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Konsequenz: All-Einheit

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Unschwer erkennbar dünkt mich, dass über diesen selbstbewusstseinstheoretischen Angang eine ausgesprochen lösungsträchtige, weil klassische Aporien entwirrende Form von Gottdenken inklusive der Einlösung seiner ontological commitments gewinnbar ist: In der Instanz ihres eigenen Wirklichkeitsbewusstseins muss sich selbstbewusste Subjektivität, weil sie nicht über das eigene Auftreten verfügt, den notwendigen Gedanken des sie tragenden Grundes als von Wirklichkeit gedeckten voraussetzen. Und sie muss das so tun, dass ihr dieser wirkliche Grund unverfüglich als Grund in ihr selbst epistemisch zugänglich wird, wenngleich ontologisch gesehen dieses In-Sein gar kein anderes als ein In-Sein des Endlichen im Unendlichen sein kann. So bahnt sich der Überstieg in eine untrennbar epistemisch und ontologisch neue Dimension an: Die beschriebene enge Verschränkung von Gründendem und Begründetem führt aus sich zu einem im strengen Sinn spekulativen Begriff von Selbstbewusstsein als einem

|85|„Sich im Anderen seiner selbst als sich selbst wissen.“6

Ebendieser Begriff aber kann nur auf dem Boden des Gedankens der All-Einheit ausgebildet werden. Henrich selbst geht auf diesen Gedanken aus ganz verschiedenen Richtungen zu: Einmal begegnet er bereits als eine der beiden elementaren Selbstdeutungen von Selbstbewusstsein angesichts seiner spannungsgeladenen Doppelerfahrung von unhintergehbarer Zentralität und Verwiesenheit auf eine Welt als eines ihrer vielen Momente, andererseits vermag der Gedanke der All-Einheit die irrreduzible Dualität zwischen den Einzeldingen der Welt und der Ordnung, in der sie begegnen, zu übergreifen. Und das wiederum entspricht der Weise, wie das sich selbst unverfügliche Subjekt sich mit seinem es ermöglichenden Grund zusammen denkt. Jedes Mal geht es darum, „die Form dieser Welt und […] die Grunddifferenz, die sie impliziert“7 zu übergreifen. Ich nehme den Gedanken nachfolgend nur von der letztgenannten dritten Auftrittsweise her in Anspruch.

Der Gehalt des Gedankens der All-Einheit an sich ist uralt und bestimmt alle Religionen zutiefst – das rührt daher, dass er eine der elementaren Weisen der Selbstdeutung von Subjektivität repräsentiert. All-Einheit durchwaltet nicht nur die fernöstlichen Religionen, wo das unmittelbar manifest wird, sondern genauso – wenn auch meist subkutan – die Monotheismen, allen voran das Christentum. Sein monistischer Tiefenstrom seit Anbeginn bis in Gegenwartstheologien hinein ist weitreichend verdeckt oder vergessen, bisweilen auch in Gestalt eines Pantheismusvorwurfs bestritten.8 Gleichwohl können elementare Züge des Christlichen, seiner Theologie und Spiritualität, ohne ihn nicht einmal im Ansatz begriffen werden.9 Hier geht es zunächst nur darum, hervorzuheben, dass das All-Einheitsdenken derart verfasst ist, dass es gerade nicht alles Bestimmte, Differenzierte verschwinden lässt, wie Kritiker gern behaupten. Im Gegenteil:

„Es ist ein Verdienst erst der klassischen deutschen Philosophie, diesen Gedanken so weit entwickelt zu haben, dass er mit der Wirklichkeit der Einzelnen vereinbar wird.“10

Leitend ist dabei die Intention, Differenz und Beziehung nicht als ein Letztes in Geltung zu setzen, weil beides logisch nur auf der Folie einer Einheitsintuition überhaupt in seiner begrifflichen Struktur und Leistung fassbar wird, dabei aber schon kraft des „All“ in der „All-Einheit“ eben vieles eingeschlossen zu denken und in seiner Vielheit nicht auszulöschen ist (sonst bräuchte man gar nicht von „All“ zu reden!). Und wenn so das Viele von Wesen simultan mit dem auftritt, was über alle Differenzen hinaus greift |86|als All-Eines, aus dem die Vielheit des Einzelnen überhaupt erst hervorgeht, ist dieses All-Eine in jedem Moment des Auftretens der Einzelnen der Vielheit in diesen gegenwärtig und verleiht ihnen zugleich in ihrer Einzelheit eine Bedeutung, „die auf nichts anderes relativ ist.“11 Dies geschieht genauer gesagt dadurch, dass die Einzelnen in ihrer je eigenen Verfassung dem korrespondieren, was die Einheit am All-Einen charakterisiert, weil dieses die Einzelnen sonst nicht einschlösse, sondern nur zusammenfasste.12 Dieses Einende von All-Einem und Einzelnen liegt nachgerade auf der Hand, weil es bereits von der Beschreibung des Ganzen als eines All-Einen impliziert wird:

„Das All-Eine ist jenes selbstgenügsame Eine, das sich ursprünglich in Alles differenziert hat oder kraft seines Wesens ursprünglich in Alles differenziert ist. Diese Selbstdifferenzierung ist die Eigenschaft, die an die Stelle der ursprünglichen Differenz zwischen der Einheit und den Vielen getreten ist. […] Die Vielen sind in ihm als dem All-Einen eingeschlossen und daher mit ihm von der grundsätzlich gleichen Verfassung. Daraus folgt ganz unmittelbar, dass den im All-Einen eingeschlossenen Vielen gleichfalls die Eigenschaft der Selbstdifferenzierung zugesprochen werden muss.“13

Das macht den Selbststand der Einzelnen im All-Einen aus und vollzieht sich kraft deren Endlichkeit als Selbsterhaltung. Schelling beschreibt diesen Zusammenhang von Absolutem und Endlichem – theologisch gewendet: von Gott und Schöpfung – in der Logik des transzendentalen Bildbegriffs. Weil alles Bild Gottes ist, ist in diesem Bild auch Gottes Selbständigkeit abgebildet, die sich als Selbststand des Seienden geltend macht:

„Das ausschließend Eigentümliche der Absolutheit ist, dass sie ihrem Gegenbild mit dem Wesen von ihr selbst auch die Selbständigkeit verleiht. Dieses In-sich-selbst-Sein, diese eigentliche und wahre Realität […] des Angeschauten ist Freiheit.“14

Kommt die alternative Option einer Ursprünglichkeit der Differenz15 auch zu einer solchen Nobilitierung des Einzelnen (was sie doch eigentlich prätendiert)? Mir will scheinen: Nein! Auch dem schärfsten Argument dieser Alternative kann die All-Einheit standhalten – dem Schwert der Theodizee:

„Auch die Hinfälligkeit des Einzelnen und sein Gang in ein Ende, das ihm für definitiv gilt, werden vom Gedanken der All-Einheit nicht aufgehoben. Selbst das Leid und die Angst in diesem Vergehen werden von ihm nicht abgestoßen, sondern umgriffen. Denn dass das Einzelne seinen Ort im All-Einen hat, bedeutet nicht das Dementi, sondern die definitive Bestätigung seiner Endlichkeit, die wiederum sein Vergehen und somit alles einschließt, was das Endliche in seinem Vergehen befällt. Insofern bleibt dieser Erfahrungsart |87|immer etwas gemeinsam mit dem Bewusstsein vom Ausstand der Bergung des bewussten Lebens – wenn denn solche Bergung nur das sein könnte, was in den Religionen Erlösung und Beseligung heißt.“16

Wer im christlich-theologischen Raum nach affirmativen Korrespondenzen dieses philosophischen Gedankens suchte, könnte etwa beim Cusaner, bei Teresa de Jesus, Wladimir Solovev, Karl Rahner, Alfred Delp und Jochen Klepper fündig werden, um willkürlich nur einige zu nennen.17

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