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Was tun?

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Ich verzog mich in mein Zimmer. Ich hatte gerade einen neuen Schreibtisch bekommen. Auf zwei Holzböcken lag eine Multiplex-Birken-Holzplatte mit dunkelgrünem Linoleum drauf. Mein Altar. Malen war so ungefähr das Einzige, was ich gerne machte und gut konnte. Ich begann an einem neuen Bild für den Kunstunterricht zu arbeiten. Das Thema war „Die Mutation“. Ich hatte mich für ein Aquarell entschieden, das Mopsi mit Brüsten zeigte. Es sah aus wie Dürers Hase, nur das der Hase ein Mops war und Brüste hatte. Ich malte die Brüste so realistisch, wie es mir möglich war, mit rosa-schwarzen Brustwarzen. Da Mopsi sehr alt war, hingen die Brüste und Mopsi hechelte, was Möpse eigentlich immer tun, außer wenn sie schlafen. Das Gehechel gab dem Bild eine obszöne Note. Es war aufwändig, mit Aquarellfarben realistisch zu malen, aber ich konnte mir nichts Besseres vorstellen, als zu malen. Ich vergaß Zeit und Raum, wenn ich an einem Bild saß. Mein Glück, denn was hätte ich sonst wohl auch tun sollen?

Fakt war, dass man in Kleinbeken definitiv nichts Vernünftiges machen konnte, außer, wenn man mit allem abgeschlossen hatte und so was wie Gardinen oder Auto waschen als ausreichend sinngebend empfand. In Kleinbeken war bislang noch jede Revolution und jedes Bestreben nach Gerechtigkeit, Freiheit oder Vielfalt im Keim erstickt worden. 1938 wurde die gesamte jüdische Bevölkerung verjagt, die aus fünf Frauen, fünf Männern und sieben Kindern bestand. Ich verstand noch gerade, dass es hier 1968 keine Studentenproteste gegeben hatte, wir hatten in Kleinbeken ja lediglich eine Grundschule, für die selbst ein Elternbeirat als zu progressiv empfunden wurde. Die Frauenbewegung verebbte als schlüpfriger Witz am Stammtisch, niemand sprühte hier politischen Parolen an die Mauern, und junge Eltern verlangten nicht nach avantgardistischen Krabbelgruppen. Eigentlich waren die Extremkleinbekener meine Eltern. Mein Vater galt als Spinner, weil er einen DAF Variomatic fuhr und uns diese Furzkutsche als Familienwagen zumutete. Dann war er auch noch handwerklich gesehen ein Autist. Und las Gedichte. Da er ein Mann war, wurde er trotzdem respektiert, er war immerhin groß und sah aus wie Gregory Peck. Meine Mutter war schlank, hatte schwarze Haare ohne Dauerwelle und trug immer schwarze Sachen, was nicht so ganz dem hiesigen Hausfrauenstandard entsprach. Sie war entfernt verwandt mit Romy Schneider, das war auf der einen Seite überaus interessant, aber auch skandalös. Warum auch immer, aber die alten Frauen flüsterten immer, wenn sie darüber redeten.

Über mich regte sich keiner im Dorf auf, außer Lissis Mutter. Ich wäre gerne eine Außenseiterin gewesen, eine, die aufrüttelt, polarisiert. Fehlanzeige. Ich konnte rumlaufen, wie ich wollte – sie mochten mich. Ich gehörte dazu, ob mir das nun passte oder nicht, denn ich war hier geboren. Die wohlwollende Billigung meiner Person gründete sich auch dadurch, dass die Männer das Sagen hatten. Sie fanden es lustig, dass ich Apfelkorn vorm Büdchen trank - „Ach ja, das ist doch die Kleine vom Kreuker, die ist ja jetzt auch schon groß“ - sagten sie und wollten einen mit trinken. Meine Kleidung interessierte sie gar nicht, im Dorf wurde sich generell nicht affig angezogen. Alle sahen aus, als bezögen sie ihre Kleidung von der Heilsarmee, außer Arbeitskleidung, die musste anständig sein. Meinen Anti-Atomkraft Aufkleber auf dem Fenster hielten sie für die Vorsehung meiner künstlerischen Zukunft. Wenn ich nackt durchs Dorf gelaufen wäre, hätten sie sich gefreut, dass sie sich am Stammtisch mal was Neues erzählen könnten. Dass ich kein Fleisch aß, verstanden sie. „Ach ja, mir tun die Tiere auch leid. Wenn ich die verlade und die gehen nur auf den Hänger, weil sie mir vertrauen, dann fühle ich mich so mies...“,...„ich ess' ja auch ganz wenig Fleisch...“, „die Herta kann nichts anderes als Fleisch...“, usw. Mama hatte es schwerer, sie war eine Zugezogene und das auch noch aus dem unübersichtlichen Essen. Da waren alle skeptisch.

Die alteingesessenen Frauen hatten schon den einen oder anderen Kritikpunkt, was mich betraf, führten jedoch ein Nischendasein im dörflichen Wertesystem. Ihre Anmerkungen blieben unter ihnen. Tag für Tag, wenn sie den Bürgersteig so sauber gemacht hatten, dass man dort Herztransplantationen hätte durchführen können, standen sie mit Kittelschürze, Kopftuch, die Arme verschränkt und schüchterten mich ein. Frauen, deren Häuser aussahen wie Volksmuseen. Jeden Tag zupften sie die kleinen Halme zwischen den Gehwegplatten heraus und präsentierten dem beeindruckten Beobachter ein Spalier dicker oder verknöcherter Hintern. Eine Woche, bevor die Pfingst-Prozession vorbeizog, schrubbten sie die Häuserwände und pflanzten die Blumen in den Fensterkästen neu, weil sie Angst hatten, der Pfarrer würde sie sonst schief ansehen, aber wenn mal jemand wirklich Hilfe brauchte, dann kam es schon sehr drauf an, aus welcher Familie man kam.

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