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3. Kapitel: Der Weg zur Institutionalisierung Christliche Gemeindekonzeptionen im Rahmen gesellschaftlicher Vorgaben

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Auch Christen können sich soziologischen Gesetzmäßigkeiten nicht entziehen. Wenn sich eine Gruppe über längere Zeit hinweg regelmäßig trifft – mag sie noch so klein sein, noch so offen und flexibel –, werden Rollenfixierungen und Gruppenstrukturen entstehen. Auch Christen können nicht einfach die Gesellschaft verlassen und im traditions- und kulturlosen Raum Kommunitäten mit selbst kreierten Elementen konstruieren. Aber Christen können auf gesellschaftliche Vorgaben reagieren und in der Perspektive ihrer eigenen Optionen die Akzente anders setzen. Das ist geschehen.

Die ersten Christen trafen sich in Privathäusern. Ganz unabhängig davon, ob sie als Gäste an die Tür klopften (Q-Gruppe) oder eine eigenständige Hausgruppe bildeten (Siebenerkreis; paulinische Gemeinden), stets traten sie in einen Raum ein, der durch bestimmte Sozialstrukturen geprägt war. Das antike Haus (οἶκος/familia), zu dem außer den verschiedenen Generationen der engeren Familie eventuell auch Verwandte, auf jeden Fall aber Sklaven gehörten, war eine streng patriarchalisch geführte Wirtschaftseinheit mit dem pater familias, dem jeweils ältesten männlichen Familienmitglied, an der Spitze. Er bildete den Kardinalpunkt im „Haus“, auf den alle sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Linien zuliefen. Er vertrat das Haus nach außen (Repräsentation) und hatte alle Verfügungsgewalt nach innen (Jurisdiktion). Er verwaltete den Besitz und verteilte die Aufgaben (Ökonomie). Der Frau war er Gatte, den Kindern Vater und Lehrer, den Sklaven Herr. Durch diese sozialen Vorgaben lösten sich in christlichen Hausgemeinden die ersten organisatorischen Fragen wie von selbst: Es war der jeweilige pater familias, der zum Mahl einlud, die Liegeplätze im Triklinium verteilte, für Verpflegung sorgte (Symposium) bzw. das Mitgebrachte auftischen ließ (Eranos), das Gespräch moderierte und Streitigkeiten zu schlichten versuchte. Zugleich war mit dieser Rollenvorgabe die Startposition für den späteren Monepiskopos gegeben, der die Gesamtgemeinde vor Ort, also mehrere Hausgemeinden, wie sein „Haus“ betrachtete, sich für Ordnung und Lehre zuständig sah (Pastoralbriefe) und schließlich auch die Gelder verwaltete und verteilte, wie es die syrische Didaskalia im 3. Jahrhundert propagiert. Keine Frage: Das antike Haus bot Gestaltungschancen, die unterschiedlich genutzt werden konnten und im Blick auf die jeweilige Situation zu würdigen sind.

Folgende Grundmodelle lassen sich unterscheiden: (1) Paulus versteht die Hausgemeinden einer Stadt als έκκλησία. Im griechischen Kulturraum ist damit die Vollversammlung der freien Bürger einer Stadt gemeint, also das Basisorgan einer demokratischen Selbstverwaltung, wie sie in der Kaiserzeit allerdings höchstens noch in den Vereinen praktiziert werden konnte. Ihre prägenden Kennzeichen sind nach Herodot (III 81,6): Gleichheit vor dem Gesetz, Ämtervergabe durch das Los, Rechenschaftspflicht der Amtsträger, gemeinsame Abstimmung über die Beschlüsse. In den paulinischen Gemeinden wurden diese Rechte allerdings nicht nur von den Vollbürgern männlichen Geschlechts wahrgenommen, sondern auch von den Frauen und den Sklaven. Entsprechend dem Tauflied von Gal 3,28 (vgl. 1 Kor 12,13) sind sie alle gleichberechtigte Vollbürger der Ekklesia Gottes. Sie trafen sich nicht nur in den Häusern unter prinzipiell paritätischen Bedingungen, sondern regelmäßig auch zu Vollversammlungen (vgl. Röm 16,23; 1 Kor 14,23), in denen Frauen gleiches Rederecht zustand (vgl. 1 Kor 11,5; dagegen ist 1 Kor 14,34–36 eine nachpaulinische Interpolation; vgl. 1 Tim 2,11f.). In den paulinischen Briefen ist von Abstimmungen und Mehrheiten die Rede (vgl. 2 Kor 2,5–11; 8,19). Jede und jeder, der Jesus als Herrn bekennt (vgl. 1 Kor 12,3) und damit Vollbürger der Ekklesia Gottes ist, hat ein Amt, bei Paulus Charisma genannt. Je nach Bedarf wird es konkretisiert, ausdifferenziert und mit funktionalen Begriffen benannt (vgl. 1 Kor 12,4–11). Leitgedanken sind für Paulus die organische Kooperation (Leibmetaphorik) sowie die konstruktive Entwicklung (Hausbaumetaphorik). Nur in einem Punkt kneift Paulus: Wenn die Gemeinde von ihm selbst Rechenschaftspflicht fordert (vgl. 1 Kor 2,15; 4,3), dann beansprucht er doch eine pneumatisch begründete Immunität (1 Kor 2,15f.). Auch wenn unter Hausgemeinden Streitigkeiten ausbrechen (vgl. 1 Kor 1,10–12) bzw. einzelne Gruppen sich in den Vordergrund spielen (Glossolalie; vgl. 1 Kor 14), stößt für Paulus die demokratische Selbstverwaltung an ihre Grenzen. Dann spielt Paulus seine „Vaterschaft“ (1 Kor 4,14) aus bzw. blendet bereits etablierte Amtsstrukturen ein (1 Kor 12,28).

(2) Die zweite Variante trägt einen aristokratischen Grundzug: Die einzelnen Hausgemeinden einer Stadt werden durch ein kollegiales Leitungsgremium koordiniert. Damit wird auf das städtische Organ der βουλή (Rat) bzw. γεϱουσία (Ältestenrat) zurückgegriffen, ein Modell, wie es auch von den Synagogalgemeinden der Diaspora praktiziert wurde. Der Siebenerkreis in Jerusalem (Apg 6,5) und das Fünfergremium in Antiochien (Apg 13,1) waren solche Organe. In der Apostelgeschichte, im ersten Petrusbrief und im Jakobusbrief werden die Kollegiumsmitglieder „Presbyter“ (Älteste) genannt.

Dieses in den städtischen Kommunen erprobte und von den jüdischen Synagogalgemeinden adaptierte Modell hat auch die paulinischen Gemeinden erfasst. Denn die Pastoralbriefe, knapp zwei Generationen nach Paulus um 100 n. Chr. geschrieben, setzen Presbyterkollegien voraus. Doch (3) den Paulusenkeln schwebte ein folgenschwerer Umbau vor. Ihre Vision war die Ekklesia als Haus (vgl. 1 Tim 3,15). Damit ist schon alles gesagt. Im Blick auf den künftigen Hausvorstand, „Gottes Ökonom“ (Tit 1,7), der in diesem Konzept die Bezeichnung Episkopos trägt, werden die entsprechenden Schritte vorsichtig eingeleitet: Aus dem Kollegium der Presbyter soll ein Einziger – parallel zum pater familias – die Leitungsfunktion übernehmen. Vehement werden die Frauen, denen in den paulinischen Gemeinden eine gleichberechtigte Rolle zukam, aus der Öffentlichkeit der Gemeinde, wo sie in der Lehre oder unter dem Ehrennamen „Witwen“ diakonisch tätig waren, ins Privathaus unter die Obhut eines Hausherrn verwiesen bzw. dem Gebet verpflichtet (1 Tim 2,9–15; 5,3–8). In doppelter Weise scheinen die angezielten Veränderungen von außen motiviert zu sein: Einerseits soll den – im Brief nur vage erkennbaren – Irrlehrern (vgl. 1 Tim 1,3f.; 4,1–5; 2 Tim 3,6–9) durch die Zentrierung auf eine straffe Führung begegnet werden; andererseits ist sicher eine Anpassung an die von patriarchalischen Mustern dominierte römische Gesellschaft angestrebt – mit dem Fernziel einer Integration (vgl. 1 Tim 2,2; 3,7). Im Gegensatz zu den jüdischen Synagogalgemeinden hatten die christlichen Gemeinden nicht den Rechtstatus eines Vereins. Die Pastoralbriefe formieren die immer größer werdenden Gemeinden als „Haus“, dessen Führungsstrukturen den römischen Mainstreamvorstellungen bestens entsprachen.

Zwei Punkte sind auffällig: Bei den diversen institutionellen Bewegungen zwischen Haus und Stadt, Verein und Gerusie wurde eine wichtige städtische Institution ausgeblendet: der Kult. Obwohl die Priester im Judentum eine geachtete Schicht waren und im paganen Raum priesterliche Ämter erstrebenswerte Positionen darstellten, verzichteten urchristliche Gemeinden ausgerechnet auf diese Funktion. Entweder werden alle Christen metaphorisch Priester (ἱεϱεύς) genannt, gemäß dem Modell des priesterlichen Gottesvolkes in Ex 19,6 (vgl. 1 Petr 2,9; Offb 1,6), oder es gibt überhaupt nur einen einzigen Hohenpriester: Christus (Hebr). Auf Erden sehen die urchristlichen Verfassungen keine speziellen kultischen Vermittler zwischen Gott und Menschen vor. Auch wenn die Jerusalemer Jesusanhänger Tempelfrömmigkeit praktizieren, die Epigonen des Stephanuskreises sich selbst als (neuen) Tempel verstehen und in Jesu Tod das einzig wirksame Opfer aller Zeiten sehen (vgl. Röm 3,24f.), auch wenn nach dem Hebräerbrief Christus als Hoherpriester im Himmel fungiert, auf Erden kennen christliche Gruppierungen, welcher Couleur auch immer, weder einen eigenen Opferkult, noch einen Tempel, noch Priester. Die einzige überlieferte Schrift, die im Entstehungszeitraum der neutestamentlichen Schriften die Strukturen einer christlichen Gemeinde durch Rekurs auf die alttestamentliche Kultordnung zu stabilisieren versucht, ist nicht in den Kanon aufgenommen worden: der erste Clemensbrief (96 n. Chr.).

Interne Amtskritik ist in den neutestamentlichen Schriften durch Verweigerung gekennzeichnet. Termini, die mit der Ausübung von Amtsgewalt zu tun haben, also die Bezeichnungen für örtliche Exekutivorgane und insbesondere der römischen Magistrate (ἂϱχοντες/magistrati), kommen für christliche Funktionäre nicht in Frage. Ganz im Gegensatz zu den Vereinen, wo es gang und gäbe war, Funktionäre mit den entsprechenden Aufgaben etwa als curator (Staatskommissar für die städtischen Finanzen) oder als quaestor (unterste Stufe des cursus honorum, der römischen Ämterlaufbahn) zu bezeichnen. Die christlichen Gemeinden schöpften aus anderen Pools: der Verwaltung (ἐπίσκοπος unspezifisch für Inspektor; πϱοϊςτάμενος für Vorstand), der Dienstleistung (διάκονος = [Tisch]diener), dem Bildungswesen (διδάσκαλος = Lehrer), der Diplomatie (ἀπóςτολος = Gesandter), der Politik (πϱεςβύτεϱος = Ältester eines städtischen Ratsgremiums) und der Charismatik (πϱοϕήτης = Prophet). Paulus kann ganz nüchtern einfach von denen sprechen, „die sich abmühen“ (1 Kor 16,16; 1 Thess 5,12). Oder er greift kreativ das Lokalkolorit auf, wenn er z.B. im Milieu der Hafenstadt Korinth vom Charisma der Steuermannskunst ( 1 Kor 12,28) spricht.

Es liegen auch bewusste Gegenkonzepte vor: Das Markusevangelium (um 70 n. Chr.) z.B. versammelt zwar die neue familia dei im Haus, spart aber die juristische Achsenfigur des pater familias bewusst aus. Natürlich gibt es im Gemeindehaus nach Markus auch biologische Väter, aber in der christlichen Gemeinde fungieren sie in der Rolle von Brüdern neben Schwestern und Müttern (vgl. Mk 3,31–35; 10,29f.). Anders gesagt: Der Übertritt in die christliche Gemeinde ist nach der idealen Vorstellung des Markusevangeliums dadurch geprägt, dass die Hausväter bereit sind, auf ihre konventionelle Herrschaftsrolle zu verzichten. Unverblümt polemisiert das Matthäusevangelium (um 80 n. Chr.) gegen Ehrenbezeichnungen wie „Rabbi“ (für Lehrer), „Abba“ (für Respektspersonen) oder „Kategetes“ (unspezifisch für Leiter bzw. Führer). Wohlgemerkt: Die Funktionen sollen wahrgenommen werden; was Matthäus kritisiert, ist die Honorierung durch entsprechendes gesellschaftliches Prestige. Kennzeichen der christlichen Gemeinde ist für Matthäus, dass gerade dieses „natürliche“ Wechselspiel durchbrochen wird (vgl. Mt 23,8–12).

Dieser Spagat, konventionelle institutionelle Modelle zu übernehmen und doch anders sein zu wollen, ist für viele Theologen des Urchristentums typisch. Sie verstanden die christlichen Gruppen als „Haus“ – aber ohne Vater, als Ekklesia –, aber mit Frauen und Sklaven; sie etablierten eine Boulé mit Presbytern –, aber keine Exekutive. Paulus gehört in diese Reihe genauso wie die über eine Generation später schreibenden Evangelisten Markus und Matthäus, die möglicherweise bereits auf gegenläufige Tendenzen reagieren. Ihre Konzeptionen können als Versuch gewertet werden, tatsächlich das Volk als Souverän der Gottesherrschaft zu etablieren und eine Gemeinde mit egalitären Strukturen zu schaffen bzw. immer wieder einzufordern. Damit handelten sie sich all jene Probleme ein, die sich fast zwangsläufig ergeben, wenn die straffe Hand fehlt. Wohl vor allem aus diesem einfachen organisatorischen Grund haben sich auch in den christlichen Gemeinden auf lange Sicht die gesellschaftlich etablierten Modelle durchgesetzt, die die stabilisierenden Elemente in den Vordergrund stellten, wie es in den Pastoralbriefen erstmals der Fall ist. Zu ihrem Erfolg trug – bei allem innerchristlichen Widerstand – nicht nur die Trägheit der Masse bei, sondern auch die Option, das christliche Gottesvolk in die Strukturen der römischen Gesellschaft zu integrieren und anschlussfähig zu machen. Die zentrale Gestalt hieß Episkopos. Die unterschiedlichen Bereiche dieser Entwicklung seien in paradigmatischen Tendenzen genannt.

Ökumenische Kirchengeschichte

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