihten Kulturstätten als museion bezeichnet wurden. Wird das Museum als ein Ort des systematischen Sammelns verstanden, kann das von Ptolemaios I. (305 – 283/2 v. Chr.) gegründete Institut in Alexandria, das eigentlich einer Akademie glich, als früheste Referenzinstitution gelten. Wer die Geschichte des Museums als Aufbewahrungs- und Präsentationsort von Sammlungen, als Ort des Ordnens, Kategorisierens und Erfassens mit den Kunst- und

<13| Seitenzahl der gedruckten Ausgabe

Naturalienkabinetten der Renaissance beginnen lassen möchte, für den oder die stellt das Jahr 1565 einen bedeutenden Einschnitt dar, in dem Samuel Quiccheberg sein Traktat Inscriptiones vel Tituli Theatri Amplissimi veröffentlichte, das früheste Handbuch der Museumskunde im deutschsprachigen Raum. Quiccheberg war am Münchner Hof mit der Ordnung und Klassifizierung der Kunstkammer von Herzog Albrecht V. betraut, der dem Vorbild der Medici in Florenz folgend, Kunstgegenstände zu sammeln begonnen hatte. Quicchebergs Traktat gibt den Idealplan einer Kunstkammer wieder, die er als Bildungsinstitution verstand, an der Theorie und Praxis verschränkt werden sollten. Zwischen diesem und dem nächsten hier nun vorgestellten museologischen Grundlagenwerk liegt eine fundamentale Bedeutungsverschiebung für die ausgestellten Artefakte und Naturafakte: Hatten die einzelnen Objekte im 16. Jahrhundert eine singuläre Position inne, wurden sie ab dem 18. Jahrhundert vermehrt in Serien angeordnet, austauschbar und vergleichbar; die ästhetische Anmutung geriet ins Hintertreffen. Auf seinen eigenen Erfahrungen und Recherchen in den Kunst- und Schatzkammern verschiedener europäischer Städte beruhte das Werk Museographia des Hamburger Kaufmanns Caspar Friedrich ­Neickelius, das 1727 erschien und den Gelehrten als Vermittler zwischen den „Curiositäten“ und den Büchern verstand. Nicht zufällig entstand es selbst nach den neuen Prinzipien der Beobachtung und des Vergleichens. Seine Publikation ist nicht zuletzt ein Hinweis darauf, dass die Macht und Prestige vermittelnden Kuriositätenkabinette im Verlauf des 17. Jahrhunderts bereits zunehmend wissenschaftlichen Charakter bekamen und zum Fixpunkt für Bildungsreisende wurden. Fast einer Handlungsanleitung gleich, schlägt er ein Ordnungssystem sowie richtige Verhaltensweisen und Umgangsformen mit den Objekten und den Menschen im Museum vor. Befördert von Carl von Linnés systema naturae, das 1735 erstmals erschien, verabschiedeten die empirischen Naturwissenschaften das kosmologische Weltbild der Einheit von Kunst und Natur.

Als Keimzelle des modernen Museums lässt sich das 1793 eröffnete Musée Français im Pariser Louvre festmachen, das sich der Revolution von 1789 und der Widmung des Louvres als „Nationalpalast“ verdankt, der Sitz des Königs, Museum und Bildungsinstitution sein sollte. Mit dem 1795 von Alexandre Lenoir begründeten Musée des Monuments Français, das allerdings 1816 bereits wieder geschlossen wurde, wurde erstmals nationale Geschichte ausgestellt: Durch in Sicherheit gebrachte Objekte aus aufgelassenen Kirchen, Klöstern und geplünderten Adelspalästen, „sah sich Frankreich endlich selbst in seiner Entwicklung“ 4, wie der Historiker Jules Michelet das Museum

<14|

mit seiner chronologischen Objektanordnung beschrieb. Die Aktualisierung von historischen Ereignissen bei gleichzeitiger Historisierung wurde zu einer völlig neuen geschichtspolitischen Praxis. Mit der Revolution und der Möglichkeit, die Sammlungen des Louvre für sich in Anspruch zu nehmen, brachte das französische Volk seine Forderungen nach politischer Beteiligung und den Besitzanspruch der Allgemeinheit auf das nationale Erbe zum sichtbaren Ausdruck.5

Nach dem Bedeutungsverlust bisheriger religiöser und auf Tradition beruhender Machtkonzepte eignete sich das Museum als säkularer Bezugs- und Referenzpunkt für die „imagined communities“ (Benedict Anderson 1996) der aufkommenden National­staaten, die neue Konzepte individueller und kollektiver Identitätskonstruktionen zur Verfügung stellten. Den Entstehungsbedingungen von Nationalmuseen – ein Museumsprinzip, das trotz zahlreicher Versuche, nationale Konzepte zu überwinden, bis heute die Vorstellungen von Museen zutiefst prägt – widmete die sammlungsgeschichtliche Forschung in jüngster Zeit ebenso vermehrt Aufmerksamkeit, wie den Kulturen des Sammelns und Ausstellens im 18. Jahrhundert.6 Als ein „Manifest der Museologie“ 7 beschrieb etwa Édouard Pommier (2006) die neue Hängung der kaiserlichen Gemäldegalerie im Wiener Schloss Belvedere nach „Schulen“, die Christian von Mechel 1780 für den Aufklärer Kaiser Joseph II. vornahm und die europaweit Nachahmer finden sollte. Der Wiener Präsentation lag die Idee von Fortschritt und Entwicklung zugrunde. Die Gemäldesammlungen verabschiedeten sich von den bisherigen dekorativen barocken Ordnungssystemen, um die Geschichte der Malerei in einem Raum-Zeit-Kontinuum begehbar zu machen. Viele Museumsbauten des 19. Jahrhunderts

<15|

vermittelten hegemoniale Kunst- und Geschichtsbilder lehrhaft bereits durch die äußere Fassadengestaltung und die innere Ausstattung des neuen Bautypus. Das Konzept von der Linearität der Zeit und der Isolierung der Kunstgegenstände von den Kuriositäten und Naturalien wurde zu einer Signatur der Museumsarbeit im 19. Jahrhundert.

Befördert durch die kriegerischen und politischen Ereignisse der napoleonischen Ära, erlebten Museen als regionale Zentren der Nationalisierung und der Auseinandersetzung mit der Geschichte der eigenen Region enormen Aufwind: Als Schnittstelle zwischen historischer Aufarbeitung und Forum für die Auseinandersetzung mit den jüngsten Entwicklungen, die nicht zuletzt der Ökonomie dienten, fungierten die in der Habsburgermonarchie entstehenden Regionalmuseen, wie z. B. das 1811 in Graz gegründete Joanneum, das als ein Kristallisationspunkt bürgerlicher Identitätskonstruktion wirkte. Diese war auch Movens des 1852 als Reaktion auf die gescheiterte Revolution von 1848 ins Leben gerufenen Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg. Zentralistisch agierend, setzte es sich die Fundierung eines Narrativs von der Einheit des deutschen Reiches zum Ziel, die politisch erst 1871 Realität wurde. Berlin konnte im Gegensatz zu anderen Städten wie Wien, Paris oder Madrid kaum auf dynastische Sammlungen zurückgreifen, weshalb es durch den Ankauf von Privatsammlungen sowie eine intensive Bautätigkeit für die Museen versuchte, seine kulturelle Reputation in der sich steigernden europäischen Städtekonkurrenz zu erhöhen. Diese kulturpolitischen Maßnahmen zeigen die Bedeutung, die den Museen beigemessen wurde. Die Transformationen der Städte selbst mündeten wiederum in den neuen Museums­typus der Stadt- beziehungsweise Heimatmuseen, die bauliche Relikte und Zeugnisse einer veränderten Lebenswelt oft unter nostalgischen Gesichtspunkten bewahrten und unter Vernachlässigung der ästhetischen Dimension eine erzieherische Funktion einnahmen. Als außerschulischer Lernort verstand sich auch das 1899 in Brooklyn eröffnete erste Kindermuseum.

Die Museumsarbeit im 19. Jahrhundert gliederte Hanno Möbius (2006) in drei „Spannungsverhältnisse“: erstens Konflikte zwischen nationalen und internationalen Perspektiven, zweitens die ursprünglich enzyklopädische Ausrichtung vieler Sammlungen versus zunehmende Spezialisierung und drittens die Balance zwischen antiquarischer Bewahrung und gegenwartsbezogener Ausstellungspraxis.8 Die Frage, für wen die Museen agieren – die Fachwissenschaft oder bildungshungrige Laien – machte eine neue Auseinandersetzung mit dem Sammeln und Ausstellen notwendig und führte

<16|

nicht zuletzt zur Trennung der Schau- und Studiensammlungen: Depots wurden zu einer bedeutenden Raumkategorie für Museen. Gleichzeitig lässt sich mit der 1905 erfolgten Gründung der Zeitschrift Museumskunde ein Professionalisierungsschub festmachen, der den fachlichen Austausch förderte. Bemerkenswert ist die Forderung nach eigenen Ausbildungskursen für Museumsmitarbeiter – ob Frauen für die Museumsarbeit „geeignet“ seien, war noch Gegenstand von Diskussionen.

Den Anschluss an die Gegenwart zu finden, war für alle Museumssparten um die Jahrhundertwende eine dringliche Problematik. Reformer wie der Direktor der Hamburger Kunsthalle Alfred Lichtwark wollten das Museum an die Gegenwart heranführen und für breite Bevölkerungsschichten attraktiv machen. Ein prominentes Ereignis, das die wichtige Position des Museums in ideologisierten Gesellschaftsdebatten veranschaulicht, ist der Kongress für Arbeiterwohlfahrt in Mannheim, wo 1903 verlangt wurde, die Museen als Volksbildungsstätten auszurichten. Als Orte der Aufklärung ohne historischen Anspruch verstanden sich die Sozialmuseen, die im Bereich der Bildungs- und Wohlfahrtsarbeit wirkten und Öffentlichkeit für Fragen der Hygiene, des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung herstellten, allerdings den konsequenten Gegenwartsbezug im Laufe der Jahre oft nicht durchhalten konnten und veralteten: Ungewollt wurden sie zu historischen Museen.

Mit dem Ersten Weltkrieg fand dieser in Form der „Kriegssammlungen“ Eingang in die Museen – eine spezifische Form der Musealisierung der Gegenwart. Kriegspropaganda-Wanderausstellungen sollten die Moral der Daheimgebliebenen stärken und die im Feld heroisieren. Nach dem Krieg entwickelten Avantgardisten neue Methoden der Ausstellungspräsentation: Friedrich Kiesler ein spezielles „Träger und Leger“-Displaysystem, Otto Neurath eine innovative Methode der Bildstatistik, und Herbert Bayer setzte neue Maßstäbe in Ausstellungsgrafik und Raumgestaltung. Letzte­rer stellte sich sowohl in den Dienst der Nationalsozialisten, die das Medium Ausstellung perfide für die Verbreitung ihres fatalen Kultur- und Gesellschaftsbildes zu nutzen verstanden, arbeitete aber auch für das 1929 in New York gegründete Museum of Modern Art, das sich als erstes Museum ausschließlich der modernen Kunst widmete und künftig neue Maßstäbe in der internationalen Museumslandschaft setzte. In der Nachkriegszeit schickten große Häuser, wie etwa das Kunsthistorische Museum Wien, Teile ihrer Bestände auf Wanderausstellungen durch die USA, da vor Ort die zum Teil kriegsbeschädigten Museumsgebäude erst instand gesetzt werden mussten.9 Sobald wieder ausgestellt

<17|

werden konnte, wollten die europäischen Museen universelle humanistische Werte vermitteln und präsentierten Exponate entkontextualisiert als rein ästhetisches Erlebnis.

In den späten 1960er-Jahren wurde daher im Zuge der gesellschaftlichen Umbrüche die politisierte Forderung nach dem „demokratischen Museum“ laut; Philosophen wie Theodor Adorno von der Frankfurter Schule kritisierten die Leblosigkeit der Museen und die ihnen anhaftende Aura des Elitären und des Verstaubten. Die Vertreter der neuen Denkrichtung verwehrten sich gegen die institutionelle Wahrnehmung des Museumspublikums als unkritische KonsumentInnen. Um die isoliert präsentierten, aus ihrem ursprünglichen Zusammenhang gerissenen Objekte wieder verstehbar zu machen, wurden sie mittels ausführlicher Texte kontextualisiert und redimensioniert: Doch auch die nicht materiell überlieferte Geschichte – z. B. gesellschaftlicher Randgruppen – sollte erzählt werden (Beispiel: Historisches Museum Frankfurt) oder in eigenen, neuen Museumstypen wie den Frauenmuseen zum Ausdruck kommen. Das Museum sollte als „Lernort“ verstanden werden, nicht als Musentempel. Alltagsobjekte fanden vermehrt Eingang in Museumssammlungen oder eröffneten durch neue Präsentationsstrategien wie dem Musée Sentimental anstelle der bisherigen „objektiven“ Wissensdarbietung emotionale Angebote historischer Sinnbildung.

Den Versuchen, die Vergangenheit zu verstehen und sich mit historischer Schuld auseinanderzusetzen, verdanken sich in den 1980er-Jahren viele Gründungen von jüdischen Museen in Deutschland und Österreich, die zumeist auf eine Initiative der Nachkommen der Tätergeneration zurückgingen.10 Ausgehend von einer archäologischen Spurensuche im realen wie im metaphorischen Sinn, wurde erkannt, dass jüdische Museen oftmals auf keine historischen Objekte zugreifen können, da diese im Lauf des Zweiten Weltkriegs (oft gezielt) vernichtet wurden. Deshalb mussten Erzähl- und Darstellungsstrategien gefunden werden, die mit der Leerstelle arbeiteten, die beispielsweise im Jüdischen Museum Wien durch eine Hologramm-Ausstellung sinnlich erfahrbar wurde. Mit Objektfülle und Inszenierungspraktiken aus dem Theater­wesen arbeiteten dagegen die seit den 1970er-Jahren beim Publikum beliebten Großausstellungen wie Preußen – Versuch einer Bilanz (1981), Traum und Wirklichkeit. Wien 1870 – 1930 (1985), während die vom Centre George Pompidou in Paris initiierten, Städte vergleichenden Ausstellungen wie Paris – Moskau (1979) auf die globaler werdenden Kontexte des Ausstellens verwiesen. Im Berufsfeld entstand eine Trennung der Tätigkeitsbereiche der KustodInnen als SammlungsverwalterInnen und der

<18|

KuratorInnen, die gemeinsam mit ArchitektInnen Ausstellungen produzierten. Mit der Person Harald Szeemann und seiner Agentur für geistige Gastarbeit beziehungsweise dem Museum der Obsessionen (2001) war die Profession des „freien“, also institutionell unabhängigen Ausstellungsmachers erfunden,11 Frauen folgten kurze Zeit später. Diese sollte zukünftig die Praxis der Museen enorm verändern, denn es eröffnete sich ein Spannungsfeld zwischen institutionalisierten und nicht-institutionalisierten AusstellungsmacherInnen sowie eine stärkere Differenzierung zwischen jenen, die Sammlungen verwalten, und jenen, die Inhalte und Objekte anhand von Storylines in den Ausstellungsraum übersetzen. Zusätzlich gerieten die traditionell agierenden großen Museen mit ihren selektiv-deutungsmächtigen Repräsentationspraktiken der In- und Exklusion in die Kritik. Damit verbunden waren und sind Prozesse der Dekolonialisierung und der Restitution von zu Unrecht in Museumssammlungen befindlichen Objekten, die fallspezifisch diskutiert werden müssen. Es rückte ins Bewusstsein, dass Raub seit der Französischen Revolution eine gängige Praxis des Sammlungszuwachses für die modernen Museen darstellte.12 Doch wie so oft in den Geschichten der Museen bedeutete die subkutan verlaufende Krise der großen Museen, die angesichts der – sich in den Museumsdepots niederschlagenden – Explosion der Dingwelt regelmäßig auf uninventarisierte Bestände stießen und dafür kritisiert wurden, Aufwind für andere Museumsformate: Spektakuläre (postmoderne) Museumsneu- beziehungsweise -zubauten – zumeist für die Präsentation moderner Kunst – entwickelten sich zu Pars-pro-toto-Sujets ganzer Städte, wie etwa im spanischen Bilbao, wo Frank O. Gehry für die Solomon R. Guggenheim-Foundation ein Museum für zeitgenössische Kunst baute, das seit 1997 als touristischer Anziehungspunkt etliche tausend Arbeitsplätze in der Region erhält. Kritische Stimmen polemisierten gegen Gentrifizierungsmaßnahmen nach dem Guggenheim Prinzip (Hilmar Hoffmann 1999) und die Globalisierung des Museumswesens im ausgehenden 20. Jahrhundert, das in seiner vielschichtigen Komplexität der Hochkonjunktur der Museen im „langen 19. Jahrhundert“ um nichts nachsteht: „The Museum Phenomenon“ nannte Gordon Fyfe (2006) die Gründungswelle von zahlreichen Museen seit den 1970er-Jahren sowie die Bedeutungszunahme des kulturellen Feldes Museum in zahlreichen Disziplinen.13

<19|

Sharon Macdonald (2006) machte drei Punkte fest, die sich in der museologischen Forschung seit der Verabschiedung der „Old Museology“ verändert haben. Erstens verschob sich die einst als inhärent verstandene Bedeutung der Objekte hin zu einer kontextabhängigen. Zweitens wurden nun auch ökonomierelevante Fragestellungen wie Kommerzialisierung und Unterhaltung Teil der wissenschaftlichen Reflexionen des Museumswesens, was den Blick für die Strategien jenes Bereichs öffnete, den Tony Bennett, mit den Theorien Michel Foucaults arbeitend, als The Exhibitionary Complex (1988) beschrieb: Weltausstellungen, Warenhäuser mit ihren Schaufenstern, Galerien, Ausstellungen und andere Orte des Aus- und Darstellens, ohne die das moderne Museum undenkbar wäre und in denen sich sowohl eine neue Form von Öffentlichkeit herstellte als auch eine Hegemonie des Seh-Sinns ausbildete, die bis heute das Museum prägt. Drittens differenzierten sich die Methoden zur Auseinandersetzung mit den „Techniken des Betrachters“ (Jonathan Crary 1996) und zur Erforschung der Rezeption der Museen durch das Publikum: Die Soziologie entdeckte das Museum als Forschungsfeld für sich; besonders einfluss-, aufschluss- und folgenreich erwiesen sich Pierre Bourdieus Studien zum Geschmack und zur Liebe zur Kunst (2006). „Collectively, then, these three areas of emphasis demonstrate a shift to seeing the museum and the meaning of its contents not as fixed and bounded, but as contextual and contingent.”14 Diese Neuerungen waren Teil einer breiten Entwicklung in vielen kulturwissenschaftlichen Disziplinen, die in den 1980er-Jahren Grundsatzfragen an die Repräsentation stellten: Wer repräsentiert wann wen warum und wofür? Diese Prozesse leiteten den reflexive turn ein, der dazu führte, dass sich Museen nicht mehr als objektiv und außerhalb der Zeit stehend verstanden, sondern als Teil eines kulturellen Systems der Produktion von Sichtbarkeit, Wissen und Identität. Postkoloniale und feministische Kritik führte zu heftigen Debatten zu Fragen des Ausstellens und der Beteiligung beziehungsweise Teilhabe von bislang nicht repräsentierten gesellschaftlichen Gruppen an der Museumsarbeit. Die theoretischen Debatten verschränkten sich in ambitionierten Museen mit der Museumspraxis. Beide Seiten, die Museum Studies wie die Museumslandschaft, differenzierten ihre Methoden und sind lebendige, oft auch friktionsreiche Felder der Auseinandersetzung über Kultur, Bildung und Öffentlichkeit: Außer Frage steht die bedeutende Rolle der Museen in und für verschiedene Gesellschaften. Wie sie diese spielen sollen, bleibt in Theorie und Praxis ein umkämpftes Terrain.

<20|

Handbuch Ausstellungstheorie und -praxis

Подняться наверх