Читать книгу STÖRFÄLLE - Gudrun Gülden - Страница 7

15-Minuten-Heimat

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Wir hatten uns zum Lernen bei Lissi zuhause verabredet. Ich zog Turnschuhe und meine rote Alpakajacke mit Lamamotiv aus Bolivien an, meine Mutter zankte mich an, ich solle festere Schuhe und was Wärmeres anziehen, da es Winter sei, was mir noch gar nicht aufgefallen war, wo einem doch Eiszapfen auf den Kopf fielen und ich hasste sie gleich für die erneute Einmischerei und zog erst recht meine Turnschuhe an. Ich war Hippie und zog keine Spießerklamotten an. Was hat ein Hippieleben mit wasserdichten Wanderstiefeln zu tun? Draußen schneite es, die Turnschuhe waren eine blöde Idee gewesen.Das war natürlich die Schuld von meiner Mutter, dass ich jetzt nasse und kalte Füße bekam.

Lissi und ich kannten uns seit dem Kindergarten. Freundinnen wurden wir, als ihr Spaniel Jambosala unsere Mopsi schwängerte, da waren wir neun Jahre alt. Die Kleinen sahen sehr süß aus, einen nahm mein Freund Andi und nannte ihn Ente. Mein Vater ging mit Mopsi und den Welpen zu Lissis Eltern und verlangte Alimente. Lissis Eltern beömmelten sich, hahaha, Hände dreimal auf die Beine geschlagen, zahlten natürlich nix, luden uns aber zum Kaffee ein. Lissi und ich wurden „Beste-Freundinnen“ und verbrachten die Jahre in der Sicherheit, die ein „Bester-Freundinnen-Pakt“ so mit sich bringt. Ab und zu trübte der Wohlstand von Lissis Eltern meine Freude an diesem Bündnis.

Ich schlitterte den Gehweg lang. Kleinbeken war, um es mal auf den Punkt zu bringen, ein zum Totlachen winziges Kaff. Um zu Lissi zu gehen, musste ich einmal durch den gesamten Ort, was eine Viertelstunde dauerte. Sieben Minuten bis zum Kirchplatz, eine Minute über den Kirchplatz, wo die drei Kneipen um die Kirche herum standen und etwas abseits das Büdchen war, vor dem Andi und Keili immer noch oder schon wieder abhingen. Sie wippten von einem Bein auf das andere, stießen weiße Atemwolken aus und rieben sich die Hände. Als sie mich sahen, winkten sie, ich winkte zurück und sah zu, dass ich weiter kam.

Und dann waren es noch einmal sieben Minuten vom Kirchplatz zu Lissi, wo die Straßen breiter wurden und Platz für große Bäume zwischen den Häusern war. Lissi wohnte in dem größten Einfamilienhaus Kleinbekens, mit einem Schwimmbecken im Garten. Ich hätte es besser gefunden, wenn sie in unserer Zechensiedlung gewohnt hätte, nicht nur wegen der Entfernung. Lissis Vater hatte das Monopol für Kaugummiautomaten im gesamten Ruhrgebiet und man ahnte ja nicht, wie viel Geld sich damit machen ließ. Immer, wenn ich die Gören mit den schmierigen Pfoten vor den Automaten sah und ihr Geplärre hörte, musste ich an Lissis Vater denken, wie er auf dem weißen Ledersofa saß mit seinen manikürten Fingernägeln und ich staunte, was die Kaugummis einbrachten. Er hatte auch noch einen Getränkeladen. Bei Lissi zuhause sah es aus wie in einer Hochglanzreportage über Landadel, alles geschmackvoll und picobello. Sie hatten eine Putzfrau, die jeden Tag kam. Lissis Eltern machten mir Angst. Mein Vater mochte sie nicht, er sagte, Lissis Vater sei ein Unterdrücker, aber dann murmelte meine Mutter immer, er solle mal lieber vor seiner eigenen Hütte kehren, dann verzog sich mein Vater in seine Arbeitsecke und las regionale Lyrik. Er war der Stadtarchivar von Großbeken. Meine Mutter drehte sich zum Herd um und kochte.

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