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Landflucht und Proletarisierung

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In dem Moment, da als Folge großer militärischer Eroberungen die Zahl der Kriegsgefangenen, also der Sklaven (s. o. S. 17), sprunghaft wächst, werden diese auf dem Markt so billig, dass sie als Arbeitskräfte die Freien aus dem Arbeitsprozess verdrängen. Zu manchen Zeiten zählte allein die Hauptstadt Rom an die 200 000 Sklaven und Sklavinnen (Schreiber 1962, 144). Die freien Eigentümer wurden durch ihrer Sklaven Arbeit immer reicher, die dadurch arbeitslosen Freien verarmten und verschuldeten sich: sie gehen unter im Mob der Großstädte, der, durch öffentliche Getreidezuweisungen auf Staatskosten abgefüttert und durch aufwendige Massenveranstaltungen von seinem Elend abgelenkt, zum Manipulationsmaterial für die Machtspiele der Mächtigen verkommt (s. o. S. 14). Dramatisch gestaltet sich die Entwicklung auch auf dem Lande. Der freie Bauer, der seine Scholle selbst (oder mit geringem Gesinde) bearbeitet, kann mit den mit billigen Sklaven bewirtschafteten Großgütern, den Latifundien, nicht konkurrieren, verarmt, verschuldet sich, gibt endlich sein Grundstück auf (das er unter dem Preis einem nahen Großgrundbesitzer verkaufen muss) und zieht in die Stadt und wird so Teil des städtischen Proletariats. Oder er tritt (wie viele verarmte Städter) als voluntarius (freiwillig!) ins Heer, das sich vom ursprünglichen Bürger- zum Söldnerheer mausert.

Die Latifundien werden aber nicht nur deshalb immer größer, weil sie verarmte Familienbetriebe, die nicht mehr rentieren, schlucken. Von den Römern erobertes Gebiet galt nach römischem Recht als Staatsland: als ager publicus (vgl. Medicus 1979). Der Staat konnte dieses Staatsland verpachten (ager vectigalis) oder verkaufen (ager privatus vectigalisque) oder zur Okkupation freigeben (ager occupatorius). Die kapitalkräftigen Vertreter der Oberschicht legten ihr Geld an, indem sie riesige Grundstücke erwarben. Oder die Mächtigen rissen sich brachliegendes Staatsland unter den Nagel. Wer wollte den Okkupatoren wehren – die Schwachen? So wurden die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer. Plinius d.Ä. stellt mit Recht fest: „Die Latifundien haben Italien verdorben“ – latifundia perdidere Italiam (Naturalis Historia 18,35; Till 1976, 226). Die beiden Gracchen (Tiberius mit 29 136 v. Chr., Gaius mit 31 123 v. Chr. Volkstribun) wollten diesem Krebsschaden abhelfen: durch Beschränkung des Großgrundbesitzes; durch Zuweisung von erobertem Staatsland (ager datus adsignatus) an freie Kleinbauern im Verbund mit finanziellen Starthilfen (aus der Erbschaft des Attalos von Pergamon; s. o. S. 14), um ihnen den Neuanfang zu erleichtern. Die beiden Brüder wurden (wie nicht anders zu erwarten war) auf Anstiftung der Oberschicht erschlagen. Plutarch (Tiberius Gracchus 8,9 u. 9,4 ff.; Till 1976, 234 ff.) berichtet über Tiberius:

„Als Tiberius auf der Reise nach Numantia durch Etrurien kam und dort das verödete Land sah und dass die Landarbeiter wie die Hirten aus der Fremde importierte ausländische Sklaven waren, da sei ihm erstmals der Gedanke an eine politische und soziale Neuordnung gekommen, die ihm und seinem Bruder unendliche Leiden bringen sollte.“

Und aus einer seiner Reden:

„Die Tiere, die in Italien leben, haben eine Behausung, jedes besitzt seine eigene Lagerstätte und seinen Schlupfwinkel; die Männer aber, die für Italien kämpfen und sterben, haben nur Anteil an der Luft und dem Licht, aber an sonst nichts. Unbehaust (aoikoi), ohne festen Wohnsitz, ziehen sie mit Weib und Kind umher; die Feldherrn lügen, wenn sie in der Schlacht die Soldaten auffordern, Gräber und Heiligtümer gegen die Feinde zu verteidigen; denn keiner von so vielen Römern besitzt einen von seinen Vätern ererbten Hausaltar oder eine Grabstätte der Vorfahren. Für anderer Leute Wohlleben und Reichtum kämpfen und sterben sie. Sie heißen Herren der Welt, aber haben keine einzige Scholle zu eigen.“

Schon 1751 hat Johann Jakob Wettstein (in seinem zu Amsterdam gedruckten Novum Testamentum Graecum) den Anfang des eben zitierten Redepassus als Parallele zu Mt 8,20 vermerkt.

Das Stichwort der Unbehaustheit begegnet hier als zeitgenössische Selbstdiagnose für die sozio-kulturelle Verfassung des antiken Menschen in einer von Rom dominierten „Oikoumene“. Im Folgenden beschreiben wir Wege aus dieser Unbehaustheit, sofern sie das Gebiet der Religion8 tangieren.

Die antike Welt und das Christentum

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