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1.2.4. Bedeutungs- und wissensorientiertes Kulturkonzept

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Bedeutungs- und wissensorientierte Kulturtheorie

Das bedeutungs- und wissensorientierte Kulturkonzept verweist auf einen weiteren Kulturbegriff und besteht aus unterschiedlichen Komponenten:

Definition: Der bedeutungs- und wissensorientierte Kulturbegriff umfasst ein Konzept, nach dem Akteure die Bedeutung ihrer Handlungen mit symbolischen Ordnungen identifizieren und die Bedeutung dieser Handlung auf Strukturen beschränken.

Dieses Konzept betrachtet Kultur als „Komplex von Sinnsystemen“ oder von „symbolischen Ordnungen, mit denen sich die Handelnden ihre Wirklichkeit als bedeutungsvoll erschaffen und die in Form von Wissensordnungen ihr Handeln ermöglichen und beschränken“.30

Hierzu einige Beispiele:

Clifford Geertz (1926–2006) und Mohammad Ali Mehimani sind Befürworter dieser Kulturtheorie.

Geertz’ Kulturbegriff als überliefertes System

Nach Geertz ist Kultur eine dynamische und überdauernde Gesamtheit aller von den Mitgliedern eines Kollektivs geteilten Bedeutungen, die für sie als Deutungsweise und Handlungsmuster verhaltensbestimmend sind.31 Für ihn bedeutet Kultur „ein historisch überliefertes System von Bedeutungen, die in symbolischer Gestalt auftreten, ein System überkommener Vorstellungen, die sich in symbolischen Formen ausdrücken, ein System, mit dessen Hilfe die Menschen ihr Wissen vom Leben und ihre Einstellungen zum Leben mitteilen, erhalten und weiterentwickeln“.32 Fahnen oder Nationalhymnen sind Beispiele solcher symbolischer Systembedeutungen.

Mit der Deutung von Symbolsystemen und semiotischen Mitteln, die einer Kultur zur Wahrnehmung und Beschreibung der Welt dienen, löst Geertz in einer hermeneutischen Wende den ethnographischen Realismus Malinowskis ab. Nicht nur grundlegende Werte, Normen oder Welt- und Menschenbilder werden berücksichtigt, sondern auch Muster und Standards des alltäglichen Wahrnehmens, Fühlens, Denkens und Handelns.

Ferner sieht Geertz Sinnmuster als ein Kollektivphänomen, das sich in „öffentlich“ wahrnehmbaren Symbolen zeigt, die in eine gemeinsame soziale Handlungspraxis eingehen. Mit diesem Ansatz betreibt er eine „Historisierung“ und „Entindividualisierung“ der Kulturanalyse, indem er weltanschauliches Orientierungswissen religiöser oder politisch-ideologischer Art herausarbeitet. Auch befasst sich Geertz mit kultureller Ordnung und Stabilität und hält kulturelle Interferenzen und Mehrdeutigkeiten für normale Gegebenheiten.

Diese Auffassung neigt gelegentlich zu einer interpretativ-hermeneutischen Version eines „Textualismus“, in dem den öffentlich produzierten symbolischen Praktiken unmittelbar ein „objektiver Sinn“ zugeschrieben wird. Dieser existiere unabhängig von subjektiven Sinnzuschreibungen und dem Hintergrundwissen der Teilnehmer.

Hermeneutische Ausrichtung

Dieser kulturtheoretische Ansatz ist hermeneutisch orientiert und basiert auf dem Verständnis einer interpretativ-verstehenden Sozialwissenschaft, die einen Standpunkt „aus der Sicht des Handelnden“33 einnimmt. Aber auch sie kann sich der Problematik nicht erwehren, die mit der Einnahme der Eigenperspektive verbunden ist, und macht teilweise das Andere zum Objekt der Betrachtungen eines vermeintlich überlegenen Subjekts.

Logik der Zande

Die folgenden Beispiele sollen die damit verbundene Problematik verdeutlichen und zeigen, dass

1 jedes kulturelle System teilweise den Regeln eigener Logik gehorcht,

2 diese Logik zwar in sich stimmig ist, sich häufig von außen betrachtet jedoch als pure Willkür erweist.

Die Zande, eine zentralafrikanische Bevölkerungsgruppe, sind der Auffassung, dass es Menschen mit übersinnlichen Fähigkeiten, also „Hexer“, gibt und sich die Anlage zur Hexerei auf männliche Nachfahren vererbt. Demnach müssten sie anerkennen, dass alle männlichen, miteinander verwandten Mitglieder ihres Stammes ipso facto Hexer sind. Da dies in der Praxis aber nicht der Fall ist, lehnen sie diesen logischen Schluss, der eine ihrer wichtigsten sozialen Institutionen unhaltbar machen würde, ab.34 Dass nicht der gesamte Stamm aus Hexern besteht, erklären sie sich dadurch, dass manche zwar das Potenzial zum Hexer haben, es in ihnen aber nicht aktiviert ist.

Innerhalb ihrer Grenzen bildet diese Logik ein sich selbst genügendes Ganzes, das nur dann verfälscht wird, wenn es als Bruchstück eines größeren oder eines anderen Ganzen angesehen wird.

Westliche Logik

In der westlichen „Welt“ ist die Anwendung logischer Schemata kaum anders. So gilt als ein Mörder jemand, der einen anderen Menschen absichtlich tötet. Ein Bomberpilot wird hingegen nicht als Mörder angesehen. Zur Rechtfertigung hierfür dient eine Fülle an Unterscheidungen und logischen Argumenten. Die Infragestellung der institutionell sanktionierten „Arbeit“ eines Bomberpiloten käme nämlich einer Revolution gleich.

Differenz der Denkweisen

David Bloor resümiert, die Anwendung von Logik unterliege immer und überall unlogischen Motiven. Grenzen und Gehalt logischer Begriffe würden nicht entdeckt, sondern geschaffen werden. Der Aufbau logischer Schemata sei nur ein Weg, um Gedanken nachträglich zu ordnen. Sie seien als Verhandlungsgegenstand anzusehen, der durch andere, ebenso logisch erscheinende Strukturen ersetzt werden könne.

Um zu Geertz zurückzukehren: Dieser verfährt ähnlich wie Malinowski, indem er unter gleichen Voraussetzungen symbolische Ordnungen anderer Kulturen betrachtet, die er letzten Endes nach eigenem Vergleichsmaßstab miteinander in Beziehung setzt. Ein System kann jedoch nur, innerhalb seiner eigenen sozialen Hintergründe und traditionellen Vorstellungen, die ihm zugrunde liegende Logik offenbaren.

Mehimanis angewandter Kulturbegriff

Mehimani geht im Vergleich zu Malinowski und Geertz von einer offeneren Kulturtheorie aus. Er thematisiert die Struktur und Bedeutungsvielfalt des Zivilisations- und Kulturbegriffs im Kontext des westöstlichen Verständnisses. Mehimani unterscheidet zwischen tamaddon, Zivilisation, und farhang, Kultur, aus der die Zivilisation hervorgeht. Wie Geertz hält er Kulturen für dynamisch. Diese Dynamik ermöglicht, Vergangenheit und Gegenwart zu verbinden.

Mehimani unterscheidet drei Kulturformen: farhange karbordi, musei, und armani, angewandte, museale und idealistische Kulturform.35 Angewandte Kulturformen beziehen sich auf die aktuellen Anwendungen kultureller Erscheinungen wie Autos, Mode, Architektur, Handwerk usw. Museale Kulturformen bezeichnen die archäologisierten Erscheinungen von Kultur wie Kunstwerke oder Monumente der Vergangenheit, die in dieser Form nicht mehr dieselbe Bedeutung haben. Idealistische Kulturformen sind zukunftsorientiert. Ihr Ziel besteht darin, Herrschaftsfreiheit anzustreben, in der ein Dialog zwischen Kulturen und Zivilisationen auf gleicher Augenhöhe ermöglicht wird.36 Nach Mehimani geht Zivilisation aus der Kultur hervor und stellt eine säkularisierte Kultur dar: Ohne Kultur keine Zivilisation, lautet sein Fazit.37

Dieses Konzept will dazu beitragen, verschiedene Sinngebungen und Sinnfindungen im Rahmen eines polyphonen Dialogs gleichermaßen zum Tragen zu bringen. Mehimani sucht diese Praxis weder in der Moderne noch in der Postmoderne, sondern in einer dialogischen Toleranz gegenüber unterschiedlichen Kontexten.

Zusammenfassung

Die Kulturtheorien von Geertz und Mehimani sind im Vergleich zu den dargestellten Konzeptionen offener, weil sie Kulturen als unterschiedliche Sinnsysteme betrachten, obschon die Methode von Geertz kulturessenzialistische Dimensionen aufweist. Das Verständnis Mehimanis macht deutlich, dass nicht alle Kulturbegriffe in den europäisch-westlichen Kulturbegriffen restlos aufgehen. Kulturelle Zugehörigkeiten sind zufällig und zeigen Differenzen auf.

Übungsaufgaben:

1 Was zeichnet ein bedeutungs- und wissensorientiertes Kulturkonzept aus? Erläutern Sie die Strukturebene.

2 Beschreiben Sie das Verständnis von „Logik“ der Zande und suchen Sie weitere Beispiele für solche Begründungen.

3 Diskutieren Sie die Begründungsstrukturen von Geertz und Mehimani.

4 Analysieren Sie nun alle vier vorgestellten Kulturtheorien und arbeiten Sie ihre Divergenzen und Konvergenzen heraus.

5 Wenn Sie dieses und die weiteren dargestellten Kulturkonzepte zusammendenken, welcher Kulturbegriff entspricht den Gegebenheiten Ihres eigenen sozialen Systems?

6 Arbeiten Sie heraus, welche Konsequenzen die Wahl der vorgestellten Kulturkonzepte auf eine interkulturelle Kommunikation hat. Untermauern Sie Ihre Auffassung mit einem Beispiel.

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