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|99|Spekulative Folgegedanken

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Die eben entwickelten Überlegungen zur Christologie bewegen sich im Horizont eines subjekttheoretisch gewonnenen Gottesgedankens, der kraft dieser Herkunft von vornherein mit dem Problem einer Theologie der Religionen zusammengeschlossen ist. Die Auffassung von Religion als fundamental alternative Weise einer Vermittlung der beiden für die Selbstbeschreibung von Subjektivität charakteristischen Dimensionen setzt aus sich selbst ein religionstheologisches Kriterium frei: die Erfüllung ebenjener Vermittlungsfunktion. Christologie lässt sich – wie gerade skizziert – als der geglückte Fall solcher Vermittlung par excellence verstehen. Dieser Anspruch nimmt sich trotz der möglichen christologischen Ableitungen nachgerade als kontra-intuitiv aus: Die christologische Konzentration auf die Einzelheit ist ja ohne Zweifel vollständig derjenigen Interpretation des Verhältnisses von Einzelheit und Einmaligkeit verpflichtet, die sich gegen die monistische Lösung in einem Monotheismus vollendet. Mit welchem Recht aber vermag sie dann noch den Anspruch zu erheben, wirkliche Vermittlung, gar Vermittlung beider Dimensionen schlechthin zu repräsentieren? Dieses Recht hängt gänzlich an einer Modifizierung, besser: komplementären Erweiterung der bislang nachgezeichneten christologischen Systematik, welche die im Einzelnen sich bekundende Einmaligkeit als diese selbst und ihrem ureigenen Wesen gemäß – also als absolut unverfügbare – zur Geltung kommen lässt. Dass eine solche Erweiterung in der traditionellen Christologie tatsächlich immer schon geschieht, lässt sich nochmals mit dem von Anfang an herangezogenen subjekttheoretischen Instrumentar nicht nur aufweisen, sondern ineins damit auch begründen.

Die spezifische, von der Doppelung in der Selbstbeschreibung selbstbewusster Subjektivität bestimmte Weise des Hervorgangs von Gottesgedanken lässt kraft des ihm zugrundliegenden Antagonismus (von Einmaligkeit und Einzelheit) jede der durch sie gesteuerten Selbstdeutungen immer auch um ihre Alternative wissen – das gehört zur Selbstbewusstheit der Selbstzuschreibung. Weil solches Wissen in einer Selbstbeschreibung um den unhintergehbar legitimen Anspruch der Alternative weiß, muss die Selbstbeschreibung um ihrer eigenen Konsistenz willen innerhalb ihrer selbst diesem Anspruch Geltung verschaffen: Henrich hat darauf hingewiesen, dass monistische Religionen der Unabweisbarkeit des Gedankens vom Einzelnen Tribut zollen, so der Buddhismus vor allem in seiner Mahayana-Version, der Hinduismus durch polytheistische Elemente. Monotheistische Religionen müssen dem Gedanken der Einmaligkeit sein Recht einräumen und tun dies hauptsächlich in den Formen der Mystik. Insofern kann gar nicht verwundern, dass authentische Mystik so sehr und gerade auch Gott gegenüber den Ich-Pol heraushebt. Sie tut dies aber einzig, um über den Ich-Pol gleichsam ein Medium zu konstituieren, in dem das Gegenüber von Gott und Mensch zur unio gelangt – gleich, als ob das menschliche Ich ins Göttliche eintaucht oder umgekehrt, oder beides im Wechsel oder gleichzeitig. Sofern sich Mystik ebendeshalb häufig in poetisch-paradoxen (aber deswegen nicht unkontrollierten!) Abweichungen von der eher rational, diskursiv verfassten Lehrbildung religiöser Traditionen artikuliert, kann nicht |100|überraschen, dass Mystiker häufiger in ein Spannungsverhältnis zu den amtlichen Instanzen der Tradition geraten, der sie zugehören. „Gelöst“ wird die Spannung christlicherseits theologisch weniger durch direkte Abwehr als durch Ausgrenzung des Mystischen mittels einer religionstheologischen Schematisierung, welche die Mystik dem Prophetischen der monotheistischen Religionen gegenüberstellt und so zum Wesensmerkmal nicht-monotheistischer Religionen erklärt. Ungleich folgenreicher geschieht solche Ausgrenzung aber dadurch, dass eine systematische Auseinandersetzung mit den geistlich-mystischen Traditionen in den derzeitigen Studiengängen der Theologie nicht vorgesehen ist. Dennoch setzt sich das eigentliche Anliegen der Mystik auch innerhalb der christlichen Lehrsystematik durch, weil es gemäß der Logik der Religionen qua Selbstdeutungen von Subjektivität gar nicht ganz ausfallen kann. Meines Wissens hat als Erster Henrich darauf hingewiesen, dass innerhalb der christlichen Dogmatik die Trinitätslehre diese Funktion einer sozusagen institutionalisierten oder diskursivierten Mystik erfüllt.47 Damit fällt dem Trinitätstraktat also nicht die Aufgabe zu, den Gedanken der Personalität zu vollenden, sondern denjenigen der Subjektivität in den monotheistischen Gottesgedanken und in seinem Gefolge notwendigerweise auch in die Christologie zu integrieren. Daraus erklärt sich auch, warum die Metaphern zur theologischen Beschreibung der Erfahrung des Geistes in ihrer überwältigenden Mehrheit nicht-personalen Charakters sind. Jürgen Moltmann etwa nennt neben den personalen Metaphern „Herr-Mutter-Richter“ die formativen Metaphern „Energie-Raum-Gestalt“, die Bewegungsmetaphern „Sturmwind-Feuer-Liebe“ und die mystischen „Licht-Wasser-Fruchtbarkeit“.48 Erst Geist ist

„[…] die logische Struktur des Jetzt-im-Andernsein-bei-sich-selber-sein, die im Christusgeschehen ihren Grund und Ursprung hat.“49

Durch 2 Kor 3,17a kommt die Christologie intuitiv auf denjenigen Begriff, den sie gewinnen muss, soll sie die ihr religionstheologisch angesonnene Funktion erfüllen können:

„Der Herr aber ist der Geist“50.

An der mystischen Unmittelbarkeit dieser Identifikation hängt dabei nicht nur die Konsistenz der Christologie selbst, sondern nicht weniger die Wirklichkeit der Nachfolge |101|und die Wirksamkeit der Sakramente. Anders gewendet: Einzig in ihr gründet die Wahrheit der mit „basileia“ umschriebenen Versöhnung von Gott und Mensch, die sich existentiell nicht anders äußert als darin, dass der Mensch er selbst sein (und es mit sich und mit den anderen aushalten) kann. Darum findet die paulinische Identitätsformel ihren Abschluss in der Emphase:

„und wo der Geist des Herrn wirkt, da ist Freiheit.“51

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