Читать книгу ANWALT HAPPINGER - Hans-Peter Kreuzer - Страница 10

Kapitel 8 – Anna Happinger und ihre Nachbarin Hannelore

Оглавление

Anna war gut gelaunt. Heute kam Hanni zu Besuch. Hannelore Bergdold und deren Mann Horst waren etwa im gleichen Alter und mit den Happingers seit Jahren gut befreundet.

Horst hatte eine Zahnarzt-Praxis in Reding und war dort ähnlich viel beschäftigt wie Marinus in seiner Rosenheimer Anwaltskanzlei.

Kennengelernt und recht bald auch angefreundet hatten sie sich, nachdem die aus Niederbayern zugezogenen Bergdolds in Aufferberg mehrere Hektar Grund gekauft und darauf ein Bauernhaus mit Swimming-Pool und einen Pferdestall gebaut hatten.

Marinus und Anna hatten sich darüber gewundert, bis sie später bemerkten, dass der rustikale Luxus zu den Bergdolds tatsächlich passte, denn Hanni liebte Pferde und Horst war eben nicht nur Zahnarzt, sondern nebenbei auch Landwirt aus Passion.

Diese Kombination erwies sich als vorteilhaft. Das Ziehen und Reparieren von faulen Zähnen brachte Horst das Geld ein, das er nicht zuletzt auch zum Ausleben seiner bäuerlichen Wesensseite benötigte. Mit dieser wiederum machte er sich in Reding rasch beliebt. Die hier lebenden bodenständigen Menschen mochten seine feine bayrische Art, und so kamen sie mit ihren Zahnschmerzen zu ihm. Horst hatte bald eine recht gut gehende Praxis. Er verdiente so gut, dass er sich das stattliche Anwesen in bester Seeblick-Lage im Laufe der Jahre buchstäblich „erbohren“ konnte.

So richtig glücklich war er aber erst, wenn er das Dentalbesteck weglegen, mit dem Traktor über seine Wiesen fahren, das Gras für seine Tiere mähen und es verfüttern konnte.

Neben den Pferden hatten die Bergdolds noch Kühe, Schafe, Ziegen, Hühner, Enten, Gänse, Truthühner und vermutlich der besonderen Ästhetik wegen auch einen Pfau. Sie butterten mit einem Butterfass, machten Käse, und von Zeit zu Zeit gab es eine Hausschlachtung mit anschließendem Bauernschmaus. Sogar Kartoffeln und Gemüse säte und erntete der passionierte „Doktor-Bauer“. Zur sicheren Einlagerung seiner Ernte hatte er sich neben dem Haus extra einen Erdkeller gebaut. Mit den Naturalien, die sie aus dem Boden und aus ihren Nutztieren herausholten, waren die Bergdolds fast autark. Sogar vorübergehenden Notzeiten hätten sie gelassen entgegen sehen können, und vielleicht war das ja sogar ein Hintergedanke, der sie motiviert hatte, sich die harte Bauernarbeit aufzuladen. Die Gefahr eines Atomkrieges war 1962 durch die Kuba-Krise deutlich geworden. Ängste lösten auch die anhaltend bewusste Zerstörung der Natur und der nie endende Unfrieden an allen Ecken und Enden der Welt aus. Dann ereignete sich 1986 in Tschernobyl die Nuklearkatastrophe. Kurzum, es ging verdammt gefährlich zu auf dieser Welt.

Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hatten auch Anna und Marinus vorgesorgt. Mit Horst und Hanni hätten sie allerdings nicht konkurrieren können, und sie hätten sich so viel auch nicht aufladen wollen. Anna hatte genug zu tun mit dem, was ihr die große Familie abforderte, und Marinus zog es vor, seinen Anwaltsjob und daneben den Dozentenjob gut zu machen. Bauern wollten sie nicht auch noch sein. Viel lieber schaute Marinus dem emsigen Horst von der Terrasse aus bei der Arbeit zu. Horst winkte herauf. Marinus winkte zurück. Jeder war zufrieden. Anna und Hanni verstanden sich gut. Ähnliche Lebensmodelle und gemeinsame Interessen lieferten ihnen genug Gesprächsstoff. Auch die Bergdolds waren mit vielen Kindern gesegnet. Wie Anna hatte auch Hannelore auf die Ausübung des erlernten Berufes verzichtet. Beide hatten sich voll und ganz der Familie verschrieben. Damit ruderten sie eindeutig gegen den Zeitgeist, der sich von dem Modell der Großfamilie längst verabschiedet hatte. Anna und Hanni war das ziemlich egal. Sie wollten es so und sie lebten es so. Für beide waren Pferde das große verbindende Thema. So war es zu verstehen, dass sich Hanni und Anna oft und gerne über Pferde unterhielten. Weil es ein schöner Frühlingstag war, hatte Anna das Kaffee-Geschirr draußen auf der Terrasse aufgedeckt. Die Hälfte ihrer Back-Spezialität, des „Bobby-Kuchens“, war noch übrig. Sie hatte ihn für das Wochenende gebacken. Der Rest kam jetzt gerade recht und er musste eben reichen. Wie Hanni, verspürte auch Anna keine Lust, sich für die kurzen gegenseitigen Besuche sonderlich abzumühen.

„Ein paar Minuten genieße ich noch die Sonne“, sagte sie zu sich, klappte den Gartenstuhl in die Liegeposition und lehnte sich zurück.

Aber da sah sie Hanni schon die Straße herauf kommen. Anna stand auf und winkte ihr zu. An der Haustür überreichte Hanni ihr einen Strauß selbstgepflückter Blumen.

„Grüß Dich Anna!“, sagte sie mit dem etwas gequälten Lächeln, das sich nur mit den alltäglichen Belastungen erklären ließ, denen sie sich einerseits gewollt, dann aber auch wieder so gar nicht gern ausgesetzt sah. „Komm rein! Gleich gibt´s Kaffee!“ sagte Anna.

Hanni blieb aber noch einen Moment an der Tür stehen. Sie genoss die grandiose Aussicht auf das Bergdold-Anwesen – ihr Anwesen. Sie hörte das Wiehern ihrer Pferde und sah ihren Pfau, der ihr seinen Hintern mit den aufgestellten Federn entgegenreckte.

„Schön ist ´s bei uns, gell?“ meinte Hanni.

Es war keine Frage, eher eine Feststellung, und es stimmte ja auch.

Zwei Stunden lang plauderten Anna und Hanni über die Pferde, über die Kinder, über die Ehemänner und über dies und das. Wie bei zwanglosen Plaudereien üblich, war der Themenwechsel bisweilen abrupt und bizarr.

Erzählte Hanni etwa von der Kolik, die eines ihrer Pferde sich beim Koppelgang wegen des noch recht kalten Windes zugezogen hatte, so fiel Anna gleich darauf ein, dass ihre beiden Mädchen sich vermutlich in der Schule eine bakterielle Darminfektion geholt hätten. Daran direkt anknüpfend schilderte dann wieder Hanni, wie sich ihr Horst in der Praxis gegen die im Ort aktuelle Ansteckungsgefahr schützt, dass aber halt von überall her die Ansteckung droht, wie kürzlich als sie sich im Kino den Film „Rossini“ ansahen und einer neben ihnen saß, der andauernd hustete.

Damit war der Übergang zum Gespräch über den Film „Rossini - oder die mörderische Frage, wer mit wem schlief“ geschaffen. Schnell stellte sich heraus, dass sie beide den Film schon gesehen hatten. Beide fanden sie, dass Helmut Dietl und Patrick Süskind im „Rossini“ die Münchner Schicki-Micki-Szene ähnlich überzeichnet hatten, wie Jahre zuvor ihrer Filmkomödie „Kir Royal“. Wer auf dem Land wohnte ließ sich gerne mal die dekadente Schicki-Micki-Szene vorführen. Besonders gut fand Hanni im „Rossini“-Film die Szene, in der die als „Frau in Rot“ bezeichnete und von Extremen zerrissene Valerie (Gudrun Landgrebe) ihre schmachtenden Liebhaber Oskar (Heiner Lauterbach) und Bodo (Jan Josef Liefers) schmachtend wissen lässt: "Ich will Lust bis zur Besinnungslosigkeit und Ruhe; Leidenschaft bis zum Wahnsinn und Frieden".

„Geht`s noch dekadenter?“ fragte Hanni. „Na ja“, meinte Anna, „in dem Edelschuppen des durchgeknallten Wirts Rossini (Mario Adorf) verkehrt ja auch die „Dame in Weiß“, eine Blondine namens Schneewittchen (Veronica Ferres), und die steht dieser Valerie sicher nicht nach.“

„Wo in Aufferberg oder Reding könntest du dir Szenen und Leute wie diese vorstellen?“ fragte Hanni. Und Anna meinte: „Im Chiemgau leben doch genug Film- und Theaterleute. Sicher werden die sich auch in unserer Gegend ausspinnen, und im Übrigen laufen Frauen, wie die Valerie und Männer, wie der Rossini und wie sie im Film alle heißen, auch bei uns herum.“

Die Plauderei über den Film war für Anna und Hanni gerade so, als würden sie ihn ein zweites Mal sehen. Tatsächlich fanden sie ihn so gut, dass sie meinten, den könnte man sich glatt nochmals ansehen. Eine Kanne Kaffee, der Kuchen und darüber hinaus noch eine Flasche Sekt (alias Champagner Brut) ging bei dem angeregten Gespräch am Nachmittag drauf, und als sich die Frauen ein kleinwenig beschwipst voneinander verabschiedeten, war schon wieder Stallzeit.

ANWALT HAPPINGER

Подняться наверх