Читать книгу Das Komplott der Senatoren - Hansjörg Anderegg - Страница 14

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Garfield Park, Chicago

Zutritt zum Mont Blanc hatte nur, wer eine der ganz seltenen goldenen Chipkarten besaß und überdies den Geheimcode kannte. Die meisten der Angestellten des Nahrungsmittelmultis Mamot SA kannten daher das fünfte Stockwerk des Hauses 1W am amerikanischen Hauptsitz im Süden Chicagos nur vom Hörensagen. Holzgetäfelt sollte das Reich des CEO Maurice Leblanc sein. Eine Alphütte inmitten gesichtsloser Geschäftsbunker, und wie jedes Gerücht, hatte auch dieses einen wahren Kern. Als Alicia Guyot aus dem Lift trat, wähnte sie sich zwar nicht in den Alpen, dafür war das Holz zu dunkel, die Maserung zu dezent, die Verarbeitung zu vornehm, eher glich die Etage dem gediegenen Kundenbereich einer Schweizer Privatbank. Als EVP Wasser für Asien und Amerika hatte die hochgewachsene Frau mit der asketischen Ausstrahlung eines Marathonläufers bereits eine steile Karriere hinter sich, doch sie war noch lange nicht am Ziel. Höchstens auf gutem Weg dorthin, wie sie jedes Mal mit einem gewissen Bedauern feststellte, wenn sie diesen Korridor entlang zur Direktionskonferenz schritt.

»Wie laufen die Verhandlungen mit den Häuptlingen?«, fragte sie spöttisch, als sie ihren Kollegen im Vorraum traf. Paul Krüger war für das Wassergeschäft in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika zuständig und stand zuoberst auf ihrer Abschussliste. Sie hielt nicht viel von der geografischen Aufteilung der Verantwortungsbereiche. Wasser war ein globales Geschäft, und je weniger sauberes Trinkwasser es gab, je schneller die traditionellen Landwirtschaftsgebiete der Erde verdorrten, desto großräumiger musste man denken. Ihr war klar, dass früher oder später nur ein Chef dieser Geschäftssparte überleben würde, und sie wusste genau, dass der nicht Krüger hieß.

»Wirst du gleich hören«, gab Krüger kaltschnäuzig zurück und ging ins Sitzungszimmer. Ein ironisches Lächeln umspielte ihre schmalen Lippen. Sie war bereits über jede Einzelheit seines Berichts informiert, brauchte der frohen Botschaft Krügers nicht erst zuzuhören, und sie hatte sich gut auf diese Sitzung vorbereitet.

Leblanc eröffnete mit den neusten konsolidierten Quartalszahlen des Konzerns, wie immer mit liebenswürdigem Lächeln, die Selbstsicherheit in Person. Diesmal hatte er allen Grund dazu, denn Umsatz und Gewinn wuchsen nahezu exponentiell. Der Agrarbereich und das Wassergeschäft profitierten geradezu unverschämt von den sich ausbreitenden Trockenzonen. Die schleichende Klimakatastrophe war ein einziger Segen für Mamot. Dass dies auch weiter so bleiben würde, bestätigte sich schnell durch die Berichte der Manager.

Die Reihe war an ihr.

»Alicia, ich gehe davon aus, dass du uns auch nicht enttäuschen wirst«, sagte Leblanc und nickte ihr zu. Sie wartete, bis das beifällige Gelächter über den kleinen Scherz des CEO verstummt war, bevor sie ihre kurze, aber wichtige Lektion begann.

»Danke für die Blumen, Maurice. Da die meisten Anwesenden nicht im Detail über die aktuelle Wassersituation informiert sind, möchte ich kurz über einen Markt ausholen, der uns mit Sicherheit noch sehr lange beschäftigen wird: Indien. Die Lage auf dem Subkontinent ist mit einem Wort katastrophal. Schon 2007, also noch vor der großen Trockenheit, die wir seit ein, zwei Jahren beobachten, betrug die total verfügbare Menge an erneuerbarem Süßwasser im Schnitt nur noch 1‘622 Kubikmeter pro Person und Jahr. Gebiete, die weniger als 1‘700 zur Verfügung haben, gelten als gestresst, bei 1‘000 spricht man von chronischem Wassermangel, und dieser Marke nähert sich Indien beängstigend schnell. In weiten Teilen des Landes sinken die Grundwasserspiegel um mehr als einen Meter pro Jahr, teilweise sogar drei Meter. Wir haben nur Schätzungen, aber das International Irrigation Management Institute, IIMI, geht davon aus, dass das Grundwasser in Indien mindestens doppelt so schnell verbraucht wird, wie es sich wieder auffüllt. Ich denke, diese paar Zahlen sprechen eine deutliche Sprache.«

Sie trank einen Schluck des Edelwassers aus den Bergen von Tennessee und beobachtete die Reaktion ihrer Kollegen. Wie es schien, hatte sie ihr Interesse geweckt. Alle Augen waren auf sie gerichtet, als sie fortfuhr:

»Was heißt das für Mamot? Durch unser Softdrinkgeschäft sind wir bereits gut positioniert bei der Förderung von Grundwasser aus großen Tiefen. Eine aufwändige Technologie, die sich kein einfacher Bauer leisten kann. Wir sitzen also an den noch verbleibenden lokalen Quellen. Diese erfolgreiche Strategie wird aggressiv weiterverfolgt. Ergänzt wird unser Angebot durch schnell wachsende Exporte in die Krisenregionen. Meine Mitarbeiter sind in diesen Minuten daran, einen langfristigen Großauftrag mit der Regierung des Bundesstaates Kerala im Südwesten des Subkontinents auszuhandeln.«

Sie drückte auf die Fernbedienung des Projektionssystems, um die einzige Präsentationsgrafik zu zeigen, die sie mitgebracht hatte.

»Dieses Chart verdeutlicht, was das in Zahlen für unseren Konzern bedeutet.« Erstauntes Raunen quittierte ihren Bericht. Das festgefrorene Lächeln auf dem Gesicht des CEO wurde noch eine Spur strahlender, als er sich bei ihr bedankte und das Wort an ihren Kollegen Krüger weitergab. Bei Leblanc wirkte die Aussicht auf einen noch fetteren Bonus wie eine Verjüngungskur.

Krüger war kein begnadeter Redner, aber sein Bericht über die Aktivitäten in Afrika barg doch genügend Sprengkraft, um die Kollegen wach zu halten. Es war ihm gelungen, dem Konzern ein riesiges Gebiet im Norden Ghanas zu sichern, auf dem Jatropha angebaut werden sollte.

»Die Samen der Jatrophapflanze sind überaus ölhaltig«, erklärte er. »Sie eignen sich perfekt für die Produktion von Biosprit. Wir profitieren gleich dreifach von diesem Geschäft. Erstens sorgen wir für die Bewässerung, zweitens liefern wir optimiertes Saatgut, das einen intensiveren Anbau ermöglicht und damit den Wasserbedarf noch steigert, und drittens dringen wir in den lukrativen Markt für Biotreibstoffe ein.«

»Sehr gut, ausgezeichnet«, lobte Leblanc. Sein sonniges Lächeln stand ihm gut. Alicia verriet durch keine Regung, dass sie bereit war, zuzustechen. Sie ging als Letzte zusammen mit dem CEO hinaus.

»Hast du eine Minute?«, fragte sie beiläufig.

»Für dich immer meine Liebe.« Galant hielt er ihr die schwere, gepolsterte Tür zu seiner Bürosuite auf und sie setzten sich auf das harte Leder der antiken Polstergruppe. »Warum so ernst?«, fragte er beunruhigt, während er sie forschend anblickte.

»Ich mache mir wirklich Sorgen, Maurice.« Er antwortete nicht, aber sein Lächeln wurde merklich kühler. »Es geht um diese Jatropha-Geschichte in Ghana.«

»Was ist damit?«

»Wir sollten da sehr vorsichtig sein. Ich hatte keine Zeit mehr, das vor der Sitzung mit Paul zu besprechen, darum komme ich gleich zu dir damit. Man hat mir einen vertraulichen Bericht einer Gruppe regionaler Umweltschützer zugespielt …«

»Seit wann interessierst du dich für solche Chaoten?«

»Normalerweise hätte ich das Pamphlet gleich in den Papierkorb geschmissen, das weißt du. Aber in diesem Fall sind mir zwei Dinge sofort aufgefallen. Erstens taucht unser Name prominent auf in dem Schreiben, und zweitens zieht die Sache bereits Kreise bis ins Ministerium für Nahrung und Landwirtschaft.«

»Das – ist allerdings bedauerlich«, murmelte Leblanc nachdenklich. Ihre Taktik bewährte sich einmal mehr, doch das besorgte Gesicht verriet nichts von ihrer Befriedigung.

»Es wird behauptet, dass Mamot sich das Recht für die Rodung der vierzigtausend Hektar Land unrechtmäßig erschlichen hat.«

Leblanc brauste auf: »Paul wird doch nicht …«

»Nein, natürlich nicht, das glaube ich auch nicht. Er hat sicher die nötigen Unterschriften, kein Zweifel. Aber die Sache wirft ein sehr schlechtes Licht auf uns. Egal, ob wir sie totzuschweigen versuchen oder ob wir unsere Anwälte loslassen.«

Sie hatte ihr Ziel erreicht, brauchte sich nicht weiter zu exponieren. Ihr Boss war nun genügend verunsichert, dass er sehr bald ein ernstes Wörtchen mit ihrem Intimfeind Krüger reden würde. Und sie war sehr zuversichtlich, dass der Kollege sich diesmal nicht herausreden konnte, denn sie hatte die Kopie der Vereinbarung mit dem lokalen Chief in ihren Unterlagen. Der Wisch war mit einem Fingerabdruck unterschrieben, denn der lokale Chief war Analphabet. Er hatte wohl nicht die geringste Ahnung, was im Vertrag stand, ganz abgesehen von der Bevölkerung, die offenbar nichts von diesem Deal gewusst hatte, bis es zu spät war. Die Anwälte würden so oder so noch viel Arbeit bekommen.

Sie war jetzt in der perfekten Stimmung für ihr abendliches Meeting.

Phoenix, Arizona

»Wohin gehen Sie?«, fragte Lee gereizt, als seine Begleiterin den Weg zu den Taxiständen am Phoenix Sky Harbor Airport einschlug.

»Taxi«, antwortete Marion schnippisch.

»Das sehe ich, aber was soll das? Ich dachte, wir mieten einen Wagen.«

»Das kostet Sie hier glatt dreissig Prozent mehr als in der Stadt.« Lee schüttelte nur den Kopf und schlug den Weg zur Autovermietung neben dem Terminal ein.

»Wenn sie Ihr Geld unbedingt loswerden wollen«, brummte sie gerade so laut, dass er es hören musste und trottete mit sauertöpfischer Miene hinter ihm her.

Er hatte sich keinen erholsamen Ausflug in den Süden vorgestellt, und bis jetzt behielt er leider Recht. Lange hatte er sich gegen den Besuch dieser mysteriösen Firma in Fountain Hills gesträubt, aber als alle Bemühungen, Kontakt mit dem Management aufzunehmen, scheiterten, musste er schließlich einlenken. Er wollte die leidige Pendenz mit dem Nachlass seines Vaters endlich vom Tisch haben und setzte sich mit der hartnäckigen Anwältin ins Flugzeug. Sie war höchst effizient, das musste er ihr zugestehen, denn bisher hatte sie ihren Kopf jedes Mal durchgesetzt. Er folgte ihren Ratschlägen wie ein Schoßhündchen den Befehlen seiner Herrin, und das ärgerte ihn am meisten.

Als hätte er nicht schon genug am Hals mit der unverarbeiteten Trennung von Anna und den unerklärlichen Sabotageakten in Indien und Malta. Um ein Haar mussten sie beide Projekte stoppen, doch nun kamen sie wenigstens mit zwei blauen Augen davon. Der Vorvertrag mit San Diego für eine dritte große Entsalzungsanlage kam genau zur richtigen Zeit, um einen weiteren Kredit aufzunehmen. Mit Hilfe dieses Geldes und der Erlöse aus den Versicherungen gingen die Arbeiten weiter, wenn auch mit ein bis zwei Monaten Verzögerung. Keine erfreuliche Situation, und nun musste er sich auch noch mit diesem Kaktus von Anwältin herumschlagen. Obwohl, ein ansehnlicher Kaktus war sie, wenn man diese Art Pflanzen mochte. Ihre akribische Datensammlung zeichnete ein ganz neues Bild von seinem Vater. Es war, als beschreibe das täglich wachsende Dossier einen Unbekannten. Aber hatte er ihn denn überhaupt gekannt? Im Grunde bestand ihre Beziehung doch stets nur darin, einander aus dem Weg zu gehen, die eigenen Vorurteile zu pflegen.

Ihre Stimme schreckte ihn aus seinen Gedanken.

»Wie bitte?«

»Ich sagte, wir hätten hier auf die 87 nach Norden abbiegen müssen.«

»Scheiße! Entschuldigung. Bei der nächsten Ausfahrt wende ich.« Sie grinste, als freute sie sich über seinen Fehler und sagte trocken:

»Nein, werden Sie nicht.«

»Wie wollen Sie das wissen?«

»Weil Sie nach vier Meilen in die North Gilbert einbiegen werden«, antwortete sie mit einem Blick in die Landkarte auf ihren Knien. »Die mündet auch in die 87 nach Fountain Hills.«

»Das nächste Mal teste ich das GPS, bevor ich einsteige.«

»Teurer Schrott«, sagte sie zu den vorbeifliegenden Büschen. Lee biss sich auf die Zunge und achtete diesmal besser auf die Strasse. Aus unerfindlichen Gründen wollte er in die Abzweigung einspuren, bevor sie wieder den Mund öffnete.

»Sieht überall gleich aus in dieser Wüste«, brummte er mürrisch, denn die öde Landschaft änderte sich auch bei der Einfahrt in den Fountain Hills Boulevard nicht wesentlich. Marion studierte schweigend die Karte. »Und jetzt?«, fragte er ungeduldig.

»Keine Ahnung. Die Adresse der Fabrik ist nicht auf der Karte zu finden, wie Sie wissen. Ich schlage vor, wir fragen an der nächsten Tankstelle.«

»Sie schlägt vor«, grinste er sarkastisch.

»Machen Sie sich lustig über mich?«

»Nie im Leben.« Der zufriedene Ausdruck blieb in seinem Gesicht. Ein kleiner Sieg, endlich hatte er sie ein wenig aus der Reserve gelockt.

Der Junge an der Tankstelle hatte noch nie etwas von einem Saddler’s Creek in Fountain Hills gehört, aber vielleicht war er überhaupt noch nicht über seinen Wohnblock hinausgekommen, wie Lee vermutete.

»Kennen Sie vielleicht eine Firma AZ Technologies in der Nähe?«, bohrte er weiter. Der junge Mann überlegte kurz, schüttelte dann den Kopf. »Autos, Lastwagen mit der Aufschrift AZ Tech oder AZT oder ähnlich?«

»Nein, Sir, nie gesehen.«

Lee warf seiner Begleiterin einen ratlosen Blick zu, worauf sie zum Laden deutete, wo eine ältere Frau an der Kasse saß. Sie ließen den Wagen stehen und gingen hinein.

»Saddler’s Creek – ja, da klingelt was«, sagte die Kassiererin und begann zu lachen. Die Adresse gibt’s nicht wirklich. Saddler’s Creek ist ein Übername.« Wieder kicherte sie. »Früher nannte man ein kleines, abgeschiedenes Tal am Nordrand der Stadt so, weil es dort ein Puff gab.«

»Ein Puff«, wiederholte Marion überrascht. Lee grinste und übersetzte:

»Ein Bordell.«

»Ich weiß was ein Puff ist!«, fuhr sie ihn an.

»Klar.« Er breitete die Karte vor der Frau aus und fragte: »Können Sie uns diesen Ort genau zeigen?« Sie setzte die Lesebrille auf, studierte die Karte eingehend, bevor sie mit dem Finger auf eine Stelle südlich des Indianerreservats zeigte.

»Hier muss es sein. Ich war ein wenig verwirrt, weil zwei große Häuser da stehen. Wird wohl Ihre Firma sein.« Lees Miene hellte sich auf.

»Vielen Dank, Sie haben uns sehr geholfen.«

Marion wartete schon ungeduldig im Wagen. »So weltfremd wie Sie glauben bin ich gar nicht«, knurrte sie gekränkt, als er den Motor startete. Er drehte den Zündschlüssel zurück und schaute sie verwundert an.

»Tut mir leid. Ich wollte Sie nicht beleidigen. Mein Zynismus macht sich manchmal selbständig, hab ich wohl geerbt.«

Sie zuckte nur die Achseln. Er fuhr los.

Kaum befanden sie sich auf der Hauptstrasse nach Norden, sagte er leise, wie zu sich selbst: »Ich glaube, Sie sind alles andere als weltfremd.«

»Was soll das jetzt wieder heißen?«

Er beschloss, den Mund zu halten. Schweigend fuhren sie zur Stadt hinaus. Sie fanden nirgends einen Hinweis auf AZ Technologies. Auch die Abzweigung nach Saddler’s Creek war durch keine Tafel gekennzeichnet, nur ein schmales Sträßchen führte den Hügel hinauf.

»Warum gibt’s hier keine Lastwagen von dieser Firma?«, murmelte Marion nachdenklich. »Ziemlich ungewöhnlich.«

»Ja, und ziemlich einsam. Weit und breit kein anderes Fahrzeug..« Lee wunderte sich immer mehr über die rätselhafte und fürstlich entlohnte Beratertätigkeit seines Vaters. Nach fünf Minuten lag tatsächlich ein kleines Tal vor ihnen. Wie auf der Karte verzeichnet, standen zwei Häuser gleich Flugzeughangars auf der Ebene zwischen dem staubigen Grün der Hügel. Als sie näherkamen, bestätigte sich der erste Eindruck. Die Gebäude waren fensterlose, graue Wellblechhallen, immerhin mit unübersehbaren, weißen Lettern beschriftet: AZ Technologies Inc. Vor den Hallen befand sich ein Parkplatz, auf dem Lee vierundzwanzig Autos zählte, und das Ganze umschloss ein drei oder vier Meter hoher Stacheldrahtzaun.

»Fehlt nur noch der Wachtturm«, spottete Marion. Die Anlage machte in der Tat den Eindruck eines Gefängnisses. Ein massives Stahlgitter versperrte die Zufahrt. Lee parkte mitten auf der Strasse vor dem Tor, und sie stiegen aus. Unmittelbar hinter dem Zaun stand eine Art Wachhäuschen, aber nichts regte sich, als sie sich näherten.

»Hallo, jemand da?«, rief Lee so laut, dass seine Begleiterin unwillkürlich zusammenzuckte. Alles blieb ruhig.

»Wenn die Autos auf dem Parkplatz nicht wären, würde ich sagen, die AZ Technologies sind eine leere Filmkulisse«, bemerkte sie, ihr Gesicht ein einziges Fragezeichen. Ebenso verwirrt ging er zum Wagen zurück und drückte lange genug auf die Hupe, um jeden Siebenschläfer zu wecken. Diesmal ließ die Antwort nicht auf sich warten. Hinter den Hallen kläffte ein Hund, dem die Hupe gar nicht zu gefallen schien. Keuchend, bellend und gefährlich knurrend kam ein schwarzer Pitbull um die Ecke, der seinen Herrn an der straffen Leine hinter sich her zerrte. Der Mann trug eine Uniform, die man auf den ersten Blick durchaus mit der eines Militärpolizisten verwechseln konnte, bis auf die Bewaffnung. Statt des Sturmgewehrs hing eine hässlich kurze Maschinenpistole mit einem Magazin, lang, schlank, tödlich wie die schwarze Mamba am Schulterriemen. Schon von weitem war deutlich zu sehen, dass sein Finger den Abzug berührte.

»Jede Wette, die Waffe ist entsichert und durchgeladen«, knirschte Lee zwischen den Zähnen. Marion stand reglos neben ihm, starrte den martialischen Hundeführer mit großen Augen an und sah aus, als wollte sie im nächsten Augenblick die Hände in die Höhe strecken.

»Was wollen Sie?« Netter Empfangschef, dachte Lee, laut antwortete er mit einer ebenso ungehobelten Gegenfrage:

»Wollen Sie uns erschießen?« Der Mann verstand keine Ironie. Mit der Waffe im Anschlag blieb er breitbeinig vor ihnen stehen, neben sich sein nicht weniger bedrohlich knurrender Begleiter.

»Was wollen Sie?«, wiederholte er mit undurchdringlichem Gesicht. Marion erwachte endlich aus ihrer Starre. Trotz der furchterregenden Mündung trat sie näher ans Gitter, zeigte ihre Visitenkarte und sagte in einem Ton, als melde sie sich beim Empfang einer zivilisierten Firma an:

»Marion Legrand von Garrah, McKenzie und Partners, Washington. Wir möchten den Chef sprechen.« Der zweibeinige Pitbull musterte sie gelangweilt und antwortete mit steinerner Miene:

»Der Chef ist nicht zu sprechen.«

Lee platzte der Kragen. »Jetzt machen sie schon das verdammte Tor auf, Mann. Ich bin Lee O’Sullivan, der Sohn des Senators!« Es kam ihm nur schwer über die Lippen, aber hier musste er offensichtlich mit schwerem Geschütz auffahren. Sein Name beeindruckte den Wächter nicht im Geringsten, aber der Ton gefiel ihm scheinbar nicht. Er richtete den Lauf der Waffe auf Lees Brust und wiederholte emotionslos, als spreche er vom Band:

»Der Chef ist nicht zu sprechen.«

Mit rotem Kopf zischte Lee zurück:

»Ein paar andere Wörter kennen Sie wohl nicht, was? Wie wär’s zum Beispiel mit: Ich frage mal nach?« Plötzlich erweiterte sich das Vokabular des Wächters. Er sprang ein paar Schritte zur Seite, wo Marion mit ihrem Handy fotografierte und stellte sich vor die Kamera.

»Keine Bilder. Fotografieren verboten!«, rief er aufgeregt.

»Gibt es etwas, das hier nicht verboten ist?«

»Ja, abhauen«, knurrte der Mann und fuchtelte unmissverständlich mit der gefährlichen Waffe. Lee biss sich auf die Lippen. Er zählte innerlich langsam auf fünf, um sich etwas zu beruhigen, bevor er einen weiteren Versuch wagte:

»Hören Sie, ich verstehe, dass Sie auch nur Ihren Job machen, so wie wir. Aber wir sind den langen Weg von der Ostküste hierher gereist, um mit dem Management von AZ Technologies zu sprechen, da niemand ans Telefon zu kriegen ist. Also, würden Sie uns jetzt bitte anmelden? Es ist sehr dringend.«

»Ganz recht, Mister. Ich mache hier nur meinen Job. Und meine Anweisungen sind sonnenklar: keine Besucher, keine Auskunft, keine Fotos, kein gar nichts. Verstanden?«

Bevor Lee wieder ausrasten konnte, zupfte ihn Marion am Ärmel und flüsterte ihm ins Ohr: »Kommen Sie, es hat keinen Sinn. Wir werden mit einem Gerichtsbeschluss wiederkommen.«

Gerichtsbeschluss? So etwas konnte Monate dauern. Er wollte protestieren, doch sie drängte ihn mit eiserner Hand zum Wagen zurück.

»Was fällt Ihnen ein, ich bin noch lange nicht fertig mit dem Blödmann!«, schnauzte er sie an, als sie wieder im Auto saßen.

»Ich weiß, ich auch nicht, aber rohe Gewalt hilft hier nicht weiter, es sei denn, sie hätten auch so eine Artillerie im Handschuhfach.«

»Sehr witzig.« Er brauchte eine Weile, bis sich sein Puls wieder beruhigte. »Verscheucht, weggejagt wie zwei lästige Schmeißfliegen«, empörte er sich.

»Wir lassen uns schon etwas einfallen, keine Angst«, beschwichtigte sie. »Wir kommen da hinein, und wenn wir den Richter bemühen müssen. Diese Fabrik ist nicht die NSA.«

Er hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, war zu sehr damit beschäftigt, seinen Ärger zu pflegen. Er wendete den Wagen und fuhr zurück nach dem Städtchen mit dem schönen Namen Fountain Hills.

Unvermittelt sagte sie:

»Ich habe Hunger. Mit leerem Magen kann ich nicht denken.«

»Ein vernünftiger Satz«, brummte er mürrisch. Vielleicht kehrte seine Energie mit ein paar zusätzlichen Kalorien wieder zurück. Nach diesem demütigenden Erlebnis fühlte er sich schlapp und mutlos.

Sie hielten bei einer Trattoria und setzten sich in den schattigen Garten. In seinen Gedanken war er weit weg, in der Villa des Senators in Potomac. Welches Geheimnis versteckst du vor mir?, fragte er seinen Vater. Wie immer erhielt er keine Antwort.

»Pilze, Peperoni, extra Käse?«

»Wie bitte?« Er brauchte einen Moment, um Marions simple Frage einzuordnen. Nach einem kurzen Blick auf die verwirrende Vielzahl der Pizzavariationen in der Speisekarte vor ihm bestellte er einfach Pizza, ohne jede Schikane. Er brauchte irgendetwas zwischen die Zähne, aber Lust zu essen hatte er im Grunde nicht. Ganz anders seine Begleiterin. Sie blühte auf, als hätten sie sich zu einem extravaganten Dinner getroffen, suchte die schärfsten Zutaten aus, die der Süden zu bieten hatte und vergaß auch das Glas Rotwein nicht. Sie errötete leicht, als sie seine Verblüffung bemerkte.

»Wenn ich frustriert bin, bekomme ich Appetit«, erklärte sie, als müsste sie sich entschuldigen.

»Wie es scheint, werden sie sehr selten enttäuscht, gertenschlank wie Sie sind.«

Sie lächelte säuerlich. »Haben Sie eine Ahnung! Aber Danke für das Kompliment, wenn es denn eines gewesen ist.«

»Ist es«, antwortete er ernst. »Tut mir leid, wenn ich manchmal etwas grob erscheine. Ist eigentlich nicht meine Art, aber dieser Reinfall heute geht mir ganz schön an die Nieren. Wir haben noch nicht einmal einen Namen, an den wir uns halten können.«

Sie nickte nachdenklich. Nachdem sie eine Weile schweigend aufs Essen gewartet hatten, griff sie plötzlich in ihre Tasche, holte das Telefon heraus und begann aufgeregt Knöpfe zu drücken. Sie lächelte zufrieden, als sie ihm den kleinen Bildschirm vor die Nase hielt und sagte triumphierend:

»Wusste ich’s doch. Namen haben wir keine aber Zahlen.« Auf dem vergrößerten Bildausschnitt erkannte er deutlich ein Autokennzeichen.

»Die Nummern der geparkten Wagen!«, rief er erfreut. »Sie sind die Größte.« Ein wenig ärgerte ihn schon, dass er nicht selbst auf diese Idee gekommen war, aber das trübte seine Freude über die wertvolle Entdeckung nicht.

»Wenn Sie einverstanden sind, werde ich diesen Nummern nachgehen. Einer der Besitzer wird wohl reden. Wenn nötig helfen wir mit etwas Kleingeld nach. Ist das O. K.?«

Selbstverständlich war er einverstanden. Alles was diese leidige Angelegenheit schneller aus dem Weg räumte, war gut. Die Kellnerin trug das Essen auf und Marion fiel mit Heißhunger über ihren Pizzaberg her, während er sie amüsiert aus den Augenwinkeln beobachtete. Eigentlich ist die hübsche Kratzbürste ganz in Ordnung, dachte er.

Das Komplott der Senatoren

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