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|89|Panentheismus

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Für den ersten Moment genügt es, eine kleine Begriffsbestimmung von „Panentheismus“ durch Übersetzung vorzunehmen: „Pan en theo“ heißt wörtlich: „Alles in Gott“. Oder anders gewendet: Gott wird gedacht als Urgrund, aus dem alles Wirkliche in seine ihm gemäße Eigenständigkeit freigesetzt wird – aber dies so, dass es unerachtet dieser Ausdifferenzierung in diesen seinen Urgrund einbegriffen bleibt. Ontologisch hat das auch zur Folge, dass sich dieser Gott, weil er etwas Anderes seiner selbst bejaht und will, kraft dessen Bleiben in ihm in so etwas wie eine intime Geschichte mit dem von ihm Gewollten verstrickt. Und das hat natürlich heftige Folgen für diesen Gott und genauso für alles, was aus ihm hervorgeht. Und klar auch, dass diese Denkform – wenn man sie denn wagt – zu einer tiefreichenden Transformation sämtlicher theologischer Grundbegriffe führt, heißen diese nun Offenbarung, Schöpfung, Gnade, Sakrament oder Eschatologie. Zunächst aber die Frage: Was könnte denn dazu motivieren, angesichts der offenkundigen Krise des klassischen Theismus den Weg in Richtung Panentheismus einzuschlagen. Ich sehe fünf Gründe:

Der erste ist ein sozusagen ontosemantischer: Es gibt ja zumindest philosophisch gute Gründe, das, was der Terminus „Gott“ in Blick nimmt, mit dem Begriff des Absoluten zu identifizieren.27 Wenn Gott aber ab-solut ist, also wörtlich: losgelöst von allem, dann kann es neben und außer ihm nichts Wirkliches geben, weil sonst diese Absolutheit unterlaufen würde (andernfalls wäre er ja gebunden, also „solut“, an das Andere seiner selbst). Darum kann es, wenn es wirklich Wirkliches gibt, das nicht Gott ist, dieses Wirkliche nur in Gott geben. Dieses Argument würde man nur los, wenn man mit Nietzsche den Gottesbegriff als schier der Grammatik der Sprache geschuldete Illusion desavouierte – und damit natürlich zugleich der Vernunft unterstellte, derart von Täuschungsquellen durchherrscht zu sein, das sie sich darüber selbst nicht mehr aufzuklären vermag.28

Neben diesem onto-semantischen Motiv zeichnen sich meinem Eindruck nach vier besondere Brennpunkte ab, an denen sich der Gang in den Panentheismus buchstäblich aufdrängt, nicht zuletzt aus Gründen eben jener schon mehrfach eingeklagten intellektuellen Redlichkeit für ein Reden von Gott: (a) die Frage der Kosmologie – also, wie man angesichts des uns heute zur Verfügung stehenden Wissens über die Entstehung und Struktur des Universums von einem persönlichen Schöpfer sprechen kann: 1011 Milchstraßen lassen sich mittlerweile empirisch nachweisen. Aber was bedeutet da „Schöpfer“ und „Schöpfung aus dem Nichts“? Was heißt hier „Person“, wenn der Ausdruck nicht für eine ganz andere Wirklichkeit stehen soll, über die wir ansonsten mit diesem Wort sprechen? Sind das mehr als Floskeln der Verlegenheit? (b) Quasi spiegelverkehrt stellt |90|sich im mikroskopischen Bereich der schier unlösbar scheinende Komplex der Neurologie – also, wie kommen aus dem Zusammenspiel von vermutlich 1015 Neuronen, ihren Synapsen und den zwischen ihnen laufenden biochemisch-elektrischen Prozessen Phänomene wie Bewusstsein, gar Selbstbewusstsein und Freiheit (wenn es sie denn gibt, was nicht wenige bezweifeln) zustande? Und wie muss eine Quelle, ein Grund aussehen, aus dem ein solches Phänomen überhaupt hervorgehen kann – doch wohl kaum wie eine bewusste und willensgesteuerte Person sozusagen im Großformat, bei der sich das zu lösende Erklärungsproblem ja nur wiederholen könnte, zu dessen Lösung der Gedanke gefasst worden wäre? (c) Als unmittelbar theologisch grundiert erweist sich der dritte Brennpunkt unserer Fragestellung nach dem intellektuell redlichen Gebrauch des Gottesnamens, nämlich die Theodizeefrage, also diejenige, wie Gott und das Böse und Leid – und nicht nur das der Menschen, sondern auch das der anderen Kreaturen – denn zusammengehen. Die Frage trieb schon die antiken Denker seit Laktanz29 um und ist bis heute der „Fels des Atheismus“ geblieben, wie der Dichter Georg Büchner klassisch formulierte30, und wird es bleiben, solange aus dem Auge auch nur eines verletzten Menschen oder missbrauchten Kindes Tränen der Trauer und des Schmerzes fließen. (d) Und noch Eines kommt hinzu, eines, das gern übersehen wird, weil es im Grunde so nah und selbstverständlich ist und sein Dementi etwas nachgerade Kokettes bekommt: dass – in der Sprache der platonischen Philosophie gesagt – die Seele streng genommen nur ihr selbst Verwandtes, Konnaturales wirklich erkennen kann, wir also vom Wirklichen als solchem überhaupt nichts wüssten, auch nicht verstünden, was das Wort „Wahrheit“ meint, wenn nicht alles Seiende eine geistige Innenseite hätte oder umgekehrt (und besser gesagt) alles, was ist, von dem einen Geistigen, das wir Gott, All oder Absolutes nennen mögen, umgriffen und in ihm eingeborgen wäre. Diese an sich uralte Idee wird soeben von Autoren wie Wolfgang Welsch, dem wohl prominentesten Postmodernen deutscher Sprache auf verblüffende Weise wiederentdeckt, weil er überzeugt ist, dass sich nur so die Inkonsistenz eines fundamentalen Antagonismus von Welt und Mensch überwinden lässt.31

Das Wissen um diese fünf Problembündel ist uralt, geht im Grunde bis in die Frühzeit des abendländischen Philosophierens und im fernöstlichen Denken partiell noch weiter zurück. Aber genauso tut das die Überzeugung, dass – wenn denn überhaupt so etwas wie ihre „Lösung“ denkbar wäre – eine solche auf einen Schlag und in einem Zug für alles zu entwickeln wäre. Die Suche nach einem passenden Namen oder Kennwort dafür hat lange gedauert. Irgendwie ging es immer um den Gedanken eines Einen, dem doch der Gegengedanke des Differenten, des Anderen nicht nur fremd, sondern eingeschrieben sein muss, ist und bleibt. Manche haben darum vom „Hyperhen“ („Übereins“) gesprochen, wie etwa der syrische Theologe Pseudo-Dionys Areopagita |91|im 5. nachchristlichen Jahrhundert, anderen schien die Rede vom „Nichts“ oder gleich ein Schweigen angemessener. Die Formel „HEN KAI PAN“ (Eins und Alles) ist in den großen religionsphilosophischen Streitfällen Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts zur Parole der neuen Gottdenker geworden. Durch den Nachkantianer Karl Christian Friedrich Krause32 hat sich dann jener Terminus eingebürgert, der heute auf dem besten Weg ist, so etwas wie einen Paradigmenwechsel im Gottdenken zu signalisieren: „Panentheismus“. Hat man den Gedanken des „panentheistic turn“ in der Theologie einmal ernsthaft in Erwägung gezogen, fällt es einem wie Schuppen von den Augen, wie weit nach hinten und wie sehr bis in die jüngste Gegenwart der Strom dieser Denkform reicht – und übrigens unbeschadet aller Spannung mit der herkömmlichen Dogmatik gerade an ebendieser Dimension zum Leuchten zu bringen vermag, die sie vergessen hat.

Zu breiter Prominenz kam der Terminus „Panentheismus“ eigentlich erst durch Charles Hartshorne, besonders durch seinen zusammen mit William L. Reese erarbeiteten Reader Philosophers speak of God von 196333 – ein Werk, von dem gleich noch die Rede sein wird. Neuere Autoren tendieren dazu, die Anfänge des Panentheismus an Nikolaus von Kues und Meister Eckhart festzumachen, desgleichen an den Mystikerinnen Mechthild von Magdeburg und Juliane von Norwich. Für die Erstgenannten, den Cusaner und Eckhart, leuchtet das durchaus ein. Weitreichend plausibel ist auch der Rekurs auf die erwähnten Mystikerinnen, sofern diese in der Tat die strikte Distanz von Subjekt und Objekt, von Mensch und Gott überwinden und dadurch sowohl in die Frühgeschichte eines neuen Gottdenkens als auch in diejenige des modernen Subjektbegriffs hineingehören. Aufschlussreich scheint mir, wo Hartshorne selbst die Vorläufer seiner Leitidee des Panentheismus findet: Zum einen kennt er einen „Ancient or Quasi-Panentheism“, und darunter fallen für ihn Echnaton, einige Hindu-Schriften, Lao-Tse, einige biblische Passagen aus dem Buch Genesis, den Psalmen, dem Buch Maleachi sowie dem Matthäusevangelium und dem 1. Johannesbrief, außerdem einige Platon-Passagen. Zum anderen grenzt er aus der Bandbreite von Theismen und Pantheismen den „modern panentheism“ aus, und für diesen beruft er sich auf Schelling, Fechner, Peirce, Pfleiderer, Varisco, Whitehead, Berdyaev, Iqbal, Schweitzer, Buber, Radhakrishnan, Weiss und Watts. Die Namensreihe – darunter manche, die heute vergessen sind – weckt die Vermutung, dass es Hartshorne nicht um Vollständigkeit, sondern weit mehr um eine transkulturelle Dimension zu tun war. So erklärt sich, wie neben Idealisten und ihren Nachfolgern wie Schelling einerseits und Fechner sowie Pfleiderer andererseits, ein russischer Religionsphilosoph aus der Orthodoxie – Berdjajew –, ein islamischer Mystiker – Iqbal –, der Jude Buber und der Inder Radhakrishnan kommen. Als dritte Gruppe fügt Hartshorne noch die Repräsentanten eines „limited panentheism“ an, dazu rechnet er William James, Ehrenfels und Brightman.

|92|Außer Frage steht, dass sich diese Liste von Gewährsleuten modifizieren, vor allem erweitern ließe (ich habe das einmal sozusagen privat versucht und bin auf weit über hundert Namen gekommen). Das lag aber gar nicht in Hartshornes Intention. Für ihn war ungleich relevanter, dass sowohl die Vertreter des alten Quasi-Panentheismus wie die modernen Repräsentanten und die eingeschränkten Panentheisten folgendes denkerische Kriterium erfüllen:

„Gott als ewig-zeitliches Bewusstsein, das die Welt kennt und in seiner eigenen Aktualität (nicht aber in seinem Wesen) mit einschließt.“ (Hartshorne/Reese, XV.)

Von diesem Kriterienkern aus lässt sich aber zugleich auch so etwas wie eine vorläufige Profilskizze des Panentheismus gewinnen. Wie bei aller großen Metaphysik steckt auch der Kern des Panentheismus in seinen Präpositionen. Panentheismus wörtlich übersetzt heißt ja: Alles ist in Gott. Aber was heißt hier genau „in“ – das ist die entscheidende Frage. Einfach neu ist dieses „in“ ja keineswegs. Auch Thomas von Aquin etwa kennt ein solches „in“ der Dinge in Gott und umgekehrt, ohne dass er auch nur von ferne Panentheist wäre, weil das Geschaffen-Werden der Dinge Gott an sich in keiner Weise tangiere.

Genau hier tut sich die Differenz zwischen Theismus und Panentheismus auf, die das Spezifische des Letzteren generiert – oder semantisch gesagt: Das „in“ wird in gewissem Sinn substanzial interpretiert. Das bedeutet: Das Geschaffene, das Gott freisetzt, entfaltet ein Feedback auf Gott. Die Macht, die etwas schafft, bleibt nicht unberührt und unbeeinflusst von dem, was sie geschaffen hat. Das lässt im ersten Moment an eine Weltabhängigkeit Gottes denken, wie sie Hegel gemeinhin zugeschrieben wird: dass Gott gleichsam die Welt schaffen musste, um durch sie (wieder eine Präposition!) er selbst zu werden (bisweilen wird dafür der Name „expressivistischer Panentheismus“ verwandt). Genau das schaltet Hartshorne durch eine Dialektik zwischen „innen“ und „außen“ aus, die dadurch in Gang kommt, dass beide Momente nicht erst zusammengefügt werden, sondern von vornherein aneinandergebunden sind und darum nur gemeinsam auftreten. Der formale Name dafür lautet „Dipolarität“ und meint: Alle Bestimmungen treten in konträren Gegensätzen auf, die untrennbar zusammengehören: das Eine mit dem Vielen, stark mit schwach, endlich mit ewig, absolut und relativ, aktual mit potenziell usw. An Hartshornes erstem Beispiel wird das vielleicht am leichtesten evident: Nur im Horizont eines Einen wissen wir überhaupt, was „viel“ bedeutet; nur im Gegenüber zu Vielem wird für uns zumindest auf bestimmte Weise fassbar, was „eins“ meint. Und Hartshorne sieht nun keinerlei Grund, dieses Gesetz im Fall Gottes außer Kraft zu sehen und für ihn eine Monopolarität zu unterstellen. Was viele Theologen dazu bringt, das zu tun, ist, dass sie gewissermaßen eine axiologische, wertende Formatierung der Dipolarität vornehmen: Zwar gilt gemäß dem Gesetz der Analogie jedes Prädikat, das wir ja immer aus der Erfahrung nehmen, als für Gott unzureichend: Er ist weder eins noch viel im eigentlichen Sinn des Wortes. Aber wir nennen ihn gern mehr „eins“ als das „Eins“, das uns vertraut ist (wie der bereits erwähnte Pseudo-Dionys Areopagita). Aber nie wird er „hyperpolys“ (überviel), also komplexer als „viel“ genannt. Das könnte |93|daher rühren, dass uns die Vorstellung einer Über-Einheit leichter das Gefühl einer Transzendenz-Erfahrung zuspielt als die einer Übervielheit. Einen zwingenden Grund für die Favorisierung des einen Pols aber gibt es nicht. Einer aber hat eben diese Asymmetrie gesprengt: Nikolaus von Kues kennt nicht ein Maximum, sondern zwei Maxima: Größtes und Kleinstes kommen darin überein, dass das Erste das größte Große und das Zweite das größte Kleine ist.

Entsprechend lässt sich auch mit all den anderen konträren, dipolaren Gegensätzen umgehen, etwa mit Einheit und Vielheit: Hält man sie zusammen, hat man mit Einheit-in-Vielheit oder Vielheit-in-Einheit zu tun. Zerbricht die Balance, kommt entweder Chaos (Dominanz purer Vielheit) oder Monotonie – Hartshorne sagt: Trivialität – (Dominanz purer Einheit) heraus. Auch für „Aktivität“ und „Passivität“ kann man das durchspielen, besonders gut sogar am Beispiel von Personen. In jedem Fall tendieren die Polaritäten nicht zu einer Koinzidenz mit der Wertdifferenz von gut – schlecht. Wo immer ein konträres Prädikate-Paar auf beiden Seiten einen Höchstfall denkbar macht, ist das kategoriale Instrumentar des Panentheismus gewonnen. Am prägnantesten fassbar wird das im Fall der Dipolarität von Aktualität und Potenzialität. Wird in Gott der Höchstfall Letzterer nicht durch den Höchstfall der Aktualität ausgeschlossen (wofür es keinen Grund gibt, sofern höchste Aktualität widerspruchslos darin bestehen kann, sich von anderem beanspruchen, bestimmen, bis zur Selbstpreisgabe vereinnahmen zu lassen), so öffnet sich genau jene Dimension des Feedbacks des Geschaffenen, in die sich das „Weltabenteuer Gottes“ – so der Titel einer Arbeit über Hans Jonas34 – (unbeschadet der bleibenden Identität Gottes) einschreibt und in die eine explizit christliche Theologie die ganze Christologie, die Sakramententheologie, die Eschatologie und auch die Theodizeeproblematik eintragen würde.

Der Panentheismus öffnet genau durch die ihm spezifische Feedback-Schleife im Gott-Welt-Verhältnis die Mitte der Theologie – also Gottes eigene Wirklichkeit – für das Bedrängende an der menschlichen Erfahrung. Darum avanciert in ihm auch die Liebe zu einer Zentralkategorie der Gotteslehre, Liebe aber nicht als nur reine Agape seitens Gottes, also Gabe und Hingabe, sondern wegen der Reziprozität der Beziehung zugleich auch als Eros – als Streben, selbst ein empfangendes Geliebtes zu sein. Vielleicht macht erst der Panentheismus wirklich ernst mit der Duns Scotus’schen Überzeugung, dass Gott deswegen überhaupt etwas geschaffen habe, weil er Mitliebende will.35 Übrigens begegnet genau diese Doppelung von Agape und Eros auch in der Antrittsenzyklika Papst Benedikts XVI. Deus caritas est (vgl. Nr. 1–18). In jedem Fall scheint mir so gesehen der Panentheismus diejenige philosophisch-theologische Denkform zu sein, die den Gottesgedanken und die Frage seines Wirklichkeitssinnes unter den Bedingungen einer universalen wissenschaftlichen Wissenskultur, die gleichwohl tief von der Dialektik aller Aufklärung affiziert ist, am konsistentesten zu vergegenwärtigen vermag. Im |94|Folgenden möchte ich versuchen, diesen Ansatz am Elementartopos der Christologie auf seine Tragfähigkeit hin zu prüfen:

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