Читать книгу Die antike Welt und das Christentum - Hans-Peter Hasenfratz - Страница 13

B. Staatliche Restaurationsversuche

Оглавление

Jede Veränderung, zumal mit den Folgeerscheinungen, welche die Expansion des Imperiums mit sich brachte, ruft (wie bereits gesagt) den Wunsch nach dem „Zurück“ hervor, nach dem Altbewährten, Angestammten, Vertrauten. Restauration war noch immer die Zwillingsschwester der Innovation. Das seit dem Sieg über Makedonien (168 v. Chr.) ungebremst einströmende griechische Bildungsgut, das Auftreten griechischer Philosophen und Rhetoren in Rom und die Gründung von Rhetorenschulen nach griechischem Schulplan, erregten das Misstrauen konservativer Kreise und führten zur Ausweisung beider Gruppen aus Rom auf Beschluss des Senats (161 v. Chr.), ja noch 92 v. Chr. zu einem zensorischen Edikt gegen die „Lateinischen Rhetoren“, deren „Neuerungen“(nova) „gegen Gewohnheit und Sitte der Vorfahren“ (praeter consuetudinem ac morem maiorum) gerügt werden (Till 1976, 282). Besonders der Akademiker Karneades hat Catos Missfallen erregt, der in einem Vortrag die Existenz einer für alle Menschen verbindlichen natürlichen Gerechtigkeit (iustitia) bewies, um sie am darauf folgenden abzustreiten und „die Berechtigung des Eigennutzes“ nachzuweisen (a. a. O. 340 / 341). Der Zensorier betrieb und erreichte beim Senat die rasche Abreise des Philosophen (155 v. Chr.). „Exotische“ fremdreligiöse Praxis wird als religiöse Neuerung und als „überflüssig“ (superstitio) der Verehrung einheimischer Gottheiten (religio) entgegengesetzt, abqualifiziert und auch verfolgt (wenn sie nicht gerade zu magisch-politischer Instrumentalisierung für Roms Nutzen taugte; s. o. S. 13). 138 v. Chr. erließ der Stadtprätor von Rom Cornelius Hispalus ein Edikt, das die „chaldäischen Sterndeuter“ (Astrologen) anwies, die Stadt und Italien innerhalb von zehn Tagen zu verlassen. 16 n. Chr. befahl Tiberius, ausländische Astrologen hinzurichten, römische Bürger dieser Zunft auszuweisen. Desgleichen Vespasian und fast alle folgenden Kaiser, obwohl (oder weil) alle (mit Ausnahme von Antoninus Pius, Marcus Aurelius, Diocletianus, Constantinus) gläubige Anhänger der Astrologie waren. Starjuristen wie Ulpian und Paulus (unter Alexander Severus, selber Förderer der Astrologie) erörterten die Frage, ob Astrologen staatsgefährdende Individuen seien: Paulus hielt dafür, Sklaven zu kreuzigen (Kapitalstrafe für Sklaven und Peregrinen; vgl. Jesus), Freie in die Bergwerke (ad metallum) oder Verbannung zu schicken. Der Erfolg all dieser Bemühungen lässt sich mit wenig Phantasie ausmalen (vgl. Stemplinger 1948, 192 ff.; Leipoldt/ Grundmann 1967, 85 / 86).

Im Jahre 186 v. Chr. wurde Rom vom sog. Bacchanalienskandal erschüttert (wie es in heutigem Medien-Deutsch heißt). Livius berichtet in seinem Geschichtswerk (39,8,3 – 19,7) ausführlich darüber. Die Story: Ein junger Mann, Publius Aebutius, wird von seinen Eltern dazu gedrängt, sich in die dionysischen Mysterien einweihen zu lassen, und ist gewillt, ihrem Drängen nachzugeben. Bei einem Schäferstündchen erzählt er einer Prostituierten, der Hispala Fecenia, davon. Diese Hispala war eine Freigelassene (liberta). Als Sklavin von ihrem Herrn zur Prostitution gezwungen (s. o. S. 16), hatte sie nach ihrer Freilassung diesen Beruf weiter ausgeübt. Als sie von der bevorstehenden Einweihung des Jünglings hört, beschwört sie ihn, davon abzustehen. Sie sei, so klärt sie den Ahnungslosen auf, als Sklavin zur Teilnahme an diesem Mysterienkult gezwungen worden. Sie berichtet von kriminellen Akten, die bei den religiösen Feiern begangen werden: sexuellen Perversionen und Orgien, sogar von rituellen Morden (pro victimis immolari). Männer würden in wahnsinnige Verzückung geraten, Frauen mit gelösten Haaren (crinibus sparsis)12 rasen; und nichts für Frevel (nefas) zu halten sei für die Mysten religiöses Gebot (religio). Daraufhin verweigert Publius die Initiation, worauf ihn die Eltern aus dem Haus werfen (beide, Mutter und Stiefvater, gedachten ihn nämlich durch die praktizierten Exzesse zugrunde zu richten und so auf elegante Weise loszuwerden). Die jungen Leute beschließen eine Anzeige beim Konsul Postumius, der seinerseits dem Senat Bericht erstattet und von diesem beauftragt wird, die Bacchanalien zu unterdrücken. An einer darauf einberufenen Volksversammlung (contio) unterrichten die Behörden das Volk (was Livius Gelegenheit gibt, den Postumius vor dem Volk eine jener Reden halten zu lassen, mit denen Jahrtausende später Gymnasiasten gequält werden sollten). Die gegen den Kult beschlossenen Maßnahmen bei Livius entsprechen im Ganzen dem uns auf einer Bronzetafel aus Tirolio (Kalabrien) erhaltenen Senatsbeschluss mit der Präambel De Bacanalibus quei foideratei esent, ita exdeicendum censuere (Till 1976, 26 ff.): Kein römischer Bürger darf an Bacchanalien teilnehmen, es sei denn, er hätte sich an den Stadtprätor gewandt und dieser hätte es (aufgrund eines qualifizierten Senatsbeschlusses) genehmigt. Weder ein Mann noch eine Frau darf Vorsteher sein. Das Führen einer gemeinsamen Kasse ist verboten. Mit mehr als fünf Menschen (zwei Männer und drei Frauen) darf überhaupt keine Kultfeier abgehalten werden. – Das bedeutet im Klartext, dass es den Mysten verboten ist, sich als collegia (mysteria) zu konstituieren: Organisation in Kultvereinen ist ihnen verwehrt. Denn nach römischem Recht muss ein collegium licitum (ein erlaubter körperschaftlicher Zusammenschluss von Personen) drei Erfordernisse erfüllen: 1. res communes und arca communis (gemeinschaftliches Vermögen und Vereinskasse), 2. actor sive syndicus (Vereinsvorstand), 3. Mindestzahl von drei (männlichen) Mitgliedern (tres faciunt collegium) (Digesten 3,4,1,1 u. 50,16,85). Das Verbot hat letztlich wenig genützt, wie die Wandbilder der Villa Item vor Pompeji (mit ihren Darstellungen von Szenen aus dem Dionysos-Kult; s. u. S. 81) illustrieren.

Denselben Verdächtigungen und staatlichen Repressalien wie beim Dionysos-Kult waren später die jungen christlichen Gemeinden ausgesetzt. Auch sie waren körperschaftlich organisiert, hatten gemeinschaftliches Vermögen, eine Vereinskasse (Armenkasse) und Vereinsorgane (Gemeindevorstand und andere Ämter) sowie die erforderliche Mindestzahl von Mitgliedern. Aber sie waren collegia illicita (unerlaubte Zusammenschlüsse), denn sie rangierten als superstitio nova ac malefica (schädliche religiöse Neuerung); ihren Gliedern wurde Ritualmord (thyesteische Mahlzeiten) und sexuelle Exzesse (oidipodeische Vermischungen) nachgesagt13. Zudem verweigerten sie den offiziellen Kaiserkult (s. u. S. 42) in jeglicher Form. Das erstarkte Christentum hat sich später nicht gescheut, das Etikett ritueller Morde und sexueller Abartigkeiten seinerseits missliebigen gnostischen Gruppen anzuhängen (s. u. S. 106). Es scheint sich also um ein Wandermotiv zur Diffamierung von Randgruppen zu handeln; davon betroffene Juden und „Hexen“ wüssten Bände zu berichten, lebten sie noch. Aber so weit sind wir noch nicht. Der „Krise des Reiches“ (Soldatenkaiser; ferner s. u. S. 46) im 3. Jh. glaubten die Kaiser durch „Rückkehr zum Glauben an die alten Götter“ und zur alten Form der Opfer steuern zu müssen. Das führte unter Decius (249 – 251) zu den bisher schwersten Christenverfolgungen, da die Christen „Götzenopfer“ verweigerten. Nur eine schriftliche Opferbescheinigung (libellus) rettete vor schwerster Repression. Eine solche Opferbescheinigung ist uns aus dem ägyptischen Faijum erhalten (Papyrus Meyer 15; Hengstl 1978, 156 ff.; Auslassung am Schluss von mir):

„An die Opferkommission von Aurelia Leulis, Tochter des A…, aus dem Dorfe Euhemeria im Themistes-Bezirk. Ich habe immer den Göttern Tieropfer dargebracht und sonstige Dienste verrichtet, auch jetzt in Eurer Gegenwart gemäß den (kaiserlichen) Erlässen Tier- und Trankopfer gespendet und von den Opfertieren gekostet zusammen mit meinen unmündigen Kindern Palempis und T…eris …“ Angefügt eine datierte Autopsie-Bescheinigung der namentlich genannten Kommission.

Über das Essen von Götzenopferfleisch, das einzige Fleisch, das faktisch auf den antiken Markt kam, diskutiert der Apostel Paulus mit den Korinthern (1Kor 10,14 – 33).

Die antike Welt und das Christentum

Подняться наверх