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Nikolaus von Kues als Drehscheibe zu einer anderen Moderne

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Diese kurze Skizze der cusanischen Philosophie des Könnens erlaubt mir, meine eigenen, an Cusanus anknüpfenden, jüngeren Forschungsarbeiten im Kontext des Paradigmenwechsels zeitgenössischer anglophoner Theologie zu verorten, denn sie erhellt zugleich die innovativen und konservativen Züge der cusanischen „Wissenschaft des Lobes“ und ist damit exemplarisch für ein Denken, dass uns aus den Sackgassen von Moderne und Post-Moderne herauszufinden erlaubt, ohne einfach ins „Mittelalter“ zurückzukehren.

Das Cusanische Denken oszillierte zeit seines Lebens zwischen dem für die beginnende Moderne charakteristischen Enthusiasmus für kulturelle, soziale und technische Innovationen, die über den Horizont dessen hinausgingen, was man bis dahin für möglich erachtete,45 und dem demütigen Staunen angesichts eines Mysteriums, das dem Menschen als absolute Unmöglichkeit entgegentritt (occurit impossibilitas).46 In seinem Enthusiasmus für das nie Dagewesene war Cusanus offen für theoretisch oder praktisch „Unmögliches“ (wie es z.B. in unserer heutigen Welt die Erklärung der Menschenrechte, die Mondlandung, die interkontinentale Informationsübertragung mit Lichtgeschwindigkeit oder die Entschlüsselung der DNA darstellen). Doch er war nicht minder enthusiastisch, die Grenzen unseres diskursiven, zwischen gegensätzlichen Bestimmungen scheidenden Verstandes angesichts einer logischen „Unmöglichkeit“ zu bezeugen, welche die Bedingungen der Möglichkeit rationalen Verstehens notwendig überschreitet: „Oh Herr, in Deinem Blick ist die Unmöglichkeit Notwendigkeit.“47

Die in Cusanus’ philosophischen Schriften immer wieder zurückgerufene Einsicht, dass alles vergleichende, zwischen gegensätzlichen Bestimmungen (Ja und Nein, wahr und falsch, I und 0) unterscheidende Erkennen aus prinzipiellen Gründen selektiv, unvollständig |73|und beschränkt ist, bestätigt folgerichtig die Überzeugung der biblisch-patristischen Tradition, dass jede wissenschaftliche Entdeckung, die unsere Bewunderung hervorruft, im Lichte des wissenden Nichtwissens um die unvergleichliche Weisheit dessen zu betrachten ist, der alles Staunens- und Lobenswerte um seines Lobes willen erschaffen hat.

Aus der spätmodernen Retrospektive betrachtet, erlaubt Cusanus’ frühe Antwort auf die Herzausforderung der Moderne damit, einer zweifachen Herausforderung zu begegnen:

(1) Sie erlaubt, die für phänomenologische und poststrukturalistische Antworten auf die spätmoderne Sinnkrise charakteristische Praxis der Urteilsenthaltung („phänomenologische Reduktion“) durch eine doxologische Praxis der Urteilsenthaltung („doxologische Reduktion“) zu ersetzen, die das vormoderne Erbe abendländischen Denkens wieder zu erschließen erlaubt, ohne in einen „vorkritischen Dogmatismus“ zurückzufallen.48

(2) Sie erschließt uns (im Stile der „rettenden Erinnerungen“ Walter Benjamins) die hermeneutischen Schlüssel zur Rekonstruktion einer anderen Moderne, die in Kontinuität mit der Tradition christlich-abendländischen Denkens steht und zugleich in der Lage ist, auf das zu antworten, was Zeitdiagnostiker als die „post-digitale“ Wende eines über seine konstitutionsbedingten Grenzen aufgeklärten digitalen Zeitalters bezeichnet haben.49

Vor diesem Hintergrund will ich nun versuchen, das cusanische Denken im Kontext der eingangs skizzierten Genealogie des westlichen Niedergangs christlicher Gelehrsamkeit zu verorten und seine Bedeutung für die spätmoderne Gotteskrise zu erläutern.

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