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Einleitung

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Diese Aufsätze sind für den Rundfunk geschrieben, also bestimmt gehört zu werden, nahe gebracht von einer Stimme, die sie Wort für Wort zu wägen versteht. Nicht waren sie ursprünglich bestimmt, von stummen, das bloße Schriftbild festhaltenden Augen aufgenommen, nicht also gelesen zu werden. Auch sind sie geschrieben im Hinblick auf eine knappe und unumstößlich bemessene Sprechzeit – meist nur 13, allenfalls 14 Minuten. Und das zwang wiederum, der Stimme zur Andeutung zu überlassen, wofür ein eigenes Wort oder gar ein eigener Satz aus Zeitmangel nicht mehr bereitstand.

Dass dies so sein musste – nie ist im Rundfunk unbeschränkt Zeit – bewirkt ihren Stil, auch den Zwang, von jedweder Wiederholung abzusehen. Gedacht waren sie mithin als einmalige, flüchtige Visionen, ihr Erscheinen im Druck zwingt sie mit einem Male zur Dauer. Das widerspricht ihrem Wesen. Widerspricht im Grunde dem Wesen jeden Essays. Essay heißt Versuch und Versuche sind nie etwas Fertiges, sind bestenfalls Übergang und Vergänglichkeit. Unwiederholbarkeit ist ihr wesentliches Kennzeichen. Vielleicht ist alle Kunst so. Und vielleicht trennt gerade das sie von jeglicher Wissenschaft (besonders von ihrer eigenen – der Kunst- und Literaturgeschichte). Wissenschaft ist immer fertig. Ist immer das, was gilt und einwandfrei bewiesen werden kann.

Nichts von alle dem, was in diesen Aufsätzen steht, kann bewiesen werden (außer allenfalls einige Quellenangaben und Daten) also ist nichts Wissenschaftliches an ihnen und kann es nicht sein: Vor allem nichts Fachwissenschaftliches. Alles Menschliche widerstrebt dem Versuch, Teil eines Fachwissens zu werden.

Um ein Leben wiederzuerzählen, bedürfte es wiederum eines Lebens. Auch ein zehnbändiges Werk wäre dazu nicht im Stande, und auch ein hundertbändiges nicht. Und doch gelingt zuweilen, einem Augenblick, was ein derartiges Werk nicht vermag, das Wesen einer Gestalt bis auf den Grund zu erhellen. Wer dann sieht, ist begnadet und zugleich verurteilt zu schweigen. Das Tiefst in uns ist wortlos und spottet jeder Beschreibung.

Man kann einen Strom nicht in Eimer fassen – doch gesetzt den Fall, man könnte es, man würde selbst den letzten Wassertropfen jenes Eimers nie auszuloten vermögen. Und man kann eine Kugel nie dadurch beschreiben, dass man die Punkte ihrer Oberfläche abzählt. Man kann sie auch durch den einen einzigen Punkt in ihrer Mitte nicht beschreiben. Man kann – und das ist der einzige Weg – das Wesen einer Kugel nur aus einem jener unzähligen Strahlen erfassen, die pfeilähnlich ihre Oberfläche mit dem Inneren verbinden.

Anderes wollen auch diese Aufsätze nicht sein als solche Strahlen, « Pfeile nach innen » – jeweils einer von den abertausend möglichen, die von der Peripherie unseres lebendigen Seins seiner Mitte zustreben. In dieser Mitte, unendlich fern in dieser Mitte steht der Mensch.

Heinrich Jordis-Lohausen.

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