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10. „Gott hat Glück, dass ich ihn so trotzköpfig liebe“

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Dr. theol. Robert Mucha, geb. 1987

Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, dann war da immer „Kirche“. Von klein auf gehörte sie für mich dazu und sollte mein Leben stark prägen. Die Beziehung zu Jesus Christus wurde für mich dann wirklich auch in der Erstkommunion spürbar: Ich sah es und sehe es auch rückblickend als tiefe Gnade und eigentlich höchstes Geschenk an, dass ich glauben kann. Glaube, Hoffnung und Liebe sind die göttlichen Tugenden. Doch ich merkte, dass gerade beim „Lieben“ immer auch noch eine andere Dimension bei mir dabei ist …

Die Faszination für das eigene Geschlecht, obwohl ich als Teenager auch schon einmal ein Mädchen geküsst habe, war am Ende größer. Und ich musste dies – auch wenn es gar keinen konkreten Anlass, keinen „Freund“ oder so gab – einfach jemandem offenbaren. Am 11. September 2001, ja, genau diesem Tag, rief ich meine Mutter vormittags bei der Arbeit an. Es musste raus, und zwar am Telefon. Am Nachmittag kam sie nach Hause. Die Twin Towers waren eingestürzt und ich erinnere mich noch gut an ihre Worte: „Das war ja ein Tag heute …“ Es war raus, aber damit war es gut. Ich wollte nicht weiter darüber sprechen. Ich war ja gerade erst 14 Jahre alt.

Die Kirche war für mich damals schon enorm wichtig. Auch die Meinung der Kirche über mich als Person. Ich beichtete es allerdings nicht; es gab ja auch nichts zu beichten: keine Handlungen dieser Art. Aber ich trug es in mir, dass irgendetwas schon nicht ganz so perfekt ist, wie es eigentlich sein müsste oder sollte.

Mit 18 Jahren dann – ich hatte bis dahin noch keine Erfahrungen sexueller Art gehabt, nur Schwärmereien – beschloss ich, den Weg zum Priestertum einzuschlagen. Ich war der festen Ansicht, dass ich es, da ich es nun schon so einfach und gut geschafft habe, auch weiter hinbekäme. Und ich dachte: „Ich setze einfach kein ,Initium‘, keinen verhängnisvollen Anfang, der eine Kettenreaktion in Gang bringt.“

Im Priesterseminar dann angekommen wurde ich gleich am ersten Tag angemacht. Ich wehrte ab, schützte mich und meinen Glauben. So viele Männer – im Nachhinein betrachtet zu viele homosexuell und zu wenige heterosexuell empfindend –, so viele Männer auf einem Haufen, das kann nicht funktionieren. Die nächste Verliebtheit. Man leidet. Wem kann man sich anvertrauen?

Durch das Wagnis des Anvertrauens entstand eine Freundschaft, die trägt und bis heute Bestand hat, gerade auch, weil in diesem geschützten Raum dieses Thema ohne Angst besprochen werden konnte. Ich blieb standhaft, zölibatär.

Im Nachhinein denke ich mir häufig, dass ich wohl auch einer von denen war, die ein Stück weit weggelaufen sind vor sich selbst und der Wahrheit. „Herr, mach deine Kirche zu einem Ort der Wahrheit und der Freiheit“ heißt es in einem modernen Hochgebet. Das war sie leider nicht – nicht so wie es eigentlich seelisch-gesund sein sollte.

In meinem Auslandsstudium geschah es dann: wieder ein Verliebtsein, dieses Mal aber wurde es erwidert. Was nun? Was tue ich? Was tun wir? Der andere steht vor denselben Fragen wie ich. Zwei Männer in ähnlicher Lage und verbotener Liebe. Das „erste Mal“ geschieht. Der Dominostein war gefallen – ein Point of no Return, wie ich bald feststellte. Denn: Der Drang nach Körperlichkeit ließ sich nun nicht mehr wegwischen.

Mein Entschluss stand fest: Ich will einen Schlussstrich ziehen, aber nicht unter die Beziehung mit ihm oder Gott, sondern mit dem Priesterseminar. Dem zuständigen Regens schicke ich das Austrittsschreiben mit Datum meines 21. Geburtstags. Er schreibt sehr freundlich, leicht enttäuscht (wie ich meine zwischen den Zeilen zu lesen) zurück. Ich habe ihm nicht die ganze Wahrheit gesagt. Er sagt, ich könne jederzeit wiederkommen. Eine Hintertür …

Da diese Beziehung mit dem Jahr im Ausland endete und mein damaliger Freund seinen eigenen Weg weiterging, während mein Weg einen Riss bekommen hatte, kehrte ich allein und verändert nach Deutschland zurück. In Distanz zur Heimat und mit der Erfahrung von Liebe im Rücken outete ich mich an meinem neuen Studienort mehr und mehr. Es war ein Prozess – es brauchte Übung und von Mal zu Mal ging es leichter. Schließlich erfuhr ich an meinem neuen Studienort dann auch, wie zerstörerisch und oberflächlich die Gay-Szene sein kann: Unverbindlichkeit, Ausnutzen, Fokus auf das Körperliche. Nein, dafür hatte ich meine andere große Liebe, Gott, nicht aufgegeben.

Ich war in geistlicher Begleitung und versuchte den Draht zur Kirche zu halten. Doch auch da schien es immer wieder durch, dass mein „So-Sein“ einfach nicht korrekt war. Ich erinnere mich an Beichten, die auf labilere Gemüter sicher traumatisierend gewirkt hätten. Gott hatte auch ein wenig Glück, dass ich ihn ebenso trotzköpfig liebte, wie er die Menschen trotz all ihrer Fehler und Macken liebt. Es hätte rational genug Gründe gegeben zu gehen – einfach raus, die Kirche verlassen oder evangelisch werden. Nein, nein und nein! Das war niemals eine Option und wird auch keine sein. Wie schön, aber auch wie fatal fühlt es sich an, wenn man feststellt, wie sehr die eigene Existenz mit Gott und seiner Kirche verwoben ist! Es ist Geborgenheit, aber auch ein Ringen und Leiden.

Meine wissenschaftliche Beschäftigung band mich noch stärker an die Theologie. Ich entwickelte eine große Freude dafür, Studierenden und Erwachsenen die großen Glaubensthemen näher zu bringen und arbeitete schon neben der Promotion gerne an Bildungseinrichtungen und hielt Vorträge. Es ist ein großes Glück, dass ich den Menschen wirklich weitergeben darf, wie meine Gedanken zu bestimmten Fragestellungen theologischer Art sind. Dabei – und das halte ich für fundamental wichtig als Theologe – ist es mir ein großes Anliegen, auch das Verständnis für die kirchliche Sichtweise groß zu machen. Zugleich sind Einordnung und Deutung so wertvoll, dass mich die Wissenschaft der Theologie auch ein Stück weit mit meiner privaten Situation im Glauben unterstützt hat.

So bin ich bis heute ein engagiertes und begeistertes Mitglied dieser Kirche, auch wenn Skandale und Verbrechen dieses Grundvertrauen immer aufs Neue erschüttern und ich fast schon das Gefühl habe, man muss masochistisch veranlagt sein, um diese Kirche zu lieben. Zugleich wundert es mich auch nicht: Die Strukturen schaffen Menschen, die sich ihrer Geschlechtlichkeit berauben.

Auch wenn es nicht gewollt ist: Das Klima des Verdrängens und des Verheimlichens in diesen Fragen ist noch immer da und schlicht nicht gesund für junge Männer. Ich würde mir von der Kirche wünschen, dass so etwas wie die unsägliche Instruktion zur Zulassung zu den Weihen von 2015 einfach ersatzlos gestrichen, nein, sogar umgeschrieben wird.

Wenn man einmal eine priesterliche Berufung gespürt hat, verfolgt diese einen. Es ist noch etwas davon da – auch wenn ich schließlich doch noch kurz bevor ich gedanklich schon wieder ins Seminar zurückstrebte, meinen jetzigen Ehemann kennenlernte. Er ist katholisch, geht aber nicht viel in die Kirche – das mache ich dann eher mit meinem Schwiegervater.

Mein Mann meinte einmal: „Bevor ich dich kennengelernt habe, hatte ich eigentlich ein ganz gutes Bild von der Kirche.“ Das hat mir zu schaffen gemacht: Durch mich hat er viele Menschen kennengelernt, die mit sich und ihrem Glaubensweg als Geistliche ringen und dabei oft auch fehlgehen. Diese Doppelbödigkeit in der Kirche gerade bezüglich der Homosexualität macht meinen Mann fertig – und ich verstehe das. Wieso verteidige ich eine Institution, die unsere Liebe nicht anerkennt?

Bei unserer Hochzeit fand ich es sehr wichtig, einen Wortgottesdienst zu veranstalten. Ein befreundeter Priester hat schließlich der Feier vorgestanden: Theologisch sauber haben wir als Paar uns gegenseitig mit Weihwasser die Stirn bekreuzigt – der Priester hat dann nicht uns individuell gesegnet, sondern kollektiv alle versammelten Liebenden. Das war schön – zumal es uns zwei Dinge vor Augen führte: Unsere Familien und Freunde stehen hinter uns und über unserer Liebe, und auch wenn die Kirche dies vielleicht noch nicht erkennt – dies tut auch Gott. So beginne ich heute noch den Tag mit einem Kreuzzeichen und einem Kuss für meinen Mann und beende ihn auch so. Es wäre ein Traum, wenn dies für alle homosexuell liebenden Menschen so einfach ginge und wenn sich jeder in dieser Kirche zu Hause fühlen würde!

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