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Und jetzt? Kunstvermittlung als kritische Praxis, Handlungsmacht und Veränderung

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In der Auseinandersetzung mit Hierarchien in Bezug auf Sprechen, Zeigen, Handeln und den unterschiedlichen Facetten der Teilhabe kommen vertraute Verhältnisse ins Wanken. Partizipation, die über die bloße Teilnahme hinausgeht, wird ein oft zitiertes Postulat im Ausstellungsfeld. Vermehrt finden Vermittlungs- und Ausstellungsprojekte Platz, die nicht mehr nur über oder für jemanden gedacht sind, sondern mit den Beteiligten eine Veränderung der Bedingungen, der „Spielregeln“ selbst (Nora Sternfeld 2007), zulassen. Transdisziplinarität, kollaboratives Arbeiten sowie das Aushalten von Konflikten nimmt eine immer wichtigere Rolle für die Praxis ein, die nicht danach fragt, woher die AkteurInnen kommen, sondern vielmehr die Aufmerksamkeit darauf richtet, welches Verhältnis sie zueinander haben und wie sich dieses in einer offenen Form der Wissensproduktion verortet. Die Frage nach Handlungsräumen wird zentral. Das Centre for Possible Studies – ein von Janna Graham geleiteter Vermittlungsraum der Serpentine Gallery im Londoner Viertel Edgware Road – involviert die lokale Nachbarschaft in interdisziplinäre Projekte. Es geht darum, die Stadt und ihre Veränderungsprozesse zu reflektieren und aktiv an diesen teilzunehmen. Auch finden in der Vermittlungsarbeit vermehrt künstlerische Strategien in kunstfernen Feldern ihre Anwendung. So zum Beispiel in dem von 2009 – 2011 durchgeführten Projekt von trafo.K „Und was hat das mit mir zu tun?“ Transnationale Geschichtsbilder zur NS-Vergangenheit, das in den Kontexten Vermittlung, Schule, Sozialwissenschaften, Geschichtspolitik und Forschung agierte.

Was tun?, eines der drei thematischen Leitmotive der documenta 12, erhob 2007 die Bedeutung von Kunstvermittlung für Bildung schließlich in den Stand einer kuratorischen Fragestellung (Carmen Mörsch 2009). Damit erhielt die Vermittlung eine deutliche Aufwertung. Erstmals gab es eine wissenschaftliche Begleitung der Kunstvermittlung. Es wurde auch ein Beirat aus BewohnerInnen Kassels eingerichtet, der das Großereignis an lokale AkteurInnen und Themen anbinden sollte. Die anlässlich der Vermittlungsarbeit publizierten Forschungsbände geben Einblick in die vielen Facetten und Erfahrungen, die sich mit Handlungsräumen einer kritischen Praxis und deren künstlerischen, performativen, politischen, aktivistischen und theoretischen Ansätzen auseinandersetzen. Die vier von Carmen Mörsch benannten Zugänge einer affirmativen, reproduktiven, dekonstruktiven und transformativen Vermittlung bieten eine wichtige Orientierung für die Reflexionsarbeit im Feld. Das aktuelle Modellprojekt Kunstvermittlung in Transformation vom Institute for Art Education legt einen Schwerpunkt auf eine „systematische Begleitforschung“, mit der eine Qualitätssteigerung in der Praxis erwirkt werden

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soll. Die Kunstvermittlung selbst wird zugleich Gegenstand und Handlungsfeld der Forschung.50

Museen und Ausstellungen werden als Orte der Wissensproduktion und der Bildung neu gedacht. Partizipation, gemeint als die tatsächliche Bereitschaft, Strukturen aufzubrechen und Definitionsmacht und Ressourcen abzugeben, erfordert die Transformation der Institutionen und damit der Bedingungen für Wissensproduktion selbst. Irit Rogoff spricht in diesem Zusammenhang von einem „educational turn in ­curating“ (2011). Sie schlägt einen Perspektivenwechsel in Bezug auf die herkömmlichen Logiken der Wissensproduktion vor. Die Vermittlung nimmt unter diesem Aspekt einen völlig neuen Stellenwert ein. Die Verhandlung darüber, wer Wissen produziert und welche Bildungsentwürfe realisiert werden, waren auch virulente Fragestellungen in der von schnittpunkt initiierten Veranstaltungsreihe educational turn in Wien (2010/11). In der Ausstellung Utopie und Alltäglichkeit. Zwischen Kunst und Pädagogik (2009) von microsillons in Genf wurden die Bildungsprozesse an der Schnittstelle von Kunst, Bildung und Erziehung selbst zum Ausstellungsgegenstand.

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Abb 2 „Und was hat das mit mir zu tun?“ Transnationale Geschichtsbilder zur NS-Vergangenheit, Wien, 2009 – 2011, Büro trafo.K, Ein Projekt durchgeführt im Rahmen des Förderprogramms Sparkling Science, gefördert vom Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung.

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Abb 3 Utopie und Alltäglichkeit. Zwischen Kunst und Pädagogik, Centre d’ Art Contemporain Genève, 27.11.2009 – 14.2.2010.

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