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Materiale Vertiefungen

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Wenn zutrifft, dass – wie erläutert – der christliche Gottesgedanke in der Inkarnation durch die avancierteste Vermittlung von Einmaligkeit und Einzelheit, von Absolutem und Endlichem, bestimmt ist, dann erweist sich genau in diesem Glutkern der Christologie die Demarkationslinie zwischen Religion und Philosophie als fließend und die erwähnte Henrich’sche „Verstehensschranke“ tief abgesenkt – bis dahin, dass jede radikal durchgeführte Christologie im Letzten eine vom Wesen philosophische zu nennen ist.

Die materiale Vertiefung dieses Gedankens setzt bei dem Faktum an, dass das Erzählen der Geschichte Jesu als der definitiven Offenbarung Gottes und seines Verhältnisses zum Menschen seinen Dreh- und Angelpunkt in einem hermeneutischen „als“ hat. Dieses „als“, das in Übereinstimmung mit dem Selbstzeugnis der Schrift von Jesus als dem Exegeten des Vaters (vgl. Joh 1,18) als identitäts- und differenzverbürgende Kopula zwischen Jesus und Gott fungiert, bildet das Zentrum aller Christologie. Sofern dieses |96|Zentrum bereits im Kontext der Religionsproblematik formal bestimmt werden kann – vollständiges Erscheinen des Einmaligen im Einzelnen bzw. des Absoluten im Endlichen –, wird sich folgerichtig vom subjekttheoretischen Ansatz her auch das Christus-Kerygma in seinem systematischen Anspruch reformulieren und als gerechtfertigt begründen lassen. Die Überzeugungskraft dieser These hängt selbstredend daran, dass sie sich an den drei Eckwerten der Christologie bewährt: (1) am Inkarnationsgedanken, (2) an der „basileia-Botschaft“, (3) am Ostergeschehen.

Bewährung (1) – Inkarnation: Wie bereits ausgeführt, kann gerade im Ausgang vom Subjektgedanken, genauer: davon, dass sich Selbstbewusstsein hinsichtlich des Grundes seines Auftretens seiner selbst entzogen erfährt, ein Gedanke vom Absoluten so gefasst werden, dass dieser Gedanke so auf den des Endlichen geöffnet ist, dass dieser mit Ersterem weder nur extern zusammentritt noch aus Ersterem notwendig hervorgehen muss, sondern das Absolute sich als es selbst qua Unverfügliches im Endlichen bekunden lässt. So kann sich die christliche Rede von der Menschwerdung Gottes ihrer Logik nach in einer reflexiven Struktur unverkürzt wiedererkennen, die über die Selbstverständigung selbstbewusster Subjektivität allgemein zugänglich ist. Damit spielt der vom Subjekt her zugängliche Gedanke vom Absoluten christlicher Theologie nicht nur die Möglichkeit zu, schon aus logischen Gründen einen apriorischen Mythosverdacht gegen den Inkarnationsdiskurs auszuhebeln, sondern setzt Letzteren überdies systematisch ins unmittelbare Verhältnis zu ebendem, woran jeder religiösen Botschaft zuerst gelegen ist: dass ihr Adressat das Heil finde, d. h. philosophisch transponiert, dass er seine Identität gewinne und das Bemühen um ein Verständigtsein über sich selbst zu einem stabilen Resultat gelange. Wenn man das Inkarnationskerygma legitim in der vorausgehend bereits geprägten Formel zusammenfassen darf, dass Gott sich vollständig zugänglich macht dadurch, dass er sich abhängig macht von dem, was zutiefst von ihm als Gott sich abhängig weiß, und sich gerade damit als absolutum auf einzigartige (!) Weise bekundet, wird aus der Kongruenz einer solchen religiösen Sinngabe mit den basalen Daten einer philosophischen Analyse – nämlich denen der Selbstreflexion – ein fundamentaltheologisches Argument. Argument im strengen Sinn: Es weiß die Vernunftgemäßheit des Kerygmas auszuweisen und Letzteres gleichzeitig auch nur vom Anschein der Notwendigkeit freizuhalten.

Bewährung (2) – „basileia“: Die basileia-Botschaft als Nucleus des christlichen Kerygmas gehört zwar theologisch einer qualitativ anderen Schicht der Christologie an als der Inkarnationsgedanke. Trotzdem zeigt sich an ihr trotz ihres nicht-spekulativen, dezidiert narrativen Charakters die systematische Grundfigur der Christologie (Einmaligkeit in Einzelheit) nicht weniger deutlich als an jener: Jesu basileia-Verkündigung und die symbolische Repräsentation der basileia durch seine Taten, zumal die Heilungen, verheißen und gewähren in bereits anbrechender Realisierung eine durch nichts mehr beeinträchtigte Integrität menschlicher Existenz. Diese Integrität lässt sich theologisch am besten als Versöhntheit des Menschen mit Gott beschreiben. Diese Versöhntheit besteht dabei darin, dass der Mensch im Horizont seiner Selbsterfahrung Gott als den ihn unbedingt tragenden Grund anerkennt. Das schließt notwendig die Versöhntheit |97|des Menschen mit sich selbst hinsichtlich seiner antagonistischen Verfasstheit als einmaliger und zugleich marginaler Subjekt-Person ein. Die Makarismen der Bergpredigt (vgl. Mt 5,3–10) können als eine Art Portrait solchermaßen versöhnter Existenz (qua Selbstportrait Jesu) gelten. Dieser zentrale Gehalt des Jesus-Kerygmas wird dann innerhalb des Christus-Kerygmas konsequent ausgefaltet: Besonders eindrücklich geschieht das in den Totenerweckungserzählungen (vgl. Mk 5,21–43 parr.; Lk 7,11–17; Joh 11, 1–43), sofern diese vermitteln, dass die Versöhnungsmacht der basileia das Ganze der Existenz einschließlich ihres neuralgischen Punktes – des Abbruchs am Lebensende – umfasst; und nebenbei bemerkt: Paulus definiert das kirchliche Amt als Hilfsfunktion im Geschehen der Durchsetzung der als Versöhnung begriffenen basileia:

„Wir bitten an Christi statt: Lasst euch mit Gott versöhnen.“45

Dass die mit der basileia gemeinte Versöhntheit sich nicht nur faktisch auf menschliche Selbstverständigung beziehen lässt, sondern auf diese wesentlich bezogen ist, wird schließlich auf besondere Weise am Fundament des Christus-Kerygmas klar, also am Ostergeschehen. Denn dieses erst lässt das Geheimnis der basileia bis zum Grunde offenbar werden, indem Jesus sich in seiner Passion als – wie Origenes treffend formuliert – „autobasileia“46 erweist.

Bewährung (3) – Osterkerygma: Wenn basileia im obigen Sinn mit Versöhntheit umschrieben werden darf, dann kommt diese Versöhnung in die über ihre Wahrheit letztendlich entscheidende Stunde der Bewährung in dem Augenblick, da der unverfügliche Grund des Daseins sich zu entziehen und damit die eine Weise der Selbsterfahrung, die der Marginalität, die andere der Einmaligkeit gänzlich zu überwältigen scheint: im Sterben. Diese Bewährung steigert sich bei Jesus dadurch ins Übermenschliche (wie die Tradition den Schmerz des am Kreuz Sterbenden nennt), dass in ihm ja nicht nur die autobasileia stirbt, also etwas, das Gott unbedingt will, sondern dass er eben um der Botschaft von dieser basileia wegen vernichtet wird, also die ganze Wucht der Ablehnung des von Gott Gewollten durch die Menschen genau an dem Punkt erleidet, der ihm existentiell gesprochen sein Ein und Alles war. Trotzdem zerstört dieser Angriff der Ver-Nichtung im buchstäblichen Sinn, der ja Gottes gänzliche Ohnmacht zu enthüllen scheint, Jesu Vertrauen in Gottes Liebe, seine Leben gönnende Güte und Macht nicht, wie Mk 15,34 mit Zitat aus Ps 22,2 bezeugt. Ebendarin erweist sich Jesus als die wahre, weil in der größtmöglichen Belastung bewährte autobasileia. Markus bringt das spektakulär dadurch zum Ausdruck, dass er dem dem Sterbenden am Kreuz gegenüberstehenden heidnischen Hauptmann das einzige Christusbekenntnis seines Evangeliums in den Mund legt, das nicht zurückgewiesen wird. Überdies wird durch das Aushalten dieser Bewährung das Sterben Jesu selbst zu seiner größten Tat für die universale Aufrichtung der basileia: Wenn Jesus als der, der er war – autobasileia – trotz der Schrecklichkeit seines Endes so stirbt, wie er stirbt, kann der, der auf ihn schaut, im Glauben |98|(qua Vertrauen in diesen Jesus) anfangen, vor dem eigenen Sterben nicht mehr Angst zu haben, weil er nicht mehr misstrauen muss, deshalb vergänglich zu sein, weil der ihm nicht verfügliche Grund seines Daseins ihm dieses vorenthalte. Durch die schiere Erwägung dieser Möglichkeit in Gestalt von Misstrauen kommt ja die ganze Dramatik der Urgeschichte laut Gen 3,1–6 – der Sündenfallerzählung – in Gang. Jesu Geschick und Todesannahme versteht sich theologisch als definitive Beantwortung der durch die Urgeschichte aufgeworfenen Frage.

Im Blick auf den Gekreuzigten einverstanden werden damit, dass die Einmaligkeit, die durch nichts aufzuwiegende Eigenbedeutung, die einem eignet, untrennbar zusammengehört mit der Marginalität qua kontingenter Beliebigkeit hinsichtlich jeder Dimension der Existenz; und die Hoffnung riskieren, dass es so, wie ich mich mir gegeben finde, gut ist mit mir, weil ich mit meiner Verfasstheit auf einem mir zwar unverfüglichen, aber verlässlichen Grund stehe – das bedeutet: an der basileia partizipieren. Solche begründete Zustimmung zu mir selbst ist ineins Anerkennung der Botschaft Jesu und der durch sie proklamierten Gotteswirklichkeit. Dass diese komplexe Anerkennung, die als Selbstanerkennung anhebt, durch Jesu Tod ermöglicht wird, korrespondiert im Übrigen mit dem exegetischen Befund, dass Jesus selbst sein Sterben mit größter Wahrscheinlichkeit als heilsbedeutsam für die Seinen verstanden hat.

Wenn überdies in Rechnung gestellt bleibt, dass sich die Wahrheit Gottes biblischem Verständnis gemäß untrennbar verbunden mit seiner aemuna qua Treue und Verlässlichkeit bekundet, dann darf der diese Wahrheit Anerkennende zugleich gewiss sein, dass seine Vergänglichkeit niemals die andere Seite seiner selbst, seine Einmaligkeit (wie in einem Chaos-Rachen) verschlingen wird, sondern dass er als er selbst in seiner unvertretbaren Singularität in dieser durch die Treue Gott so gewiss erhalten bleiben wird, wie er als Einzelner vergänglich ist. So gründet das Osterkerygma in der Herzmitte des Kreuzesgeschehens. Die ikonographisch ganz früh (schon in den Katakomben) aufkommende Verschmelzung des Jona-Motivs (Verschlucktwerden vom Meeresuntier, also vom schöpfungswiderrufenden Chaos-Rachen) mit der Gestalt des Auferstandenen gründet in diesem strengen Zusammenhang und symbolisiert das in Passion und Kreuz gegen die Macht des Chaos ausgetragene theologische Identitätsdrama.

Wird das Ostergeschehen in die eben skizzierte Begründungsdimension gestellt, treten der darin zur Geltung kommenden Staurozentrik die ja auch zu berücksichtigenden Ostererscheinungen nicht bloß faktisch zur Seite. Sie können stattdessen als für den Glaubenden geradezu unumgängliche Ausfaltungen des Kreuzesgeheimnisses im Medium der Selbstverständigung aufgefasst werden. Dies erlaubt dann auch, den diesbezüglichen exegetischen Befund kraft seines historisch-kritischen Gewichts (und nicht gegen es!) zusammenzubringen mit der Tatsache, dass sich die Ostergeschichten – wie die Kindheitsgeschichten – primär anhand mythischen und symbolischen Materials artikulieren. Wo anders aber hätte solches Material seine individuellen wie kollektiven, seine phylo- wie ontogenetischen Wurzeln als in den komplexen Prozessen der Selbstverständigung!

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