Читать книгу Das Komplott der Senatoren - Hansjörg Anderegg - Страница 7

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Potomac, Maryland

Finn O’Sullivan war ein stattlicher Mann, der jeden beeindruckte, der ihm gegenüber stand, auch wenn er seine konservative Wertordnung keineswegs billigte. Seit vielen Jahren war er als Senator des Staates Arizona auf dem Capitol Hill genauso zu Hause wie in Phoenix. Die herrschaftliche Villa im vornehmsten Viertel von Potomac bei Washington war ihm nach dem frühen Tod seiner Frau zum festen Wohnsitz geworden. Das kühlere Klima hier sagte ihm ohnehin besser zu. Daheim in Arizona brauchte er sich nur noch auf wenigen, wirklich wichtigen Empfängen und während des Wahlkampfs sehen zu lassen, denn sein Sitz im Senat war so sicher wie das Amen in der Kirche. Als Vorsitzender des mächtigen Energy and Natural Resources Committee übte er großen Einfluss auf das politische Geschehen aus. Kein Abgeordneter, der bei Verstand war, legte sich freiwillig mit dem sturen Iren aus Phoenix an.

»Danke, Ted, ich brauche Sie heute nicht mehr«, verabschiedete er den Fahrer vor dem pompösen Portal, dessen elegante Säulen ihn jedes Mal an den Triumphbogen auf dem ehrwürdigen Forum Romanum erinnerten. Er war froh, die Sitzung mit den Vertretern der Wasserwerke ohne konkrete Zusagen hinter sich gebracht zu haben. Seiner Meinung nach gab es entschieden zu viele unter ihnen, die der Privatwirtschaft das Wasser abgraben wollten. Einmal mehr hatte er seine kostbare Energie für die ewiggleiche Diskussion verschwendet, anders ließ sich das gute alte Gesetz der ›biggest pump‹, der größten Pumpe, wohl nicht durchsetzen. Es wollte ihm nicht in den Kopf, warum diese Leute nicht begriffen, dass das Grundwasser einzig und allein dem Landbesitzer gehörte, genauso wie das Gras, das auf seiner Farm wuchs, und dass er damit machen konnte, was ihm passte. Der konnte das Wasser den Stadtwerken verkaufen oder den Wasserkonzernen wie Mamot, die es in Flaschen abfüllten, verteilten und teurer weiterverkauften. In diesem Land herrschte freie Marktwirtschaft.

Ärgerlich hängte er das Sakko an den Bügel und schlüpfte in die Hausschuhe. Wie immer, wenn er sich über Gebühr aufregte, bekam er Appetit. Wo blieb nur Maria? Das schöne Kind besorgte ihm den Haushalt und empfing ihn sonst mit einem strahlenden Lächeln auf ihren rosigen Lippen, sobald er sich der Haustür näherte. Vielleicht war sie tatsächlich ein wenig verliebt in ihn, vielleicht spielte sie auch nur ihre Rolle zu seiner vollen Zufriedenheit. Was kümmerte es ihn, in seinem Alter konnte er sich den Luxus nicht mehr leisten, auf echte Gefühle zu warten.

»Maria?«, rief er beunruhigt.

»Senator?« Die rauchige Stimme kannte er nicht. Eine ältere Frau mit zerfurchtem Gesicht, traurigen Augen und einem Mund, dem man kein Lachen zutraute, schlurfte aus der Küche.

»Wer sind Sie?«, fragte der Senator unsicher.

»Esmeralda Mendoza. Ich vertrete Maria. Familienangelegenheit. Was wünschen Sie?«

»Ist etwas passiert, geht es ihr gut?«

»Weiß nicht.« Aus der Frau war offensichtlich nichts herauszuholen. Sie musterten sich eine Weile schweigend, dann erinnerte er sich an seinen Magen.

»Es wäre nett, wenn Sie mir ein Sandwich machen könnten. Ich bin in der Bibliothek.« Sie trottete wortlos davon, während er kopfschüttelnd die Treppe hinaufstieg.

Ein Blick auf den Schreibtisch bestätigte seine Befürchtung: der Tag war noch nicht zu Ende. Den Stapel Post musste er mindestens noch sichten, bevor er sich entspannt in seinem Ohrensessel zurücklehnen konnte. Kaum hatte er sich an den Tisch gesetzt, erschien Esmeralda und stellte ein silbernes Tablett mit einem üppigen Clubsandwich und einem Krug Eiswasser auf die Anrichte neben der Tür. In der Küche konnte die Frau Maria noch einiges beibringen. Der Senator bedankte sich überschwänglich und entließ sie. Er wollte keine neugierigen Angestellten im Haus an diesem Abend. Zu früh hatte er sich nach all dem Frust im Büro auf die Stunden mit Maria gefreut, doch ihre Abwesenheit gab ihm Gelegenheit, eine andere alte Bekanntschaft aufzufrischen. Er griff zum Telefon, öffnete das Adressbuch und wählte die Nummer unter der Bezeichnung ›VIP Secretaries‹.

»Senator, schön, Sie wieder einmal begrüßen zu dürfen. Womit können wir Ihnen dienen?«, meldete sich eine sinnliche, weibliche Stimme.

»Ist Jade frei?«

»Für Sie immer, Senator«, antwortete die Frau nach kurzem Zögern. »Es dauert allerdings etwa anderthalb Stunden.«

»Kein Problem, ich wollte sie sowieso für zehn Uhr bestellen, in mein Haus, wie üblich. Ist das in Ordnung?«

Selbstverständlich war es in Ordnung. Er war ein geschätzter VIP Kunde beim VIP Service.

Mit der Aussicht auf Jade ging das Sichten der Post zügig vonstatten. Meist waren es Bettelbriefe, die sowieso an sein Büro im Kongress adressiert sein sollten. Sein Sekretär würde sich darum kümmern. Zwei anonyme Briefe ohne Absender waren auch dabei. Die wanderten ungeöffnet in den Papierkorb. Den großen, braunen Umschlag hob er bis zuletzt auf. Der sah ganz nach Arbeit aus. Es war stickig in der Bibliothek, er brauchte frische Luft. Kauend öffnete er die Glastür und trat auf die Terrasse. Die kühle Frühlingsluft tat gut. Er sog sie gierig ein, atmete tief durch und fühlte sich wieder frisch, als er ins Zimmer zurückkehrte. Die Terrassentür blieb einen Spalt offen. Er trank einen Schluck Wasser, bevor er die Bar mit den härteren Sachen öffnete. Zeit für seinen Drink. Whiskey, irischer Whiskey mit ›ey‹, Jameson, pur, nichts anderes durfte es sein seit er hier wohnte. Mit dem Glas und einer Zigarre zog er sich in den Sessel zurück. Misstrauisch betrachtete er den braunen Umschlag. Beim ersten Blick auf den Poststempel hatte er an Neill Douglas gedacht, den Senator des Staates Illinois aus Chicago, der als sein Vize dem gleichen Komitee vorstand. Der Absender lautete allerdings auf einen anderen Namen: Dragon, seltsam. Als fürchtete er, sich zu vergiften, öffnete er das Kuvert umständlich. Es enthielt einen handschriftlichen Brief und einige Blätter Beilagen, Originaldokumente und Kopien. Als er die erste Beilage sah, erbleichte er.

Im Haus des Senators brannte kein Licht.

Geräuschlos und unsichtbar huschte die schwarze Gestalt durch den Park, schlich dem Haus entlang, prüfte Türen und Fenster und kletterte schließlich behände wie eine Katze am Grünzeug hoch auf die Terrasse. Vorsichtig spähte der Eindringling durchs Fenster, hinter dem die Bibliothek des Senators liegen musste. Nichts rührte sich, das ganze Haus schien zu schlafen. Die Dunkelheit der mondlosen Nacht war nahezu vollkommen. Vom Streulicht des Quartiers drang kaum etwas durch den dichten Baumbestand, der den Park umgab. Er tastete nach der Klinke der Terrassentür und erschrak. Seine Hand zuckte blitzschnell zurück, als hätte ihn ein Stromschlag getroffen. Die Tür hatte sich mit leisem Knarren bewegt, sie war offen. Er kauerte für kurze Zeit an der Mauer, atmete tief durch und horchte angestrengt. Alles blieb still. Geduckt drückte er die Tür mit einer schnellen Bewegung etwas weiter auf. Wieder spitzte er die Ohren. Keine Reaktion. Er schlüpfte rasch hinein, knipste die Taschenlampe an und ließ den Lichtkegel langsam durch den Raum schweifen. Bis auf die paar hundert Bücher, die wohl noch niemand gelesen hatte, die schweren Ledersessel und den Schreibtisch war die Bibliothek leer, und doch hatte er das ungute Gefühl, beobachtet zu werden. Vielleicht lag es am sauren Geruch erkalteter Zigarren und abgestandener Drinks, der im Raum hing. Vielleicht zerrte auch einfach die Tatsache an seinen Nerven, dass er noch nie in das Haus einer so prominenten und wichtigen Persönlichkeit eingestiegen war. Wie auch immer, jedenfalls befand er sich im richtigen Zimmer. Wenn die Ware im Haus war, dann mit Sicherheit in der Bibliothek, hatte sein Auftraggeber behauptet. Alarmanlage und Safe fehlten im Haus. Der Senator brauchte keine technischen Spielereien, er stand zum Glück über diesen Dingen.

Es rührte sich noch immer nichts im Haus, als er mit seiner systematischen Suche begann. Auf den ersten Blick sah er nichts Verdächtiges herumliegen, also arbeitete er sich wie gewohnt zuerst Meter für Meter im Gegenuhrzeigersinn den Wänden des Raums entlang. Kein Türchen, keine Schublade ließ er aus, auch die Hausbar durchsuchte er mit geübtem Blick und flinken Fingern. Ein einziges riesiges Büchergestell bildete die Rückwand der Bibliothek. Da er dem Senator alles zutraute, suchte er nach Geheimfächern oder gar einer Geheimtür hinter den Büchern. Das nahm einige Zeit in Anspruch, mehr als ihm lieb war, aber er musste in diesem Fall besonders gründlich vorgehen. In den Gestellen steckten tatsächlich nur Bücher, keine losen Papiere, Dossiers oder Briefe.

Er war beim Schreibtisch angelangt, eher ein kostbar mit Intarsien verzierter Sekretär. Bevor er die vielen Fächer des Möbels öffnete, durchstöberte er den Papierkorb, der daneben stand. Briefumschläge, ungeöffnete Briefe, nichts, was seinen Auftraggeber interessieren konnte. Auf dem Schreibtisch lag lediglich ein Stapel aus drei Büchern, eines dicker als das andere, nichts unter der Schreibunterlage und nichts in den Schubladen. Er war nahezu fertig mit der Durchsuchung und hatte keine Spur des Dokuments gefunden, für dessen Beschaffung er glatt den coolen, silbernen Porsche 911 kaufen könnte. Nun sah es ganz danach aus, dass sich sein Traum in nichts auflöste, wenn er nicht auch noch die übrigen Räume der riesigen Villa durchsuchte. Eine Herkulesaufgabe, die selbst er sich allein kaum zutraute. Was ihn am meisten ärgerte aber war dieses unheimliche Gefühl, jemand schaue ihm dauernd über die Schulter.

Es blieb nur noch die kleine Polstergruppe in der Mitte der Bibliothek. Er drehte sich um, richtete den Strahl der Lampe auf die Sessel und machte einen Satz rückwärts, als wäre er in Mike Tysons linken Haken gelaufen. Er prallte mit dem Rücken an die Schreibtischkante und ging stöhnend zu Boden. Aus einem der Sessel starrte ihn der Senator mit offenem Mund und aufgerissenen Augen an, reglos, lautlos, totenstill. Sekundenlang konnte er den Blick nicht von diesem Gesicht abwenden, vergaß vor Schreck, die Lampe auszuknipsen. Der alte Mann bewegte sich nicht, er blinzelte auch nicht, er war tot. Heilige Scheiße!, ein toter Senator gehörte nicht zum Job, ganz und gar nicht. Am liebsten wäre er wie der Blitz aus dem Haus gerannt, hätte er nicht den braunen Umschlag auf den Knien des Toten gesehen. Mit äußerster Vorsicht näherte er sich dem Sessel, jederzeit sprungbereit, als könnte ihm der Senator plötzlich an die Gurgel fahren. Ohne den reglosen Körper zu berühren, zog er den Umschlag unter den toten Händen hervor. Dragon, Chicago, der Absender stimmte, es war der gesuchte Brief, aber der Inhalt fehlte. Nicht gut, ganz schlecht. Er wusste jetzt mit Bestimmtheit, dass die Ware hier war, wenn der Alte die Papiere aus dem Umschlag nicht vernichtet hatte. Unter normalen Umständen hätte er ohne weiteres in den sauren Apfel gebissen und das ganze Haus durchsucht, aber ein toter Senator war kein normaler Umstand. Er saß bis zum Hals in der Scheiße, soviel war klar. Wenn die Cops mit ihren Einsteins hier auftauchten, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis ihn, trotz aller Vorsicht, irgendeine verdammte Hautschuppe unweigerlich ans Messer lieferte. Dieser Routinejob entwickelte sich zu einer ganz miesen Nummer, aus der er so schnell wie möglich aussteigen musste, bevor er die Nerven verlor. Er schob den Umschlag wieder an seinen Platz, schlüpfte hinaus, und verließ das Haus über die Terrasse in dem Moment, als es an der Haustür klingelte.

Jade war da.

Das Komplott der Senatoren

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