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Caspar David Friedrich

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Über Caspar David Friedrich sprechen, heißt die Frage nach dem Sinn aller Landschaftsmalerei stellen- und damit die Frage nach ihrem Rang. Denn bis zu seiner Zeit wurde in Europa höchster Wert nur dem Abbilden der Menschengestalt zuerkannt. Erst in weitem Abstand folgten Himmel und Erde, Wasser und Wolke, Pflanze und Tier. Für alle die allerdings, denen Farben allein um der Farben, Linien allein um der Linie willen da sind, erscheint solche Fragestellung sinnlos, kommt es heute doch nicht mehr darauf an, was dargestellt wird, sondern einzig, w i e es geschieht. Ist doch seit dem Sieg der Impressionisten auch ein Menschengesicht nicht mehr als eine Häufung von Farbflecken – nicht wesenhafter als ein Stilleben, eine Wohnungseinrichtung oder ein Ornament. „Alles Malbare ist Oberfläche, alle Oberfläche lässt sich malen “. Im Gegensatz dazu war es älteren Meistern nicht um Flächen, sondern um Inhalte – oft heilige Inhalte – zu tun. Zuerst sind es Tiere, die solche verkörpern. In Stein gehauen, mit dem zeitlosen Blick der Überirdischen, stehen sie an den Tempelpforten von Theben und Memphis.

Später – noch immer in Stein und zum ersten Mal in Hellas – tritt des Menschen in seiner Vollendung als göttlich empfundener Körper an die Stelle des tierischen. Noch später – und ganz erst mit dem Überwiegen der Malerei – sein Antlitz: die Madonnen der Italiener sind der erste Versuch, die Zartheit Gottes in menschliche Züge zu bannen. Ihr Gott ist intimer, inniger, als der in Tier- und Menschenleiber begriffene. Ein flüchtiger Schein um Wimpern und Lider, ein letzter Schatten um Mund und Wangen bedeutet mehr wie Millionen von Sternen. Und doch war ein Schritt noch zu tun: erschien den Madonnenmalern des Menschen Auge als gottähnlichstes Gebilde der irdischen Schöpfung – sie malten es doch nur von außen wie die blinkenden Fenster einer Fassade. Und konnten sein Inneres nicht sehen und nicht darstellen: seine Ausblicke nicht und nicht seine Gesichte. War Gottes Gesicht mit Farbe und Pinsel glaubhaft zu machen allen Malens letztes, allerletztes Ziel, so bedurfte es nur dieses Schrittes. Der aber bedeutete völlige Umkehr; nicht die Augen der Madonnen waren wiederzugeben, sondern ihre Visionen. Seit jeher hatten sich mystisch veranlagte Menschen zur Versinnbildlichung ihrer Wahrnehmungen zweier Arten von Gleichnissen bedient: erotischer, für das was sie empfunden, landschaftlicher für das was sie gesehen. Der Ausdruck „selige Landschaft“ kehrt immer wieder, entsprach die irdische Schau weiträumiger Einsamkeit doch noch am ehesten den in Worten nicht fassbaren Eindrücken übersinnlicher Erfahrung.

Der Gedanke, das Zarteste und daher Göttlichste auf Erden: Blick und Anblick menschlicher Augen durch Abbildungen dessen zu ersetzen, was sich vor und in diesen Augen abspielt, dieser Gedanke blieb – trotz manchen Anklingens bei Dürer und Leonardo, Rembrandt und Raffael – ungedacht bis Caspar David Friedrich. Wir finden Menschen auf seinen Bildern, den Rücken gegen uns, den Blick in unbestimmte Fernen gerichtet. Wir sehen (über sie hinweg), was s i e sehen und mit i h r e n Augen. Als wären sie kein „Du“ mehr für uns, sondern „wir“. Und was sich vor den unseren ausbreitet, ist die innere, die „unendliche“ Landschaft. Der sie malte, war ein ernster, schweigsamer Mann, ein „Stiller im Lande“, der bald vergessen wurde und den erst die letzten Jahrzehnte wieder hervorgezogen haben.

Friedrichs Geburtsort Greifswald lag im damals noch schwedischen Vorpommern. Seine Vorfahren waren ihres Glaubens wegen aus Schlesien vertrieben worden.

Seine Kindheit verdüstert der von ihm schuldlos verursachte Tod eines jüngeren Bruders, der Caspar David hatte retten wollen, als er eines Tages auf der Ostsee Schlittschuhlaufend, durch die dünne Eisdecke brach, und der dabei selbst ums Leben kam.

Als das geschah, schrieb man das Jahr 1787. Caspar David war damals dreizehn; der Vorfall machte den nachdenklichen Knaben noch ernster und ließ ihn die immerwährende Nähe des Todes nie mehr vergessen. Nach ersten Lebensjahren daheim, nach vielen Wanderungen durch die norddeutsche Landschaft und einem mehrjährigen Aufenthalt an der Kopenhagener Akademie hatte er sich schließlich um 1798 in Dresden niedergelassen.

Wohl zog es ihn immer wieder zurück nach der Ebene, nach den weißen Felsen von Rügen und nach der Weite des Meeres, aber nicht weniger liebte er später das Wandern auf sonnigen Höhen und seine reifsten Werke entstammen dem Erlebnis der schlesischen und deutsch-böhmischen Berge. Dresden war in jener Zeit Mittelpunkt der deutschen Romantik. Schelling und Tieck, Novalis und Schlegel trafen sich hier. Und einer von Friedrichs engsten Freunden war Heinrich von Kleist. Weiteren Kreisen bekannt wurde Friedrich erst 1808, damals durch ein aufsehenerregendes Altarbild. Dieser auf fremden Wunsch angefertigte sogenannte „Teschener Altar“ zeigt einen pyramidenförmig in die Bildmitte aufragenden Berggipfel.

Darauf im Gegenlicht eine Gruppe von Fichten. Auf dem höchsten Punkt, von der jenseits untergehenden Sonne beleuchtet, ein steil in die Abendröte ragendes Kreuz.

Gedanke und Aufbau des Bildes wiedersprachen allen herkömmlichen Regeln. Auch war dieses „Kreuz im Gebirge“ der bisher einzige Fall eines zu kirchlichen Zwecken entworfenen Landschaftsgemäldes. (Und ist es bis heute geblieben, denn immer noch hat Gottes übermächtige Schöpfung die fromme Umfriedung einer bloßen Menschenkirche gesprengt).

Im Jahre 1810 stellte Friedrich erstmalig in Berlin aus. Seine Bilder heißen „Mensch und Meer“ und „Klosterfriedhof im Schnee“. Auch sie widersprachen allem Herkommen; das erste befremdete durch eine noch niemals gewagte Monotonie: eine braune, im Wind wehende Kutte zwischen Unendlichkeiten von Sand und Wasser. Das beherrschende Motiv des zweiten waren Ruinen. An sich keine Neuheit, nur ihr Stil im Gegensatz zur herrschenden klassizistischen Tradition gotisch und ihr Hintergrund Winter. Entsprechend war, wie nicht anders zu erwarten, die Kritik. Wer sich glücklicherweise um sie und ihre gelehrte Meinung nicht kümmerte, war der junge Kronprinz von Preußen.

Er erwarb beide Bilder zum Preis von 450 Talern und die Berliner Akademie sah sich sehr zu ihrem Missvergnügen genötigt, den fremden Neuerer zu ihrem auswärtigen Mitglied zu wählen. So konnte Friedrich im Herbst 1812 neuerdings in Berlin ausstellen und wieder sprengte sein Bild den Rahmen des Üblichen. Auch das sogenannte „Kreuz im Riesengebirge“ ist dem Mönch am Meer insofern ähnlich, nichts als Weite und Horizont, Ausblick von einsamer Höhe auf hingebreitetes Land.

Kein Vordergrund. Im Hintergrund unzählige, von feinen Nebenstreifen unterbrochene Hügelkulissen. Im Mittelgrund Fels. Darauf wieder – wie beim Teschener Altar – ein hochragendes Kreuz. Davor, gerade noch erkennbar, in lichte Gewänder gehüllt eine Frauengestalt, die eine dunklere männliche die letzte Stufe zum Kreuz emporzieht.

Das Ganze: Sinnbild von der Einheit alles Grenzenlosen; Welt, Gott, Du, Ich – „Wo du auch hingehst, du bist nirgends allein“.

Dieses Bild bezeichnet den Beginn von Friedrichs „unendlicher Landschaft“. Was es beherrscht wie den „Mönch am Meer“, ist die Übermacht des Chaotischen. Nur: jener Mönch erscheint wie ein Fragezeichen am Rande des Chaos. Die beiden Gestalten am Kreuz sind dem Chaos entronnen.

Immerhin, ihre Gebärde ist Flucht aus der Grenzenlosigkeit, Flucht vor der unermesslichen Ferne, die hier noch drohend erscheint, indem sie alles menschliche Maß übersteigt.

Doch schon in Friedrichs nächsten Werken vollzieht sich die Wandlung. Die Ferne wird zum Gegenstand nicht mehr der Abwehr, sondern der Hinneigung, und beider Spiel und Widerspiel, das jener Ferne mit den an ihren Standort gefesselten Wesen im Vordergrund wird zur Vorahnung von der einstigen Erlösung.

Erwartung unwissbar ferner Dinge umweht in den „Lebensstufen“ die hauchzarten Silhouetten abendlicher Segelschiffe; berührt im „Mondaufgang am Meer“ die graziösen Umrisse zweier in wortloses Schauen versunkener Frauen; beseelt in der fast chinesisch

einfachen zweiten „Riesengebirgslandschaft“ das blattlose Geäst eines einsam in öde Verlassenheit ragenden Baums.

Immer in diesen Werken wird das Unfassbare an seinem Gegensatz fassbar, das Unbegrenzte begriffen durch seinen Widerschein im Begrenzten.

Immer klingt durch alle Spannung, Sehnsucht, Unerlöstheit – am stärksten im „Mondaufgang“ – etwas wie ein Versprechen durch, „alles Getrennte fände sich wieder“. Das Getrennte aber – von der großen Einheit Getrennte – ist die Gestalt im Vordergrund: Baum, Mensch, Tier, Segel …

Plötzlich, in einem seiner letzten großen Gemälde – der „böhmischen Landschaft“ – steht der Betrachter allein. Kein Baum mehr im Vordergrund, keine Menschengestalt. Nur ein einsamer Weg führt noch hin zu fernen taubeglänzten Wiesen, Bergen, Wäldern.

Jene Wiesen, Berge und Wälder aber gleichen in ihren lichten Zartheit Melodien aus Schuberts späten Werken, und jener Weg ist wie ein Hineingleiten in Musik.

Folgt noch letztes, allerletztes Bild: Kein Weg mehr, weit, unsagbar weit dehnt sich Sommer, Bäume und Büsche stehen trunken von Licht. Im Mittelpunkt ein Menschenpaar in seliger Umarmung. Nah und Fern sind Eins. Die Zeit ist stehen geblieben, die Welt am Ziel.

Danach und bald nach den Befreiungskriegen, die Friedrich miterlebt wie nur irgendein Deutscher seiner Zeit, ist auch sein Leben nicht mehr bedeutsam. Er wird wunderlich und seine letzten fünfzehn Jahre gleichen einem langsamen Verdämmern.

Er stirbt am 4. Mai 1840, lange, nachdem sein Geist in Umnachtung verfiel. Er hatte der Welt die „unendliche Landschaft“ geschenkt. Was sollte er weiter auf ihr?

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