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2.2.1.3 Qualitative Forschung

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Unter qualitativer Marktforschung werden solche Methoden zusammengefasst, die nicht auf quantitativ-numerischen Daten, sondern auf detailreichen und kontextualisierten visuellen und verbalen Aufzeichnungen beruhen. Dabei ist zu beachten, dass die häufig verwendete Bezeichnung als »verstehende« Forschungsmethode im Gegensatz zur quantitativen Methodik irreführend ist: Beide Formen der Marktforschung streben an, Daten zu verstehen und dadurch zu Informationen zu machen. Dies geschieht, indem Ursachen, Wirkungen, Zusammenhänge und Kontextfaktoren entschlüsselt werden. Die Unterschiede beziehen sich vielmehr vor allem darauf, dass die Daten in der qualitativen Marktforschung nicht numerisch kodiert werden, um sie auszuwerten. Ein weiteres Missverständnis ist, dass die qualitative Forschung wegen der fehlenden Standardisierung beispielsweise in Tiefeninterviews mit einem »anything goes« in der Datenerhebung und Datenauswertung einherginge: Im Gegenteil ist eine hohe Transparenz erforderlich, um alle Schritte bei der Datenerhebung (z. B. durch Einbeziehung des Interviewleitfadens in den Ergebnisbericht) und der Kategorisierung bei der Auswertung zu dokumentieren (für ein Beispiel vgl. Geiger et al. 2018). Eine detaillierte Übersicht über weitere Unterschiede zwischen qualitativer und quantitativer Marktforschung werden in Abbildung 7 (Belk et al. 2013, S. 3; Teddlie und Tashakkori 2009, S. 86) aufgeführt.

Qualitative Methoden können in der Marktforschung Zusammenhänge erschließen, bei denen die Befunde nur unter Berücksichtigung des Kontext interpretiert werden können, wie zum Beispiel zum Verständnis und zur Nutzung von Smart Voice Interaction Technologies in privaten Haushalten (Foehr und Germelmann 2020). Sie sind geeignet, Einflussfaktoren zu identifizieren, über die die Konsumenten anhand standardisierter Fragebögen keine Auskunft geben können oder möchten (Gröppel-Klein und Königstorfer 2009).

Oft bietet es sich in Marktforschungsprojekten an, qualitative und quantitative Methoden zu verbinden und mit Mixed Method-Designs zu arbeiten ( Kap. 2.2.4).


Abb. 7: Unterschiede zwischen qualitativen und quantitativen Forschungsansätzen

Qualitative ForschungQuantitative Forschung

Mixed Method-Designs verbinden qualitative und quantitative Methoden gleichgewichtig oder mit dem Schwerpunkt auf einer der beiden Methodentypen, um durch die Verbindung zu umfassenderen Einsichten zu kommen. So wurden bei einer Untersuchung von Fußballfans zunächst in einer qualitativen Studie das Gefühl der Verbundenheit als eine von individuellen Emotionen zu unterscheidenden sozialen Emotion als Erlebniskomponente bei Besuchen von Sportveranstaltungen identifiziert, bevor in einer quantitativen Studie der Einfluss dieser sozialen Emotion auf die langfristige Bindung von Fans mit den entsprechenden Ticketverkäufen für Sportevents untersucht wurde (Stieler und Germelmann 2016).

Für die qualitative Forschung ist die Einbindung der gewählten Methode in eine Forschungstradition wichtig. So legt eine konstruktivistische Weltsicht, bei der die Welt als sozial konstruiert wird, Methoden zur Analyse von Interaktionen in natürlichen sozialen Settings nahe, während eine feministisch-strukturalistische Sicht auf die Welt zum Beispiel eher zur Wahl von Methoden führt, die die Narrative benachteiligter Gruppen aufdeckt, da diese Perspektiven nicht hinreichend in den dominanten Mehrheitsdiskursen abgebildet werden (Durdella 2017, S. 91 f.).

Abbildung 8 gibt einen Überblick über häufig genutzte Methoden in der qualitativen Marktforschung, die in mehreren Forschungstraditionen (insbesondere kritischer Realismus und Konstruktivismus) Eingang gefunden haben. Mit zunehmender Digitalisierung ist hier vor allem auf die Netnographie (Kozinets 2019) zu verweisen, die es ermöglicht, Erkenntnisse durch Mitglieder, Themen, Sprache, Rituale, Normen und Prozesse von sozialen Netzwerken oder Onlinegruppen zu sammeln.


TiefeninterviewFokusgruppeBeobachtungNetnographie


Abb. 8: Häufig genutzte Methoden der qualitativen Marktforschung

TiefeninterviewFokusgruppeBeobachtungNetnographie

Die Gütekriterien der qualitativen Marktforschung unterscheiden sich von den Kriterien Reliabilität, Validität und Objektivität der quantitativen Marktforschung ( Kap. 4.3). Sie umfassen neben Kriterien zur Durchführung der Methoden und zur Darstellung der Ergebnisse auch Kriterien, die sich auf die Wahl der Fragestellung oder die Wirkung bei den Zielgruppen der Marktforschung beziehen.

Häufig werden hier die »Big Tent Criteria for Qualitative Quality « herangezogen (Tracy 2010). Diese acht Kriterien wurden nach der Forderung benannt, die qualitative Forschung mit ihren sehr unterschiedlichen paradigmatischen und methodischen Problemzugängen müsste – bildlich gesprochen – ihr »gemeinsames Zelt« vergrößern und durch gemeinsame methodische Qualitätskriterien den Dialog zwischen den Paradigmen verbessern. Diese acht gemeinsamen Qualitätskriterien sind im Einzelnen (Tracy 2010):

1. Worthy topic: Der Untersuchungsgegenstand ist bedeutsam, aktuell und interessant.

2. Rich Rigor: Die qualitative Studie nutzt umfassende, geeignete, angemessene und komplexe Konstrukte, Daten, Stichproben, Kontexte und Analyseprozesse.

3. Sincerity: Die qualitative Studie ist durch Selbstreflexion der Forscherinnen und Forscher und durch Transparenz der Methoden und der Herausforderungen bei der Studie gekennzeichnet.

4. Credibility: Es werden »thick descriptions« zur Beschreibung der Daten genutzt, die detailliert Auskunft z. B. über den Kontextbezug oder über sonst stillschweigend vorausgesetzte Wissenselemente geben (»showing rather than telling«).

5. Resonance: Die Befunde bewegen die Zielgruppe der Forschung z. B. durch umsetzbare Befunde und Handlungsanleitungen.

6. Significant Contribution: Die Forschung leistet einen bedeutsamen Beitrag im Hinblick auf Konzepte und Theorien, Praxis, Methoden, Moral oder Heuristiken.

7. Ethical: Die Forscherinnen und Forscher berücksichtigen die Ethik im Hinblick auf Personen und Prozesse, Situationen und Kulturen, Beziehungen und das Verlassen des Felds nach Abschluss der Forschungsarbeiten.

8. Meaningful Coherence: Die Studie erreicht das vorgegebene Ziel, nutzt zieladäquate Methoden, und verbindet sinnstiftend Literatur und Theorien, Forschungsfragen, Befunde und ihre Interpretationen.

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