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Am Anfang

1. „Das alte Gefühl, genau dort mit genau dieser Liebe richtig zu sein, ist trotzdem noch
da“

Maria Fixemer, geb. 1991

Das erste Mal verliebt habe ich mich in der Kirche. Ich war Messdienerin, elf Jahre alt und hatte mir das Verliebtsein immer ganz anders vorgestellt. Denn als ich mich verliebte, war das so unerwartet, und es passierte an einem unwahrscheinlichen Ort: Die Messe war schon fast vorbei, wir saßen auf kleinen roten Stühlen an der Seite des Hochaltars und warteten auf das letzte Lied. Und währenddessen lehnte sich Elisabeth zu mir rüber und fragte: „Glaubst du an Gott?“

Vielleicht war ich überrumpelt, vielleicht wollte ich auch nachdenklicher oder rebellischer scheinen, als ich war, jedenfalls antwortete ich: „Ich weiß es nicht.“ Und sie sagte: „Ich mag dich.“

In dem Moment habe ich mich verliebt. Das Einzige, woran ich mich von diesem Abend noch erinnern kann, ist, wie ich in die Küche meiner Eltern stürmte, dort herumtanzte und immer wieder sagte: „Die Elisabeth mag mich, die Elisabeth mag mich!“

In den Wochen und Monaten danach nannte mich der Küster „unsere treuste Messdienerin“, und meine Mutter sagte: „Oh, oh, wenn der wüsste, warum du so oft in die Kirche gehst!“ Vielleicht war es nicht so, aber damals war mir dieser Einwand unverständlich. Ich war die treuste Messdienerin, und es gab überhaupt keinen Zweifel daran, dass diese Liebe an ihrem richtigen Ort war.

Heute weiß ich, wie viel Kraft und Energie dafür eingesetzt wird, einen Platz für die Liebe zwischen Männern und Männern und Frauen und Frauen in der Kirche zu schaffen. Und ich verstehe diese Kirche, die irgendwie auch meine ist, oft nicht mehr in ihren winzigen Schritten und ihrer oft verletzenden und gefährlich selbstgerechten Haltung in der Frage, wer wen lieben darf. Aber das alte Gefühl, genau dort mit genau dieser Liebe richtig zu sein, ist trotzdem noch da. Das ist meine Hoffnung, für die Kirche, vor allem aber für die Menschen, die in ihr leben und sich lieben: Dass sich beide – Kirche wie Menschen – trauen, sich zu öffnen und offen sind gegenüber der Liebe zwischen Menschen egal welchen Geschlechts, für die die Kirche der Ort dieser Liebe ist – ob nun aus Zufall, weil sie es so wollen oder weil es einfach so sein soll.

2. „Ich fiel aus meiner Kirche in ein bodenloses Loch“

Ben, geb. 1995

Mein Leben als Katholik begann in der Messe, in der auch meine Großeltern G*tt anlässlich ihrer Goldhochzeit für ihre Ehe und ihre sechs Kinder dankten, in einem weißen Kleid. Dasselbe weiße Kleid, das meine fünf Cousinen bei ihrer Taufe trugen, dasselbe weiße Kleid, das meine Schwester trug. Es war auch dasselbe weiße Taufkleid, das mein Cousin trug, nur hatte es bei seiner Taufe blaue Schleifchen und bei meiner rosafarbene.

Bei der Anmeldung zur Taufe hatten meine Eltern die gleichen Angaben gemacht wie beim Standesamt – zu dem Namen, den sie mir geben wollten, und dem Geschlecht, das vermutet wurde. Die Kirche übernahm diese Daten.

Seit meiner Taufe war ich also Katholik. In meiner Heimatkirche und um sie herum verbrachte ich viel meiner Zeit; ich fühlte mich dort zu Hause. Sie war ein Ort, an dem ich lebte und lernte. Fast alle Menschen, die mir in meinem sozialen Umfeld wichtig waren, gehörten zur aktiven Gemeinde. Kirchengemeinde und Kleinstadtgesellschaft waren stark miteinander verwoben, sodass die Kirche in die Gesellschaft um mich herum hineinwirkte. Ich besuchte eine katholische Grundschule und später ein katholisches Gymnasium. Bis zu meinem Abitur war die Kirche bei jedem wichtigen Lebensereignis dabei.

Ich wusste mich an jedem bedeutsamen Tag in meinem Leben begleitet und von G*tt geliebt, konnte mein Leben vor G*tt betrachten und für alles Gute darin danken. Auf dem Lebensweg, den die Kirche mir durch die Sakramente vorzeichnete, fühlte ich mich immer sicher. Auch wenn ich wie etwa bei der Erstkommunion für ein wenig Aufsehen sorgte, als ich mich weigerte, ein weißes Kleidchen anzuziehen als die anderen Kinder zu diesem Ereignis wie kleine Brautleute ausstaffiert wurden. Die Grenze zwischen den Erwartungen der Kirche und den Erwartungen der erwachsenen Leute, die die Kirche für mich verkörperten, zu ziehen, war manchmal schwer, doch ich sah die Kleiderfrage nie als Problematik innerhalb meines Glaubens an. Schließlich ging es in den Feiern immer um etwas ganz anderes: meine Beziehung zu G*tt.

Als sich meine Perspektive verschob und ich als Heranwachsender anfing, mich nach meinem weiteren Lebensweg und meinem eigenen Erwachsenenleben zu fragen, wurden die Dinge schwieriger. Ich wollte den Pfad meines christlichen Lebens weiterverfolgen, aber dieser hörte unvermittelt auf.

Die Kirche sah verschiedene Wege vor, wie Menschen ihr Leben verbringen sollen, doch keiner davon stand mir offen. Denn als ich mich auf die Suche begab und nach den Lebenswegen fragte, die vorgesehen waren, lernte ich nach und nach, dass das Betreten all dieser Pfade plötzlich an mein Geschlecht geknüpft sein sollte. Und ich spürte, dass ich in den Erzählungen der Kirche nicht vorkam, lange bevor ich den Begriff „Transidentität“ kennenlernte. Zwar passte ich in all die biblischen Geschichten hinein, denn ich verstand sie alle als Geschichten von Menschen, doch irgendwo war da ein Bruch zwischen dem, was ich von ihnen verstand und dem, was die Kirche aus ihnen für mein Leben ableiten wollte.

Ich fühlte mich einsam inmitten der Menschen. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte, nach mir und meinem Platz zu fragen. Niemals erwähnte irgendjemand in der Kirche einen Menschen, der so war wie ich. Und so fragte ich G*tt. Immer wieder: Wer soll ich sein? Was willst du, dass ich tue? Was hast du dir dabei gedacht, mich so zu machen; mit all dieser Einsamkeit, dem Schmerz?

In der Kirche hatte ich nicht nur etwas über Gemeinschaft erfahren, dort wurde auch Leiden erhöht sowie Aufopferung und Demut. Ich versuchte mit all meiner Macht, ein gutes, ein g*ttgefälliges Leben zu führen. Ich rang mit G*tt. Jahrelang. Mal versuchte ich sehr ernsthaft mit Frömmigkeit, mal mit Rebellion, meinen Pfad wiederzufinden. Doch ich hörte immer nur ein leises Raunen: Woanders. Irgendwann dachte ich, G*tt hätte keinen Platz für mich vorgesehen; als hätte G*tt mich vergessen.

Während ich immer mehr zu mir selbst fand und kennenlernte, wer ich war; als ich gesehen habe, dass ich nicht anders leben konnte als als Mann, wusste ich nicht, ob ich noch nah bei G*tt war. Aber ich vermisste es, mich in der Musik, in der ich die Heimat meiner Kirche immer bei mir trug, ihm nah zu fühlen. Und in der Musik, in einem Konzert, durch „RUAH“ (hebräisch: Geist/Lebensatem), was auch der Titel eines Albums von Michael Patrick Kelly ist, fand ich meine Nähe zu G*tt schließlich wieder. Aber ich schämte mich und fühlte mich fremd. Ich spürte, dass ich unaufrichtig vor mir selbst lebte.

Als ich ein Wort für mich gefunden hatte („trans“) – eines, nach dem ich fragen und suchen konnte –, las ich alles, was die Kirche dazu zu sagen hatte. Nirgendwo stand ein Wort von G*tt. Es ging um Ehefähigkeit, um Priester:innentum, darum, ob ein Mensch, der „in objektiver Sünde verharrt“ einem Kind ein Vorbild im Glauben, ein:e Pat:in sein kann und sogar darum, ob jemand wie ich überhaupt die Eucharistie empfangen durfte.

Während ich also an meinem Schreibtisch saß, in der Uni, in der Bahn; überall, wo ich nach Antworten suchte, fiel ich aus meiner Kirche in ein bodenloses Loch. Denn als ich alles gelesen hatte, stellte ich fest, dass es in der ganzen schriftlichen und für mich erreichbaren Kirche offensichtlich niemanden gab, der:die mir etwas Liebendes zu sagen hatte. Da lief ich im Regen nach draußen unter den freien Himmel, an den Ort, wo ich gern betete. Dort war ich äußerlich endlich so einsam wie innerlich und wo ich allein war mit G*tt. Ich weinte und schrie zu G*tt.

Dann ließ ich meine Kirche los. Ich ließ alle Schilde fallen. Ich ließ die Erwartungen der Menschen los. Ich fuhr alle Ansprüche herunter, die ich an mich selbst hatte, bis zu den Grundfesten meines Glaubens. Dort fand ich die Sendung, die ich in mir trage: den Menschen Gutes zu tun.

Ich betete, ließ alle Pläne ziehen und fand am Tiefpunkt meines Lebens einen neuen Weg. Und ich versprach G*tt: Wenn das der Mensch ist, der ich sein muss, um Gutes in der Welt tun zu können, dann werde ich dieser Mensch sein, auch wenn ich den Weg, den ich betrete, nicht kenne, und wenn ich ihn ohne meine Kirche gehen muss.

Ich wusste, ich würde keine Hilfestellung haben, denn dieser Weg war nicht vorbereitet. Und auch, dass ich G*tt zwischendurch missverstehen könnte, aber es gab nichts außer meiner Vereinbarung mit G*tt.

Ich versuche jetzt, stets offen zu bleiben. Nachzufragen. Hinzuhören. Damit eines Tages, wenn ich vor G*tt stehe, mein Gewissen klar ist.

Ich bin jetzt im Reinen mit G*tt.

Ich bin verletzlich, weil ich aus meiner Kirche herausgefallen bin und weil die mittlerweile vielen Menschen, die Kirche mit mir zusammen sein wollen, so oft nicht sichtbar sind.

Ich habe keinen sicheren Platz in meiner Kirche. Ich bin oft dort und solange ich nützlich erscheine oder namenlos bin, bin ich geduldet. Aber im Angesicht lehramtlicher Kirche, wenn sie diese Seite von sich hervorkehrt, hört spontan ein jedes Mal meine Existenz auf. Ich entschwinde mir. Dann muss ich hinausgehen und mich suchen. Vielleicht komme ich noch mal zurück.

Mir wird nicht getraut. Schon nicht bei meiner Existenz, wo denn dann? Manchmal höre ich auf zu sprechen.

Doch selbst, wenn ich mich ganz vergrabe, muss ich doch immer wieder hervorkommen. Denn G*tt hat so viele wunderbare queere Menschen gemacht. Und ich will nicht, dass davon auch nur eine Person ihren Glauben verlieren muss, weil wir so kleingläubig sind und kein Vertrauen in G*tt haben.

Katholisch und Queer

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