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Beethovens Todestraurigkeit

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Am 26. September 1814 wurde in Gegenwart der Monarchen von Russland, Dänemark, Preußen und Württemberg im Hoftheater Beethovens „Fidelio“ aufgeführt. Im Publikum befand sich ein Verehrer des Komponisten, Dr. Aloys Weißenbach, ein namhafter Chirurg aus Tirol. In den darauffolgenden Tagen traf dieser mehrmals mit seinem Idol in Wiener Lokalen zusammen. Weißenbach, selbst schwerhörig, beschreibt Beethovens Zustand:

-- sein Nervensystem ist reizbar im höchsten Grade und kränkelnd sogar. Wie wehe hat es mir oft gethan, in diesem Organismus der Harmonie die Saiten des Geistes so leicht abspringen und verstimmbar zu sehen. Er hat einmal einen furchtbaren Typhus bestanden; von dieser Zeit an datirt sich der Verfall seines Nervensystems und wahrscheinlich auch der ihm so peinliche Verfall des Gehörs. Oft und lange hab’ ich darüber mit ihm gesprochen; es ist mehr ein Unglück für ihn als für die Welt. Bedeutsam ist es jedoch, dass er vor der Erkrankung unübertrefflich zart und feinhörig war und dass er auch jetzt noch allen Uebellaut schmerzlich empfindet; wahrscheinlich darum, weil er selbst nur der Wohllaut ist.

Im fortschreitenden Gehörverlust lag der Kern allen Leidens. Dass er ein Unglück für ihn war, mehr als für die Welt, realisieren wir zwar, vergessen es aber leicht. Kluge Ärzte können uns hundert Mal erzählen, dass Ertaubung für alle Menschen schwer zu tragen ist und dass beim Erreichen der völligen Taubheit die quälenden Nebengeräusche des erkrankten Gehörnervs aufhören und einer erträglicheren Stille Platz machen, aber in Beethovens Fall hat die Tragik doch eine übermenschliche Qualität. Was es bedeutet, auf die Musik verzichten zu müssen, ist in unserer Zeit des musikalischen Überdrusses gar nicht leicht nachzuvollziehen. Ich glaube aber, dass allenfalls die Musiker ahnen, wie leidvoll es ist, die Musik zu vermissen, auch wenn das innere Ohr Beethovens in der Lage war, die gewaltigsten Tonschöpfungen in Gedanken zu vernehmen. Gerade diese außerordentliche Fähigkeit ist es, die der rettenden Gewöhnung an die Stille entgegenwirken musste. Je vollendeter die Vorstellung der Musik ist, umso stärker wächst auch die Sehnsucht nach ihr. Das Verlangen, die Harmonien auf sich einwirken zu lassen und mit ihnen zu verschmelzen ist seiner Natur nach nicht zu stillen, denn gerade durch das Sehnen wächst das Sehnen ohne Unterlass, wie in einer Kettenreaktion. Je besser die gedankliche Wiedergabe der Töne gelingt, umso stärker ist das Bedürfnis, sie in der Realität zu erleben.

Es leuchtet ein, dass eine derartige Leidenschaft die Gefühlswelt so sehr in Anspruch nimmt, dass für die Entwicklung sonstiger Liebesgefühle kein Platz mehr bleibt. Deshalb macht es auch keinen eigentlichen Sinn, immer wieder nach der Identität der legendären „unsterblichen Geliebten“ zu suchen, wie es seit Beethovens Tod so gerne getan wird, meist von männlichen Vertretern der Musikwissenschaft und Literatur. Die unsterbliche Geliebte Beethovens war keine sterbliche Frauensperson, sondern die Musik selbst, personifiziert von einer imaginären Gottesgestalt, Muse genannt. In der Grabesstille seiner Erlebniswelt stand diese ungreifbare Gestalt dem Tondichter näher als jedes Lebewesen und doch blieb sie ihm zu gleicher Zeit so fern, dass er nicht anders konnte als in Tränen zu baden.

Frauen verstehen das, so glaube ich, besser als Männer. Zu seinen Lebzeiten wurde Beethoven von vielen Frauen geliebt. Von wie vielen, weiß niemand genau. Aus den biographischen Quellen geht aber hervor, dass der Komponist sich hervorragend mit Frauen verstand. Die Anziehungskraft, die von seiner Person, seiner Musik, seinem Ruhm und seinem Temperament ausging, ließ keine Frau kalt. Aber alle, die ihn liebten, wussten auch, dass sie bei Beethoven immer nur die zweite Geige spielen würden, weil er eben, wie man auch in unserem prosaischen Zeitalter noch sagt, mit seiner Kunst verheiratet war.

Die Freundinnen Beethovens reagierten unterschiedlich auf diese Erfahrung. Es hat den Anschein, dass die Gräfin Josephine Deym, geborene Brunswick, an der Vorrangstellung der unsichtbaren Nebenbuhlerin zerbrochen ist. Andere Freundinnen, wie Antonie Brentano, reagierten mit bewundernswerter Selbstverleugnung. Sehr schön dokumentiert wird dieser Prozess durch die Tagebucheintragungen von Fanny Giannattasio del Rio, einer unverheirateten Frau von 26 Jahren, deren Verlobter gerade gestorben war, als sie Beethoven im Sommer 1816 kennenlernte. Sie verliebte sich in den 45-jährigen Meister und wünschte sich nichts lieber als ihn zu heiraten. Ein Jahr später stimmte sie mit ihrer Schwester Nanni überein, dass Beethoven besser unverheiratet bleiben sollte, weil „er seine Kunst immer mehr lieben würde als seine Frau“, was sofort vom Komponisten selbst bejaht wurde.

Dass die Vorstellung eines weiblichen Begleitgeistes für damalige Verhältnisse nichts Außergewöhnliches war, beweist Fannys Tagebucheintrag vom 7. Oktober 1816 nach einem Ausflug mit Beethoven im Wiener Wald:

Er war so froh beim Mittagsmahl in Helena und seine Muse umschwebte ihn!

Gerade in dieser Periode wurde der Vorhang unerbittlich zugezogen, der die Sinne des Tondichters für den Rest seines Lebens von seiner Muse trennen würde. Der Gehörverlust hatte ihn 1816 schon fast zwanzig Jahre lang begleitet. Er hatte sich bereits mehrere Jahre vor dem Jahrhundertwechsel gemeldet und im Oktober 1802 die Selbstmordkrise in Heiligenstadt veranlasst. In Briefen vom 29. Juli und 16. November 1801 an seinen Jugendfreund Wegeler hatte er sein schwaches Gehör einen „neidischen Dämon“ genannt, der ihm wie ein Gespenst überallhin folge. Nach der Krise verschlimmerte sich das Leiden Jahr für Jahr, aber Beethoven gab bis zuletzt die Hoffnung nicht auf, dass er doch noch geheilt werden könnte. So stehen seine Badekuren in Karlsbad 1811 und Teplitz 1812 in Zusammenhang mit dem Kampf gegen das Gehörleiden.

Die Zusammenarbeit mit Mälzel 1813 und dessen Bemühungen, Hörgeräte für ihn zu bauen, weckten bei Beethoven letzte Hoffnungen auf Besserung. Sein Klavierauftritt im Juni 1814 beweist, dass ein Teil seines Gehörs noch funktionierte: Louis Spohr bezeugt, dass er beim Forte- Spiel das Klirren der Saiten nicht hörte und beim Piano so leise spielte, dass die Töne oft wegblieben. Mittelstarke Töne konnte er demnach noch hören.

Im Winter 1814/15 muss der Zustand sich dann verschlechtert haben, denn am 10. März 1815 schreibt er an den Verleger Gottfried Christoph Härtel, der drei Jahre lang nichts von ihm gehört hatte:

Was die Dämonen der Finsterniß angeht, so sehe ich, daß diese auch bey dem hellsten Licht unsrer Zeit sich nie ganz werden zurückscheuchen laßen

Weil Beethoven im nächsten Satz von einem Akustiker namens Ernst Chladni spricht, ist aus dem Kontext zu entnehmen, dass er mit den „Dämonen der Finsternis“ sein Gehörleiden meint und dass er enttäuscht war von Mälzels Gehörgeräten.

In dieser Periode vertonte er das Gedicht Sehnsucht von Reissig, das übrigens im Dreivierteltakt steht, aber in Wirklichkeit ein getarnter Zweivierteltakt ist. Wie so oft, finden wir in Beethovens Musik, was ihn im Leben bewegt. In den Liedern schreibt er seine eigene Geschichte. So lautet die letzte Zeile des Gedichts:

Du Holde, die ich meine, wie sehn’ ich mich nach dir; erscheine, ach erscheine und lächle Hoffnung mir!

Die Hoffnung, die er im Lied aufruft, blieb aber aus. 1816 ist nämlich das Jahr, in dem er die letzten Reste seines Gehörs verlor. Es ist auch das Jahr, in dessen Frühling der ergreifende Liederzyklus An die ferne Geliebte entsteht. Auch hier ist von Sehnsucht und Tränen die Rede. Man möchte gar meinen, dass Beethoven selbst den Text verfasst hat, sosehr entspricht dieser seiner damaligen Lage:

Es kehret der Maien, es blühet die Au’. Die Lüfte, sie wehen so milde, so lau. Nur ich kann nicht ziehen von hinnen.

Wenn Alles, was liebet, der Frühling vereint, nur unserer Liebe kein Frühling erscheint, und Thränen sind all ihr Gewinnen, und Thränen sind all ihr Gewinnen, ja all ihr Gewinnen.

An der Stelle im Zyklus, wo Beethoven die Worte nach dem stillen blauen See vertont, erscheint eine Gemütsstimmung, die jeden Zuhörer ergreifen muss, denn hier meldet sich kaum verhüllte Todessehnsucht. Der Dichter sehnt sich danach, „von hinnen zu ziehen“, sich im Tode mit der Geliebten zu vereinen oder, wie es andernorts heißt, „in ihre Arme zu fliegen und seine Seele, von ihr umgeben, ins Reich der Geister zu schicken“. Das Jahr 1817 schließlich, das Jahr des Metronoms, ist zugleich das Jahr, in dem Beethoven laut Carl Czerny vollends taub war. Es ist auch das unproduktivste Jahr in der Laufbahn des Komponisten. Seine ungeheure Schöpferkraft war fast ganz zum Erliegen gekommen. Hinzu kamen in der ersten Hälfte des Jahres Krankheitssymptome aller Art. Als der für den angeschlagenen Komponisten erträglichste Teil des Jahres, der Sommer auf dem Land, zu Ende ging, schien auch Beethoven selbst am Ende seines Lateins.

Am 9. September schreibt er aus Nußdorf an seinen Freund und nächsten Mitarbeiter Baron Nikolaus von Zmeskall:

Ich probiere ohne Musik alle Tage dem Grabe näher zu kommen.

Es kam aber dann doch ein neuer Tag, denn die Erde kümmert sich bei ihrer täglichen Umdrehung nicht darum, wie ihren Bewohnern zu Mute ist. Am 10. September schreibt Beethoven ein neues Zettelchen an Zmeskall. Darin heißt es:

Dank für Ihren Zeitmesser, - wir wollen sehen, ob sich hinüber damit bis in die Ewigkeit messen lässt……

Von dem Augenblick an ging es Beethoven besser.

Der andere Beethoven

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