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Nüchterner Epilog über einen bleibenden Stachel

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Unbeschadet der im Vorausgehenden skizzierten Verständigungskraft der selbstbewusstseinstheoretisch justierten Reflexion von Religion versteht sich das vorgestellte Konzept nicht nur nicht von selbst; vielmehr sieht es sich einer fundamentalen philosophischen Alternative konfrontiert. Diese lässt sich am einfachsten vorerst mit dem Etikett „Naturalismus“ markieren.

Wie erläutert, findet sich bewusstes Leben bereits innerhalb des Gewahrens seiner selbst vor einem Dunkel hinsichtlich seiner Herkunft, Identität und Bestimmung.52 Die im Alltag so selbstverständliche Welt durchherrscht solchermaßen ein Grundzug von Unzugänglichkeit. Eine der Weisen, Letztere aufzulösen, ist im Vorausgehenden erläutert worden. Eine ganz andere Weise besteht darin, die Welt als ganze einschließlich des Wissens um sie – also des Bewusstseinsphänomens – als materiellen Prozess zu begreifen. Dabei darf man sich vom vorderhand wissenschaftlichen Profil einschlägiger Naturalisierungsstrategien nicht täuschen lassen: Auch beim Materialismus handelt es sich um Welt-Interpretation, nicht um Erkenntnisse über die Welt.53 Auch er sucht die Einheit seiner Weltbeschreibung im Übersteigen der natürlichen Welt zu gewinnen und erweist sich eben darin als ein Pendant der Metaphysik – nur eben in entgegengesetzter Absicht: In naturalistischen Konzeptionen soll Selbstbewusstsein aufgrund der sich ihm aus seiner eigenen Verfassung aufdrängenden Fragen als Epiphänomen nicht-subjektiver Wirklichkeiten entzaubert und für das Begreifen der Wirklichkeit als ganzer irrelevant erklärt werden:

„Der Naturalismus sieht bewußtes Leben als ein in hohem Maße unwahrscheinliches transitorisches Phänomen im materiellen Weltall, das nur in einer Randstellung im Kosmos aufkommen kann. Er fordert zu einer Weisheit der Resignation von allen Selbstdeutungen auf, die dem Leben eine letzte Bedeutung geben wollen und auf die zu verzichten ihm immer schwer sein wird. Nur aus einer solchen Resignation kann die Kraft kommen, das Wissen von der kosmischen Bedeutungslosigkeit unseres Lebens ohne selbstzerstörerische Konsequenzen zu erhalten.“54

Das freilich bedeutet: Der Materialismus betreibt die von ihm forcierte Eliminierung der Subjekt-Wirklichkeit nicht auf dem epistemischen Plateau der Wissenschaft im Sinn |103|des Ausweisbaren, sondern mit Bezug auf einen philosophischen Weltbegriff und muss dabei die Wirklichkeit des Materiellen voraussetzen. Er geht also keineswegs von einer Wirklichkeit aus, die aus sich verständlich wäre: Dass es nur Materielles gibt, lässt sich mit materialistischem Instrumentar nicht ausweisen. Folglich überschreiten die Programme naturalistischer Selbstverständigung das Ausweisbare genauso wie metaphysische Konzeptionen und können darum die Möglichkeit Letzterer nicht apriori dementieren55 – was freilich nicht bedeutet, jede beliebige Metaphysik oder etwa auch eine Rückkehr zu Konzepten, die vor der modernen Weltbeschreibung aufgekommen sind, vermöchten dem Naturalismus-Druck standzuhalten. Dies lässt sich nur von einem Denken erwarten, das in Verpflichtung auf die neuzeitliche Metaphysik-Kritik die moderne Weise der Welt- und Selbsterfahrung mit ihrem Kerngedanken der Autonomie affirmativ umgreift und dadurch weitet bzw. in den Zusammenhang eines größeren Ganzen zurückstellt: Genau dies geschieht, wenn – wie vorausgehend durchgearbeitet – das Aufkommen von Religion als Weise von bis zu seinen Wurzeln vordringender Selbstverständigung bewussten Lebens begriffen wird. Insofern einer solchen Denkform

„[…] der Ordnungsgrund der Welt in jedem Einzelnen und zumal im bewußten Leben gegenwärtig ist, kommmt (sic! K.M.) ihr zufolge jedem bewußtem Leben auch eine absolute Bedeutung zu. Durch die Hinfälligkeit und Zufälligkeit dieses Lebens in seiner Randstellung wird sie nicht dementiert. Gerade im transitorischen Jetzt (und Hier) lässt sie sich ganz verwirklichen und ist dabei von einem Absoluten ermöglicht und geborgen.“56

Wie dieses Ermöglichtsein von und Geborgenwerden der singulär-marginalen Subjekt-Person in einem Absoluten näherhin zu denken ist – die Kernfrage einer philosophischen Theologie nach dem Ende der klassischen Metaphysik schlechthin! – bedarf allem voran des Austrags im Disput mit theologischen Konzeptionen, die sich den neuzeitlichen Freiheitsbegriff zum Kriterium geben57, weil dabei nochmals angeschärft die interne Monismus-Drift einer selbstbewusstseinstheoretisch ansetzenden Metaphysik und Religionsphilosophie zum Thema wird.

Jedenfalls handelt es sich dabei um einen Stil von Theologie, der philosophisch die Gottesfrage bis in ihre nicht nochmals hintergehbaren Wurzeln in der Selbstverständigung bewussten Lebens zurückverfolgt und zugleich bekennt, dass es sich bei ihrer Denkbewegung nicht um einen Nachvollzug des Absoluten, sondern um eine Konstruktion handelt, welcher gegen jeden Anschein von Willkür eine Notwendigkeit eignet: nämlich diejenige, um der Selbstverständigung bewussten Lebens willen die auf natürliche Weise letztlich unvermittelbare Diskrepanz der Selbstdeutungen von Selbstbewusstsein |104|übergreifend aufheben zu können.58 „Konstruktion“ meint dabei: Expliziert wird lediglich ein Gedanke von Gott bzw. dem Absoluten ohne Anspruch auf ein Wissen, ob und inwiefern diesem Gedanken eine Wirklichkeit entspricht; gleichwohl dürfen sich Überlegungen anschließen, „von woher diese Frage erwogen und beantwortet werden mag.“59 Die Ressourcen der All-Einheitstraditionen schienen mir dafür eine ausgezeichnete Adresse zu sein. Mehr kann eine philosophisch über ihre Grenzen verständigte Vernunft theologisch nicht wollen, weniger darf sie nicht wollen.

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