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Vor dem Anfang: Eine Einladung

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Der Funke für dieses Buch wurde entzündet, als wir drei uns im Forum „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ im Rahmen des Synodalen Wegs kennenlernten. Von Alter, Herkunft, Beschäftigung und Geschlecht her verschieden hatten wir doch eine Gemeinsamkeit: Alle drei waren wir aufgrund unseres Engagements gegen die Diskriminierung queerer Menschen in der katholischen Kirche und aufgrund unseres eigenen Queer-Seins ins Synodalforum berufen.

„Queer“ ist ein Sammelbegriff und eine Selbstbezeichnung für Menschen, die nicht heterosexuell sind und/oder deren Geschlechtsidentität oder Geschlechtsauftreten nicht mit den gesellschaftlichen Vorstellungen, z. B. nicht mit dem bei Geburt zugeordneten Geschlecht, übereinstimmt.

Queer-Sein in der katholischen Kirche bedeutet: nicht im System vorgesehen sein.

Während die Gesellschaft in Deutschland langsam inklusiver wird und 2017 mit der „Ehe für alle“ ein klares Zeichen für Gleichberechtigung setzte, ist in der katholischen Kirche auch 2021 sogar die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare ausdrücklich untersagt. Die Sakramente der Ehe und des Priesteramtes, aber auch das Sakrament der Eucharistie bleiben queeren Menschen, die ihre Sexualität leben, versagt.

Genauso verhält es sich mit dem katholischen Arbeitsrecht: viele Mitarbeiter*innen der katholischen Kirche, insbesondere in Berufen der Verkündigung und der Jugend- und Kinderarbeit sehen sich gezwungen, ihre Familie und ihr Privatleben im Rahmen des Arbeitsverhältnisses und vor Kolleg*innen und Freund*innen zu verschweigen und zu verheimlichen. Oft leben sie in ständiger Angst und Sorge, aufgrund ihrer Beziehungen ihren geliebten Beruf und ihre existenzielle Grundlage zu verlieren.

Um die schwerwiegenden Folgen dieser Diskriminierung in der Lebensrealität queerer Menschen in der katholischen Kirche für die Menschen im Synodalforum zu verdeutlichen, starteten wir 2020 einen Aufruf: Queere Menschen sollten sich bei uns mit ihren Erfahrungen in der katholischen Kirche melden. Diese Lebenszeugnisse wollten wir dann als Problemanzeigen im Forum einbringen. Aus vielerlei Gründen erwies sich die Umsetzung unseres Plans als schwierig. Aber wir wollten die bewegenden und wichtigen Zeugnisse, die auf diese Weise den Weg zu uns fanden, nicht aufgeben.

Dem Vorbild von Sr. Philippa Rath folgend, die 2020 die Berufungsberichte von 150 Frauen als Buch veröffentlichte („ … weil Gott es so will“ – Frauen erzählen von ihrer Berufung zur Diakonin und Priesterin, Herder), entschieden wir uns mithilfe des Bonifatius Verlags Paderborn schließlich zur Veröffentlichung in Buchform.

Dabei war von Anfang an klar, dass in diesem Buch nicht zur Diskussion steht, ob Veränderung nötig und möglich ist – im Gegensatz zum Synodalen Weg, wo wir das „Ob“ über die Notwendigkeit unserer Grundrechte diskutieren müssen. Für das Konzept dieses Buches orientieren wir uns deswegen an der Idee des Wandels, die eine Problemanzeige, Forderung nach und Hoffnung auf Veränderung in sich vereint. Die drei Teile unseres Buches versuchen dabei Prozesse der Ver-Wandlung nachvollziehbar zu machen und zu ermöglichen. Mit Wandel meinen wir in erster Linie inneren Wandel, der alle drei Gruppen von Erfahrungsberichten durchzieht.

Im ersten Teil finden sich mit wenigen Ergänzungen die Lebenszeugnisse, die uns auf unseren ersten Aufruf hin erreicht haben. Lesbische, schwule, gleichgeschlechtlich liebende, bisexuelle, sowie trans, inter, nichtbinäre und andere queere Menschen berichten aus ihrem Leben, von ihren Glaubens-, Glücks- und Leiderfahrungen. Ihre Zeugnisse eröffnen Einblicke in die Situation von queeren Gläubigen in verschiedenen Bereichen der katholischen Kirche. Viele der Zeugnisse sind durchzogen von innerem Wandel – weg von den erniedrigenden Vorgaben der kirchlichen Sexuallehre hin zu Selbstannahme und Selbstliebe. Dabei bleibt auch nicht verschwiegen, dass für manche dieser Weg aus der Kirche und mitunter auch aus dem Glauben heraus führt.

Um das ganze Spektrum aufzuzeigen, haben wir die Lebenszeugnisse sortiert. Rubriken wie Familie, Berufung, Glaubensverlust u. a. bilden Schwerpunkte der darin enthaltenen Zeugnisse ab. Nicht alle Texte waren leicht zuzuordnen, denn viele Erfahrungen haben mehrere Schnittmengen. Die Rubriken sind deswegen mehr eine Lese- und Orientierungshilfe als eine klare Kategorisierung. Sie sollen aber auch Momente des Durchatmens ermöglichen. Denn alle Texte sind äußerst persönlich, intensiv und oft auch schmerzhaft zu lesen. Wir möchten dazu ermutigen, sie in Ruhe zu lesen und sich die Zeit zu nehmen, die beschriebenen Situationen wirklich aktiv wahrzunehmen und zu versuchen, die Tragweite bestimmter kirchlicher Strukturen für das Leben vieler Menschen zu verstehen. Dazu gehört auch, auf das zu achten, was zwischen den Zeilen steht und unaussprechbar bleibt.

Viele Berichte sind aus verschiedenen Gründen anonymisiert, etwa weil die Verfasser*innen bei der Verwendung des Klarnamens mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätten oder weil in kirchlichen Umfeldern bereits so viel Übergriffigkeit und Schmerz erfahren wurde, dass das persönliche Zeugnis geschützt werden muss.

Einige Berichte lassen Erfahrungen von Machtmissbrauch in der katholischen Kirche bewusst aus, (u. a.) um den Fokus aufs Queer-Sein zu setzen.

Auch haben es einige Lebensgeschichten nicht in dieses Buch geschafft, weil der Schmerz nicht in Worte zu fassen war. Umso wichtiger ist es, sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen, dass die beschriebenen Situationen und Strukturen zu einer besonderen Vulnerabilität queerer Menschen für Machtmissbrauch durch Amtsträger*innen in der katholischen Kirche führen. Allein die Anonymisierung aufgrund existenzieller Not verdeutlicht diesen Umstand.

Einen Perspektivwechsel enthält der zweite Teil, in dem Menschen aus dem Nahbereich queerer Personen zu Wort kommen. Geschwister, Eltern, Seelsorger*innen und weitere Personen berichten aus ihrer Perspektive von den Schwierigkeiten, mit denen ihre Lieben und Nächsten in Kirche und Glauben zu kämpfen hatten und haben. Aber sie erzählen auch von ihrem eigenen Wandel und innerem Prozess.

Der dritte Teil eröffnet die Perspektive von Menschen mit Verantwortung für Wandel und Fortschritt in der katholischen Kirche. Verantwortungsträger*innen aus Amtskirche, Theologie, Verbänden und Seelsorge berichten von Wandel auf persönlicher und institutioneller Ebene. Dabei geht es nicht nur um vollzogenen Wandel, sondern auch um Zukunftsperspektiven, Voraussetzungen und Notwendigkeiten.

Alle drei Teile des Buches sind eine Einladung, sich bewusst auf die beschriebenen Erfahrungen und Situationen einzulassen. Es soll ein Raum der Begegnung sein: mit Lebensgeschichten, mit Geschwistern im Glauben, zwischen Familien, zwischen Mitmenschen. Die Bereitschaft zu dieser Begegnung, zum Hinsehen auf die Nöte und Wirklichkeiten anderer Menschen ist für uns der erste Schritt zu Wandel und Veränderung – sowohl individuell, als auch in der Kirche.

Bewusstes Hinsehen fordert Mut und Überwindung und kann schmerzhafter sein als vermutet. Dass neben Lebenszeugnissen auch Perspektiven von Verantwortungsträger*innen genau diesen Prozess beschreiben, ist uns wichtig. Die Botschaft lautet: Du gehst diesen Weg nicht allein. Und als dieses Buch entstand, war es für uns eine unglaublich bereichernde und berührende Erfahrung zu sehen, dass Bischöfe, katholische Verbände, Einzelpersonen und Seelsorgende diesen Weg mit und für uns gehen.

Mirjam Gräve, Hendrik Johannemann, Mara Klein

Katholisch und Queer

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