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Da bricht was auf

Exerzitien galten lange als etwas typisch Katholisches. Die regelmäßigen geistlichen Übungen tun aber allen gut. Silke Harms erläutert, was Üben mit Glauben zu tun hat


SILKE HARMS

Pastorin und Referentin im Geistlichen Zentrum Kloster Bursfelde, Hann. Münden

Was sind Exerzitien? Wenn man das Wort in der evangelischen Kirche verwendet, ruft es zwei Reaktionen hervor: Die erste ist ein verständnisvolles Nicken, denn inzwischen gibt es manche, die schon in einem Kloster oder einem Haus der Stille waren und die selber Exerzitien gemacht haben. Das andere ist genau die gegenteilige Reaktion: In vielen Menschen, die es zum ersten Mal hören, ruft dieses Wort ein leichtes Befremden hervor. Man hat schon mal vom Exerzierplatz gehört. Aber in der Kirche?

Auch wenn man es mit der deutschen Übersetzung von Exerzitien versucht – „Geistliche Übung“ –, wird es nicht unbedingt besser. Übung ist ein Wort, das nicht bei jedem positive Assoziationen weckt. Es riecht nach Schule, nach langweiligem stundenlangem Üben auf dem Klavier, nach Vokabelpauken im Studium, nach mühsamer Plackerei beim Training. Üben ist etwas, das manchmal sein muss, das man aber nicht unbedingt freiwillig und gerne tut. Und Übung im christlichen Bereich weckt schnell den Verdacht der Werkgerechtigkeit.

Es lohnt sich, die Begriffe Übung und Exerzitien einmal einzeln anzuschauen und sich diesen von der Wortbedeutung her anzunähern. Dann wird man entdecken, dass dahinter alles andere als Langeweile steckt.

Den Boden bereiten

Das Wort Üben wird im heutigen deutschen Sprachgebrauch in zweierlei Hinsicht verwendet: Auf der einen Seite bezeichnet man damit die Bemühung um den Erwerb einer Fähigkeit. Man übt beispielsweise das Lesen, Schreiben und Rechnen, das Klavierspielen, den Gebrauch eines Werkzeugs oder einen Bewegungsablauf beim Turnen. Es gibt Übungsaufgaben und Übungsstücke, Leibesübungen usw. Die Übung hat ihren festen Ort im Sport, aber auch in bestimmten Berufsgruppen, wie z. B. bei der Feuerwehr oder beim Militär, wo man in regelmäßigen Abständen zu Übungen ausrückt. Diese auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Übung wird näher bestimmt durch den Begriff Einübung.

Auf der anderen Seite ist vom Üben in Zusammenhängen die Rede, in denen nichts gelernt oder eingeübt werden soll. Üben kann das allgemeine Sich-Betätigen meinen, wie z. B. in dem Sprichwort: „Üb immer Treu und Redlichkeit!“ Üben heißt dann: Sich in einer bestimmten Art und Weise betätigen, sich gemäß den Forderungen von Treu und Redlichkeit verhalten. Hier kann man vom Üben im Sinne der Ausübung sprechen. Auch in anderen Wortbedeutungen wird Übung so verstanden: Man übt Großmut oder Gnade, man übt Geduld, Kritik, Rache oder Verrat, man übt Gerechtigkeit oder Gastfreundschaft.

Das Bedeutungsspektrum von „üben“ (althochdeutsch: uoban) hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder verändert und erweitert. Man kann aber drei Grundbedeutungen festmachen:

Erstens: Das Wort „üben“ entstammt ursprünglich der Kultsprache und bezeichnet die Durchführung einer gottesdienstlichen bzw. religiösen Handlung. Eine Kulthandlung zeichnet sich beispielsweise gegenüber einer reinen Zweckhandlung dadurch aus, dass bei ihr die Aufmerksamkeit nicht direkt auf ein zu erreichendes Ziel gerichtet ist, sondern auf den Vollzug der Handlung selbst, die in einer immer gleichen Weise wiederholt wird. Eine Übung ist ursprünglich eine „durch ihren besonderen Charakter aus dem Alltagsleben als dem Bereich des Profanen hervorgehobene feierliche Tätigkeit“, die von einem Gefühl der Feierlichkeit bestimmt ist und „im Bewusstsein der Gegenwart eines Göttlichen“ geschieht, wie der Philosoph und Pädagoge Otto Friedrich Bollnow schreibt.

Zweitens: Eine weitere Verwendung des Wortes weist in den Bereich des Ackerbaus. Üben hieß den Boden bearbeiten, Landbau/Ackerbau betreiben. In dieser Verwendung schließt die Übung ein sowohl aktives Tun wie auch ein passives Warten und Empfangen ein. Denn wer Ackerbau betreibt, arbeitet zwar auf dem Felde, verbindet diese Arbeit aber mit dem Hoffen auf und manchmal auch dem Beten um das Wachstum und Gedeihen. Diese Verbindung steht z. B. bei dem bekannten Kirchenlied nach Matthias Claudius im Hintergrund: „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand: der tut mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf und träuft, wenn heim wir gehen, Wuchs und Gedeihen drauf. Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn“ (EG 508,1). Üben in diesem ursprünglichen Sinne beinhaltet also eine Verbindung von (aktivem) Tun und (passivem) Geschehenlassen. Übung will „ein Geschehen von Fruchtbarkeit ermöglichen“, schreibt Erich Fromm.

Drittens: Wesentlich für die Verwendung des Wortes Üben ist schließlich ein iterativer und durativer Aspekt. Übung bezeichnet keinen einmaligen Vorgang, sondern eine Handlung, die durch Wiederholung und Dauer gekennzeichnet ist. Die Bedeutungsnuance der Dauer ist bewahrt in Redewendungen wie „in Übung bleiben“ oder „außer Übung kommen“. Ebenso lässt sich der Ausdruck, etwas sei üblich (im Sinne von ortsüblich, allgemein üblich) auf den durativen Aspekt des Wortes zurückführen.

KLOSTER BURSFELDE

„Hören, was am Ort klingt“ ist das Motto des Geistlichen Zentrums Kloster Bursfelde. In der ehemaligen Benediktinerabtei aus dem Jahr 1093 kann man geistliches Leben in benediktinischer Tradition mit evangelischem Profil entdecken und auch an Exerzitien teilnehmen. Es gibt ein umfangreiches Seminarprogramm zu den Themen Einkehr und Stille für Gruppen und Einzelpersonen.

www.kloster-bursfelde.de

Ziel: tiefes Verständnis

Kult. Den Boden bereiten. Wiederholen. Alle drei Bedeutungen spielen in der Betrachtung der geistlichen Übung eine Rolle: Wesentlicher Aspekt jeder geistlichen Übung ist ihre Wiederholung und Dauer. Geistliche Übung ist nicht ein einmaliger oder besonderer Akt, sondern lebt wie alle Übung sowohl von der Wiederholung des immer Gleichen als auch von der Dauer. Wiederkehrende und gleichbleibende Elemente, Regelmäßigkeit und Gewohnheit sind für sie nicht nur kennzeichnend, sondern unabdingbar. Sowohl für die individuellen wie für die gemeinschaftlichen geistlichen Übungen gibt es daher bestimmte „übliche“ Elemente (z. B. in der Liturgie).

Innerhalb der geistlichen Übungen ist zwischen Übungen, die eine Einübung als Ziel haben und solchen, die reine Ausübung sein wollen, zu unterscheiden. Einübende geistliche Übung ist in der Regel Bestandteil eines Lernprozesses und hat seinen Platz vor allem in der christlichen Katechese. Durch Einübung in christliche Vollzüge sollen bestimmte Glaubensinhalte angeeignet und vertieft werden.

So wie die Übung als notwendiger Schritt zu allem Lernen dazugehört, ist sie auch notwendiger Bestandteil des Glaubenlernens. Pädagogisches Ziel von geistlicher (Ein-)Übung innerhalb eines Lernprozesses ist es in der Regel, die Lernenden zu einem vertieften Verständnis eines Inhaltes zu führen. Übung kann dazu beitragen, dass der Übende zu einem letzten Verstehen findet und es zu einer Art inneren Aufleuchtens kommt. Darin unterscheidet sich die Übung deutlich von dem „Drill“, der nicht auf Verstehen und Einsicht, sondern lediglich auf die Mechanisierung bestimmter Vorgänge zielt.

Vorausgesetzt ist dabei, dass es im Leben des Christen Dinge gibt, die er nicht von Anfang an beherrscht. Es gibt vielmehr Fortschritte und Wachstum, es finden Prozesse und Entwicklungen statt, die durch Übung initiiert und gefördert werden können (vgl. 1. Kor 3,2 und 1. Tim 4,7f).

Von der katechetischen geistlichen Übung ist die geistliche Übung aus dem Blickwinkel der Aszetik zu unterscheiden: Ein Tun, das nicht auf ein zu erreichendes Ziel gerichtet ist, sondern seinen Zweck allein in sich hat, das also reine Ausübung sein will. In diesem Übungsverständnis findet ein wesentlicher Bedeutungsaspekt von „uoben“ Aufnahme: Die Übung wird in die Nähe einer im weitesten Sinne kultischen Handlung gerückt. Nimmt man die oben genannte Ursprungsbedeutung von Üben als „Ackerbau“ auf, erschließt sich ein weiterer Aspekt: Die geistliche Übung hat das Ziel, den „Ackerboden Mensch“ so zu bearbeiten, dass das Samenkorn des göttlichen Wortes auf guten Boden fallen kann (vgl. Mt 13, 3–9 par). Je mehr dieser Boden durchgeackert und gepflegt wird, desto besser kann das göttliche Wort im Menschen wachsen, umso tiefer kann es wurzeln und schließlich Frucht bringen. Diese aktive „Ackerpflege“ schließt das passive Warten auf das ausschließlich gottgewirkte Wachstum ein.


EXERZITIEN IM ALLTAG

Nicht jedem ist es möglich, für Exerzitien in ein Kloster oder ein Haus der Stille zu gehen. Für solche Menschen gibt es in vielen katholischen und manchen evangelischen Kirchenkreisen „Exerzitien im Alltag“ (ExiA). Fragen Sie bei Ihrer Kirchengemeinde nach.

Ein solcher Kurs dauert meist vier bis sechs Wochen und besteht in der Regel aus drei Elementen:

1.Eine tägliche 15- bis 30-minütige Meditationszeit zu Hause. Sie folgt einem stets gleichem Ablauf und beinhaltet wechselnde Anregungen für jeden Tag. Diese sind Wochenüberschriften zugeordnet und regen das Gehen eines inneren Weges an (z. B. Geliebt von Gott – Gerufen von Gott – Geführt von Gott – Gesandt von Gott).

2.Wöchentliche Treffen mit der Exerzitiengruppe. Sie dienen zum einen dem Austausch über die individuellen Erfahrungen. Zum anderen ergänzen und vertiefen sie diese durch gemeinsames Üben.

3.Die Möglichkeit zu Begleitgesprächen. Manchmal ist das der Anfang von längerer geistlicher Begleitung.

In Bayern werden schon seit Jahren ökumenische Exerzitien im Alltag angeboten. Hier findet man gute Informationen und Anregungen:

spiritualitaet.bayern-evangelisch.de/exerzitien-im-alltag.php

Befreiung

Exerzitien kommt von dem lateinischem Wort exerceo/exercere. Ex- als Vorsilbe bedeutet: heraus. Das Verb arceo bedeutet: abwehren, abweisen, fernhalten (z. B. Feinde) bzw. verschließen, zusammenhalten, eindämmen (z. B. gegen eine Flut). Eine arca ist ein verschlossenes oder zugeschlossenes Behältnis. Konkret kann das z. B. eine Truhe (arcanus = geheim, verschlossen), ein Grab oder eine enge Gefängniszelle sein. Eine arx ist die Burg eines Herrschers.

Ex-erceo bedeutet also wörtlich: „Aus einem verschlossenen Raum herausführen und in Bewegung bringen.“ Wer sich im Glauben übt, vertraut darauf, dass Gott ihn in eine aus Verschlossenheit herausführende Bewegung hineinnimmt: Befreit zu werden aus Enge, aus Angst, aus menschengemachten (auch selbstgemachten) Gefängnissen (vgl. der Exodus Israels).

Geistliche Übung hat zu tun mit Auferstehung: Was im Leben und Glauben tot oder wie abgestorben ist, kann ins Leben kommen (vgl. Joh 11,43: Lazarus, komm heraus!). Was bisher geheim und verborgen war, darf ans Licht kommen, darf sich zeigen (vgl. Joh 8,32: Die Wahrheit wird euch frei machen). Der Begriff des „Exerzierens“, der sich bis heute als militärischer Terminus technicus gehalten hat, ergibt sich aus dem Ruf, mit dem die Soldaten, die sich ansonsten innerhalb der Burg aufhielten, zum Üben herausgerufen wurden: „Ex arce! Raus aus der Burg!“ Trau dich, deine dicken Schutzmauern zu verlassen. Lass dich in die Weite rufen, in die Gott führen will! (Ps 18,20)

Diese Sprachbilder zeigen: Glaubensübungen, Exerzitien haben etwas mit Freiwerden, mit dem Heraustreten aus engen und dunklen Räumen und bedrückenden Verhältnissen zu tun. Verschlossenes wird geöffnet. Grenzen werden durchbrochen und überwunden, Türen und Gräber werden aufgetan, Heimliches und Geheimes darf offenbar werden. Zurückgehaltenes bekommt Raum zur Entfaltung. Exerzitien helfen uns raus aus den Mauern. Und rein ins Leben!

Fastenaktion 2022: Üben! Sieben Wochen ohne Stillstand. Zutaten Themenheft

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