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Michelangelo Buonarotti

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„Kunst ist eine Sache der Edlen und nicht der Plebejer.“ Und darum – und weil nur der Edle sich stets überfordert – in jedem Fall Torso; Eingeständnis einer Niederlage und so Sinnbild eines Menschentums, das zwar das Tier überwand, aber Gott nicht erreichte.

In Florenz steht, in Marmor gehauen, die Gestalt eines streitbaren Jünglings. „Er hält sein Knie auf dem Rücken des Gegners, doch schweift sein Blick unentschlossen über ihn weg in die Ferne und sein zum Schlag erhobener Arm scheint gegen die Schulter zurückzufallen. Er heißt ‚der Sieger‘, aber er will keinen Sieg mehr. Er ekelt ihn, er hat ‚gesiegt‘ und ist doch selbst der Besiegte.“

Mit dieser Interpretation einer weltbekannten Statue eröffnet Romain Rolland seine Studie über das Leben Michelangelos. Jenes Bildwerk war als einziges bis zuletzt im Atelier des Meisters verblieben. Mit ihm hat Michelangelo seinen Katafalk schmücken wollen. Der an seiner Tat verzweifelnde Held, der Adler mit den gebrochenen Flügeln bedeutet ihn selbst – ist Inbegriff seines Lebens.

Er ist mit den Frühlingswinden geboren, am 6. März 1475 in Caprese – inmitten der Felsen des Apennin und getragen vom Stolz eines alten Geschlechts. „Ich bin nicht der Bildhauer Michelangelo, ich bin Michelangelo Buonarotti“ - schleudert er später den Römern entgegen. Keiner kann mehr werden – auch nicht durch sein Werk – als von Anfang in ihm war – und kein Baum seine Krone höher gegen den Himmel tragen, als sein Same Wurzeln in die Tiefe gesenkt hat. Und Michelangelo Buonarotti hing an seinen Wurzeln und seinem Stamm desto zäher, je älter er wurde – „Dass nur unsere Sippe, unsere Rasse erhalten bleibt, dass nur sie nicht stirbt!“ Fortleben in Kindern und Kindeskindern (die er niemals haben würde – sein nächster Nachkomme war ein Neffe) ist ihm wichtiger als Fortleben im Werk. Das ist da, dem Leben zu dienen, nicht umgekehrt, einem hochgemuten, gesteigerten Leben, über allen Niederungen der Gewohnheit und der Gewöhnlichkeit.

Als Michelangelo mit kaum 13 Jahren gegen den Widerstand aller Verwandten seinen Willen durchsetzte, Künstler zu werden, geschah es einzig mit der bereits zitierten Begründung, dass „die Übung der Kunst eine Sache der Edlen sei und nicht der Plebejer...“ – und eine Sache derer, denen das Bewusstsein der eigenen Unzulänglichkeit zum unaufhörlichen Antrieb wird, das Äußerste zu vollbringen. Das Unzulängliche Michelangelos ist offenkundig: seine äußere Erscheinung war nahezu abstoßend, seine unbändige Kraftentfaltung geschlagen mit einer Hässlichkeit, die sich in Sehnsucht nach Schönheit verzehrte und der – ganz hellenisch (ganz wie den Richtern der Phryne) – jede greifbare, mit Händen und Augen tastbare Wohlgestalt als unmittelbarer Ausdruck göttlicher Begnadung erschien.

Und doch war dieser Florentiner so ungriechisch wie Shakespeare etwa oder wie Beethoven. Und neben dem zeushaft überlegenen Leonardo und dem apollinisch zarten Raffael gemahnt seine vulkanisch eruptive Natur bloß an die Düsternis des unterirdischen, von Aphrodite immer von neuem betrogenen Hephaistos. Darum erscheint sein Leben als eine ununterbrochene Kette von Gewaltleistungen, gefolgt von Zusammenbrüchen. Doch immer schnitten diese tiefer in sein Wesen, als die vorangegangenen Aufschwünge. Und immer mehr wurde sein Weg, trotz wachsenden Ruhms und zunehmender Anerkennung, ein Weg in die Vereinsamung. So war Michelangelo der an inneren Spannungen reichste, aber auch der unglücklichste und zerrissenste unter den großen Männern der zu Ende gehenden italienischen Renaissance. Und im Schatten seines leicht verletzlichen Stolzes gediehen Misstrauen, Ränkesucht und Gewalttätigkeit. Er übergoss den um Jahrzehnte älteren Leonardo auf offener Straße mit bitterem Hohn, bloß weil ihm dessen weltmännische Selbstsicherheit zuinnerst zuwider war. Und Torrigiano zerbrach ihm das Nasenbein, weil es den beiden nicht möglich war, in Frieden nebeneinander zu arbeiten. Michelangelo duldete niemanden neben sich, außer einigen Handlangern, und manche gerade seiner kühnsten Entwürfe scheiterten, weil er alles selbst und allein machen wollte – vom Lösen der Blöcke in den Steinbrüchen bis zu den letzten Handgriffen am vollendeten Werk. – Als gäbe es eine Zeugung aus Stein, als ließe sich in wahnwitziger Kraft aus der Härte des Marmors herausschlagen, was ihm, dem Missgestalteten, an Süße des Lebens verlorenging. Doch war dies nur ein auswegloser Kampf mit sich und mit allen Menschen, dem Material und der zyklopenhaften Größe der gewählten Projekte. Der gewaltige Block carrarischen Marmors, an dem sich 40 Jahre hindurch keines Menschen Hand mehr gewagt hatte und aus dem unter dem Hammer Michelangelos sodann die sieghafte Gestalt des David hervorwuchs, war nur der Anfang. Ihm folgte der gigantische Entwurf zum Grabmal Julius II. Acht Monate lang wühlte Michelangelo allein in den Brüchen. Dann türmte sich ein Gebirge unbehauenen Steins vor den Fenstern des Vatikans. Doch ehe das Titanenwerk Wirklichkeit ward, spielten die Intrigen Bramantes, spielten die Pläne zur neuen Peterskirche, und eines Tages ist das Grabmal vergessen und verworfen und Michelangelo steht vor verschlossenen Türen. Zornerfüllt lässt er den Papst wissen, dass er auf weitere Gastfreundschaft verzichte, gibt Auftrag, den Marmor, so wie er ist, einem Juden zu verkaufen und reitet nach Norden. Umsonst jagt Julius fünf seiner bestberittenen Kavaliere hinter ihm her. Umsonst alle diplomatischen Vorstellungen der Signoria, die ihrem großen Mitbürger wohl zu jeder gewünschten Genugtuung verhelfen, aber doch um seinetwillen keinen Krieg führen will.

Erst als Julius Bologna belagert und Stadt und Staat von Florenz damit von zwei Seiten umklammert, wird es Zeit, Künstler und Papst um jeden Preis einander zu nähern und zwei Jahre später ist Michelangelo wieder in Rom. Vom Grabmal ist allerdings nicht mehr die Rede. Julius II. beauftragte ihn mit der Ausmalung der sixtinischen Kapelle.

Michelangelo vermutet dahinter – misstrauisch wie immer – einen Schachzug Bramantes, der ihn vor aller Welt bloßstellen und damit erledigen soll – und verweigert die Ausführung. Die Malerei sei nicht sein Handwerk und die Deckenmalerei am allerwenigsten. Schließlich geht er so weit, Raffael, seinen schärfsten Nebenbuhler, für die Ausmalung der Sixtina vorzuschlagen, vergebens. Der Papst bleibt unerbittlich und erreicht, worauf es ihm ankommt: Michelangelo begeistert sich schließlich für die verheißene Aufgabe und verbeißt sich in sie.

Er schließt sich völlig ab von der Welt. Ist Monate lang für niemanden zu sprechen, findet kaum mehr Zeit, einen Bissen zu sich zu nehmen und schläft (obgleich nebenan Paläste für ihn bereitstehen), auf einer Bank unter den Gerüsten. Er malt liegend, mit nach rückwärts verrenktem Kopf und kann sich vor Schmerzen kaum noch bewegen, wenn er herabsteigt. Aber eines Tages, nach wiederholtem Drängen, steht er vor Julius II. wie Herkules vor seinem König: das Unerhörte ist gelungen und die Sixtina des verrückten Michelangelo überschattet die Stanzen des glückhaften Raffael.

Dann stirbt Julius II. Nun will Michelangelo dessen Grabmal vollenden, doch liegt seinem Nachfolger, einem Mediceer, mehr am Ruhm des eigenen Hauses, als an dem seines Vorgängers und Michelangelo erhält Weisung zum Bau der Fassade von San Lorenzo in Florenz. Und mit der gleichen Rastlosigkeit, mit der er eben vier Jahre lang an der Sixtina gearbeitet hat, stürzt er sich jetzt in die neue Aufgabe.

Unterdessen bezichtigen ihn seine Feinde der Bestechlichkeit, weil er statt der staatseigenen Brüche von Pietrasanta die ausländischen von Carrara bevorzugt und nötigen ihn, die gewählten Blöcke liegen zu lassen und in Pietrasanta von vorne zu beginnen. Nun aber stecken sich die Steinbrecher von Carrara hinter die Genuesen und sämtliche Schiffer verweigern den Abtransport. Daraufhin müssen die Steine mit ungeschulten Kräften und auf mühevoll gebahnten Wegen auf dem Landweg nach Florenz gebracht werden – und als sie schließlich dort anlangen, sind drei Jahre nutzlos verstrichen, von sechs großen Monolithsäulen vier auf dem Wege zerborsten, die Geduld der Auftraggeber erschöpft und der Auftrag zurückgenommen. Die Fassade von San Lorenzo wurde niemals errichtet.

Damit schwand – die vielen kleineren ungerechnet – die zweite große Hoffnung des Bildhauers Michelangelo. Seit er vor 15 Jahren in den Dienst der Päpste getreten war, hatte er Gebirge von Marmor in ihrem Auftrag in Bewegung gesetzt, aber nur den 20. Teil davon hat sein Meißel jemals berührt. Die besten Werke waren Entwurf und Torso geblieben und die besten Jahre vorbei.

Zwar traute der nächste in der Reihe der Päpste, Giulio da Medici oder Clemens VII. seinen Händen ein drittes gewaltiges Werk an: Die Grabkapelle der Mediceer – aber die erlittenen Enttäuschungen sitzen zu tief. Und als im Jahre 1527 in Florenz der Aufstand ausbricht, steht Michelangelo auf Seiten der Aufständischen und leitet als verantwortlicher Baumeister die Ausgestaltung der Verteidigungswerke der Stadt. Zwar zwingen ihn Intrigen des Condottiere Malatesta Baglioni vorübergehend zur Flucht nach Venedig. Zurückberufen durchbricht er jedoch bald ein zweites Mal den Ring der Belagerer und kämpft weiter in den Reihen der Florentiner, bis der Verrat Baglionis den verhassten Mediceern die Stadt in die Hände spielt.

Michelangelo verschmäht es anfangs zu fliehen und erwartet trotzig seine Verurteilung. Der Papst indessen hält seine Hand über ihn – und zwingt ihn so erneut in den Dienst seines Hauses. Doch wagt es Michelangelo fortan ohne seinen Schutz nicht mehr, in der Stadt seiner Väter zu leben und, als Clemens VII. stirbt, bleibt auch der vierte große Entwurf, das Grabmal der Medici, unvollendet.

Er ist nun 60 Jahre alt und die 20, die ihm noch zu leben bleiben und die er in Rom verbringen wird, sind – trotz unbestrittenen Ruhms, trotz neuer rastloser Arbeit – Jahre des Verzichts. Alles, wonach er gestrebt, war Bruchstück geblieben. Die, an denen er gehangen, waren tot, die Heimat verschlossen, Italien in Händen der Spanier oder Franzosen. Selbst seine Feinde hatten ihn längst im Stich gelassen: Leonardo war tot, Raffael und Bramante….. und Rom schien darauf zu warten, einzig von seinen Händen vollendet zu werden.

Und zugleich waren es Jahre letzter, oft verhängnisvoll stürmischer Leidenschaften. So seine überschwenglichen Neigungen zu Febo di Poggio, zu Cecchino dei Bracci und Tommaso dei Cavalieri oder die wilde, quälerische Hassliebe zu einer gleichzeitig verachteten und begehrten Unbekannten – daneben die zart ausgeglichene von gemeinsamer religiöser Schwärmerei getragene Freundschaft zu Vittoria Colonna. Als auch sie starb, umgab ihn die Einsamkeit fortan wie eine einzige, nicht mehr unterbrochene Stille. Nun stand er über den Menschen. Auch über sich und seinen Enttäuschungen. Auch über den Trümmern seines Werks, das sich steil über das all der anderen erhob, wie die Kuppel von St. Peter über den Dom Bramantes.

Nun war er der „Sieger“, der den irdischen Sieg nicht mehr wollte.

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