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Subjektverbergung in der Theologie

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Ein weiteres wichtiges Merkmal unterscheidet die Generationen: Der dritten Generation, sofern sie sich der Auseinandersetzung mit ihrem theologischen Erbe ehrlich stellt, ist die Subjektverbergung in der Theologie zunehmend suspekt geworden.4 Die Gründerväter und -mütter der „Theologie nach Auschwitz“ haben sich, dem Brauch traditioneller Theologie folgend, einer kulturellen und familiengeschichtlichen Verortung weitgehend entzogen. Das implizite „wir“ oder „ich“ im Text blieb verborgen. Sich diesem Gebot der Subjektverbergung in der wissenschaftlichen Theologie in Deutschland zu widersetzen ist nicht einfach. Und dennoch bricht langsam die Erkenntnis durch, dass ein theologischer Entwurf, der vorgibt, für alle zu sprechen, ohne zwischen Opfer- und Täterperspektiven zu unterscheiden, letztlich einer Hermeneutik verpflichtet bleibt, die auf eine theologische Sinngebung von Auschwitz hinausläuft.5

Entwürfe, denen der Geschmack einer theologischen Sinngebung anhaftet, sind insbesondere für diejenigen in der dritten Generation schwer verdaulich, die sich den Zeugnissen der Opfer intensiv ausgesetzt haben oder mit Überlebenden in einen lebendigen Kontakt getreten sind. Ähnliches trifft auf meine eigene Erfahrung zu. Je bewusster ich mich in den bisher 17 Jahren meines USA-Aufenthalts mit jüdischen Überlebenden und deren Nachkommen wie auch mit der jüdischen Kultur im Allgemeinen auseinander bzw. in Beziehung gesetzt habe, desto mehr hat die christliche Theologie, auch die „Theologie nach Auschwitz“, an Relevanz verloren. Konjunktivisch und imperativisch im Duktus, scheint sie mir weitgehend realitätsfern.

Kurz vor der Jahrtausendwende begann ich, nach langjähriger Pause, wieder deutschsprachige „Theologien nach Auschwitz“ zu lesen, diesmal weniger aus einem binnentheologischen Interesse heraus als vielmehr mit einem kulturkritischen Blick. In einem ersten Versuch der Annäherung fragte ich, warum mich viele der theologischen Entwürfe, die sich mit der deutschen Vergangenheit beschäftigen, in den Zustand unbezwingbarer Schläfrigkeit versetzen (vgl. Krondorfer 2000a). Haben sich meine Forschungsinteressen zu weit von theologischer Sprache entfernt, oder liegt es an der fehlenden Relevanz theologischer Fragestellungen?

Bei der Suche nach Antworten fiel mir auf, wie sehr eine nicht-thematisierte Positionierung der theologischen Autoren mit dem Verlust einer Differenzierung zwischen Opfer- und Täterperspektiven einhergeht. Da die eigene Identität – bzw. ein Aufzeichnen der Bemühungen um eine Identitätsbestimmung – nicht reflektiert wird, bleiben Identifikationen ungenau. Wenn sich deutsche Nachkriegstheologen und -theologinnen mit den Opfern politisch solidarisieren, bedeutet dies, dass sie sich mit ihnen auch emotional identifizieren? Warum sprechen sie ausschließlich als christliche Theologen mit einem universalen Anspruch, aber nicht als deutsche Theologen mit einem kontextspezifischen Bewusstsein? Wenn zum Beispiel nachkriegsdeutsche Theologen auf Zeugnisse von jüdischen Opfern zurückgreifen und sich auf ihre Seite stellen, für wen sprechen sie: für die Opfer und deren Nachkommen, oder für die Erfahrungswelt ihrer eigenen Generation? Verhindert die Identifizierung mit den Opfern Anfragen an die eigene familiengeschichtliche Herkunft? Wird dadurch die Generation der Täter geschützt? Es ist, als ob die deutschsprachige christliche Theologie nach der Shoah, indem sie sich in die Nähe der Erfahrungen jüdischer Opfer rückt und die Dokumente der Täter ausblendet, unbewusst ihre Unschuld proklamieren möchte.

In diesem Beitrag geht es mir darum, auf die Wichtigkeit einer bewussten und kritischen Positionierung theologischer Diskurse in Deutschland nach der Shoah hinzuweisen. Im Zentrum steht hier nicht so sehr die Kritik an der vorangegangenen Generation, als vielmehr die Beschreibung einer Notwendigkeit für die dritte. Es lässt sich zum Beispiel fragen, inwieweit die Subjektverbergung in der wissenschaftlichen Theologie in Deutschland, die bereits als Reaktion auf die Shoah gedeutet werden kann – nämlich als Verbergung möglicher Kontinuitäten zwischen der nationalsozialistischen und nachkriegsdeutschen Zeit in Kirche und Theologie – auf die dritte und vierte Generation übertragen worden ist. Haben wir uns dieses Gebot bereits zu eigen gemacht? Festigen wir damit bestimmte Auslassungen und blinde Flecken in der theologischen Aufarbeitung der Vergangenheit, indem wir zum Beispiel in unseren Überlegungen zur gegenwärtigen Erinnerungskultur allgemein von den Nachkommen reden, ohne zwischen Kindern und Enkeln aus jüdischen Überlebendenfamilien und aus deutschen Mitläufer- oder Täterfamilien zu unterscheiden? Ich denke, eine Undifferenziertheit in diesen Fragen dient dazu, unsere Familien, sozialen Netzwerke und letztlich uns selbst zu schützen. Aber ist denn theologische Rede im Angesicht der Shoah überhaupt sinnvoll, wenn wir unsere Herkunft nicht benennen können?

Von Gott reden im Land der Täter

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